52
Lena bemerkte die Blaulichter, als sie vom Sunset Boulevard abbog und den Hügel hinauffuhr. Zehn Streifenwagen des Sheriffs von West Hollywood standen aufgereiht vor dem Haus von Senator Alan West. Ein Chevy Suburban mit verdunkelten Scheiben parkte, rückwärts und mit offener Heckklappe, in der Auffahrt. Alle Fenster im Haus waren erleuchtet. Das Tor war offen. Beim Aussteigen zählte Lena fünf uniformierte Kollegen auf der Veranda und fragte sich, ob sie nicht zu spät gekommen war. Sie eilte die Vortreppe hinauf. Als das Gespräch der Uniformträger schlagartig verstummte, heftete sie sich den Dienstausweis an die Jacke und wandte sich an den Polizisten, der hier offenbar das Kommando führte.
»Ist der Senator da?«
»Erwartet er Sie?«
»Wir sind befreundet«, erwiderte sie. »Was ist hier heute Abend los?«
Der Mann zuckte mit den Achseln. »Wir sollen ihn zum Flughafen bringen und sind schon zehn Minuten zu spät dran.«
Lena betrat das Haus. Einer von Wests Leibwächtern hastete mit einem Koffer die Treppe hinunter. Sie drehte sich um und sah West, seinen zweiten Leibwächter im Schlepptau, aus der Bibliothek kommen. West lächelte ihr zu. Die beiden Leibwächter verkniffen sich diese Geste.
»Was machen Sie denn hier, Detective?«, wunderte sich West.
»Ich wollte nur kurz mit Ihnen reden. Planen Sie eine Reise?«
»Nach Washington«, antwortete er. »Nur für eine Woche. Kann Ihr Anliegen nicht warten?«
Lena warf einen Blick auf Wests Leibwächter – zwei Schwergewichtler mit derben Gesichtern, die dunkle Anzüge trugen, völlig ungerührt wirkten und offenbar schwer bewaffnet waren. Dann wandte sie sich wieder an West.
»Ich glaube nicht, Senator.«
West schlüpfte in sein Sakko. »Sie müssen uns nach Burbank begleiten, sonst verpassen wir unseren Flieger.«
Lena folgte ihnen zur Tür hinaus, wo West und seine Leibwächter zum Suburban eilten. Die Uniformierten vom Büro des Sheriffs sprangen in ihre Streifenwagen. Als der letzte Koffer im Geländewagen verstaut war, musterte Lena den Chauffeur, der gerade das Tor schloss. Er war ein junger magerer Latino, schätzungsweise Anfang zwanzig, und hatte einen schüchternen Blick. Für eine Woche in Washington hatte der Senator eine Menge Gepäck bei sich.
Lena ging um den Suburban herum und wurde auf den Rücksitz geschoben. Einer der Leibwächter nahm wortlos neben ihr Platz. Dann setzte sich West eine Reihe vor sie. Der andere Leibwächter ließ sich daneben nieder. Der Suburban stand mit einem mobilen Funkgerät am Armaturenbrett in Kontakt mit den Streifenwagen. Als der Fahrer die Lautstärke regulierte, hörte Lena, wie die Uniformierten die Strecke erörterten. Laurel Canyon, dann über den Hügel zum Sherman Way. Nachdem diese Information übermittelt war, setzte sich die Karawane in Bewegung. Fünf Streifenwagen bildeten die Vorhut, die übrigen folgten.
»Wie ich sehe, haben Sie meinen Rat ernst genommen«, meinte Lena zu West.
Der Senator lächelte. »Die Kavallerie? Ja, ich habe angerufen. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Außerdem hatte ich die schlaflosen Nächte satt.«
»Wegen Denny?«, fragte sie.
Er drehte sich zu ihr um und nickte. Seine blauen Augen funkelten, angestrahlt von zehn Blaulichtern. Der Senator wirkte entspannter als bei ihrer letzten Begegnung, und seine frische Gesichtsfarbe war zurückgekehrt. Er machte einen ausgeruhten, lockeren, ja, sogar erleichterten Eindruck.
Lena musterte ihn eindringlich. »Der Mord hat Sie sehr erschüttert, richtig, Senator?«
»Denny war zu Anfang seiner Laufbahn nicht Kriminalreporter, sondern hat für das Politikressort geschrieben. Wir kannten uns seit schätzungsweise zehn Jahren.«
»Das ist eine lange Zeit.«
»Ist alles in Ordnung, Detective?«
Lena betrachtete sein Sakko. »Wo haben Sie denn Ihre Anstecknadel vom 11. September? Ich sehe sie gar nicht an Ihrem Revers.«
West blickte sie an, als habe er sie wegen des Motorengeräuschs nicht verstanden.
»Ihre goldene Anstecknadel«, beharrte Lena. »Die Ihnen von der Feuerwehr für Ihren Heldenmut verliehen wurde und die Sie, Ihrer eigenen Aussage nach, jeden Tag tragen. Was ist aus ihr geworden?«
Während Lena beobachtete, wie West sich wand, wurde ihr klar, warum sie die Aussagen von Politikern nie für bare Münze genommen hatte. Ohne Drehbuch hatten diese Leute offenbar Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Und die meisten von ihnen würden vermutlich ertrinken, wenn man ihnen den Schwimmreifen wegnahm.
»Wo ist Ihre Anstecknadel vom 11. September, Senator?«
West fuhr mit dem Finger über sein Revers. »An einem sicheren Ort, Detective.«
»Da stimme ich Ihnen zu. Ihre Anstecknadel befindet sich an einem sehr sicheren Ort.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil ich sie vor einer knappen Stunde selbst gesehen habe.«
»Ach wirklich?«
»Ja. Sie haben sie nämlich verloren.«
»Wo?«, fragte er.
»In Denny Ramiras Haus. Sie ist Ihnen runtergefallen, als Sie ihn ermordet haben, Senator. Denny hat sie vor seinem Tod versteckt. Deshalb war Klinger dort, richtig? Die Akte, die ich mitgenommen habe, war ein Bonus. Er hat mich nicht daran gehindert, sie sicherzustellen, weil Sie darin gut wegkommen. Es steht nichts darin, was den Verdacht auf Sie lenkt. Ganz im Gegensatz zu der Anstecknadel. Da Sie Ihre Spuren verwischen mussten, haben Sie Klinger zu Ramira geschickt, um die Anstecknadel zu suchen.«
Schweigen, so drückend, schwer und dunkel wie die Nacht, senkte sich über das Wageninnere. Alle wechselten hektische Blicke und tauschten lautlose Botschaften aus.
Lena stellte fest, dass der Chauffeur sie im Rückspiegel anstarrte. Der Junge wirkte verängstigt.
West schaute wortlos aus dem Fenster, als sie den Gipfel des Hügels erreichten und die gewundene Straße ins Tal hinabfuhren. Es war völlig sinnlos, dass der Senator weiter leugnete. Schließlich war die Anstecknadel, die er für seine Unterstützung der Rettungskräfte nach dem 11. September erhalten hatte, ein Einzelstück und von einem Goldschmied in South Pasadena angefertigt worden. Das dreidimensionale Kunstwerk stellte einen Löschzug der Feuerwehr von Los Angeles am Ground Zero dar. Und es gab nur eine einzige Erklärung dafür, wie diese goldene Anstecknadel in Denny Ramiras Hand gelandet war.
West neigte den Kopf zur Seite. »Haben Sie sie bei sich?«
»Nein, sie ist noch immer in Dennys Versteck.«
»Und wo soll das sein?«
Lena blickte dem Senator in die Augen. »Er hat sie gewissermaßen in der Handfläche verschwinden lassen.«
West lächelte sie an. Nach einer Weile ergriff er das Wort und sprach so langsam, als hätte er sich alles ganz genau überlegt. »Denny Ramira war ein außergewöhnlicher Reporter, interessierte sich allerdings nicht sehr für Politik. Deshalb war er froh, die Stelle wechseln zu können. Er pflegte immer zu sagen, wir Politiker verstünden die Welt nicht, denn es sei unmöglich, sie in links oder rechts aufzuteilen. Menschen ließen sich nicht anhand ihrer Religion, ihrer Stammeszugehörigkeit, ihrer Körpergröße oder ihrer Figur kategorisieren. Nicht einmal ihre Essgewohnheiten seien ein Unterscheidungsmerkmal. Er fand, eine Sache sei entweder richtig oder falsch. Ein Mensch sei entweder ehrlich oder ein Betrüger. Und das war der Schlüssel zu seinem Erfolg, sein Geheimnis. Wenn man sich für eine Seite entschiede, müsse man sich vergewissern, dass es auch die richtige sei.«
»Und für welche Seite haben Sie sich entschieden, Senator?«
West zuckte mit den Achseln und starrte noch immer ins Leere. »Eines verrate ich Ihnen, Detective. Ich habe alles gegeben, was ich hatte. Und falls jemand behaupten sollte, dass ich mehr bekommen als gegeben hätte, tja, dann war ich eben erfolgreicher als die meisten.«
»Das werde ich mir merken, wenn ich mit den Familien spreche, die ihre Kinder verloren haben, weil sie einem Medikament mit dem Namen Formel D vertrauten. Den Leuten, die sich auf Sie verlassen haben, Senator – auf Sie, auf Tremell und auf die Arzneimittelbehörde. Danke, dass Sie für wahrheitsgemäße Ergebnisse der klinischen Tests gesorgt haben.«
Schweigend hielt er ihrem Blick stand. Doch Lena ließ nicht locker, denn sie wollte es unbedingt verstehen.
»Als Jennifer Bloom Sie zum ersten Mal im Büro aufsuchte und Ihnen vom Schicksal ihres Sohnes erzählt hat, hat Sie das denn nicht berührt?«
»Sie hat nicht ihren richtigen Namen angegeben, Detective.«
»Was soll denn das für eine Antwort sein? Als Sie Ihnen geschildert hat, wie ihr Sohn gestorben ist, und zwar durch die Schuld von Tremell, einem Pharmaunternehmen und einer Handvoll Schmarotzer bei der Regierung, die sich haben kaufen lassen, hat ihre Geschichte Sie da nicht betroffen gemacht?«
»Selbstverständlich. Ich bin doch kein Unmensch!«
»Wie lange haben Sie, nachdem sie fort war, gewartet, um Tremell anzurufen? Einen Tag? Eine Stunde? Oder war sie noch auf dem Weg zur Tür? Sie sind nämlich derjenige, der ihn gewarnt hat. Sie haben Tremell gesagt, wer Jennifer Bloom in Wirklichkeit ist, und ihm erklärt, dass sie ihn an der Nase herumgeführt hat.«
Lena merkte seinem Blick an, wie es in seinem schmutzigen Verstand arbeitete. Die Räder drehten sich immer weiter, so verzogen und aus den Lagern gelaufen sie auch sein mochten.
»Der Mann ist absolut schwanzgesteuert«, erwiderte West schließlich. »Zehn Prozent meiner Geldanlagen steckten in seiner dämlichen Firma. Der Aktienkurs befand sich wegen der vielen Gerüchte bereits im Sturzflug. Wenn Bloom mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit gegangen wäre, hätte es Jahre gedauert, bis er sich wieder erholt.«
Lena starrte ihn ungläubig an. »Deshalb haben Sie sie verraten? Wegen Ihrer Geldanlagen?«
»Richtig, Detective. Des Geldes wegen. Meines Geldes. Sie hat mir nicht zugetraut, ihre Interessen zu vertreten. Mir, einem ehemaligen Mitglied des Senats der Vereinigten Staaten. Deshalb ist sie aus meinem Büro spaziert und hat sich mit Ramira getroffen und ihm alles brühwarm erzählt. Damit meine ich, wirklich alles. Also habe ich dafür gesorgt, dass Denny Ramira mein neuer bester Freund wird. Es war die einzige Methode, ihm auf die Finger zu schauen. Sie wissen ja, dass er eine Schwäche für Sie hatte. Ihn plagte das schlechte Gewissen, weil man im letzten Jahr so mit Ihnen umgesprungen ist. Schließlich verdankte er Ihnen den Artikel über den Mord an Ihrem Bruder. Er fühlte sich schuldig, weil er eine Auszeichnung nach der anderen bekommen hat, während man Sie beinahe gefeuert hätte. Es lag nicht an seinem Buch oder seiner Arbeit bei der Zeitung, dass er Sie hingehalten hat. Er wollte Ihnen den ganzen Fall auf einem silbernen Tablett servieren. Alles lückenlos bewiesen und gerichtsfest. Er glaubte, Ihnen das schuldig zu sein. Aber wie Sie sehen, hängt alles im Leben vom richtigen Zeitpunkt ab. Denny hat einen Tag zu lange gewartet.«
Der Geländewagen bog nach rechts in den Sherman Way ein. Sie befanden sich etwa drei Kilometer vom Flughafen entfernt und näherten sich dem Hintereingang. Lena warf einen Blick auf die Leibwächter. Dass sie von Streifenwagen umzingelt waren, schien sie nicht zu stören. Sie wandte sich wieder an den Senator.
»Denny wollte reden«, meinte sie. »Also haben Sie ihm einen Besuch abgestattet. Was hat den Ausschlag gegeben? Und behaupten Sie jetzt nicht, es habe daran gelegen, dass er Cava identifiziert hatte. Denny hat Cava nicht aufgespürt. Sie selbst haben ihn ans Messer geliefert, um sich zu retten.«
West erinnerte sich mit einem Lächeln. »Der verschwundene Zeuge«, sagte er nach einer Weile. »Denny glaubte letzten Sonntag, er sei dahintergekommen, dass dieser Zeuge die eigentliche Zielscheibe ist. Dass Jennifer dieser Zeuge war.«
»Aber er hat erst am Mittwoch die Bestätigung erhalten«, erwiderte sie.
»Richtig. Es hat drei Tage gedauert, sie aufzuspüren. Sie war in der Wohnung einer Freundin untergeschlüpft. Der Frau, die Cava umgebracht hat. Sie hat den Fehler gemacht, ans Telefon zu gehen, und Denny hat ihre Stimme erkannt.«
»Und daraufhin haben Sie wieder Tremell angerufen. Sie haben sie zweimal verkauft.«
»Richtig. Ich habe alle informiert. Dann bin ich zu Denny gefahren, um ihn zu überreden, noch ein wenig zu warten. Ich habe gesagt, wir müssten sie zuerst finden und mit ihr reden. Aber er wollte nicht auf mich hören und wurde wütend. Als er zum Telefon griff, um Sie anzurufen, ist die Sache aus dem Ruder gelaufen. Anschließend habe ich sein Büro ausgeräumt und bin zurück nach Hause. Anscheinend habe ich eine Akte übersehen, nämlich die, auf die Klinger gestoßen ist. Doch Sie haben Recht. Die Anstecknadel war mir wichtiger als die Akte. Und deshalb habe ich ihn hingeschickt.«
Kopfschüttelnd ließ Lena die Anzahl der Menschen Revue passieren, die ums Leben gekommen waren, weil dieser Mann sich Sorgen um den Kurs seiner Aktien machte. Ein Mann, der drei Legislaturperioden im Senat der Vereinigten Staaten verbracht und den Staat Kalifornien vertreten hatte. Der Bürgermeister von Los Angeles hatte ihn in die Polizeikommission berufen, eine Ernennung, die der Stadtrat einstimmig bestätigt hatte, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Polizei wiederherzustellen.
Und dieses Ungeheuer in Menschengestalt saß nun vor ihr. Der Mann, der Jennifer Bloom zweimal verraten und keine Skrupel gehabt hatte, Cava zu opfern.
»Woher kennen Sie eigentlich Cava?«, erkundigte sie sich.
»Ich war damals Senator und bin für einige Tage in den Irak gereist. Anschließend habe ich eine Einrichtung in Osteuropa besucht, und dort bin ich Cava begegnet.«
»Was für eine Einrichtung? Meinen Sie damit die geheimen Foltergefängnisse?«
West musterte sie. »Es handelte sich um eine Einrichtung«, entgegnete er in gemessenem Ton. »Cava war als Sanitätsoffizier dort eingesetzt. Im Laufe der Zeit änderten sich seine Aufgaben. Aber ihm fehlte das nötige Durchhaltevermögen.«
»Soll das heißen, dass Sie ihn kaputtgemacht haben?«
»Ich habe den Mann nicht angerührt.«
»Wie haben Sie ihn dazu überredet, für Sie zu morden?«
»Ich habe ihm dasselbe gesagt wie allen Soldaten, nämlich dass seine Bemühungen einem hehren Ziel dienen. Sein Opfer sei ein Beitrag zu einer besseren Welt. Tremells Geld hat natürlich auch nicht geschadet. Cava war so am Ende, dass er uns alles abgekauft hat. Zumindest am Anfang.«
Der Geländewagen wurde langsamer. Lena sah, dass die fünf Streifenwagen vor ihnen die Blaulichter abschalteten und weiterfuhren. Als sie aus dem Fenster schaute, stellte sie fest, dass die fünf Wagen hinter ihnen links überholten und in der Ferne verschwanden. Der junge Chauffeur am Steuer des Suburban stellte das Funkgerät ab, bog rechts in einen Parkplatz ein, passierte einen Wachmann am Tor und überquerte rasch das Rollfeld. Lena erkannte ein Privatflugzeug. Ihr wurde ganz heiß.
Barnes Aviation, verkündete das Schild auf dem Hangar.
Sie drehte sich zu West um und bemerkte, dass er schmunzelte.
»Dachten Sie, wir fliegen mit Southwest?«, flüsterte er.
Die Leibwächter des Senators kicherten. Während der Wagen stoppte, versuchte Lena, sich zu beruhigen. Am Rand der Rollbahn gab es zwar noch einige andere private Fluggesellschaften, doch die waren offenbar alle geschlossen. Einen knappen Kilometer entfernt durchdrangen die Lichter des Flughafens von Burbank den leichten Nebel. Wests Pilot überprüfte die Maschine. Nachdem er das Flugzeug einmal umrundet hatte, schien alles startklar zu sein. Der Chauffeur stieg aus und half einem Mitarbeiter des Bodenpersonals beim Umladen des Gepäcks.
Lena wandte sich zu West um, der sie forschend musterte. Offenbar hatte er beobachtet, wie sie die Szene auf sich wirken ließ.
»Verzeihen Sie, dass ich Ihnen keinen reinen Wein eingeschenkt habe«, sagte er. »Sicher haben Sie Verständnis dafür, dass mir nichts anderes übrig blieb. Sie dachten, Sie könnten die Mitarbeiter des Sheriffs zu Hilfe rufen, wenn wir erst einmal am Flughafen sind. Zuerst horchen Sie mich nach allen Regeln der Kunst aus, und dann lassen Sie sich von unseren Freunden und Helfern aus West Hollywood retten. Wie Denny Ramira sind Sie zwar auf die richtigen Fakten gestoßen, haben aber die falschen Schlüsse daraus gezogen.«
Seit Lena das Flugzeug gesehen hatte, hatte sie die Hand um ihre .45er geschlossen. Nun hob sie die Waffe und zielte damit auf Wests Gesicht. Doch der Senator lachte nur.
»So klappt das nicht, Detective. Sie haben zwar Mumm, doch Sie können sich die Mühe sparen.«
Die beiden Leibwächter hatten gleichzeitig ihre Pistolen gezogen. Wieder herrschte bedeutungsschwangeres Schweigen, während mit Blicken wortlos Botschaften ausgetauscht wurden.
West zuckte mit den Achseln. »Sie haben keine Chance, Detective. Wir sind in der Überzahl. Mich abzuführen, damit ich mich zu meinen Sünden bekenne, können Sie für heute Abend vergessen. Schauen wir den Tatsachen doch ins Auge. Die Sache ist es nicht wert, dass Sie Ihr Leben dafür opfern, wenn Sie den Kampf genauso gut bei anderer Gelegenheit weiterführen können. Also seien Sie so nett und geben Sie mir die Pistole. Meine Freunde werden nämlich leicht nervös, und selbst bei privaten Fluggesellschaften sieht man es nicht gern, wenn Leute mit Schießeisen herumfuchteln.«
Lena rührte sich nicht und richtete ihre Smith & Wesson weiter auf West. »Wohin wollen Sie, West?«
»Ins Paradies«, erwiderte er. »Und jetzt her mit der Waffe. Oder wollen Sie heute Nacht sinnlos sterben?«
Lena atmete tief durch. Nach langem Zögern reichte sie ihm die Pistole und spürte, wie sie erschauderte. Der Senator lächelte zwar weiter, holte aber sichtlich erleichtert Luft.
»Schon besser«, meinte er. »Viel besser.«
Der Fahrer kehrte zum Suburban zurück und setzte sich wieder ans Steuer. »Alles ist bereit«, verkündete er. »Sie können starten, Sir.«
West hielt dem jungen Mann Lenas .45er hin. »Danke, Juan. Vielen Dank. Dieses Ding bewahren Sie für mich auf, bis wir in der Luft sind. Vielleicht begegnen wir uns ja irgendwann wieder.«
Offensichtlich nervös, beäugte der Junge die Waffe. Aber als West sie ihm gab, starrte er Lena an und zielte auf sie.
Lena lehnte sich zurück und beobachtete, wie die beiden Leibwächter vor West ausstiegen. Als der Senator sich zum Abschied noch einmal umdrehte, erinnerte sie sich an die Visitenkarte in ihrer Tasche und kramte sie heraus.
»Sie haben etwas vergessen«, meinte sie.
Mit verständnisloser Miene kehrte West um. Lena streckte ihm die Hand hin.
»Ihre Visitenkarte«, sagte sie. »Ihre Hilfe werde ich wohl nicht mehr in Anspruch nehmen.«
Nach einem Blick auf die Karte steckte er sie lächelnd ein.
»Man kann nie wissen«, entgegnete er.
Im nächsten Moment war alles vorbei. Lena saß im Wagen. Ein Auge hatte sie auf den nervösen Jungen gerichtet, der ihre geladene .45er in der Hand hielt, das andere folgte dem Flugzeug, das – unterwegs ins Paradies – die Startbahn entlangrollte. Etwa fünf Minuten später hörte sie das Dröhnen der Triebwerke und sah durch das Wagenfenster, wie die Maschine die kurze Startbahn hinter sich brachte und dann zu einem steilen Steigflug über die Hollywood Hills ansetzte. Es klang wie Donnergrollen. So als wäre ein Sturm vorbeigezogen. Nachdem das Flugzeug mit West und seinen Leibwächtern an Bord endlich am Himmel verschwunden war, warf der Junge Lena ihre .45er zu und bot ihr an, sie nach Hause zu fahren.