ZWANZIG ♦
Das letzte Mal, dass Sanchez die Hosen voll und sich in Sicherheit gebracht hatte, während Elvis als Retter auf den Plan trat, war in einer Kirche gewesen, wo er ein Schulkind als Schutzschild benutzt hatte, während sein Freund die Bösen mit einer Waffe, die aussah wie eine Gitarre, niederschoss. Das war vor genau zehn Jahren gewesen. Diesmal benutzte der King einfach nur seine Fäuste. Innerhalb von neunzig Sekunden lagen die bulligen Sicherheitswachmänner ausgestreckt auf dem Fliesenboden der Herrentoilette, bewusstlos und blutüberströmt. Er hatte Sanchez abermals gerettet.
Mit einer Kombination aus Geschwindigkeit, Geschick und brutaler Kraft hatte der King die beiden Sicherheitsmänner Sandy und Tyrone entwaffnet und zusammengeschlagen. Sanchez war die meiste Zeit des Kampfs mit geschlossenen Augen in der Kabine geblieben, hatte sich jedoch eine übertriebene Version der Ereignisse zurechtgelegt, die er zum Besten geben würde, wenn er wieder ins Tapioca zurückgekehrt wäre. Wichtig war, dass Elvis den Job erledigt hatte, und das mit Stil. Als der Kampfeslärm sich endlich legte, öffnete Sanchez erst ein Auge, dann das andere. Elvis stand draußen vor der Kabine und wandte ihm den Rücken zu.
Die Sicherheitswachmänner lagen in einer Pfütze aus Blut auf dem Boden, das immer noch aus Kabine zwei heraussickerte. Es war schwierig zu erkennen, ob etwas von dem Blut, das ihre schwarzen Anzüge tränkte, ihr eigenes war. Der Kopf des ihm am nächsten liegenden Wachmanns ruhte leicht verdreht auf den Bodenfliesen gepresst, und aus seiner Nase rann Blut. Den Kopf des anderen Wachmanns konnte Sanchez von dort aus, wo er kauerte, nicht sehen.
»Komm schon, Sanchez! Hilf mir mal, die beiden wegzuschaffen, okay?«, brüllte Elvis ihn an. Er hatte begonnen, den einen Sicherheitsmann zur dritten Kabine zu zerren, aber es war klar, dass er Hilfe brauchte, wenn er diese Sache schnell hinter sich bringen wollte, ehe jemand anderes die Toilette betrat.
»Wow. Du hast sie tatsächlich beide geschafft?«, sagte Sanchez überflüssigerweise und vergaß, den Ausdruck von Überraschung in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Was zur Hölle hast du erwartet?«
»Na ja – also weißt du … Sie waren bewaffnet.«
Elvis ließ den ersten bewusstlosen Wachmann vor Sanchez’ Füßen auf den Boden der Toilettenkabine fallen und bedachte dann den memmenhaftesten Barbesitzer Santa Mondegas mit einem missbilligenden Blick.
»Ja, und du und ich sind beide in einer Minute bewaffnet, Sanchez. Wir haben jetzt zwei Pistolen. Ich hoffe bloß, dass wir sie nicht benutzen müssen, denn mein Instinkt sagt mir, dass du damit nicht mal deinen eigenen Arsch treffen würdest.« Er hielt kurz inne, dann fügte er hinzu: »Und der ist weiß Gott ein ausreichend großes Ziel.«
Sanchez ignorierte die Bemerkung. Stattdessen packte er den Mann, den Elvis fallen gelassen hatte, unter den Achselhöhlen und zog seinen Körper in die Ecke der Kabine neben die Kloschüssel, wo er ihn so gut es ging in eine aufrechte Haltung brachte. Allmählich beherrschte er das aus dem Effeff.
»Äh – nun, meinst du nicht, es wäre besser, wenn du beide Pistolen hast?«, fragte er. Elvis war vermutlich mit seiner schwächeren Hand ein besserer Schütze, als Sanchez es mit seiner stärkeren rechten Hand je sein würde. Und außerdem hatte er genügend Mut, um jemanden ohne lange zu fackeln niederzuschießen. Sanchez würde wahrscheinlich zurückschrecken, wenn er in eine Situation geriet, in der er gezwungen wäre, mit einer Waffe auf jemanden zu feuern.
Elvis wartete mit seiner Antwort. Er kam rückwärts in die Kabine und zog den zweiten Wachmann hinter sich her.
»Keine Chance«, sagte er und ließ den Bewusstlosen auf den Boden sacken. »Für jeden eine. Falls wir getrennt werden und du auf dich alleine gestellt bist, dann brauchst du vielleicht ein Schießeisen, und wenn auch nur aus Schau.«
Die beiden Männer bugsierten den zweiten Wächter in die Ecke auf der anderen Seite der Kloschüssel, seinem Kollegen gegenüber. Als sie das geschafft hatten, betrachtete Sanchez die beiden bewusstlosen Wachmänner und hatte eine einmalige Idee. Ihm war klar geworden, dass er und Elvis sicherlich sehr schnell auffallen würden, falls jemand nach ihnen Ausschau hielt. Er trug sein grellrotes Hawaiihemd, während der King mit einem hell leuchtenden goldenen Jackett und einer großen Sonnenbrille mit goldenem Gestell ausstaffiert war.
»Wir könnten doch mit diesen Typen die Klamotten tauschen, oder?«, schlug Sanchez vor. »Dann müssten wir uns eigentlich unbemerkt rausschleichen können.«
Elvis musterte Sanchez eindringlich und seufzte. Dann schüttelte er missbilligend den Kopf. »Du bist ein selten dämlicher Trottel, Sanchez, weißt du das? Diese Typen haben in dem ganzen Blut auf dem Fußboden gelegen. Es klebt ihnen überall auf den Jacken und den Hosen. Wenn du wirklich in einem schwarzen Anzug, der mit Blut besudelt ist, hier rausgehen willst, weil du meinst, das sei unauffälliger, dann nur zu. Ich für meinen Teil habe lieber eine Pistole und versuche es mit Dreistigkeit.« Er streckte ihm eine der Pistolen entgegen, die er den Wachmännern abgenommen hatte. »Da, nimm. Jetzt brauchst du nur noch ein wenig Mumm in den Knochen.«
Sanchez griff zögernd nach der Waffe. Er sah dabei aus, als hielt er den Schwanz einer Schlange in der Hand, während er gleichzeitig darauf achtete, nicht von ihr gebissen zu werden. Elvis schüttelte abermals den Kopf und gab sich keine Mühe, seine Abscheu zu verbergen.
»Ach, verdammte Scheiße! Steck sie hinten in deinen Hosenbund und häng dein Hemd darüber. Du wirst doch in deiner Hose dafür genügend Platz haben, oder?«
Sanchez ignorierte die letzte Anspielung auf die Ausmaße seines Hinterns und tat, was ihm gesagt worden war. Die Pistole passte perfekt in den Hosenbund und der kalte Stahl des Laufs schmiegte sich zwischen die schweißnassen Hälften seines Hinterns. Die Zeit wurde knapp. Sie mussten so schnell wie möglich aus der Herrentoilette verschwinden.
»Was nun?«, fragte er.
»Wir sehen zu, dass wir rauskommen. Am besten meiden wir die Lobby – dort hängen zu viele Leute herum, die uns bemerken könnten. Ich schätze, wenn wir uns jetzt links halten, dann kommen wir zum hinteren Teil des Hotels. Dort muss irgendwo eine unbewachte Tür sein. Die können wir nehmen und gelangen auf den Parkplatz. Dann bleiben uns nach meiner Schätzung etwa zwei Minuten, um zu meinem Wagen zu rennen und einen Abflug zu machen.«
»Cool«, sagte Sanchez. »Du gehst aber voraus, okay?«
»Genau. Wenn es Verdruss gibt, dann Ziel mit der Kanone auf die Bösen und schieß gefälligst, klar?«
»Aber sicher doch.«
»Bist du cool?«
»So cool wie nie.«
Elvis verzog das Gesicht. »Ja. Okay. Dann bleib hinter mir. Schätze, uns bleibt kaum noch genügend Zeit.«
Er steckte die Pistole auf dem Rücken in seine schwarze Hose, wo sie von seinem glänzenden goldenen Jackett verdeckt wurde. Offenbar passte sie viel besser hinein als Sanchez’ Pistole bei ihm. Er ging voraus zur Tür und zog sie einen Spalt breit auf. Er blickte wachsam in den Korridor. Sanchez schaute ihm über die Schulter. Niemand war zu sehen. Zufrieden machte Elvis einen Schritt, um auch den anderen Teil des Flurs zu überprüfen.
RUMMS!
Ehe Sanchez reagieren konnte, kam ein hochgewachsener Mann in einem grauen Trenchcoat in Sicht. Er hatte Elvis mit einem Schlag auf den Nacken erwischt, der ihn in die Knie brechen ließ. Der Mann beugte sich über ihn und traf ihn mit dem Lauf der Pistole, die er in der Hand hielt, noch einmal am Hinterkopf, diesmal jedoch um einiges härter. Elvis sackte auf dem Boden zusammen und rührte sich nicht mehr.
Scheiße!, dachte Sanchez. Zieh deine Kanone und schieß.
Wohl wissend, dass die Zeit nicht auf seiner Seite war, zog er die Pistole aus seinem Hosenbund. Sie kam schneller heraus, als sie hineingerutscht war, weil sie jetzt von dem Schweiß seines Hinterns glitschig geworden war. Während er nach dem Sicherungsbügel tastete, richtete er sie auf den Mann, der sich über Elvis beugte. Er erkannte den Typen auf Anhieb. Es war der Profikiller, dessen Zimmer und zwanzig Riesen er sich angeeignet hatte.
Invincible Angus zuckte kein bisschen, als er sich umdrehte und den Barbesitzer mit einer Pistole auf sich zielen sah. Dafür zuckte Sanchez in einem fort. Er schloss die Augen und betätigte den Abzug und krümmte sich prophylaktisch, weil er wusste, dass es gleich einen lauten Knall geben würde.
Ein lauter Knall ertönte tatsächlich.
Unglücklicherweise hatte Sanchez mit der Pistole in die Decke geschossen. Der wuchtige Rückschlag schleuderte ihn nach hinten und er krachte mit dem Kopf gegen die Wand in seinem Rücken. Der Aufprall schmerzte wie die Hölle, woraufhin die Welt vor seinen Augen verschwamm und er an der Wand abwärtsrutschte.
Als er auf dem Boden zusammensackte, war er bereits bewusstlos.