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Lena konnte ihr Haus oben auf dem Hügel sehen, als das Flugzeug mit dem Wind über das Tal in Richtung Burbank glitt. Sie erkannte es deutlich im blauen Dunst, ihr kleines Haus, das über eine Stadt ragte, die sich erstreckte, so weit das Auge blickte. Ihr sicherer Hafen. Nach der Landung ging sie die Stufen hinunter und über das Rollfeld und durch das Terminal zum Parkhaus auf der anderen Straßenseite.
Die letzte Stunde hatte sie damit verbracht, aus dem Fenster zu starren und ihre Gedanken schweifen zu lassen. Während sie ganz allein über alles nachdachte, konnte sie förmlich beobachten, wie sich ein Widerspruch nach dem anderen in Luft auflöste. So hatte ihr Bruder ihr die Momente geschildert, in denen es ihn magisch zu seiner Gitarre zog.
Die Nebelkerzen, die Dean Tremell geworfen hatte, um in diesem Fall Verwirrung zu stiften, waren die besten, die man für Geld bekommen konnte. Eine wirksamere Methode kannte Lena weder aus der Literatur noch wäre sie jemals selbst auf so eine Idee gekommen. Während sie die Parkgebühr bezahlte und das Parkhaus verließ, konnte sie nicht anders, als Tremell für seine Geschicklichkeit und seine Liebe zum Detail Bewunderung zu zollen. Er hatte jede Möglichkeit in Betracht gezogen und alles so eingefädelt, dass Jennifer Bloom nicht die geringste Chance gehabt hatte.
Die gefälschte Anzeige in der L.A. Weekly und die Männer, die sich daraufhin nach ihrem Tod auf ihrem Anrufbeantworter gemeldet hatten. Die Reisetasche in ihrem Wandschrank, vollgestopft mit Reizwäsche, Sexspielzeugen, Duftölen und massenweise verschreibungspflichtigen Medikamenten. Er hatte ihr sogar ein Firmenmotto verpasst: Die Frau, die die Männer verzaubert.
Und Lena hatte den Köder geschluckt und ihm jedes Wort geglaubt. Er hatte sie an der Angel gehabt.
Nur hin und wieder hatte sich Argwohn geregt, ein unbestimmtes Gefühl, dass da etwas faul sein könnte …
Justin Tremells rührselige Geschichte, die anfängliche Geschäftsbeziehung mit dem Opfer hätte sich in eine Freundschaft verwandelt. Dean Tremells Schmierenkomödie, in der er den besorgten Vater mimte. Und wie mochten die fünfzigtausend Dollar auf dem Bankkonto des Opfers gelandet sein?
Das Täuschungsmanöver war nahezu perfekt, gründlich durchdacht und einfach brillant gewesen. Eine ausgezeichnete Vorstellung, in der keiner der Schauspieler vom Drehbuch abgewichen war.
Selbstverständlich hatte das alles nur geklappt, weil Dean Tremell Jennifer Bloom auf geheimnisvolle Weise enttarnt hatte. Nachdem ihm klargeworden war, dass sie unter falschem Namen lebte, hatte er die Möglichkeit genutzt, ihr eine erfundene Identität überzustülpen. Eine tote Jennifer Bloom konnte er in jede beliebige Rolle pressen und sein Verbrechen inszenieren wie ein Theaterstück.
Lena stellte sich bildlich vor, wie Tremell in seinem Konferenzraum stand, Bourbon aus einem Kristallglas trank und seine wahnwitzigen Pläne schmiedete. Wie er die Spielfiguren hin und her schob und entschied, wer als Sündenbock herhalten musste. Jennifer McBride war nun keine Mutter mehr, die ihren Sohn verloren hatte. Nein, er würde dafür sorgen, dass die Welt sie nur noch als habgierige Nutte sah. Als leichtes Mädchen, das seine wohlhabenden Freier erpresste. Alles erstunken und erlogen!
Das Ausmaß des Verbrechens verschlug Lena den Atem. Die Gnadenlosigkeit. Die Frechheit. Die Hinterlist.
Sie klickte Denny Ramiras Nummer in ihrem Mobiltelefon an und drückte auf Anrufen. Nun glaubte sie endlich zu wissen, worum es in dem Buch des Reporters ging und aus welchem Grund er so ungern darüber reden wollte. Außerdem ahnte sie, wer sein Kontaktmann war, dem so viel an seiner Anonymität lag. Eigentlich war es von Anfang an sonnenklar gewesen, und die Fakten passten großartig zusammen. Die Wahrheit verbarg sich hinter einem Schleier aus Geld, Macht, bodenloser Skrupellosigkeit und einer gestohlenen Identität. Für Lena gab es keinen Zweifel mehr.
Ramira ging nicht ans Mobiltelefon. Lena klickte sich durch die kürzlichen Anrufe, fand seine Festnetznummer und wählte. Als die Mailbox ansprang, wurde ihr allmählich mulmig. Sie stoppte am Straßenrand. Ihr Adressbuch lag in ihrem Aktenkoffer. Lena wählte Ramiras Nummer bei der Times. Nach neunmal Läuten meldete sich eine Frau, die jedoch ziemlich gehetzt klang.
»Ich versuche, Denny zu erreichen«, sagte Lena.
»Tut mir leid, aber er ist nicht da. Könnten Sie es später noch mal versuchen? Hier ist der Teufel los.«
»Es ist wichtig«, beharrte Lena. »Ich habe schon bei ihm zu Hause und mobil angerufen. Wo steckt er?«
»Dasselbe fragen wir uns auch. Denny ist heute nicht in der Redaktion erschienen.«
Lena bekam es mit der Angst zu tun. »Wohnt er noch in Silver Lake?«
»Soweit ich weiß, schon. Warum?«
Lena klappte ihr Mobiltelefon zu, ohne der Frau zu antworten. Dann gab sie Gas, überfuhr eine rote Ampel und bog auf den Freeway Nr. 5 ein. Um halb fünf Uhr nachmittags war der Verkehr gerade dicht genug, um ihren Blutdruck in die Höhe zu jagen. Lena raste im Zickzackkurs weiter und wich, wenn nötig, hin und wieder sogar auf den Standstreifen aus. Als sie den Stausee erreicht und Ramiras Haus an der Edgewater Terrace gefunden hatte, war die Sonne bereits untergegangen. An allen Häusern brannte die Außenbeleuchtung.
Nur bei Ramira nicht. Außerdem stand sein Auto in der Auffahrt – kein gutes Zeichen.
Lena zog Handschuhe an, nahm eine kleine Taschenlampe aus dem Handschuhfach und hastete die Auffahrt entlang.
Es war ein Haus im typisch kalifornischen Fertigbaustil mit einer langen Veranda und großen Fenstern. Als sie in den Radius der Bewegungsmelder geriet und plötzlich das Licht anging, zuckte sie erschrocken zusammmen.
Sie spürte die Anspannung und Hitze in der kalten Luft, spähte durch die Glasscheibe und wurde von Entsetzen ergriffen.
Etwas baumelte im ersten Stock am Treppengeländer. Im nächsten Moment erkannte sie, dass es Ramiras Chihuahua war, der auf den Namen Freddie hörte. Sie war dem Hund einmal vor acht Monaten begegnet, als sie dem Reporter den Mordfall Romeo geschildert hatte. Seitdem war sie nicht mehr hier gewesen, erinnerte sich aber, dass der Hund viel bellte und ziemlich streitlustig gewesen war. Offenbar hatte jemand die Leine ans Geländer gebunden und den Rest dem Halsband überlassen.
Lena wandte sich vom Fenster ab, kramte ihr Telefon hervor und hoffte, sie würde den Anblick von gerade eben möglichst schnell vergessen können. Rhodes meldete sich, bevor sie ein Klingeln hörte.
»Wo bist du?«, fragte er.
Offenbar merkte er ihrer Stimme an, dass etwas im Argen lag. »Egal«, fügte er hinzu. »Gib mir die Adresse.«
»Ich bin bei Ramira. Erinnerst du dich. Wir waren im letzten Frühling dort.«
»Wir sehen uns in zwanzig Minuten.«
»Sag niemandem etwas, Stan. Es gibt völlig neue Entwicklungen.«
Er hielt inne. »Wir sehen uns in zwanzig Minuten«, wiederholte er.
Lena klappte das Telefon zu und rüttelte an der Eingangstür. Als sie feststellte, dass abgeschlossen war, schlich sie ums Haus herum und suchte nach einer Einstiegsmöglichkeit. Nichts wies auf einen Einbruch hin. Alle Fenster und auch die Hintertür wirkten unversehrt. Lena schaute auf die Uhr und kehrte dann zurück in den Garten. Bei ihrer ersten Runde hatte sie ein kleines Fenster bemerkt und glaubte sich zu erinnern, dass es zu einer Gästetoilette gehörte. Sie zog die Jacke aus, wickelte sie sich um den Arm und zückte die Pistole. Nachdem sie mit ihrer .45er die Scheibe eingeschlagen hatte, griff sie durch die Öffnung, entriegelte sie das Fenster und schob es auf.
Lena zwängte sich durch das Fenster, blieb reglos stehen, lauschte und ließ die Atmosphäre im Haus auf sich wirken. Sie hörte den Ventilator der Heizung. Der Eiswürfelbereiter füllte sich mit Wasser. Als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah sie Ramiras Hund am Treppengeländer hängen. Wieder lief ihr ein Schauder den Rücken hinunter. Unter dem toten Hund entdeckte sie eine Blutlache auf dem Boden.
Lena nahm sich zusammen und trat in den Flur hinaus. Lautlos pirschte sie sich an dem Hund vorbei ins Wohnzimmer, konnte dort jedoch nichts feststellen. Im Esszimmer war es dasselbe. Erst in der Küche bemerkte sie einen langen Schatten auf dem Boden und schaltete die Taschenlampe an.
Ramiras Leiche lag neben einer heruntergefallenen Tüte mit Einkäufen. Lenas Herz klopfte wie wild, als sie auf ihn zuhastete. Seine Augen starrten blicklos zur Decke, sein Mund stand offen. Als Lena, die Taschenlampe in der bebenden Hand, sein Gesicht ableuchtete, schloss sie aus den Verletzungen im Gesicht des Reporters, dass er mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen worden war. Es war ein langsamer und schmerzhafter Tod gewesen. Lena ließ den Lichtkegel weiter über seinen Körper gleiten. Beim Anblick des Bratenthermometers, das in seiner Brust steckte, begann sie heftig zu zittern.
Um Beherrschung ringend, versuchte sie, sich Jennifer Blooms geheimnisvolle Reise und ihren Mut zu vergegenwärtigen und ihre letzten Kraftreserven zu sammeln, obwohl sie glaubte, dass fast nichts mehr davon übrig war.
Ganz gleich, aus welchem Grund Ramira auch Geheimnisse vor ihr gehabt haben mochte, er war ein guter Mensch gewesen. Denny Ramira hatte den Artikel über ihren Bruder geschrieben und die hohen Tiere in der Chefetage des Parker Center gezwungen, sich zur Wahrheit zu bekennen. Er hatte sich für sie eingesetzt, als sie ihn gebraucht hatte. Während Lena diese Tage Revue passieren ließ, fragte sie sich, warum er heute Morgen nicht die Polizei verständigt hatte. Hoffentlich hatte er nicht auf sie gewartet und damit gerechnet, dass sie bald da sein würde.
Sie kniete sich neben ihn und schob diese Gedanken beiseite. Dabei redete sie sich gut zu und sagte sich, dass sie der Situation gewachsen war. Sie würde es schon schaffen.
Als sie das Bratenthermometer betrachtete, das in Ramiras Herz steckte, stellte sie fest, dass die Wunde kaum geblutet hatte. Also handelte es sich nur um eine Geste. Er war bereits tot gewesen. Deshalb achtete sie nicht weiter darauf und fuhr fort, die Leiche zu untersuchen.
Bei ihrer Zusammenarbeit mit Art Madina hatte Lena gelernt, dass sich der Todeszeitpunkt niemals anhand der Körpertemperatur ermitteln ließ. Ein Thermometer, ähnlich wie bei Ramira, in die Leber des Opfers zu bohren, machte sich zwar gut im Fernsehen, war jedoch sinnlos, da zu viele andere Faktoren eine Rolle spielten. Wie warm war Ramira angezogen? War er eher beleibt? Wie viel Grad herrschten im Raum? Wie hoch war seine Körpertemperatur gewesen, als man ihn erschlagen hatte? War er gesund oder hatte er vierzig Grad Fieber gehabt?
Da sie heute Vormittag noch mit Ramira telefoniert hatte, konnte der Mord höchstens acht Stunden zurückliegen. Lena kramte den Kassenbon aus der Einkaufstüte, hielt ihn ans Licht und las Datum und Uhrzeit. Ramira hatte seine Einkäufe vor dreieinhalb Stunden bezahlt, also um dreizehn Uhr siebenunddreißig an diesem Nachmittag. Bis zum Supermarkt waren es zwar nur fünf Minuten, was jedoch nicht hieß, dass er sofort nach Hause gefahren sein musste.
Sie wandte sich wieder der Leiche zu. Ramiras Fäuste hatten sich im Tod verkrampft. Sie erkannte Abwehrverletzungen an den Fingerknöcheln sowie Schnittwunden und Kratzer. Ihr Versuch, seine Finger zu öffnen, scheiterte. Lena wusste, dass es sich um eine chemische Reaktion, nicht um die Leichenstarre handelte. Wenn diese eintrat und wieder nachließ, würden seine Finger sich lösen. Dennoch musste sie den Zeitpunkt genauer eingrenzen.
Lena strich mit ihren behandschuhten Händen über seine Handgelenke und Arme, die sich noch locker anfühlten. Als sie seine Schultern und den Hals berührte, spürte sie, wie die Starre allmählich einsetzte. Seine Kiefermuskeln waren bereits unbeweglich.
Sie atmete tief durch und überlegte. Ramira hatte den Großteil seiner Zeit vor dem Computer sitzend, nicht etwa im Fitnessstudio verbracht. Die Totenstarre begann gerade. Nach seiner körperlichen Verfassung zu urteilen, war er irgendwann innerhalb der letzten ein bis zwei Stunden ermordet worden. Seit der Tat war noch kaum Zeit vergangen.
Der Ventilator der Heizung blieb stehen. Als das Geräusch verstummte, wurde es still im Haus. Es war die Art von Schweigen, wie sie nur an Orten entsteht, wo eine Leiche liegt.
Lena griff nach ihrer Taschenlampe und verließ die Küche. Sie schlich den Flur entlang, vorbei an einem Gästezimmer, blieb an der Tür von Ramiras Arbeitszimmer stehen und leuchtete hinein. Der Raum war völlig verwüstet. Jemand hatte sämtliche Schreibtischschubladen ausgekippt, der Wandschrank stand offen, und die Regale waren durchwühlt.
Sie tastete sich durch das Tohuwabohu zum Schreibtisch vor. Als sie Licht machte, entdeckte sie eine Akte auf dem Stuhl. Sie enthielt die Mitschriften der Tonbandinterviews, die Ramira für sein Buch geführt hatte. Doch noch während Lena die Akte durchblätterte, bekam sie das Gefühl, dass hier etwas faul war. Die Akte hätte nicht offen herumliegen dürfen. Schließlich handelte es sich um Gespräche mit den wichtigsten Beteiligten wie Senator West und Jennifer Bloom, hier als Jennifer McBride bezeichnet. Als Lena auf das Interview mit Joseph Fontaine stieß, sah sie ihren Verdacht bestätigt. Der Arzt aus Beverly Hills war Experte für Asthmaerkrankungen bei Kindern und offenbar Ramiras wichtigster Informant. Außerdem hatte Fontaine im Auftrag von Dean Tremell und Anders Dahl Pharma die klinischen Versuche durchgeführt. Das damals noch nicht in Testreihen erprobte Medikament wurde nur Formel D genannt.
Lena hörte auf zu lesen und horchte wieder in das Haus hinein. Das Schweigen war bedrückend.
Die Akte gehörte nicht auf diesen Stuhl, weil sie das Motiv für den Mord an Denny Ramira darstellte. Lena verharrte reglos und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen, bis er rechts an einem großen Foto an der Wand hängen blieb. Es dauerte nicht lange, um zu erkennen, dass sich das Licht merkwürdig darin reflektierte. Abgesehen von der eigenartigen Stille eine weitere Antwort auf die Fragen, die die Akte in ihrer Hand aufwarf.
Hinter der Tür des Wandschranks versteckte sich Ken Klinger. Und er war bewaffnet.
Lena ließ sich nichts anmerken und blieb stehen, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie wusste, dass er sie anstarrte, denn das Glas des Bilderrahmens zeigte ihn so deutlich wie ein Spiegel. Er hatte ein Pflaster auf der Stirn und offenbar ein blaues Auge. Nach seiner Miene zu urteilen, fühlte er sich in die Ecke gedrängt und wie auf frischer Tat ertappt. Doch obwohl Lena ihn bei seiner Durchsuchung des Zimmers gestört hatte, wurde sie den Verdacht nicht los, dass er lieber unerkannt bleiben wollte. Wahrscheinlich beobachtete er sie schon, seit die Lichter auf der Veranda angesprungen waren. Vielleicht hatte er ja ihr Telefonat mit Rhodes belauscht und gehört, dass dieser unterwegs hierher war.
Sobald er die Waffe sinken ließ, ging Lena, die Akte in der Hand, hinaus und ins Badezimmer. Sie schloss ab, machte Licht und klappte den Toilettendeckel hinunter, als wolle sie die Toilette benutzen. Dann schlüpfte sie durch das offene Fenster hinaus, hastete um die Ecke und erschauderte vor Erleichterung, als sie sah, dass Rhodes gerade vor dem Haus hielt.
»Was ist passiert?«, fragte er, während er das Fenster herunterkurbelte. »Was ist los?«
Lena sprang in den Wagen und klappte ihr Mobiltelefon auf. »Ramira ist tot. Wir müssen sofort zu Fontaine.«
»Ich habe heute versucht, ihn zu erreichen. Er war nicht im Büro. Außerdem wird Greta Dietrich vermisst. Seit zwei Tagen hat niemand mehr von ihr gehört.«
Lena sah ihn erschrocken an und tippte dann etwas in ihr Telefon ein. »Wir müssen trotzdem hin. Aber zuerst bleiben wir noch eine Weile hier. Mach die Scheinwerfer aus.«
»Was hast du vor? Wen rufst du an?«
»Ich unterdrücke meine Telefonnummer. Und dann verständige ich die Polizei.«
Lena hielt sich das Telefon ans Ohr, ohne den Blick von Ramiras Haus abzuwenden.
»Was zum Teufel wird hier gespielt, Lena?«
Sie schüttelte den Kopf, als sich die Polizeizentrale meldete. »Ich habe Schüsse gehört«, sagte sie ins Telefon. »In der Küche auf dem Fußboden liegt eine Leiche. Denny Ramira, der Reporter von der Times. Er wurde in seinem Haus ermordet.«
Als die Telefonistin Lena nach ihrem Namen fragte, nannte diese stattdessen Ramiras Adresse, wiederholte sie noch einmal und legte auf.
»Warum rufst du die Polizeizentrale an, wenn Ramira ermordet wurde?«, wunderte sich Rhodes. »Weshalb verständigst du nicht die Kollegen?«
»Das geht nicht. Es hat neue Entwicklungen gegeben. Beobachte weiter das Haus.«
»Soll das heißen, dass der Typ noch da drin ist?«
»Wir unterhalten uns auf der Fahrt zu Fontaine. Beobachte einfach das Haus.«
Sie hörte, wie sich aus der Dunkelheit Sirenen näherten. Beim Warten versuchte Lena sich vorzustellen, was Klinger wohl gerade tat. Obwohl er sicher auf die Akte aus war, die sie mitgenommen hatte, durfte er sich auf keinen Fall zu erkennen geben. Ob er bereute, dass er sie hatte entkommen lassen? Wartete er neben Ramiras totem Hund Freddie im Flur vor der Toilette auf sie? Hörte er die Sirenen ebenfalls?
Das Heulen wurde immer lauter. Die Streifenwagen waren sicher nur noch einen knappen Kilometer entfernt. Im nächsten Moment wurden Lenas Fragen beantwortet.
Rhodes wies auf das Haus, wo ein Schatten von der Veranda sprang und sich ins Gebüsch flüchtete. Als die Gestalt auf der anderen Straßenseite wegrannte, beleuchteten die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens ihr Gesicht. Rhodes sah Lena an, die ihrerseits Klinger nachblickte, der in der Dunkelheit verschwand. Der Handlanger des Polizeichefs war ungeschoren davongekommen. Er hatte zwar die Akte nicht ergattert, war aber weiterhin ein freier Mann.