DREIUNDZWANZIG ♦
Gewöhnlich betätigte sich der Bourbon Kid nicht als Lebensretter. Genau betrachtet, hatte Emily-die-Judy-Garland-Imitatorin es wahrscheinlich nicht verdient, am Leben zu bleiben. Aber er hatte nicht vor, sich der Qual auszusetzen mitzuerleben, wie jemand, der ihn an Beth erinnerte, seine Seele an den Teufel verkaufte. Und die einzige Methode, ein Problem zu lösen, die der Kid kannte, war zu töten. Was ihm ein ernstes Dilemma bescherte.
Er hatte kein Problem gehabt, die anderen Kandidaten zu töten. So wie er es betrachtete, waren sie alle bereit gewesen, dem Teufel ihre Seele zu verkaufen, um zu Ruhm und Reichtum zu gelangen, ganz gleich ob ihnen das bewusst war oder nicht. Geborene Verlierer, allesamt. Julius-James Brown war auch so ein armseliger Möchtegernstar. Er unterschied sich von den anderen nur insofern, dass er noch dringender gewinnen wollte als die anderen. Hinzu kam, dass der Kid ihn nicht leiden konnte. Also, wenn er das Wettsingen gewann und dem Teufel seine Seele verkaufte, in Ordnung. Da gab es jedoch ein entscheidendes Hindernis.
Julius war nicht gut genug, um Emily zu besiegen. Nicht in einer Million Jahre.
Ihre Judy-Garland-Interpretation würde seine James-Brown-Nummer zu Staub zermalmen. Jemand musste gefunden werden, der Emily schlagen konnte und sie so davor bewahrte, ihre Seele an den Teufel zu verkaufen, natürlich nur unter der Voraussetzung, dass dies wirklich das Schicksal war, das dem Sieger blühte – und darauf hatte er lediglich Julius’ Wort. Wenn jemand besser als sie wäre, dann würde dies Julius’ Pläne vereiteln und den kleinen Mistkerl lehren, was es hieß, dem Kid seinen Lohn zu verweigern, nachdem er drei seiner Rivalen ausgeschaltet hatte. Normalerweise hätte der Kid wegen einer solchen Angelegenheit irgendjemanden getötet, aber hinter Julius steckte mehr, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Falls es in diesem Hotel tatsächlich irgendwelche Untotenaktivitäten gab, dann war Julius derjenige, der am besten darüber Bescheid wusste. Diese Tatsache sorgte dafür, dass er sich noch für einige Zeit seines Lebens erfreuen konnte. Aber es würde ihm nicht helfen, die eine Million Dollar Preisgeld und den angeblichen Vertrag mit dem Teufel zu gewinnen. Der Kid würde dafür sorgen, dass die an jemand anderen gingen. Und er wusste schon genau, wer das sein würde.
Er fand Jacko im Spielkasino, wo er an einem Roulettetisch saß. Der Möchtegern-Michel-Jackson fiel in seinem lächerlichen roten Lederanzug auf wie ein bunter Hund. Im Kasino war es ziemlich ruhig, weil die meisten Leute in den Konzertsaal gegangen waren, um sich anzusehen, wie die letzten Interpreten ihre Auftritte absolvierten und anschließend von Nigel Powell entsprechend verbal misshandelt wurden. Die wenigen Leute, die zwischen dem Kid und Jacko standen, hatten es eilig, Platz zu machen, als er auf den Roulettetisch zuging. Er trug immer noch seine Sonnenbrille, sodass niemand seine Augen sehen konnte. Eigentlich wollte das auch niemand.
Vier Spieler saßen auf Hockern am Roulettetisch. Jacko, der am vorderen Ende und damit dem Kid am nächsten saß, hatte einen einzigen Chip auf die Nummer dreizehn gesetzt. Wirklich, die Wette eines Verzweifelten. Der Croupier, ein Mann mit silbergrauem Haar und wahrscheinlich nicht älter als vierzig, versetzte das Rouletterad in Drehung und schnippte dann eine kleine Kugel in entgegengesetzter Richtung in den Kessel. Jacko beobachtete das Geschehen aufmerksam, doch ehe er Gelegenheit hatte, das Ergebnis zu sehen, legte der Kid ihm eine Hand auf die Schulter und drehte ihn zu sich herum, um ihm in die Augen zu blicken. Jacko schien überrascht zu sein, ihm wieder zu begegnen, begrüßte ihn jedoch mit einem begeisterten Lächeln.
»Hi, Mann. Wie geht es dir?«, fragte er.
»Hör mir gut zu, du Stück Scheiße.«
»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, erwiderte Jacko vorwurfsvoll und ließ den Blick zu den anderen drei Spielern am Tisch schweifen. Sie alle reagierten ziemlich schockiert über das rüde Auftreten des Kid und seine unflätige Sprache. Aber klugerweise entschied jeder, der Croupier inklusive, sich einen Kommentar zu verkneifen, und lenkte seine Aufmerksamkeit schnell wieder auf das Rouletterad.
»Du hattest gar nicht die Absicht, an diesem Gesangswettbewerb teilzunehmen, nicht wahr?«, fragte der Kid.
»Wie? Na klar wollte ich das.«
»Totaler Quatsch. Du wolltest nur hierher mitgenommen werden.« Der raue Unterton in der Stimme des Kid, der Jacko schon vorher aufgefallen war, meldete sich zurück. Und zwar äußerst bedrohlich.
»Niemals, Mann. Ich schwöre bei Gott. Ich wollte mich anmelden, aber wie sich herausstellte, erlauben die Veranstalter, dass nur einer einen bestimmten Sänger kopiert. Es gibt bereits einen Michael Jackson, und er trat auf, ehe ich Gelegenheit hatte, mich in die Teilnehmerliste einzutragen. Das heißt, dass ich mir die Show nur ansehen kann und vielleicht im nächsten Jahr eine Chance bekomme.«
»Du nimmst an diesem Wettbewerb teil. Ich habe dich nicht hierher mitgenommen, damit du im Kasino herumsitzt und mit –« er warf einen kurzen Blick auf die anderen Spieler – »mit einem Haufen hässlicher Verlierer Roulette spielst.« Die fraglichen Verlierer wollten protestieren, sagten jedoch nichts. Ein Blick des Kid machte ihnen klar, dass es für sie nur noch schlimmer kommen konnte.
Jacko seufzte. »Hast du mir nicht zugehört? Michael Jackson ist bereits aufgetreten Er sang ›Beat it‹, und das sogar recht gut.«
»Was für ein Kostüm hat er getragen?«
»Hä?«
»Was für einen Bühnenanzug?«
Die Frage überraschte Jacko offensichtlich. »Ah – keine Ahnung, es war, äh, das gleiche Kostüm, das Jacko in dem Video getragen hat.«
»Richtig. Das macht Sinn, nicht wahr?«
»Ja. War’s das?«, fragte Jacko und wandte sich wieder zum Tisch, um zu sehen, ob er gewonnen hatte.
In diesem Moment fiel die Kugel in ein Fach des Rouletterades und der Croupier verkündete die Gewinnzahl. Dreizehn Schwarz. Jackos Augen leuchteten auf und er stieß einen Jubelschrei aus. Er hatte einen Chip auf die Dreizehn gesetzt und damit eine ansehnliche Summe gewonnen. Während der Croupier begann, die verlorenen Einsätze zusammenzuharken und den Gewinnern ihre Chips zuschob, packte der Kid abermals Jackos Schulter und drehte ihn zu sich um. Diesmal war die Art und Weise, wie er ihn umdrehte, um einiges aggressiver.
»Du hast mir vorhin erzählt, du wolltest ›Earth Song‹ singen.«
»Das stimmt.«
»Warum dann der rote Lederanzug aus dem Thriller-Video?«
»Er gefällt mir, das ist alles.«
»Blödsinn.«
Jacko wand sich unbehaglich. Er schluckte krampfhaft und sagte: »Mein Gott, Mann, was ist dein Problem?«
»Du gehst innerhalb der nächsten zwanzig Minuten auf die Bühne oder ich mache dir das Leben zur Hölle.«
»Verdammt noch mal. Wie oft soll ich dir erklären –«
»Du bist John Belushi.«
»Wie bitte?«
»John Belushi.«
Jacko war sichtlich verwirrt. »Der ist doch Komiker, nicht wahr?«
»War.«
»Nun, ich mache keine Stand-up-Comedy.«
»Er war auch Sänger.«
»John Belushi?« Jacko ließ sich kurz durch den Kopf gehen, was der Kid gesagt hatte. Dann schien ihm ein Licht aufzugehen. »Ach ja, er war bei den Blues Brothers, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Mann, bist du bescheuert? John Belushi war ein Weißer.«
»Das war Michael Jackson auch.«
»Schon möglich. Aber ich kann in dieser Aufmachung keine Blues-Brothers-Nummer bringen.« Er deutete auf seinen Anzug. »Außerdem hatte ich keine Zeit, um zu proben.«
»Das brauchst du auch nicht.«
Der Kid nahm seine Sonnenbrille ab und reichte sie Jacko. »Setz die auf und geh zur Bühne. Ich treff dich dort in fünf Minuten mit dem Rest deines Kostüms.« Er wartete ab, um sich zu vergewissern, dass er verstanden worden war, ehe er mit seiner charakteristischen rauen Stimme hinzufügte: »Wenn du nicht dort auftauchst, dann suche und finde ich dich und verhelfe dir zu einer echten Michael-Jackson-Nase.«
Nachdem er seine Absichten unmissverständlich klargemacht und sich davon überzeugt hatte, dass Jacko begriff, machte der Kid kehrt und verließ das Spielkasino. Abermals machten andere Besucher ihm eilig Platz. Diesmal konnten sie seine Augen sehen. Der Anblick war keinen Deut angenehmer.
Jacko rief ihm noch etwas nach. »Ich brauche mehr als ein verdammtes Kostüm, um mich fürs Finale zu qualifizieren, ist dir das klar?«
»Ich kümmere mich darum«, lautete Kids letzte Bemerkung, ehe er hinter einer Gruppe Besucher verschwand.