32

Es war kurz vor Mitternacht. Ein dichter, tief hängender Nebel war vom Meer herangezogen und hüllte die Stadt der Engel in dunkle Wolken. Rhodes lenkte den Crown Vic zurück zum Parker Center, damit Lena ihr Auto abholen konnte. Siebzig Stundenkilometer auf dem Hollywood Freeway Es war ein Gefühl, als wären sie allein auf der Straße. Nur hin und wieder flitzte ein Scheinwerferpaar vorbei wie ein UFO. Der Dunst dämpfte jedes Geräusch.

»Es ist meine Schuld«, flüsterte Lena. »Du warst nicht da und konntest es deshalb nicht wissen.«

»Es ist weder deine noch meine Schuld, sondern Klingers.«

»Ich hätte besser aufpassen sollen«, widersprach sie. »Ich war unkonzentriert.«

»Klinger hat das verbockt, Lena. Und er muss dafür bezahlen.«

Lena steckte die Hand in die Tasche und schloss sie um das Zigarettenpäckchen, das sie Sonntagnacht gekauft hatte. Sie würde sich jetzt keine anzünden, sondern sich die Zigaretten für später aufsparen. Allein das Wissen, dass sie da waren, genügte.

Sie sah Rhodes an. »Klinger wird niemals dafür bezahlen, Stan. Der Polizeichef auch nicht. So läuft das nicht bei uns.«

»Und wie läuft es dann, verdammt?«

Lena hielt einen Moment inne. Seit drei Stunden grübelte sie bereits über diese Frage nach. Wenn sie die Situation realistisch betrachtete, konnte sie sich schon denken, was passieren würde. Bei der Durchsuchung von Pooles Wohnung hatten sie Orden, Auszeichnungen und Souvenirs entdeckt. Doch es waren die Briefe in seinem Schreibtisch gewesen, die ihnen die wahre Geschichte erzählt und ihnen verraten hatten, wer dieser Mann wirklich gewesen war. Briefe von Soldaten, die Poole unter Einsatz seines eigenen Lebens gerettet hatte. Briefe von Ehefrauen, Eltern, Ehemännern und Kindern. Ein Tagebuch, das er angefangen hatte, nachdem mehr als hundert Zivilisten von einer am Straßenrand deponierten Bombe verwundet worden waren. Damals war Poole der einzige Arzt vor Ort gewesen. Poole, ein begabter Militärchirurg, hatte viele Kampfeinsätze miterlebt. Er hatte alles gegeben, bis er schließlich unter dem Druck zusammengebrochen war. Er hatte sich engagiert bis zum Äußersten und irgendwann einen Punkt erreicht, an dem er selbst dringend Unterstützung gebraucht hätte. Aber niemand hatte seine Hilferufe gehört oder ihm die Hand gereicht. Man hatte nichts weiter für ihn getan, als Rezepte auszustellen und ihn mit Medikamenten vollzustopfen.

Lena schob den Gedanken beiseite und starrte auf die Nebelwand, ohne sie zu sehen.

»Es gibt zwei Möglichkeiten«, flüsterte sie, mehr zu sich selbst.

»Was für Möglichkeiten?«

»Entweder werden sie behaupten, dass wir den Fall heute Abend aufgeklärt hätten. Wir hätten den Täter erwischt. Albert Poole sei Nathan Good gewesen, und damit sei die Sache erledigt. Dann muss Poole als Sündenbock herhalten, damit es keinen Grund mehr gibt, weiter gegen Fontaine, Justin Tremell oder die anderen Hintermänner des Polizeichefs und des Oberstaatsanwalts zu ermitteln. Die Akte wird geschlossen, Stan. Eine andere Alternative wäre, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben. Ich hätte den Fall verbockt und heute Abend grundlos einen Kriegshelden getötet. Einen Mann, der seinen Mitmenschen geholfen und den Tod nicht verdient hat. Das sind die beiden Möglichkeiten. Vielleicht versuchen sie es ja auch mit einer Mischung aus beidem. Jedenfalls hat der Polizeichef mich jetzt in der Hand.«

Ihre Stimme wurde von dem gedämpften Dröhnen des Crown Vic übertönt, der durch den wabernden Nebel glitt. Der Wagen schwebte durch Finsternis und Dunst. Als Rhodes endlich das Wort ergriff, war auch seine Stimme kaum zu hören.

»Poole mag ein Kriegsheld gewesen sein, Lena. Aber immerhin hat er das Feuer eröffnet, nicht wir. Außerdem wusste Klinger vermutlich genug über den Kerl, um diese Reaktion vorauszusehen.«

Lena schwieg, obwohl sie zugeben musste, dass Klinger und Polizeichef Logan ihre Hausaufgaben gemacht hatten. Die beiden hatten sie nach allen Regeln der Kunst in die Falle gelockt. Davor hatte Barrera sie schon bei seinem ersten Anruf gewarnt, und sie hatte die ganze Woche damit gerechnet, dass etwas passieren würde. Und als es schließlich so weit war, hatte sie sich dennoch täuschen lassen. Nun war ein unschuldiger, wenn auch schwer gezeichneter Mann nicht mehr am Leben.

»Das Wichtigste ist, dass du dich jetzt von mir distanzierst«, meinte sie.

»Das kannst du vergessen.«

»Wenn ich die ganze Schuld auf mich nehme, behältst du deinen Job. Aber mach bloß einen Bogen um Klinger.«

Rhodes musterte sie eindringlich. »Leck mich«, sagte er.

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