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Cava steckte Vinny Bings Telefon ein und warf einen Blick auf die beiden Leibwächter. Sie saßen in Wests Schlafzimmer auf dem Fußboden. Ihre muskelbepackten Körper lehnten zu beiden Seiten der Badezimmertür an der Wand. Inzwischen hatten ihre Kopfwunden zu bluten aufgehört. Dennoch würde er die Wand säubern müssen, bevor er sich aus dem Staub machte. Und gegen den Fleck auf dem Teppich musste er auch dringend etwas unternehmen.
Nur ein Mensch wie Alan West konnte ernsthaft glauben, dass das Paradies mit Teppichböden ausgestattet war.
Cava musterte die Kleidungsstücke auf dem Bett und hörte durch die Badezimmertür West beim Duschen zu. Heute Morgen hatte er vergessen, ein Flomax einzuwerfen, und musste dringend pinkeln. Und das Geräusch der plätschernden Dusche, unter der der Senator sich gerade vergnügte, machte das Problem auch nicht besser. Doch im Leben gab es eine ausgleichende Gerechtigkeit. In wenigen Minuten würde die Sache erledigt sein. Und einen Tag später würde Cava sich fünfzehnhundert Kilometer von hier in Coronaville in einem Liegestuhl aalen.
Die beiden Leibwächter waren umgefallen wie zwei morsche Bäume, was Cava überraschte. In L.A. hatten sie in ihren schwarzen Anzügen so brutal und unbesiegbar gewirkt. Außerdem brachte jeder von ihnen bestimmt mindestens einhundertfünfundzwanzig Kilo auf die Waage. Vielleicht hatte der Wechsel zur Freizeitkleidung von Tommy Bahama sie ja geschwächt. Ob geblümte Hemden wohl die Wachsamkeit senkten? Möglicherweise hatte es auch etwas mit der Sonnencreme auf ihren stämmigen weißen Beinen und den dicken roten Nasen zu tun.
Aber eigentlich war das Cava schnurzegal. Er beobachtete das Haus nun schon seit anderthalb Tagen, und ihn interessierte nur, was für ein Kinderspiel es gewesen war. Für jeden eine Kugel aus einer .22er, die er vorher in eine Zwei-Liter-Pepsiflasche gesteckt hatte, um den Knall zu dämpfen. Die beiden hatten die Waffe selbst nie zu Gesicht bekommen. Nur die Pepsiflasche und einen freundlich lächelnden und winkenden Cava.
Noch besser war, dass West ihr Gespräch vor sechs Monaten sicher vergessen hatte. Damals hatten sie erörtert, was sie tun sollten, wenn etwas schieflief. Dabei hatte West dieses Haus hier erwähnt, geredet wie ein Wasserfall und Cava die Lage sogar auf einer Landkarte gezeigt. Eine Oase, hatte er gesagt. Ein sicherer Zufluchtsort mit Hauspersonal, Satellitenfernsehen, Internetzugang und allen übrigen Annehmlichkeiten, auf die ein amerikanischer Senator im Exil sonst noch Wert legte.
Cava nahm den Mixer von Kitchen Aid aus seinem Karton und stellte ihn auf den Tisch. Nachdem er den Fleischwolf festgesteckt hatte, schätzte er, dass er etwa dreihundertfünfzig Kilo Rohmasse würde verarbeiten müssen. Hoffentlich war der 325 Watt starke Motor der Belastung gewachsen.
Inzwischen sang der Senator ein Lied aus einem Musical. West kannte zwar den gesamten Text von »Singing in the Rain«, konnte aber den Ton nicht halten. Cava versuchte, nicht darauf zu achten, deponierte eine Schachtel mit Einwickelpapier, wie es in Metzgereien verwendet wurde, neben den Mixer und förderte eine frische Rolle Klebeband zutage.
Er war bereit. Alles, was er brauchte, war vorhanden. Und der Senator klang, als wäre er in bester Laune.
Cava betrachtete seine Glücksschuhe. Die billigen Turnschuhe, die Lena Gamble ihm gegeben hatte, nicht wissend, dass sie eine wichtige Rolle bei seiner Flucht spielen würden. Er wackelte mit den Zehen und lächelte.
Diesmal würde er die .22er nicht benutzen. Eine Schusswaffe bedeutete Distanz, und dafür war ihm der Augenblick zu wichtig. West hatte ihn missbraucht und ihn nach Strich und Faden belogen. Nachdem der gute Senator den Reporter und seinen kleinen Hund getötet hatte, hatte er ihn, Cava, den Wölfen zum Fraß vorwerfen wollen. Und als er auch damit gescheitert war, hatte er sich feige aus dem Staub gemacht.
Alan West war ein Wurm.
Cava ließ sein Telefonat mit Lena Gamble Revue passieren. Er hatte keinen Spaß am Töten. Im Grunde seines Herzens wusste er, dass das die Wahrheit war. Aber in diesem Moment war es möglicherweise anders. Schließlich ging es hier um Alan West. Der Moment war so besonders, dass er nicht einmal ein Messer einsetzen würde. Es würde ein gewaltiger Schritt hin zu seiner psychischen Genesung sein.
Endlich hörte der Senator auf zu singen und drehte das Wasser ab. Cava zog sein rasiermesserscharfes Skalpell hervor und wischte es an seinem Hemdsärmel ab. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Instrument einigermaßen steril war – wenn schon nicht steril, dann für das Auge möglicher Betrachter wenigstens sauber –, musterte er die beiden Toten auf dem Boden und riss die Badezimmertür auf. Hinter einer Dampfwolke konnte er den Senator erkennen. Sein Haar war angeklatscht, sein schlaffer Körper tropfnass. Er stellte fest, dass die Knopfaugen des Mannes ihn durch die beschlagene Glasscheibe anstarrten. Angst und Schrecken malten sich auf seinem Gesicht. Furcht und Hass. Cava war zwar noch nicht lange in der Stadt, aber die Einheimischen machten einen hungrigen Eindruck auf ihn. Überall gab es Tacos mit Hackfleischfüllung zu kaufen. Aber ihm war aufgefallen, dass sich Cheeseburger ebenfalls großer Beliebtheit erfreuten.