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Nathan G. Cava sah zu, wie der Mercedes in die Auffahrt einbog und hinter einigen Eichen verschwand. Doch der Ford Explorer mit den abgedunkelten Scheiben, der dem Mercedes aufs Grundstück gefolgt war, bereitete ihm weitaus größere Sorge. Nachdem das Tor sich geschlossen hatte, stoppte Cava seinen Wagen an der Baustelle auf der anderen Straßenseite. Offenbar hatte dem Besitzer seine alte Villa nicht mehr gefallen, sodass er sie abgerissen hatte, um eine neue zu bauen. Bis auf eine zweieinhalb Meter hohe Mauer rings um ein Stück Brachland war nichts davon übrig geblieben.

Willkommen in der Westside. Swimmingpools und Filmstars.

Als Cava wendete, wirbelten die Reifen seines Hummer die lockere Erde auf. Sobald er Fontaines Haus gut im Blick hatte, trat er auf die Bremse und sah zu, wie sich eine Staubwolke über die Motorhaube senkte. Dann griff er nach seinem Fernglas und stützte die Ellbogen aufs Lenkrad, um die Vorgänge besser im Auge behalten zu können.

Fontaine und seine Geliebte aus dem Büro näherten sich der Eingangstür. Die beiden Insassen des Explorer schwärmten unterdessen zu beiden Seiten des Hauses aus und durchsuchten das Grundstück.

Offenbar hatte der Arzt aus Beverly Hills zwei Leibwächter angeheuert. Schlagartig hatte die Situation sich zugespitzt. Und Nathan G. Cava hatte eine Abneigung gegen zugespitzte Situationen.

Er fragte sich, was Fontaine wohl so erschreckt haben mochte, und kam zu dem Schluss, dass es sicher die Nachrichtenmeldung von letzter Nacht gewesen war. Cava hatte die Wiederholung der Sendung um ein Uhr nachts gesehen. Gerade war er nach Hause gekommen, hatte eine Ambien CR eingeworfen und lag nun im Bett und wartete, dass das Medikament wirkte. Und da hatte er erfahren müssen, dass es einen Zeugen gab. Dass er Teil eins seines Hollywood-Dreierpakets noch nicht abhaken konnte. Es war wieder einmal ein Problem aufgetreten. Einer der ärgerlichen Fehler, wie die, mit denen er sich bei seinem Auslandseinsatz hatte herumschlagen müssen.

Jemand hatte in der fraglichen Mittwochnacht auf dem Parkplatz herumgelungert und auch noch den Nerv gehabt mitzufilmen. Die Bildqualität war zwar der letzte Dreck und es nicht wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Doch es hieß, dass sich jemand in der Dunkelheit herumgedrückt und ihn beobachtet hatte. Ganz gleich, wie finster es auch gewesen sein mochte, standen die Chancen gut, dass der Zeuge Cavas Gesicht sowie das Fabrikat und Modell seines Autos wiedererkennen würde. Als Cava die Nacht noch einmal Revue passieren ließ, musste er zugeben, dass er ein wenig nervös, leicht eingerostet und nicht besonders gut in Form gewesen war. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so jung und hübsch sein und vor allem nicht, dass sie ihn anlächeln würde. Das hatte er im Vorbeigehen durch die Autoscheibe gesehen. Er hatte ein Funkeln in ihren Augen bemerkt.

Noch fataler fand er, dass ihm die Begründung, warum er das hübsche junge Mädchen ansprechen und es umbringen sollte, nicht sehr überzeugend erschienen war. Für ihn hatte es sehr nach den Phrasen geklungen, mit denen man ihn während seiner drei Einsätze abgespeist hatte. Denn bei genauerem Nachrechnen ging die Gleichung niemals auf. Insbesondere nicht während der beiden zusätzlichen Jahre in Osteuropa. Damals hatte man ihm den Spitznamen Dr. Sauber verpasst. Die Wahrheit lautete, dass er sich selbst als Arzt betrachtete – und nicht als Fachmann für Informationsbeschaffung, der seine Mitmenschen verhörte und mithilfe diverser Werkzeuge in ihrer Vergangenheit herumbohrte. Er hatte diesen Spitznamen und die Leute, denen er ihn verdankte, zwar gehasst, aber dennoch ihre Befehle befolgt, so belastend es auch gewesen sein mochte. Es war eine Last, die ihm Menschen aufgebürdet hatten, denen er nicht vertrauen konnte, denn er wusste, dass sie keine Seele hatten und ihn nur benutzten.

Cava brauchte plausible Gründe für sein Handeln. Je persönlicher sie waren, desto besser. Und wenn man ihm keinen solchen Grund nannte, musste er sich eben einen ausdenken. Einen, der glaubhafter klang als Geld. Etwas Konkretes und weniger Abgedroschenes als Für Gott und Vaterland. Manchmal erkannte er das Motiv, wenn er sich die betreffende Person ansah. Doch meistens dauerte es einige Tage, bis er es zu fassen bekam und es als Wahrheit anerkennen konnte. Das gehörte zum kreativen Prozess und war das, was ihn davor bewahrte, den Verstand zu verlieren, seit die Welt vor acht Jahren aufgehört hatte, sich zu drehen. Es war etwas, das seinen innersten Kern schützte. Niemand konnte es erreichen, einfangen, danach greifen oder mit einem Flugzeug hineinrasen.

Cava riss sich aus seinen Grübeleien und ließ das Fernglas sinken. Ein Doppeldeckerbus, besetzt mit fröhlichen Touristen, hatte vor der Playboyvilla am Ende der Straße gestoppt. Nachdem alle ihre Fotos gemacht hatten, würde der Bus vor dem Haus halten, wo der Film Scarface gedreht worden war. Fünf Villen weiter die gelb gepflasterte Straße entlang stand das nächste Ziel, das frühere Haus von Humphrey Bogart. Die Bude, wo Sam Spade seinen Hut aufgehängt und im Bett mit Lauren Bacalls Titten gespielt hatte.

Cava kannte die Strecke, weil er gestern selbst bei dem Ausflug dabei gewesen war. Er hatte vom oberen Deck aus fotografiert wie ein Wilder, um einen genaueren Eindruck von diesem Viertel zu gewinnen. Es war die Mühe wert gewesen-eine Erkundungstour, bekleidet mit eher sommerlichen Touristenklamotten, die er noch am selben Morgen in einem Laden namens Tommy Bahama’s in der Third Street in Grove gekauft hatte. Obwohl er sich fast den Arsch abgefroren hätte, war er auf diese Weise nicht aufgefallen und hatte einen guten Blick auf Fontaines Haus werfen können. Sein Anwesen mochte zwar das kleinste am South Mapleton Drive sein, verfügte aber trotzdem über Pool, Tennisplätze, ein Gästehaus und eine Garage, die groß genug war, um sich darin zu verirren. Allerdings besaß Fontaine, anders als seine Nachbarn, nur zwei Autos. Das wunderte Cava – keine zehn Luxuskarossen, sondern lediglich zwei Mercedes, wobei das Cabrio offenbar schon bessere Tage gesehen hatte. Vielleicht lebte der gute Doktor ja über seine Verhältnisse, weil er unbedingt in einer Gegend wohnen wollte, wo alle Geld hatten wie Heu. Dennoch hatte sein Haus eine ausgezeichnete Lage und einen Garten, der nahtlos in den Los Angeles Country Club überging. Also wie geschaffen für Cavas Vorhaben. Es würde ein Kinderspiel sein, sich Fontaine zu schnappen, insbesondere bei Nacht.

Der Touristenbus rumpelte vorbei und pustete eine dicke blaue Wolke aus Dieselabgasen in eine Luft, die ohnehin schon roch wie an einer Raststätte. Cava stellte fest, dass es sich um denselben Fahrer handelte wie gestern, und senkte den Kopf. Dabei dachte er an die wachsende Liste möglicher Zeugen und die beiden Leibwächter.

Gestern Abend war er Fontaine und seiner Freundin vom Büro nach Hause gefolgt und hatte sie bis Mitternacht beobachtet. Anschließend war er quer durch die Stadt zu seiner Wohnung am Barham Boulevard gefahren, von der aus man Aussicht auf die Universal Studios und den Parkplatz von Warner Brothers hatte. Bei seiner Rückkehr am nächsten Morgen um sieben hatte er festgestellt, dass ein Ford Explorer die Prozession zum Frühstück bei Nate’n’Al’s in Beverly Hills anführte. Cava hatte das Lokal nicht betreten, sondern nur im Vorbeigehen zum Fenster hineingeschaut und gesehen, wie Fontaine, die Blondine und die beiden Männer an einem Tisch Platz nahmen. Wahrscheinlich wurden gerade die geschäftlichen Einzelheiten verhandelt.

Als Cava noch einen Blick auf den Touristenbus warf, keuchte das Fahrzeug gerade langsam den Hügel hinauf. Er hob das Fernglas, betrachtete Fontaines Haus und fragte sich, ob die Leibwächter wohl so klug gewesen waren, auf Vorauskasse zu bestehen.

Vermutlich nicht.

Der Gedanke brachte ihn zum Schmunzeln, während er bemerkte, dass jemand im Parterre die Rollläden hinunterließ. Allmählich fühlte sich die Angelegenheit stimmig und glaubhaft an. Aber zuerst musste er dieses Auto loswerden. Er schaute auf die Uhr. Noch vor neun wollte er im Autohaus sein.

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