NEUNUNDZWANZIGSTES KAPITEL
8. Juli 1763
Des Prinzen Zuflucht
Mäßigungsbucht, Mystria
Prinz Vladimirs Brust stand in Flammen. Die Schutzbrille ließ kaum Wasser herein. Die Guttapercha hatte sich als ausgezeichnete Dichtung erwiesen, und der Streifen im Innern der Ledermaske lag fest auf seiner Haut. Die Brille gestattete ihm eine erstaunlich klare Sicht unter der Wasseroberfläche des Benjamin, auch wenn seine Sicht durch das schwache Licht auf zehn Fuß begrenzt war, so dass er nichts weiter sah als Magwamps Hinterkopf.
Sein Körper forderte Luft. Er zog an den Zügeln, und der Lindwurm tauchte auf. Vladimir packte das Sattelhorn. Die Schläge des riesigen Echsenschwanzes versetzten den gesamten Leib des Tieres in Bewegung. Verbunden mit dem Wasserdruck hätte es genügt, ihn aus dem Sattel zu reißen. Sie stiegen schnell auf und schossen wie ein Pfeil hoch in die Luft, um zwanzig Schritt flussaufwärts wieder in die Fluten zu tauchen.
Der Prinz konnte ein Auflachen nicht unterdrücken. Am Ufer warteten sein Wurmwart und ein Lakai, der eine nervös, der andere unbeteiligt mit Handtuch und Bademantel. Bäcker, der Wurmwart, war strikt dagegen gewesen, den Prinz mit dem Lindwurm ins Wasser zu lassen, einfach, weil man so etwas absolut nicht tat. Da Lindwürmer ihr Leben als große Wasserschlangen begannen, galt es als ausgemacht, dass sie fliehen würden, wenn man sie ungesichert ins Wasser ließ. Vladimir hatte Magwamp begeistert planschen sehen, wenn der Wurmstand geflutet war, und sich entschieden, das Risiko einzugehen.
Obwohl er erst seit drei Wochen mit dem Lindwurm schwamm, gehorchte Magwamp im Wasser besser als im Feld, und es schien ihm auch deutlich mehr Spaß zu machen. Er war im Wasser schneller als an Land und ausgesprochen geschickt darin, Fischschwärme zu verschlingen. Er freute sich sichtlich auf seine tägliche Schwimmstunde, so sehr, dass der Prinz ihn sogar schon an einem wolkenverhangenen, regnerischen Tag ausgelassen hatte.
Vladimir zog an den Zügeln, um Magwamp ans Ufer zu lotsen. Stattdessen tauchte das Tier kurz den ganzen Kopf unter Wasser. Als er ihn wieder hob, lief ihm das Wasser über die Schuppen und die Schnauze. Er verweigerte die Wende und schwamm stattdessen mit langsamen, aber stetigen Bewegungen des Schwanzes stromaufwärts. Die Beine legte er dabei an den Körper an und bewegte sich gleichmäßig, geradezu majestätisch durch das Wasser.
Vladimir zog die Schutzbrille hoch und hob die Hand über die Augen. In der Ferne entdeckte er ein Kanu. Hat Magwamp die Paddelschläge über diese Entfernung gehört? Das muss eine halbe Meile sein.
Er drückte dem Lindwurm sanft die Fersen in die Seite. Selbst wenn er Sporen mit langen Stacheln getragen hätte, hätte er dem Tier dabei keine Schmerzen zufügen können. Trotzdem reagierte Magwamp und glitt durch den Fluss. Der Prinz saß aufrecht im Sattel und war sich sehr bewusst, wie lächerlich er triefend nass wirkte. Doch angesichts seines Reittieres war er zuversichtlich, dass der Besucher das wohl nicht bemerken würde.
Nach hundert Schritt erkannte er den Mann im hinteren Teil des Kanus und hob grüßend die Hand. Der Knabe im vorderen Teil zog das Paddel aus dem Wasser und schien Magwamp abwehren zu wollen. Der Prinz zog an den Zügeln, und Magwamp wurde langsamer, bis er sich mit exakt derselben Geschwindigkeit wie das Wasser bewegte.
Msitazi, der die leuchtend rote Uniform Ihrer Majestät Lindwurmreiter trug, steuerte das Boot heran. »Seid gegrüßt, Großer Prinz Vladimir.«
»Ich freue mich über Euren Besuch, Großer Häuptling Msitazi. Ihr ehrt mich.«
»Ich möchte Euch meinen Enkel William vorstellen.«
Das dürfte Nathaniels Ältester sein. Trotz der graugrünen Hautfarbe des Jungen waren der hagere Körperbau und die kräftige Nase unverkennbar. Und die Augen. Der blickt genauso misstrauisch drein wie sein Vater.
»Ich grüße Euch, William.«
»Danke, Hoheit.«
Der Prinz deutete hinter sich zum Landgut. »Darf ich Euch meine Gastfreundschaft anbieten? Es sei denn, Ihr wollt vor dem Abend Port Maßvoll erreichen.«
»Wir sind zu Euch unterwegs, Großer Prinz.« Msitazi lächelte breit. »Ich überbringe eine Botschaft von Aodaga.«
»Von wem?«
»Vom großen Ungarakii-Schlächter.« Msitazi zog seine Jacke gerade. »Kapteyn Owen Radband.«
Prinz Vladimir brachte Magwamp eilig zurück zum Gut, und Bäcker beförderte ihn zurück in den Wurmstand. Der Prinz nahm das Handtuch, das ihm der Lakai reichte, dann schickte er ihn ins Haus, Essen holen. Er half William, das Kanu auf den Rasen zu ziehen. Die drei Männer gingen an den Platz hinüber, an dem der Prinz nur zwei Monde zuvor Kamiskwa, Nathaniel und Radband bewirtet hatte. Er wartete, bis seine Gäste sich niedergelassen hatten, dann setzte er sich ebenso im Schneidersitz ins Gras.
Obwohl er darauf brannte, Kapteyn Radbands Nachricht zu lesen, zwang er sich, die Gebräuche der Zwielichtvölker zu befolgen und es dem Häuptling zu überlassen, wann er ihm die Botschaft aushändigte. So frustrierend das auch für einen Norillier sein konnte, Vladimir hatte gelernt, dass die Shedashie Zeit anders wahrnahmen, als es in Auropa üblich war. Sie betrachteten Zeit als ausreichend oder nicht ausreichend. Zwar erkannten sie auch die Notwendigkeit für Eile, aber Hast war für sie eher eine Sünde als eine bloße Unart – und häufig ein Zeichen kaum zu fassender Dummheit. Dem zu widersprechen hieß den Respekt der Shedashie zu verspielen, und es war keineswegs leicht, sich diesen Respekt zu verdienen.
Msitazi überreichte dem Prinzen einen prächtig mit Perlen bestickten Gürtel von anderthalb Schritt Länge. »Dies hat meine Tochter Ishikis für Euch gefertigt, Großer Prinz. Ich würde es als große Ehre betrachten, wenn Ihr sie zur Frau nehmen würdet.«
Vladimir nahm den Gürtel dankbar entgegen. Perlmutt und Türkis, Korallen, Onyx und Malachit waren zu einem wundervollen Mosaik gefügt, das an beiden Enden Bären zeigte und zwischen ihnen ein Geschöpf, das große Ähnlichkeit mit Magwamp besaß. Die bunten Edelsteine stammten aus fernen Gegenden und waren von unschätzbarem Wert für die Altashie. Somit war das Geschenk eine dem Heiratsangebot entsprechende Ehre.
»Ich bedaure, dass ich die Hand Eurer Tochter ablehnen muss, Großer Msitazi. Ich habe meiner Tante von Eurem früheren Angebot berichtet. Sie hat mir für eine Heirat noch keine Erlaubnis erteilt. Ich werde ihr jedoch zum wiederholten Mal schreiben.«
Der alte Altashie schmunzelte. »Ihr Norillier verkennt die wahren Schätze dieses Landes.«
»Ich weiß, das ist die Wahrheit.« Vladimir strich mit der Hand über den Gürtel. »Kapteyn Radband hat ein ähnliches Angebot ebenfalls abgelehnt?«
»Ihr werdet bitte Eurer Tante schreiben und sie bitten, tapfere Offiziere zu schicken, die noch keine Ehefrau haben.«
»Das werde ich ganz sicher. Wie kommt es, dass Ihr Kapteyn Radbands Rock tragt?«
»Er schenkte ihn mir, und ich schenkte ihm Kleidung von großer Medizin. Er ist zu der wichtigen Mission aufgebrochen, die Ihr ihm gegeben habt. Er wird diese Medizin benötigen.«
Msitazi öffnete einen Beutel und zog einen versiegelten Brief hervor. »Aodaga übersendet Euch dies. Wir haben es so schnell gebracht, wie wir konnten. Wir hatten ein kleines Abenteuer unterwegs.«
Der Prinz nahm den Brief entgegen und erbrach das Siegel. Als Erstes schaute er auf das Datum auf dem Kopf des ersten Blattes. Er fuhr die darauf folgenden Zahlenreihen mit dem Finger ab und rechnete. Da er ›DIE BERUFUNG EINES KONTINENTS‹ auswendig gelernt hatte, konnte er den Text schnell entziffern. Radband beschrieb den bisherigen Teil der Reise in bescheidenen Worten und informierte Vladimir über einen Mann, der möglicherweise nicht mehr tot war.
Er las die Botschaft zweimal, um sicherzugehen, dass ihm kein Fehler bei der Entschlüsselung unterlaufen war, dann blickte er auf. »Was haben sie über diesen Mann gesagt, der aus dem Grab zurückgekehrt sein könnte?«
Msitazis Miene verdüsterte sich. »Pierre Ilsavont. Zauberfalke mochte ihn nicht. Er hat ihn erschossen. Sie haben seinen Kopf verbrannt. Er hätte in dem harten Winter sterben sollen. Er war Wendigo.«
»Erwähnten sie jemanden namens Guy du Malphias?«
»Nein. Der Wendigo begleitete Ungarakii. Mein Sohn sagte, Aodaga, Zauberfalke und er seien auf der Fährte großer Beute. Ihr Weg führte sie nach Hutmacherburg.«
Vladimir nickte nachdenklich. »Die Botschaft erwähnt ein Buch und einen Ring.«
William schaute seinen Großvater an, dann öffnete er seine Tasche und holte beides heraus. »Ich hätte sie niemandem gegeben, Hoheit.«
»Es war eine weise Entscheidung, sie Euch anzuvertrauen, William. Ihr habt Eure Pflicht gut und ehrenvoll erfüllt.« Der Ring war, wie bereits in der Nachricht erwähnt, nur insofern bemerkenswert, als er tharyngischer Herkunft und sehr weit von seinem Herkunftsland entfernt war. Es bestand eine gewisse Chance, dass seine Entdeckung in Launston Interesse verursachen konnte, doch wahrscheinlich würde man ihn als mehr oder weniger bedeutungslos abtun.
Das Tagebuch andererseits war von kolossalem Interesse für den Prinzen. Er blätterte darin und fand die an Bethany Frost adressierte Nachricht, die er beiseitelegte, um den Inhalt weiter zu studieren. Als Erstes fiel ihm neben den entsetzlichen Rechtschreibfehlern und der kaum besseren Grammatik auf, dass die Einträge mit der Zeit fahriger wurden. Die Sätze wurden kürzer, die Satzzeichen verschwanden. Die Schrift selbst wurde größer und unsicherer, die Zeilen zunehmend schräger. Die Mondphasen blieben deutlich erkennbar, allerdings ähnelte der Umriss der Zeichnungen immer weniger einem Kreis.
Der Prinz schaute auf. »Ich muss Euch um Verzeihung bitten. Ich bin unhöflich.«
Msitazi hob eine Hand. »Euer Gesicht gleicht dem meinen, wenn ich eine Fährte studiere. Beobachte ihn gut, William. Er ist weise und weiß sich zu konzentrieren. Ein Krieger, der schnell zuschlägt, ist wertvoll, doch es ist der Krieger, der weise genug ist, zu wissen, wo er zuschlagen muss, dem der Sieg gehört.«
Der Prinz lächelte. »Und Ihr, William, habt das große Glück, in Eurem Großvater einen Mann zu kennen, der zugleich schnell und weise ist. Beobachtet ihn gut.«
Der Knabe strahlte.
Vladimir stand auf und winkte seinem Wurmwart. »Bäcker, kommt her.«
Der stämmige Mann kam herübergelaufen, sichtlich besorgt, die Shedashie könnte den Prinzen irgendwie bedrohen. »Ja, Hoheit. «
Vladimir reichte ihm den Brief an Bethany Frost. »Nehmt mein schnellstes Pferd und überbringt dies den Frosts. Bittet Doktorus Frost, seine Gemahlin, seine Tochter, und seinen Sohn Caleb, mir heute Abend zum Diner Gesellschaft zu leisten. Sie können morgen früh in die Stadt zurückkehren. Lasst Koronel Langford eine Kutsche und eine Eskorte aus seiner Kavalleriekompanie für sie bereitstellen. Er wird Euch entgegnen, Ihr wärt ein Idiot. Ihr werdet darauf antworten, dass ich befohlen habe, er soll die Reiter nicht persönlich anführen. Das wird ihm bestätigen, dass der Befehl von mir kommt. Die Reiter werden morgen etwas von Wert zurückbringen. Ihr Geleitschutzauftrag ist nur eine Täuschung für mögliche feindliche Spione. Die Gardisten sollen eine kleine Metallkiste mitbringen, zusammen mit allen dazu passenden Schlüsseln.«
»Jawohl, Hoheit. Soll ich sofort aufbrechen, Hoheit, oder gleich, wenn ich Euren Lindwurm gefüttert habe?«
»Brecht sofort auf. Ich bin sicher, der Große Häuptling Msitazi und sein Enkel werden mir gerne helfen, den Lindwurm zu füttern. Und gebt unterwegs in der Küche Bescheid, dass wir sieben Personen zum Abendessen sind. Es dürfte eine bemerkenswerte Gelegenheit werden.«
»Hoheit, es ist schon recht spät …«
»Sagt Ihnen, wenn ich selbst kochen muss, müssen sie den Lindwurm füttern.«
»Ich denke, sie werden es verstehen, Hoheit.«
Während des gesamten Wortwechsels war Msitazis Miene so reglos wie eine Onyxmaske, doch sobald Bäcker sich auf den Weg machte, grinste er. »Es ist nicht die Macht selbst, die einen Mann zu herrschen befähigt, sondern die Weisheit, wie er sie einsetzen sollte und wann.«
»Man kann nur hoffen, dass die Umstände die Überlegung gestattet, die beides erst möglich macht.« Der Prinz deutete mit einer Handbewegung hinüber zum Wurmstand. »Ihr werdet selbstverständlich heute Abend als meine Gäste mit uns speisen. Doch wollen wir uns zuerst um Magwamps Bedürfnisse kümmern? «
Der Knabe hatte sichtlich Freude daran, den Lindwurm zu füttern, zumindest nachdem er seine anfängliche Furcht überwunden hatte. Magwamp schien seine Anwesenheit noch mehr zu genießen. Er stieß ihn vorsichtig an und brachte den Schwanz herum, um ihn einzufangen. Der Junge kreischte begeistert und plapperte auf seinen Großvater ein. Ohne Zweifel würde Sankt Fortunas nach ihrer Rückkehr ein paar großartige Geschichten hören.
Der Prinz überließ die beiden sich selbst und zog sich in sein Labor zurück, um das Journal und den Ring zu studieren. Das einzig Seltsame, was er bei näherer Untersuchung an dem Ring feststellte, waren eine Gravierung und die Tatsache, dass jemand einen dünnen Messingspan aus dem Metall geschnitten hatte. Es war denkbar, aber unwahrscheinlich, dass Letzteres zufällig geschehen war. Die Gravierung im Innern des Rings bestand teilweise aus Symbolen von arkaner Bedeutung. Verglichen mit dem Wappen auf der Vorderseite waren die Gravierung und der Schnitt im Metall jüngeren Datums. Prinz Vladimir ging davon aus, dass beide absichtlich angebracht worden waren und dementsprechend eine Bedeutung besaßen.
Das Buch enthielt zugleich faszinierende und frustrierende Hinweise. Im Innern des hinteren Buchdeckels fand er die Symbole des Rings wieder. Das bestätigte ihre Verwendung als eine Art Indexsystem. Jeder Buchhalter oder Quartiermeister wäre allerdings mit einfachen Zahlen völlig zufrieden gewesen. Die Symbole selbst hatten magische Wurzeln, und Radbands Vermutung in seinem Brief, dass eine magische Verbindung zu dem Ring bestand, deutete auf etwas durchaus Unschönes hin.
Die Einträge im Innern des Journals wirkten anfänglich völlig normal und als nichts weiter denn eine Reisebeschreibung, bis auf die Tatsache, dass der Autor keinerlei Hinweis auf seine Eindrücke oder Gefühle gab. Er beschrieb Berge und Täler auf eine Art, von der ein Zivilist glauben mochte, sie könnte einem Vermesser gefallen. Zu Beginn unternahm der Autor auch noch den Versuch festzuhalten, wie viele Schritte notwendig waren, um einen Wasserlauf zu durchqueren, aber schon bald verschwanden alle präzisen Maßangaben. Tatsächlich verflog bis auf die Mondphasenzeichnungen vor jedem neuen Eintrag auf halber Strecke jede Spur von Ordnung oder Genauigkeit.
Gegen Ende waren die Einträge pures Gebrabbel in völlig unleserlichem Gekrakel. Zweimal war die Bleistiftspitze abgebrochen, aber der Autor hatte ganze Zeilen vollgeschrieben, bevor er einen neuen Bleistift gefunden und damit weitergeschrieben hatte.
Alles in allem waren die Tagebucheinträge wertlos. Sie gaben weder einen Hinweis auf Himmelsrichtungen noch auf Höhen. Vermutlich konnten sie jemandem helfen, die beschriebenen Stellen zu finden, der mit dem Gebiet vertraut war, durch das ihr Autor sich bewegt hatte. Aber niemand, der mit dem Gebiet vertraut ist, hat einen Bedarf für diese Informationen.
Verbunden mit dem Gedanken, dass es möglich war, den Ring aufzuspüren, machte das den Prinzen nachdenklich. Wenn man den Ring verfolgen kann und weiß, wo sein Träger sich in jedem Augenblick aufhält, ist jede Bewegung dieses Trägers eine Landvermessung. Und falls der Ring mehr als nur seine Position verriet, auch die Bedingungen der Umgebung, selbst wenn es nur in gröbster Weise war, benötigte man die Aufzeichnungen nur noch als Bestätigung der bereits über den Ring erfolgten Beobachtungen.
Das Ganze stank nach tharyngischer Thaumaturgie. Norillische Magie baute auf langer Tradition auf, und die norillischen Magier gehörten zu den besten der Welt. Es war die norillische Magie, auf der die gefürchtete Schlagkraft der königlichen Armee beruhte – die Fronteinheiten der Königin suchten im Feld ihresgleichen.
Nach der tharyngischen Revolution, die der Wissenschaft die beherrschende Stellung im Universum eingeräumt hatte, war die Magie zu einem Studienfeld wie jedes andere geworden. Die Ryngen waren von denselben Traditionen wie Norisle ausgegangen, hatten sich jedoch an eine systematische Untersuchung der Magie gemacht, um deren Grundprinzipien zu erforschen. Viele Norillier betrachteten das als Zeitverschwendung, und die von den Tharyngen veröffentlichten neuen Prinzipien wurden verlacht, da allgemein bekannt war, dass sie nur Unsinn sein konnten.
So war kein Zweifel daran möglich, dass zum Wirken von Magie eine Berührung notwendig war. Die Überlieferungen strotzten nur so von Geschichten über Magier, die von einem Speer durchbohrt wurden, oder von Wahrsagern, die in Knochen lasen und feststellten, wem sie im Leben gehört hatten. Bis zu den Tharyngen hatte nie irgendjemand gefragt, wie diese Knochen dieses Wissen enthalten konnten. Sie erklärten es mit den sogenannten Gesetzen der Ähnlichkeit und der Übertragbarkeit. Kurz gefasst besagten sie, dass alles, was sich im Aussehen ähnelte, eine Verbindung besaß, und eine ähnliche Verbindung bestand zwischen allem, was sich eine Weile nahe gewesen war.
Das würde bedeuten, dass eine Verbindung zwischen dem Ring und dem daraus entnommenen Metallspan bestand. Die Tradition, in der Prinz Vladimir die Magie erlernt hatte, lehrte, dass diese Verbindung zu schwach war, um irgendeinen praktischen Wert zu besitzen. Allerdings regten sich in ihm mittlerweile Zweifel. Die Shedashie waren allem Anschein nach in der Lage, solche Verbindungen zu lesen, und falls er Kapteyn Radbands Bericht glauben durfte, taten sie es ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Und falls Radband das bemerkt hatte, warum sollte das nicht auch einem Tharyngen aufgefallen sein, der seine Landsleute dazu brachte, die sich daraus eröffnenden Möglichkeiten zu erforschen?
Schlimmer noch, der Brief enthielt Hinweise auf Nekromantie. Keiner der Laureaten unterstützte Todeszauber, und viele lehnten sie ausdrücklich ab, aber das hieß nicht, dass es sie nicht gab.
Der Prinz lehnte sich zurück. Falls du Malphias nach Mystria gekommen war, um so widerwärtige Zauber zu erforschen oder einzusetzen, dass seine Landsleute ihn in ihrer Heimat nicht duldeten, war die Lage wirklich schlimm. Und sie konnte nur noch schlimmer werden.