VIERUNDSECHZIG

Ein Frühstück in einem Motel war alles, was Sanchez sich hatte wünschen können. Er hatte sein Gepäck, sein Jackett und alles verloren, das er in seinem Zimmer im Hotel Pasadena zurückgelassen hatte. Da das Etablissement mittlerweile in den Tiefen der Hölle verschwunden war, bestand die berechtigte Chance, dass der Teufel und seine Lakaien mittlerweile in Sanchez’ schönster Kollektion Hawaiihemden herumstolzierten. Daher gab er sich mit dem roten Hemd zufrieden, auch wenn es ein wenig verschwitzt war und muffig roch. Was seine Shorts betraf, so war er daran gewöhnt, sie wochenlang zu tragen, sodass es ihm nichts ausmachte, sie noch einmal anzuziehen.

Er saß an einem Tisch am Fenster des Motelrestaurants, ließ sich ein Frühstück mit gebratenen Eiern mit Speck schmecken und trank gelegentlich einen Schluck heißen Kaffe, der in einer Tasse dampfte. Dabei ließ er sich noch einmal alles durch den Kopf gehen, was am Vortag auf dem Devil’s Graveyard vorgefallen war. Ihm gegenüber am Tisch saß sein guter Kumpel Elvis. Zumindest betrachtete Sanchez Elvis als seinen Kumpel. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie jedoch, sobald sie nach Santa Mondega zurückgekehrt wären, nur noch wenig Kontakt miteinander pflegen, es sei denn, Elvis käme auf einen Drink ins Tapioca. Aber, hey, dachte Sanchez, bei dem, was gestern geschah, sind wir uns doch ziemlich nahegekommen.

Ebenso wie Sanchez trug Elvis dieselbe Kleidung, die er am Vortag getragen hatte. Aber im Gegensatz zu Sanchez sah er so cool wie eh und je aus, sodass sein ramponiertes Outfit um einiges weniger schäbig erschien als die Sachen des Barbesitzers. Sein Haar war noch immer glatt und geordnet trotz einer Nacht voll wildem Sex mit Janis. Er sah jedoch müde aus – so müde, als würde er jeden Moment einnicken, dachte Sanchez. Er trug seine obligatorische Sonnenbrille und hatte es sich auf der mit rotem Vinyl bezogenen Bank in der Nische gemütlich gemacht und streckte die Beine bis unter Sanchez’ Bank auf der anderen Seite des Tisches.

Vor dem King auf dem Tisch standen ein Teller mit einem Cheeseburger, den er noch nicht angerührt hatte, und ein Glas Orangensaft.

»Das war gestern ein ganz schön verrückter Tag, nicht wahr, Sanchez?«, meinte er.

»Ja. Nicht gerade das, was ich mir unter einem Vergnügungstrip vorstelle. Ich denke, nächstes Jahr bleibe ich in Santa Mondega. Dort ist es auf jeden Fall erheblich sicherer.«

»Ja, Mann. Ein vernünftiger Entschluss.«

Sanchez verzehrte den letzten Happen auf seinem Teller und wischte sich den Mund mit einer Serviette ab, ehe er nach seiner Kaffeetasse griff.

»Meinst du, du siehst diese Janis-Joplin-Puppe wieder?«, wollte er von Elvis wissen, der aus dem Fenster auf den Parkplatz blickte, wo er anscheinend etwas entdeckt hatte.

»Ja, vielleicht. Sie ist ganz cool. Was das betrifft, Sanchez, solltest du mal mit dieser Annabel-Braut ausgehen. Sie ist total scharf auf dich, Kumpel.«

»Sie hat ganz sicher etwas Scharfes an sich«, knurrte Sanchez. »Ich kann es jedes Mal riechen, wenn sie in meine Nähe kommt.«

Elvis lachte höflich und blickte weiter aus dem Fenster. Sanchez konnte erkennen, wie er hinter seiner Sonnenbrille eine Augenbraue hob.

»Was ist los, Mann?«, fragte er.

»Yo, Sanchez«, sagte Elvis so leise, dass es fast wie ein Flüstern klang und niemand in ihrer Nähe es hören konnte. »Sieh dir mal den schwarzen Wagen da draußen an.«

Begleitet von einem Quietschen gequälten Vinyls wälzte Sanchez sein voluminöses Gesäß auf der Bank herum und sah aus dem Fenster zu dem Automobil. Und tatsächlich, vor einem der Motelzimmer parkte ein schwarzer Pontiac Firebird. Er schaukelte heftig hin und her.

»Was meinst du, was da im Gange ist?«, fragte Sanchez.

Elvis grinste. »Ich schätze«, sagte er und dehnte jedes Wort auf seine typische lässige Art, »dass es dort gerade jemandem so richtig heftig besorgt wird.«

Anonymus & Michael Kubiak - Das Buch Ohne Gnade
titlepage.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000017.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000065.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000170.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000206.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000345.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000689.xhtml
b978-3-8387-0438-8_000808.xhtml
b978-3-8387-0438-8_001110.xhtml
b978-3-8387-0438-8_001391.xhtml
b978-3-8387-0438-8_001509.xhtml
b978-3-8387-0438-8_001644.xhtml
b978-3-8387-0438-8_001918.xhtml
b978-3-8387-0438-8_002223.xhtml
b978-3-8387-0438-8_002346.xhtml
b978-3-8387-0438-8_002719.xhtml
b978-3-8387-0438-8_002834.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003015.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003227.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003432.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003568.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003777.xhtml
b978-3-8387-0438-8_003902.xhtml
b978-3-8387-0438-8_004286.xhtml
b978-3-8387-0438-8_004420.xhtml
b978-3-8387-0438-8_004615.xhtml
b978-3-8387-0438-8_004918.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005087.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005262.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005400.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005487.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005642.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005821.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005879.xhtml
b978-3-8387-0438-8_005994.xhtml
b978-3-8387-0438-8_006321.xhtml
b978-3-8387-0438-8_006705.xhtml
b978-3-8387-0438-8_006831.xhtml
b978-3-8387-0438-8_006902.xhtml
b978-3-8387-0438-8_007091.xhtml
b978-3-8387-0438-8_007201.xhtml
b978-3-8387-0438-8_007312.xhtml
b978-3-8387-0438-8_007476.xhtml
b978-3-8387-0438-8_007763.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008007.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008128.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008374.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008501.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008623.xhtml
b978-3-8387-0438-8_008802.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009042.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009157.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009268.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009413.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009561.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009758.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009841.xhtml
b978-3-8387-0438-8_009969.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010059.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010264.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010421.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010701.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010834.xhtml
b978-3-8387-0438-8_010950.xhtml
b978-3-8387-0438-8_011097.xhtml
b978-3-8387-0438-8_011234.xhtml
b978-3-8387-0438-8_011297.xhtml
b978-3-8387-0438-8_011569.xhtml
b978-3-8387-0438-8_011637.xhtml