ZWEI ♦
Der Halloweenmorgen verlief auf Devil’s Graveyard völlig anders als jeder andere Morgen. Wie jeden Tag öffnete Joe die Tankstelle um Punkt acht Uhr, aber alles andere an diesem Tag unterschied sich vom gewöhnlichen Ablauf. Er brauchte weniger als zehn Minuten in der frischen, kühlen Luft, um die Vorhängeschlösser an den beiden Tanksäulen zu entfernen und die Pumpen einzuschalten. Nicht einmal die Eidechsen, Schlangen und das diverse Ungeziefer, das ständig in der staubigen Einöde umherglitt und krabbelte, waren zu sehen. Falls das Getier einen Ort kannte, wo es für ein oder zwei Tage Winterschlaf ungestört war, konnte man darauf wetten, dass es sich dorthin zurückgezogen hatte.
Sleepy Joe’s Diner war die einzige Raststätte an dem verlassenen Highway, der zum Hotel Pasadena führte. Sie diente auch als Tankstelle, und da es im Umkreis von hundertfünfzig Kilometern keine weiteren Tankstellen gab, hielten die meisten Leute, die zum Hotel wollten, dort zum Auftanken an. Und an den Tagen kurz vor Halloween liefen die Geschäfte immer am besten.
Joe freute sich auf das Festival fast genauso wie ihm davor graute. Alle möglichen seltsamen Typen kamen vorbei, um ihre Benzintanks und Mägen zu füllen. Neunzig Prozent von ihnen waren totale Spinner; die anderen zehn Prozent konnte man, höflich ausgedrückt, als unbedarft bezeichnen. Bisher hatte in den zwölf Jahren, die er die Tankstelle und das Imbissrestaurant besaß, Halloween immer das gebracht, was er erwartet hatte. Dass es dieses Jahr anders wäre, war unwahrscheinlich.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Zapfsäulen einwandfrei funktionierten und betriebsbereit waren, kehrte er in den sicheren Schutz des Restaurants zurück. Er wusste nur zu gut, dass der Frieden und die Stille draußen lediglich die Ruhe vor dem Sturm waren. Er wusste aus Erfahrung, was auf ihn zukam, und war dankbar, dass, wenn die Dinge später am Tag eine grässliche Wendung nähmen – wie es sicher geschehen würde –, er über einen tornadosicheren Keller verfügte, in dem er sich verkriechen konnte.
In der Küche im hinteren Teil des Restaurants setzte er eine Kanne Kaffee für Jackos alljährlichen Besuch auf. Dann erledigte er seine morgendlichen Hausarbeiten, während das Wasser durchs Kaffeemehl und in die Kanne tropfte.
Gegen halb neun hielt draußen, wie jeden Morgen, ein Lieferwagen mit den Zeitungen. An den meisten Tagen tauschte Joe mit Pete, dem Fahrer, Nettigkeiten aus und schwatzte mit ihm über die örtlichen Neuigkeiten. An diesem Morgen jedoch stieg Pete nicht mal aus dem Lieferwagen aus. Er drehte lediglich das Fenster auf der Fahrerseite herunter und warf einen Stapel Zeitungen, die durch eine Schnur zusammengehalten wurden, auf den Vorplatz. Das Paket landete vor Joes Füßen und wirbelte eine kleine Wolke Sand und Staub hoch.
»’n Morgen, Pete«, sagte Joe und tippte gegen seinen Mützenschirm.
»Hey, Joe. Bin heute Morgen spät dran. Muss gleich weiter.«
»Kann ich dich mit einer Tasse Kaffee locken? Ich habe gerade eine Kanne aufgesetzt.«
»Nein, trotzdem vielen Dank. Hab heute noch eine Menge zu erledigen.«
»Nun, ich sollte eigentlich mal bei dir bezahlen. Ich schätze, ich bin eine Woche im Rückstand.«
Pete begann das Fenster wieder hochzukurbeln. Es war nicht schwer zu erkennen, dass er an diesem Morgen nicht die Absicht hatte, länger zu bleiben.
»Ist schon okay, Joe, ich weiß, dass du mich nicht bescheißt. Du kannst morgen bezahlen. Oder später in der Woche, ist nicht so schlimm.«
»Bist du ganz sicher? Ich kann das Geld aus der Kasse holen.« Aber das hätte er sich sparen können.
Das Fahrerfenster schloss sich und Pete lenkte den Wagen auf die Straße, wobei er Joe kurz zuwinkte. Bald war er nicht mehr zu sehen und unterwegs zum Hotel Pasadena.
An den meisten Tagen dauerte das Schwätzchen der beiden Männer an die fünf Minuten. Pete war normalerweise immer freundlich und dankbar für ein zwangloses Gespräch, aber an Halloween hatte er es immer eilig mit seinen Lieferungen. Auf dem Devil’s Graveyard gab es nur zwei Lieferadressen – Sleepy Joe’s Diner und das Hotel Pasadena –, daher nahm Joe es Pete nicht übel, dass er an diesem Morgen gleich weiterfuhr, auch wenn er ein wenig enttäuscht war.
Um Viertel vor neun hatte er den Imbiss offen und angeheizt und war bereit für die ersten Gäste. Entspannt und gelassen dem Tag ins Auge schauend, schenkte er sich den ersten Becher Kaffee ein und setzte sich an einen der runden Tische, um einen Blick in die Zeitungen zu werfen. In dem Imbiss standen nur acht Tische, jeder mit einer identischen rot-weiß karierten Tischdecke ausstaffiert. Für einen neuen Gast, der zum ersten Mal hereinkam, wäre es niemals offensichtlich gewesen, dass Joe der Inhaber war. Er trug jeden Tag dieselbe blaue Jeanslatzhose, die er nur einmal in der Woche wusch. Sein schütteres graues Haar versteckte sich jeden Tag unter einer fünfzehn Jahre alten roten Baseballmütze, bis auf ein paar Büschel, die an den Ohren drunter hervorschauten. Silbergraue Bartstoppeln glänzten wie winzige Stacheln in seinem schlaffen alten Gesicht, und er setzte immer eine Miene wie drei Tage Regenwetter auf, ganz gleich in welcher Stimmung er sich befand. Sogar als er noch ein junger Mann war, machte der Witz die Runde, dass er aussehe, als hätte ihn der Blitz getroffen, während er gerade an einem Wettkampf im Fratzenschneiden teilnahm.
Die Schlagzeile der ersten Zeitung, die er zu sich heranzog, lautete: »Gesucht: tot oder lebendig – Belohnung $100 000.« Unter der klotzigen Überschrift befand sich ein körniges Foto von einem Videoband irgendeiner örtlichen Überwachungskamera, das einen ganz in Schwarz gekleideten Mann mit fettigem schulterlangem Haar und einer dunklen Sonnenbrille zeigte. Laut dem Artikel, der zu der Schlagzeile gehörte, hatte der Mann eine Reihe bewaffneter Raubüberfälle in einer Kleinstadt in der Nähe verübt. Dabei hatte er einige örtliche Polizeibeamte sowie ein paar unschuldige Mitbürger getötet. Die Anzahl der Toten betrug mehr als dreißig, aber die Polizei erwartete, während der nächsten Tage weitere Leichen zu finden. Der Artikel wagte sogar anzudeuten, dass der Täter der legendäre Bourbon Kid sein könnte. Jeder wusste über den Bourbon Kid Bescheid. Aber sie neigten auch dazu, ihn mit Bigfoot und dem Ungeheuer von Loch Ness in eine Schublade zu stecken.
Joe las stillvergnügt die Zeitung und stellte sich dabei vor, wie es wohl wäre, wenn er die Belohnung für die Ergreifung des Bourbon Kid einheimsen würde. Würde er sich von dem Geld einen neuen Wagen kaufen? Oder vielleicht eine Urlaubsreise machen? Oder sogar in eine bessere Stadt umziehen? Die Antwort war ein entschiedenes Nein. Aber wie wäre es damit, ihn in den Rücken zu schießen, wenn sich die Gelegenheit ergab? Ja, das hatte was. Klar, es wäre feige, aber es geschähe im Interesse der Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit wäre ihm auf ewig dankbar. Allein aus diesem Grund würde er, wenn er das Geld bekam, niemals in eine andere Stadt ziehen. Es wäre völliger Blödsinn, ein lokaler Held zu sein und nicht mitzukriegen, wie man gefeiert wurde.
Er trank einen Schluck schwarzen Kaffees aus seinem angeschlagenen weißen Lieblingsbecher, als, genau aufs Stichwort, Jacko, sein alljährlicher Besucher, eintraf. Während er jeden Gedanken daran, ein lokaler Held zu werden, in den hintersten Winkel seines Bewusstseins verdrängte, machte Joe sich klar, dass der Besuch Jackos ungefähr das Aufregendste war, das in seinem Leben je geschah.
Als der Neuankömmling hereinkam, klingelte die Glocke über der Tür leise und verkündete sein Eintreffen. Er war ein Schwarzer, Mitte bis Ende zwanzig. Und jedes Jahr kam er in den Imbiss, verkleidet als Michael Jackson wie damals in dem Thriller-Video. Bekleidet war er mit einer roten Lederjacke, einer dazu passenden roten Lederhose und einem blauen T-Shirt. Sein schwarzes Haar trug er kurz geschnitten und in einer betonfesten Dauerwelle.
Jedes Jahr verbrachte Jacko den ganzen Tag im Imbiss, schwatzte mit Joe, trank Kaffee in rauen Mengen und hoffte, dass jemand ihn mit seinem Wagen zum Back-From-The-Dead-Gesangswettbewerb im Hotel Pasadena mitnahm. Jedes Jahr wartete er vergeblich. Aber es schien ihm nichts auszumachen, denn, so sicher wie das Amen in der Kirche, kehrte er jedes Mal zu Halloween zurück, um sein Glück erneut zu versuchen.
Joe sah ihn hereinkommen und sich umschauen. Ihre Blicke trafen sich und beide Männer lächelten einander an. Jacko redete als Erster.
»Immer noch hier, Joe?«
»Immer noch. Willst du das Übliche?«
»Klar, Mister.« Er hielt inne und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen, ehe er hinzufügte: »Du weißt, dass ich kein Geld habe, nicht wahr?«
»Ich weiß.«
Joes wackliger Holzstuhl knarrte laut, als er aufstand und zur Theke im hinteren Teil des Imbisses ging. An der Wand dahinter befand sich knapp unter Augenhöhe ein Regalbrett. Darauf stand eine Reihe weißer Porzellanbecher wie der, aus dem Joe getrunken hatte. Er nahm einen aus der Mitte der Reihe und stellte ihn auf die Theke. Dann griff er nach der Kaffeekanne auf einer Anrichte neben dem Durchgang zur Küche und begann, den Becher zu füllen. Als der Becher voll war, hatte Jacko sich auf Joes Stuhl niedergelassen. Und er las Joes Zeitung. Der ältere Mann verzog unwillkürlich das Gesicht zu einem ironischen Grinsen. Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr.
»Wie läuft das Geschäft?«, rief Jacko, ohne von der Zeitung hochzuschauen.
»So wie immer.«
»Freut mich zu hören.«
Joe kam zum Tisch und stellte Jacko den Kaffeebecher neben die Zeitung. Er blieb hinter ihm stehen und sah zu, wie er die erste Seite las.
»Was glaubst du, wie dieses Jahr deine Chancen stehen?«, fragte er.
»Dieses Jahr habe ich ein richtig gutes Gefühl.«
»Tatsächlich? Nun, ich setze fünf Bucks, dass du auch diesmal keinen findest, der dich mitnimmt.«
Jacko sah schließlich hoch und zeigte ein perfektes Lächeln, ein Lächeln voller Optimismus und strahlend weißer Zähne, ein Lächeln, auf das ein junger Michael Jackson mit Recht stolz gewesen wäre.
»Du hast so wenig Vertrauen, Joe. Gott wird mir dieses Jahr jemanden schicken. Ich fühle es.«
Joe schüttelte den Kopf. »Wenn Gott irgendetwas hierherschicken sollte, dann ist es Verdruss, mein Freund. Wenn du hier in dieser Gegend zu jemandem in den Wagen steigst, dann bin ich ziemlich sicher, dass ich dich nächstes Jahr nicht wieder sehe.«
Jacko lachte. »Ich hab’s letzte Nacht geträumt. Ich hatte eine Vorahnung, dass Gott einen Mann schickt, der mich sicher durch diese Gegend bringt. Dies ist mein Schicksalstag.«
Joe seufzte. Jacko laberte eine solche Scheiße. Und er redete in einer Sprache, die man in dieser Gegend von niemandem hörte. Doch das machte ihn irgendwie liebenswert.
»Irgendeine Idee, wer dieser Typ ist, den Gott dir schickt?«
»Noch nicht.«
»Hast du irgendeinen Hinweis, wie er aussieht?«
Joe streckte eine Hand aus und fuhr damit durch Jackos Dauerwelle. Dann lächelte er. »Na gut. Frühstück in fünf Minuten.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte Jacko in einem Ton, der viel zu höflich war für ein Etablissement wie Sleepy Joe’s Diner, das für den Begriff »Scheißladen« hätte Pate stehen können.
Sein Inhaber verzog sich in die Küche und begann, Jackos Frühstück zuzubereiten. Er kannte es auswendig. Zwei Streifen Speck, zwei Würstchen, zwei Hash Browns und ein auf beiden Seiten gebratenes Spiegelei. Vier Scheiben Weizentoast waren bereits mit Butter bestrichen und servierfertig.
Nachdem er die Zutaten aus einem ramponierten alten Kühlschrank geholt hatte, stellte er eine Bratpfanne auf den Herd und warf einen Klumpen Bratfett hinein, gefolgt von den Speckstreifen und zwei fetten Würstchen. Nach einer Weile angelte er einen rostigen Metallpfannenwender aus einer Schublade unter der Spüle und begann, die Würstchen zu wenden. Das kalte Fleisch zischte, als es im heißen Fett landete, und der Bratenduft stieg Joe in die Nase. Als er ihn einatmete, wusste er, dass der Tag endgültig begonnen hatte. In gespannter Erwartung dessen, was kommen würde, rief er in den Gastraum: »Hierher sind jede Menge Fremde unterwegs, weißt du. Und wie in der Zeitung steht, könnte einer von ihnen der Serienmörder sein. Hast du schon mal was von diesem Bourbon Kid gehört? Sollte er hier reinschneien, empfehle ich dir, lieber nicht in seinen Wagen zu steigen.«
Jacko antwortete aus dem Imbiss. »Ich fahre mit jedem Wagen mit. Ich bin nicht pingelig.«
»Der Typ ist ein Killer, Jacko. Ich habe meine Zweifel, dass er von Gott gesandt ist.«
»Die Männer Gottes kommen in vielen verschiedenen Verkleidungen.«
»Etwa auch mit genügend Munition, um Mexiko in Schutt und Asche zu legen?«
»Na ja, dann ist er vielleicht dein Mann.«
Eine kurze Pause entstand, bis Jacko sich wieder zu Wort meldete. »Der Kaffee ist gut, Joe.«
»Ja. Ich weiß.«
Die beiden schwatzten gut eine Stunde lang, in der Jacko sein Gratisfrühstück verzehrte und dann die Zeitungslektüre fortsetzte, während Joe auf seinem Hocker hinter der Theke saß. Er hatte sich gerade seinen dritten Becher Kaffee eingeschenkt, als draußen ein Wagen vorfuhr. Joe hatte ihn vorher schon mit hohem Tempo vorbeifahren sehen. An einer Kreuzung knapp einen Kilometer die Straße hinunter stand ein Wegweiser, der auf das Hotel Pasadena hinwies, aber jedes Jahr zu Halloween verschwand das Schild und jeder Fahrer, der am Imbiss vorbeikam, kehrte ein paar Minuten später zurück, um nach dem Weg zu fragen.
Joe kannte das Spiel. Er musste den Ahnungslosen mimen, falls jemand hereinkam und sich nach dem Weg zum Hotel Pasadena erkundigte. Dadurch konnte Jacko seine Dienste als Führer anbieten, wenn der Betreffende ihn als Gegenleistung in seinem Wagen mitnahm.
Der Wagen war ein schnittiger schwarzer Schlitten mit langer Motorhaube. Aufgrund der Ausmaße der Haube konnte man mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass sich ein extrem starker Motor darunter befand. Der Motor war auch im Leerlauf ganz schön laut. Tatsächlich röhrte er auf eine Weise, die verriet, dass der Fahrer die Leerlaufdrehzahl absichtlich hoch hielt, damit niemand auf die Idee kam, der Wagen brauche einen Tankstellenservice. Es war ein starker Wagen, und zweifellos wollte der Fahrer, dass alle Leute das auch bemerkten. Nach einer vermutlich langen Fahrt durch die Wüste war der Wagen mit Sand und Staub bedeckt. Da Joe ein zynischer alter Knochen war, verriet er durch nichts, dass der Wagen irgendeinen Eindruck auf ihn machte. Er besaß einen armseligen alten Pick-up und verabscheute jeden, der etwas Besseres fuhr. In Wahrheit hätte er dem schwarzen Wagen nach Möglichkeit überhaupt keine Beachtung geschenkt, aber zu seinem Pech wollte Jacko einiges darüber wissen.
»Was für ein Wagentyp ist das eigentlich?«, fragte Jacko ihn. Joe, der so tat, als hätte er den Wagen noch gar nicht bemerkt, blickte übertrieben angestrengt durch das schmuddelige Fenster. Er erkannte das Modell sofort.
»Ein Pontiac Firebird«, knurrte er.
»Ein was?«
»Ein Pontiac Firebird.« Diesmal dehnte er jede Silbe: »Pontii-ack Fey-er-börd.«
»Was ist ein Pontiac Firebird? Von dem habe ich noch nie etwas gehört.«
»Ein Schlitten für ganz üble Typen.«
»Was meinst du mit …?« Jacko verschluckte den Rest seiner Frage, als die Türglocke erklang und verkündete, dass der Fahrer des Wagens den Imbiss betreten hatte.
Joe wusste auf Anhieb, dass seine Voraussage zutraf. Das war wirklich ein übler Typ. Das spürte man schon an der Aura, die ihn umgab. Der Mann hatte eine mächtige Ausstrahlung. Jeder hätte das schon von Weitem wahrgenommen. Außer Jacko wahrscheinlich.
Der Fremde trug eine schwarze Kampfhose über abgetragenen schwarzen Stiefeln, dazu eine schwere schwarze Lederjacke mit einer völlig unpassenden schwarzen Kapuze. Unter der Jacke spannte sich ein enges schwarzes T-Shirt. Die Augen waren hinter einer dunklen verspiegelten Sonnenbrille mit Stahlgestell verborgen und sein Haar war kräftig, dunkel und strähnig – eigentlich eher fettig. Es hing ihm bis auf die Schultern, war aber völlig ungekämmt. Der Kerl sah absolut cool aus, als schliefe er in seinen Klamotten und kümmerte sich einen Dreck darum.
Während er zur Theke schlenderte, höchstwahrscheinlich um Joe nach dem Weg zu fragen, schaute er zu Jacko und nickte ihm zu. Es bestand kein zweifel: Dies war der Typ auf dem Foto auf der ersten Zeitungsseite. Joe spürte, wie seine Handflächen feucht wurden. War dies ein Zeichen? Kurz vorher hatte er noch darüber nachgedacht, was er tun würde, wenn er jemals mit dem Serienkiller aus dem Zeitungsbericht zusammentreffen sollte. Und nun, als wollte er ihn testen, hatte Gott ihm ausgerechnet diesen Kerl geschickt. Joe dachte an die einhunderttausend Dollar Belohnung. Hätte er den Mut, seinen Plan auszuführen und diesen gesuchten Mörder niederzuschießen, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot? Zweifellos war dies die einzige Gelegenheit in seinem Leben, an richtig viel Geld zu kommen. Während er noch die Risiken abwog, irgendetwas zu unternehmen, um in den Besitz dieser Geldsumme zu gelangen, begann der Mann zu reden. Seine Stimme war rau und hatte einen unangenehmen, ja bedrohlichen Unterton.
»Habt ihr in dieser Gegend noch nie etwas von Wegweisern gehört?«, fragte er.
Joe zuckte entschuldigend die Achseln. »Hier verkehren nur Einheimische, Mister. Die brauchen keine Wegweiser.«
»Sehe ich aus wie ein Einheimischer?«
»Nein, Sir.«
Wie aufs Stichwort nutzte Jacko, der links von dem Mann an seinem Tisch saß, die Gelegenheit, um sich einzumischen. »Ich kann dir den Weg zeigen, Mister.«
Der Mann wandte sich um, hob einen Finger, um seine Sonnenbrille ein wenig nach unten zu schieben, und musterte Jacko über ihren Rand hinweg von Kopf bis Fuß.
»Du siehst aber nicht so aus, als kämst du von hier.«
»Komme ich auch nicht. Aber ich war schon mal hier.«
»Und du weißt, wohin ich will?« Die Stimme knirschte wie kleine Kieselsteine, die von der Strömung in einem Flussbett herumgeschoben wurden.
Jacko grinste. »Zum Hotel Pasadena, denke ich. Wenn du mich mitnehmen würdest, könnte ich dir den Weg erklären.«
»Warum erklärst du ihn mir nicht jetzt gleich?«
Joe wurde wegen Jacko unruhig. Hatte er nicht erkannt, dass dieser Typ der Serienmörder war – und daher nicht unbedingt jemand, zu dem man freiwillig in den Wagen steigt?
»Na ja, ich will selbst zum Pasadena«, erklärte Jacko aufgeräumt. »Also, als Belohnung, dass ich dir den Weg erkläre, könntest du mich wirklich mitnehmen.«
»Erklär mir einfach, wie ich fahren muss.«
»Na ja, ich bin mir eigentlich nie ganz sicher, bis ich die entsprechende Straße vor mir sehe. Und ich möchte dich doch nicht in die falsche Richtung schicken.«
»Nein. Das willst du ganz gewiss nicht.«
»Und? Nimmst du mich mit?«
Der Mann schob seine Sonnenbrille ein Stück nach oben, sodass seine Augen wieder dahinter verschwanden. Er schien lange und intensiv in Jackos Augen zu starren. Währenddessen traf Joe eine Entscheidung.
Eine Belohnung von einhundert Riesen war einfach zu verlockend, um sie sich durch die Lappen gehen zu lassen.
Langsam, ohne eine sichtbare Bewegung, streckte er die Hand nach einer kleinen Schublade in Hüfthöhe unter der Theke aus. Er bewahrte dort einen kleinen vernickelten Revolver auf für den Fall, dass es Ärger gab. Er brauchte nichts anderes zu tun, als ihn herauszuholen und diesem neuen Gast damit in den Rücken zu schießen, während Jacko ihn ablenkte. Einhundert Riesen im Sack. Gute Arbeit. Vielen Dank. Mit einer für sein vorgerücktes Alter erstaunlich ruhigen Hand zog er die Schublade millimeterweise auf und griff hinein. Seine Finger berührten den kalten Stahl des Revolvers. Sein Herz hämmerte, als wollte es jeden Moment aus seiner Brust springen, aber er hatte Zeit. Der Typ an der Theke blickte immer noch in die andere Richtung und ließ sich offensichtlich Jackos Bitte, mitgenommen zu werden, durch den Kopf gehen. Schließlich, gerade als Joe den Griff der Pistole fest in der Hand hatte, reagierte der Fremde auf Jackos Vorschlag.
»Okay, ich nehme dich mit. Aber hol mir vorher noch zwei Flaschen Bourbon von der Theke.«
Joe sah, wie Jacko das Gesicht verzog, während er sich von seinem Stuhl erhob. »Äh, ich, na ja, ich habe kein Geld.«
Der Mann seufzte, dann griff er mit der rechten Hand in die linke Innentasche seiner Lederjacke. Er zog eine schwere graue Pistole heraus. Während er sich zur Theke umwandte, streckte er den Arm aus und richtete die Pistole auf Joes Hals. Joes Augen quollen hervor, aber er riss seine eigene Waffe so schnell er konnte aus der Schublade und zielte damit auf den Mann in Schwarz.
Was folgte, war ein lauter Knall, der bestimmt kilometerweit im Umkreis zu hören war. Die weißen Porzellanbecher auf dem Regalbrett hinter Joes Kopf waren plötzlich mit dem Blut bespritzt, das aus einem klaffenden Loch in seinem Nacken sprudelte.
Die Mordserie des Tages hatte begonnen.