FÜNFZIGSTES KAPITEL
22. Mai 1764
Alter Felsbruch, Port Maßvoll
Mäßigungsbucht, Mystria
Schätze, das ist die hässlichste Horde Affen, die mir je zu Gesicht gekommen ist.« Nathaniel grinste, als er Major Forst begrüßte. »Hab reden hören, dass Ihr zurück seid.«
Forst drehte sich um, und seine Augen blitzten. »Nathaniel Wald, was für ein Anblick. Ich würde Euch die Hand reichen, aber seit Villerupt ist das ein bisschen rüde.«
Hinter dem Major erhob sich eine verwitterte Felswand. Von Westen her war sie in einem Steinbruch teilweise abgetragen worden, aber die Arbeiter hatten hundert Fuß alten Fels mit Nadelbäumen auf der Kuppe und Geröll am Fuß gelassen. Zwei kräftige Männer zwischen den Bäumen, einer davon, falls Nathaniels Augen nicht trogen, Friedensreich Bein, legten sich mit dem Körpergewicht in um ihre Hüften geschlungene Seile, an denen andere den Aufstieg wagten. Die Kletterer trugen jeder zwei lange Prügel über den Rücken geschlungen und zwei Beutel mit Kieseln am Gürtel.
Forst grinste. »Ihr könnt es als Nächster versuchen, Nathaniel. «
»Wenn Ihr denkt, ich käme da nich’ rauf …«
»Falls Ihr bei den Männern sein wollt, die ich auswähle, müsst Ihr es Euch verdienen. Kamiskwa ebenfalls, falls er sich verpflichten will.«
»Er ist heim nach Sankt Fortunas. Will sehen, wie viele Krieger uns begleiten.« Nathaniel musterte die Männer, die sich an der Felswand versammelt hatten. Die meisten waren groß von Statur. Friedensreich befand sich am oberen Ende der Skala, nur sein Bruder Drangsal überragte ihn noch. Gewichtsmäßig waren sie ziemlich gleich. Drang hatte eine struppige Haarmähne, war aber glattrasiert. Die Körpergröße der übrigen variierte, die meisten waren allerdings muskelbepackt. Die eher hageren wie Nathaniel oder Rechtens Bein hatten ein wölfisches Aussehen.
Forst folgte seinem Blick. »Da hat eine gute Mannschaft den Ruf gehört. Die Jungs dort drüben, die mit den roten Kappen, sind aus Sommerland herabgekommen, aus Bauernstadt. Waren hier, um Felle zu verkaufen, als sie den Aufruf hörten. Die beiden dort in den braunen Jacken sind mit mir aus Feenlee gekommen. Uriah und Djubal Hügel. Sie schießen ebenso gut wie Ihr.«
Nathaniel grinste. »Verwandte von Koronel Hügel?«
»Nicht, dass ich wüsste. Ihre Büchsen sind Vorderlader, deshalb sind sie nicht so schnell wie Ihr, aber gut sind sie.«
»Schätze, das werden wir mit ’ner Wette rausfinden.«
Forst nickte. »Wird Euch der Graf wieder vorstrecken?«
»Das war seine Entscheidung.« Nathaniel zuckte die Achseln. »War das Euer Ernst, dass ich den Hang raufsoll?«
»Aber ja. Ich meine, falls Ihr erwartet, Kapteyn einer meiner Kompanien zu werden.«
Nathaniel verschränkte die Arme. »Denk’ nicht, dass Ihr mich irgendwem Befehle geben lassen wollt.«
»Befehle geben? Vielleicht nicht. Aber sie anführen ganz sicher. « Forst deutete hinüber zu Caleb und einem anderen der Akademieburschen, die sich gerade an den Aufstieg machten. »Viele von denen haben schon mal im Zorn einen Schuss abgefeuert, aber nicht alle. Ob es Euch behagt oder nicht, Ihr seid eine Legende. Sie alle wissen dreierlei über Euch. Erstens, Ihr wart schon dort, wohin sie müssen. Zweitens, Ihr habt Lhord Rivendell gedemütigt, was für die meisten von Ihnen bedeutet, Ihr habt Mystria die Ehre zurückgegeben. Und drittens, Ihr seid der Zauberfalke.«
»Ihr wisst besser als die meisten, wie viel von dem Zauberfalke-Gerede Unsinn ist.«
Forst schüttelte den Kopf. »Ich weiß besser als die meisten, wie viel davon keiner ist. Ihr wart jünger als die meisten von denen hier, als Ihr losgezogen seid, und Ihr seid jetzt noch nicht der Älteste hier. Eine Menge Männer haben schon damit geprahlt, einen Geopahr geschossen zu haben, aber Ihr seid der Einzige, für den das der Generalgouverneur übernimmt.«
»Ich bin nichts Besonderes. Hab nur getan, was wer tun musste.«
»Und genau das werdet Ihr auch hier tun.« Forst lächelte. »Eure ruhige Zuversicht, Nathaniel, wird eine Menge Nerven beruhigen, bevor wir diese Klippe in Angriff nehmen. Manch einer von den Burschen hier wird mit dem Gedanken spielen aufzugeben, aber keiner wird es tun, aus Angst, Euch zu enttäuschen. «
Nathaniel schüttelte den Kopf. »Schätze, die Verantwortung brauch’ ich nicht. Ich will einfach nur eine freie Schusslinie auf du Malphias.«
Forst rieb sich das Kinn. »Lasst es mich anders ausdrücken, Nathaniel: Entweder Ihr kommt als Kapteyn der Nordlandschärler mit oder gar nicht.«
»Also, ich denk nicht …«
»Nein, wenn Ihr mich unterbrecht, denkt Ihr gar nichts. Die Lage ist ganz einfach. Wenn ich Euch nicht als Anführer dabeihaben kann, kann ich Euch auf keinen Fall im Rang gebrauchen. Ihr seid kein Mann, der sich ohne Widerstand Befehle geben lässt. Und Ihr seid ein geborener Anführer, ein Mann, dem andere folgen. Das würde in jedem Fall für Unruhe sorgen. Uns bleibt kaum Zeit, die Männer auszubilden. Wenn sie sich ein Vorbild an Euch nehmen und Befehle verweigern, werden sie sterben. Und auch wenn Ihr und Kamiskwa schon am Amboss-See wart, Ihr seid nicht die Einzigen, die den Weg dorthin kennen. Auch ohne unter meinem Befehl zu stehen, wärt Ihr ein Unruheherd. Ihr wollt nur einen sauberen Schuss auf du Malphias. Das verstehe ich, aber keiner von uns kann das Risiko eingehen, dass Ihr Euch diesen Schuss leistet, ohne Rücksicht auf unsere Pläne zu nehmen. Wenn Ihr nicht bei uns mitmacht, dürft Ihr die Expedition nicht begleiten. Ist das deutlich?«
Nathaniel blähte die Nüstern. »Ihr hört Euch langsam mächtig an wie der Schwachkopf, der rübergekommen ist, um uns anzuführen.«
»Nein. Er hört sich so an, weil er glaubt, er muss sich so anhören. Er hat nicht die geringste Ahnung, weshalb er auf Disziplin bestehen sollte. Falls ihm jemand widerspricht, ist das für ihn ein Angriff auf seine Ehre, und das ist alles, was ihn interessiert, seine Ehre und sein Ruhm.« Forst klopfte sich mit dem Finger auf die Brust. »Falls ich jemals solche Träume hatte, habe ich sie in der Hand gehalten, die ich im Wald von Artennes gelassen habe. Ich fordere und befehle, weil ich so meine Männer am Leben halten kann. Ihr habt die Festung gesehen. Es wird ein Gemetzel geben. Sosehr ich Euch bewundere und an meiner Seite wissen will, wenn es nicht zu meinen Bedingungen ist, würdet Ihr mehr Schaden anrichten als Gutes tun.«
»Schätze, das verlangt Nachdenken.« Nathaniel wandte sich ab und ging davon, auf ein Fass mit Wasser aus Marketenders Bach zu. Jemand bot ihm eine Schöpfkelle an, aber er winkte ab und tauchte den Kopf in das Fass. Das kalte Wasser war ein Schock. Dann richtete er sich wieder auf, schüttelte den Kopf und spritzte Wasser in alle Richtungen.
Natürlich hatte Major Forst Recht. Nathaniel wusste, dass er nicht in die Vorstellung der Gesellschaft von Ordnung passte. Eben deshalb verbrachte er so viel seiner Zeit in der Wildnis. Die Gesellschaft verurteilte seine Beziehung zu Rahel, obwohl alle wussten, dass sie von Rechts wegen zu ihm gehörte. Die Heuchelei drehte ihm den Magen um, und je weniger er mit diesen Gestalten zu tun hatte, desto lieber war es ihm.
Selbstverliebte Idioten, die Soldat spielten, wie Langford und Rivendell, waren sogar noch schlimmer. Tratschweiber mochten hinter seinem Rücken flüstern, aber diese Narren würden Männer in den Tod treiben. Nathaniel hatte schon aus mehreren Quellen gehört, dass Rivendell so ziemlich alles für erfunden hielt, was sie über du Malphias berichtet hatten. Er erklärte ihre Aussagen mit ›einer gewissen kolonialen Neigung zu hysterischer Übertreibung, sobald es um einen Krieg mit Tharyngia geht‹. Rivendell war ein Betrüger und ein Dieb. Hätte er drei Kugeln und die Wahl des Ziels zwischen Rivendell und du Malphias gehabt, hätte Nathaniel eher zwei Kugeln in diesem norillischen Schwachkopf versenkt.
Major Forst war so ziemlich der einzige Offizier in seinem Kreis, der seinen Rang verdiente. Nathaniel korrigierte sich. Owen Radband verdiente diese Ehre ebenfalls. Beide Männer hatten viel Überlegung darin investiert, wie sie gegen du Malphias gewinnen konnten, statt allein darauf, was sie nach dem Sieg tun wollten. Owen hatte seine Narben davongetragen. Forst natürlich auch. Hätte er raten müssen, hätte Nathaniel darauf gesetzt, dass Rivendells Körper noch weniger Narben und Blessuren hatte als die Arschbacken eines ausgemachten Feiglings.
Sosehr er es auch hasste, Befehle entgegenzunehmen – sein Problem mit Forsts Angebot reichte tiefer. Es machte ihm nichts aus, von Forst Befehle anzunehmen. Das hatte er schon früher getan, als er noch sehr viel jünger war, und er hatte genug Respekt vor dem Mann, um davon auszugehen, dass alles, was er verlangte, wert war, getan zu werden.
Was er nicht wollte, war die Verantwortung für andere tragen, ebenso wenig wie er wollte, dass andere sich ihm gegenüber zu irgendetwas verpflichtet fühlten. Nathaniel konnte auf sich selbst aufpassen. Das hatte er schon immer getan und würde es wohl auch weiter so halten bis zu dem Tag, an dem er abtrat. Er hatte schon Dinge vergessen, die Caleb Frost erst noch lernen musste, wenn er überleben wollte. Wie Major Forst selbst gesagt hatte, blieb nicht genug Zeit, den Männern alles beizubringen, und Nathaniel war sich nicht einmal sicher, ob sie ausreichen würde, ihnen zumindest annähernd genug beizubringen.
Er schaute auf, als er Caleb einen Freudenschrei ausstoßen hörte. Er hatte die Oberkante der Felswand erreicht. Ein paar der Männer unten klatschten Beifall. Zwei warfen ihre Mützen in die Luft. Die meisten der harten Kerle ignorierten seinen Triumph, und falls er für die Einheit ausgewählt wurde, würden viele von ihnen glauben, er hätte dies der Tatsache zu verdanken, dass er Forsts Neffe war.
Nathaniel wusste, dass das nicht stimmte. Caleb war ein schlauer Bursche und ein guter Schütze. Und er war ein geborener Anführer. Er stand dort oben auf der Felswand und trieb seine Studentenfreunde zu größeren Leistungen an. Die anderen Männer waren allein oder in kleinen Grüppchen erschienen. Caleb hatte einen ganzen Trupp mitgebracht und ließ dessen Mitglieder Dinge tun, von denen sie vermutlich in ihrem ganzen Leben nicht erwartet hatten, sie einmal tun zu müssen.
»Und vermutlich sind sie es, die nicht überleben werden.« Nathaniel strich sich mit den flachen Händen über den Kopf und drückte das Wasser aus den Haaren. Er fühlte es im Innern des Lederhemds seinen Rücken hinablaufen. Das war der entscheidende Punkt. Die Männer, die starben, würde er sein Leben lang mit sich herumtragen. Er würde für ihr Familien tun, was er für Großmutter Rüstig getan hatte. Unweigerlich würden sie sich überschwänglich bei ihm bedanken, ihm erklären, dass es nicht seine Schuld war, aber ihre Blicke würden eine andere Sprache sprechen. Weil niemand, der die Chance hat, die Schuld von den heiligen Toten abzuwälzen, sie nicht nutzen wird.
Er legte die Arme um seinen Leib. Blieb der letzte Punkt. Falls er nicht ging, falls er sie nicht anführte, würde er sich trotzdem verantwortlich fühlen. Falls einer von ihnen starb, würde er glauben, er hätte überlebt, wäre er dabei gewesen. Er wollte die Verantwortung nicht, aber er hatte sie sich ohnehin schon aufgeladen.
»Bin so oder so angeschissen.« Er schüttelte noch einmal den Kopf, dann grinste er. »Wenigstens is’ Kamiskwa nicht hier und sieht das.«
Nathaniel ging hinüber zu Forst. »Unter einer Bedingung.«
Der Major hob eine Augenbraue.
»Ihr nehmt Caleb mit, als meinen Lieftenant. Und Ihr nehmt seine Truppe. Friedensreich kann sie anführen.«
Der Major musterte ihn misstrauisch. »Auch wenn Ihr Caleb zu Eurem Lieftenant macht, bewahrt ihn das nicht vor der Gefahr. «
»Weiß ich, aber er ist ein schlauer Bursche, und das kann ich gebrauchen. Außerdem werdet Ihr Eure Befehle wohl aufschreiben, und er ist besser darin, das zu entziffern, als ich es jemals sein werde.«
»Ich brauche Zeit, darüber nachzudenken, Nathaniel. Im Augenblick neige ich dazu, Euren Vorschlag anzunehmen. Bis Ihr oben auf der Felswand seid, habe ich mich entschieden. Lasst mir nicht zu lange Zeit, es mir anders zu überlegen.«
Nathaniel lachte und stieg aus den Mokassins. »Geht beiseite, Männer. Ich zeig’ Euch, wie man das macht.«
Die meisten Männer machten Platz, aber Rufus Astwerk strengte sich an, ihm im Weg zu stehen, während er nach Kräften vortäuschte, Nathaniel zu ignorieren. Der schlug einen schnellen Bogen um ihn, griff sich drei Beutel mit Kieseln und die beiden Prügel als Gewehre.
Der Mann, der ihm das Seil um die Hüfte band, deutete auf den zusätzlichen Beutel. »Ihr braucht nur zwei.«
»Ach, Rufus trägt auch extra Gewicht mit, dürfte locker ein, zwei Beutel Steine ausmachen, da kann ich ruhig auch ein bisschen mehr nehmen.«
Die Männer lachten, und einer machte den Fehler, Rufus auf den Wanst klopfen zu wollen. Er landete mit geplatzter Lippe auf dem Hintern, war aber immerhin schlau genug, nicht sofort wieder aufzustehen.
Nathaniel machte sich an den Aufstieg. Der Anfang war leicht. Die Hand- und Fußgriffe waren von den Jungs, die seit Jahren an der Felswand spielten, tief ausgehöhlt. Etwa zwanzig Fuß hoch bot ein breiter Sims einen Blick aufs Meer hinter Port Maßvoll, und von dort aus konnte man problemlos die Segel um die Landspitze kommender Schiffe entdecken.
Danach wurde es etwas schwieriger, aber Nathaniel hatte die Geheimnisse des Bergsteigens längst gelernt. Man durfte sich niemals an den Fels schmiegen, durfte sich niemals zu weit recken und musste das Gewicht immer auf den Beinen halten. Plötzliche Bewegungen, besonders mit schwingenden Steinbeuteln und aneinanderschlagenden Stecken auf dem Rücken, rissen einen Kletterer schneller aus dem Gleichgewicht als ein auf einen Satz geleertes Fässchen Whiskey. Und der Sturz von einer Bergwand war gefährlicher als der von einem Wirtshaushocker.
Als er die Hälfte hinter sich hatte, wurde es wieder einfacher, weil es weniger Kletterer schon so hoch geschafft hatten. Er schob sich etwas nach Osten, fort von der Steinbruchseite, und sobald er eine Stelle mit brüchigem Fels hinter sich gelassen hatte, kam er recht schnell voran. Er erreichte die Oberkante und stand auf, obwohl er sich lieber hingelegt und zu Atem gekommen wäre. Dann löste er selbst die Sicherheitsleine.
Major Forst formte die Hände vor dem Mund zum Trichter. »Schön, Euch dabeizuhaben, Kapteyn Wald.«
Friedensreich schlug ihm auf den Rücken, und Caleb reichte ihm die Hand, während unter ihnen die Männer jubelten und ein paar ihre Waffen abfeuerten. Keine der Kugeln kam in Nathaniels Nähe, aber das lag nur daran, dass Rufus es nicht gewagt hätte, etwas zu versuchen, wobei man ihn sehen konnte. Nicht mit Friedensreich über ihm und dessen Hinterladergewehr in Reichweite.
Nathaniel schüttelte die Hand des jungen Frost. »War ’ne saubere Leistung, Caleb.«
Sein Gegenüber wurde rot. »Ich hoffe nur, mein Onkel sieht das auch so. Wir wollen mit und unseren Teil beitragen, die Jungs und ich.«
»Falls er dich nimmt, wird es ’ne Ehre sein, mit dir zu dienen. «
Caleb salutierte. »Ja, Sire, Kapteyn Wald.«
Nathaniel zögerte. »Finde irgendwie, das is’ nicht recht, dass ich denselben Rang haben soll wie Kapteyn Radband.«
Der jüngere Mann verzog das Gesicht. »Genaugenommen habt Ihr das auch nicht. Ich meine, Ihr werdet dieselbe Anzahl Männer befehligen wie er, die dasselbe tun wie seine Truppen, doch in der Rangordnung seid Ihr nur ein Subaltern.«
»Ein was?«
»Es ist eine Art halber Offizier, und kein norillischer Soldat bräuchte Eure Befehle zu befolgen. Es liegt daran, dass wir Kolonialmiliz sind.«
»Dann ist nach der Denkweise Euer Onkel unter Kapteyn Radband?«
»Ja.«
Nathaniel schüttelte den Kopf. »Scheint mir nich’ gerecht. Is’ doch wohl immer noch so, dass ein Mann ’ne Kugel genauso aufhält wie der andere.«
»Nun ja, wir sind halt alle nur Auslöslinge.«
»Ah ja. Schätze, da wird sich noch was ändern müssen in der Auffassung, was das angeht.« Nathaniel klopfte Caleb auf die Schulter. »Dann seht mal zu, dass Ihr den Rest Eurer Jungs hier raufkriegt, Meister Frost. Zeigt den Astwerks und Fassdaubes, dass lesen können einen nicht langsamer macht.«
»Ja, Sire.«
Nathaniel lachte. Ob er sich jemals daran gewöhnen würde, in diesem Ton ›Sire‹ genannt zu werden, wusste er wirklich nicht zu sagen. Er war sich aber sicher, dass es ihm nie gefallen würde. Er ging den Weg entlang, der oberhalb des Steinbruchs nach Norden und abwärts zum Bach führte.
Ein mittelgroßer Mann von schlanker Statur stand von einem Baumstumpf auf und begleitete ihn. »Nathaniel.«
»Rechtens.«
»Wie kommt es, dass Ihr Rufus Astwerk noch nicht umgebracht habt?«
»Tja, ich schätze, er ist schlau genug, mich nicht zu reizen, wenn ich in der Stimmung bin, jemand abzustechen.«
Rechtens Bein nickte. »Ich erinnere mich an eine Zeit, da hast du ihn gestochen.«
Nathaniel nickte. Es war zu einer Zeit gewesen, als sie alle noch jünger waren. Wobei Rufus drei Jahre älter war als Nathaniel, und Rechtens zwei Jahre jünger. Rufus hatte die Gewohnheit gehabt, Rechtens jeden Tag für irgendeine Beleidigung zu verprügeln. Das hatte Nathaniel gar nicht gefallen, und ein Messerstich hatte genügt, Rufus lange genug in die Flucht zu schlagen, dass er Rechtens nach Hause bringen konnte, damit seine Mutter die Platzwunde an seinem Kopf nähte.
»Er hatte es verdient.«
»Hab sagen hören, er hätte erzählt, wie er hofft, dass Ihr mit den Soldaten auszieht. Soll gesagt haben, in der Schlacht kann viel passieren.«
»Hat er das?«
Rechtens nickte. »Hab auch bemerkt, dass er und Zachariah Wildbau lange den Kopf zusammengesteckt und getrunken haben, bevor Wildbau am Montag nach Süden ist.«
»Gut zu wissen.«
»Könnt’ sogar sein, dass Geld den Besitzer gewechselt hat.«
Es war nicht schwer, sich auszurechnen, in welche Richtung. Astwerk hatte grundsätzlich keines, und Wildbau hatte viel zu viel.
»Werd’ die Augen offen halten.«
»Tut das, Kapteyn. Ich tu es auch.« Rechtens Bein nickte ernst. »Wenn es Zeit wird, Schulden zu begleichen, wird Rufus nichts erlassen werden.«