ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
14. Mai 1763
Sankt Fortunas
Gottesgaben, Mystria
Kaum hatte sich die Lederplane hinter Msitazi geschlossen, da schaute Owen hinüber zu Kamiskwa. »War es Eurem Vater ernst, als er anbot, eine Eurer Schwestern bei mir schlafen zu lassen?«
»Das Angebot war absolut ehrlich, Kapteyn. Ihr seid ein Krieger. Ihr habt Ungarakii getötet. Ihr seid ein mächtiger Besucher aus einem fernen Land. Es wäre eine Beleidigung gewesen, Euch mit weniger abzuspeisen.«
Nathaniel grinste. »Und Msitazi ist ein schlauer Bursche. Wenn Ihr einer seiner Töchter ein Kind gemacht hättet, wäre das ein mächtiger Magier geworden.«
Owen rieb sich durchs Gesicht. »Ich entsinne mich an unser Gespräch darüber, doch das ist mir so fremd …«
Kamiskwa klopfte ihm auf die Schulter. »Eure Regeln passen zu Eurem Land, Kapteyn. Die unseren sind für unser Land gemacht. Respekt ist ehrenvoller als Verständnis, und Höflichkeit schlichtet Missverständnisse.«
Bevor sie die Unterhaltung fortsetzen konnten, kehrte Msitazi zurück und nahm wieder Platz. Er reichte Owen eine Tasche, wie sie die beiden anderen benutzten. Die Tasche selbst und auch die Verschlusspatte waren mit Perlen und Muschelstücken bestickt. Die Stickerei bildete einen Bären ab, der an einem Baum die Krallen wetzte.
»Niemand soll Msitazi vorwerfen können, er ließe einen Freund nackt zurück. Ihr werdet hier drin Kleidung und Mokassins finden. Es sind die Sachen, die ich vor Jahren trug, als ich den Lanatashie meine erste Frau stahl. Ich benahm mich nicht wie ein Feigling, der sich in ein Lager einschleicht und wieder verschwindet wie ein Wiesel. Ich verhielt mich wie ein Mann. Ich ging zu ihr und nahm sie bei der Hand, und ich führte sie heim. Es kamen Männer, um sich mir in den Weg zu stellen. Ihre größten Krieger waren unter ihnen, doch niemand konnte mir ihre Hand entreißen.«
Owen strich mit der Hand über die Tasche. »Ihr ehrt mich sehr, Msitazi, doch diese Sachen sollten an Euren Sohn gehen.«
»Mein Sohn braucht nichts von meinem Ruhm. Er gewinnt seinen eigenen.« Msitazi schmunzelte. »Was er braucht, sind gute Freunde, und in dieser Kleidung wird man Euch als einen erkennen.«
Owen legte die neue Kleidung an. Die Beinlinge, die Mokassins und das Hemd waren aus so fahlem Rehleder, dass es beinahe weiß schien. Ein weiterer Bär aus Perlenstickerei verzierte die Brustpartie, Ärmel und Beine waren mit Fransen verziert. Das Leder lag sehr weich und warm auf der Haut. Darin fühlte er sich noch mehr als Teil Mystrias.
Zum ersten Mal war er gezwungen, einen Lendenschurz zu tragen. Es war nicht sonderlich schwer, ihn passgenau anzulegen, und er benutzte seinen eigenen Gürtel. Er zupfte daran herum, bis der Schurz vorn und hinten gleich lang herabhing. Dass das Leinentuch mit einem breiten blauen Streifen in der Mitte und roten Streifen an den Seiten verziert war, gefiel ihm. Dadurch glich es der Frontpartie seiner Uniformjacke.
Mit der anderen Kleidung veränderte sich auch das Verhalten der Altashie ihm gegenüber. Die Kinder starrten ihn immer noch an, aber jetzt mehr aus Staunen über die ihm erwiesene Ehre denn als Reaktion auf sein ungewohntes Aussehen. Dasselbe kleine Mädchen, das schreiend davongelaufen war, kam und saß still neben ihm, während er in sein Tagebuch schrieb. Sie spielte mit zwei Puppen aus Stoff und Maisblättern. Ab und zu schaute sie hoch und lächelte. Offensichtlich fühlte sie sich in seiner Nähe sicher.
Wieder fiel ihm der Gegensatz zu seinem eigenen Volk auf. Er erinnerte sich an einen großen Ball zu Ehren des siebzigsten Geburtstags einer verwitweten Tante. Obwohl sein Stiefvater ihn damals noch nicht adoptiert gehabt hatte, war die Anwesenheit für ihn Pflicht gewesen. Er hatte einen ordentlichen Maßanzug erhalten und eine gekonnt vorbereitete und gepuderte Perücke. Er hatte sogar ein paar rudimentäre Tanzstunden durchlitten, auch wenn der Tanzlehrer ihm nach einer Weile mitgeteilt hatte, er sei ein hoffnungsloser Fall und solle sich mit einer imaginären Kriegsverletzung entschuldigen, um nicht tanzen zu müssen. »Irgendein Krieg, wo auch immer.«
Und obwohl er der Königin in einer Reihe von Konflikten ehrenvoll gedient hatte, hatten die Damen ihn angestarrt und sich hinter vorgehaltenen Fächern über ihn lustig gemacht. Männer waren herübergekommen und hatten ihn begrüßt, hatten bedeutende Namen fallen gelassen und sich mit ihrem Verhalten und ihren Anspielungen ebenfalls eindeutig spöttisch verhalten. Er spielte den Dummkopf und verspürte eine gewisse Befriedigung, weil keiner von ihnen sich bewusst machte, dass er unmöglich seine Aufgaben hätte erfüllen können, wenn er wirklich so begriffsstutzig gewesen wäre, wie sie glaubten. Das allerdings war der einzige hauchdünne Silberstreif am düsteren Horizont der Ausgeschlossenheit.
Und dann war Katherine aufgetaucht. Sie war jung gewesen und sehr hübsch, gerade auf dem Weg von der Backfischzeit zur Frau. Sie hatte das dunkle Haar aufgesteckt getragen, aber drei Locken frei gezupft. Die damalige Mode hatte zwei freie Locken diktiert, aber sie hatte sich der Konvention widersetzt.
Sie war einmal an ihm vorbeigeschwebt, und ihre braunen Augen hatten ihn über den Spitzenrand des Fächers gemustert. Dann war sie in ihrem beigefarbenen Ballkleid zurückgekehrt und hatte den Fächer mit einem leisen Knall auf ihrer behandschuhten Hand geschlossen. »Ich hoffe, Ihr seid bereit, mich zu retten, Lieftenant.«
»Verzeiht, Fräulein …«
»Katherine Litton. Meine Großmutter war die beste Freundin Eurer Tante. Ich lebte bei ihr, seit meine Eltern, beide Missionare, im Punjar an der Cholera starben.«
»Mein Beileid zu Eurem Verlust, Fräulein Litton.«
Sie beugte sich ihm entgegen und duftete süß nach Apfelblüten. »Ihr müsst mich retten. Bald wird man zum Tanz aufspielen, und Percy Harlington hat bereits geschworen, jeden Mann zu töten, der mich auf die Tanzfläche führt. Das macht mir Angst, und ich bitte Euch, mich auf einen Spaziergang durch die Gärten zu begleiten, um mich zu retten.«
Später – nachdem Katherine und er geheiratet hatten – hatte Owen herausgefunden, dass sie bei Tänzen und anderen gesellschaftlichen Ereignissen in der Regel keineswegs so zurückhaltend war. Sie tanzte und plauderte gern, und wenn sie den neuesten Klatsch erfuhr, ertönte ihr helles Lachen hinter dem Fächer. Sie war allerdings niemals grausam, sondern stellte nur fest, wie jemand ganz und gar gegen die Gebräuche der feinen Gesellschaft verstoßen hatte. Soweit Owen das feststellen konnte, waren die Regeln für der Jahreszeit angemessene Kleidung weitaus komplexer und sehr viel unerbittlicher als die Militärgesetzgebung. Katherine jedoch beherrschte sie besser als jeder Anwalt und besserte seine Kleidung häufig nach, bevor sie zu einem vergnüglichen Abend aufbrachen.
In jener ersten Nacht waren sie eine Weile durch die Gärten spaziert und dann vor den Flügelfenstern stehen geblieben und hatten aus der Dunkelheit in den hell erleuchteten Ballsaal geschaut. Katherine hatte ihm lachend alles Mögliche über die anderen Gäste erzählt. Owen hatte erfahren, welche Männer unter den wütenden Blicken der jeweiligen Gattin mit ihren Geliebten tanzten, und schaute zu, wie eine wunderschöne junge Witwe drei leidenschaftliche Galane gegeneinander ausspielte. Dabei hatte Katherine ihm die Bedeutung von Details offenbart, die er zwar immer bemerkt, aber nie verstanden hatte. Mit ihr an seiner Seite war ihm diese Welt, die ihn von Beginn an zurückgestoßen hatte, plötzlich seltsam interessant und erfüllt von ungeahnten Abgründen der Heuchelei erschienen.
Und später hatte er auch erkannt, dass es Katherine um weit mehr gegangen war als um eine Rettung. Sie hatte ihm gesagt, mit seiner Höflichkeit an jenem Abend habe er sie bezaubert. Er war ihr Held gewesen, und dafür würde sie ihn immer lieben.
Katherine hat mich akzeptiert genau wie dieses kleine Mädchen, doch für die anderen in meinem Land bin ich immer der Außenseiter geblieben. Hier aber bin ich willkommen.
Er erwähnte nichts von den Erinnerungen an jenen Tanz in seinen Eintragungen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Altashie und den Wandel in ihrer Einstellung zu ihm. Dass Msitazi und Kamiskwa ihn als großen Krieger lobten bedeutete, die Altashie erkannten ihn an. Als er sich aufgemacht hatte, um ein paar Pflanzen auf der Liste des Prinzen zu suchen, waren ihm sechs Knaben gefolgt, waren im Gleichschritt mit ihm herumgegangen und hatten sich als Gruppe mit ihm hingehockt und studiert, was er studierte. Er hatte keinen Spott in ihrem Verhalten bemerkt, nur die Hoffnung, auch ein großer Krieger zu werden, wenn sie sich so verhielten wie er.
Als er das aufschrieb, lächelte er. Er stellte sich vor, wie Bethany die Worte las, mit den Fingern über die Seite strich, vielleicht ihren jüngeren Geschwistern einzelne Passagen vorlas, und andere Vater und Mutter. Er bezweifelte, dass sie viel mit Caleb teilen würde, und ebenso, dass Caleb sonderliches Interesse dafür entwickeln würde, was er zu sagen hatte.
Während die Schreibfeder über das Papier kratzte, kehrten seine Gedanken zu Katherine zurück. Ihre Blicke aus dem Augenwinkel, das gelegentliche Lächeln, die Art, wie sie seufzte und seine Hand nahm, laut von dem Tag träumte, an dem er aus der Armee ausschied und sie frei waren, so zu leben, wie sie es sich wünschten. Für all das liebte er sie, und für noch mehr. Ich kann es nicht erwarten, sie wieder im Arm zu halten.
Er kam ans Ende eines Absatzes und stieß einen lauten Seufzer voll Verlangen aus, sie wiederzusehen.
Die kleine Altashie schaute auf, las in seinen Zügen und reichte ihm eine ihrer Puppen.
Er lächelte über diese Freundlichkeit und bewunderte die Puppe, bevor er sie zurückgab. Und sie lächelte, als sei die ganze Welt in Ordnung, und dieses eine Mal, dachte Owen, nur für einen Augenblick, mochte sie damit sogar Recht haben.
Der Abend verstrich geruhsam. Die Lindwurmschuppen erfreuten den Häuptling. Er strich mit der Hand über sie und betrachtete die perlmuttglänzende Unterseite. Dann legte er sie wie Epauletten auf seine Schultern, und Owen vermutete, dass er sie dort bald dauerhaft befestigt wiedersehen würde.
Nach dem Essen, einem Eintopf aus Wild und Gemüse, beschäftigte sich Owen, indem er die Muskete und die Pistole säuberte und ölte, während er schweigend das Treiben beobachtete. Das Leben bei den Zwielichtvölkern war alles andere als hektisch. Zum größten Teil wirkten sie guter Dinge. Sie lächelten und summten vor sich hin, während sie arbeiteten. Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn ein Kind weinte, kam ein Erwachsener und brachte alles wieder in Ordnung.
Von Kamiskwa bekam er nicht viel zu sehen, aber Nathaniel Wald folgten drei Kinder, wohin er auch ging. Die beiden Knaben ähnelten einander wie Brüder und waren beide noch keine zehn. Das dritte Kind, ein kleines Mädchen, wirkte nur ein paar Jahre älter als die Kleine, die sich mit Owen angefreundet hatte. Die drei kamen ganz gut miteinander aus, und die beiden Burschen nahmen Rücksicht auf die Bedürfnisse des Mädchens.
Nathaniel spielte ein wenig mit den Kindern, lachte und scherzte mit ihnen, bewunderte, was sie ihm zeigten. Er ließ das Mädchen auf seinem Schoß sitzen und zerzauste den Buben das Haar. Auch wenn Owen kein Wort verstand, schloss er aus Gesten, Pantomimen und Knurrgeräuschen, dass Nathaniel ihnen eine Geschichte über die Jagd auf einen Geopahren erzählte. Andere Kinder blieben stehen, um im zuzuhören, und die begeisterten Gesichter ließen vermuten, dass es sich um eine alte und beliebte Geschichte handelte.
Owen fiel auch auf, dass er einige Zeit mit zwei bestimmten Altashie-Frauen verbrachte, sowohl gemeinsam als auch einzeln. Nach den Stickereien und Motiven auf ihren Kleidern hatten sie Nathaniels Kleidung, Gewehrhülle und Taschen hergestellt. Außerdem vermutete Owen, dass sie mit Kamiskwa verwandt waren, denn ihre Kleidung wies Bärentatzenmotive auf. Vom Alter her konnten sie durchaus seine Schwestern sein.
Und da die drei Kinder eine etwas hellere Hautfarbe hatten als die anderen im Lager, schloss er darüber hinaus, dass sie Nathaniels Nachkommen sein konnten. Die frühere Unterhaltung über die Heiratsbräuche der Altashie hinderte ihn daran, in Wald einen notorischen Schürzenjäger zu sehen. Die Art und Weise, wie er mit den Frauen umging, deutete Nähe an, und dieser Nähe fehlte die für Wüstlinge typische Aggressivität.
Als sie am Abend beisammensaßen und Patronen drehten, wendete er sich zu Wald um. »Die Kinder sind Eure, von diesen Frauen.«
»Die Buben sind von Naskwatis und das Mädchen von Gwitak. Zehn, acht und fünf.« Nathaniel schüttelte den Kopf. »Und wir sind nicht verheiratet. Wenn Ihr mir jetzt erzählen wollt, dass ich dafür in die Hölle fahre, spart Euch den Atem und rettet Eure Zähne.«
Owen maß Schwefel ab. »Liebt Ihr sie?«
»Die Kinder, ja. Ihre Mütter, sicher, aber nicht so, wie man es in Norisle versteht. Liebe ist ganz schön für hübsche Geschichten und Lieder. In der richtigen Welt ist nicht viel Platz dafür.« Nathaniel schaute sich im Dorf um. »Ihr wisst, das Altashie-Wort für Liebe – romantische Liebe – ist dasselbe wie für Wahnsinn. «
»Ich dachte, das sei ihr Wort für Habgier.«
»Ein und dasselbe. Romantische Liebe ist Habgier der Gefühle. Lust verstehen die Altashie. Eltern- und Kinderliebe verstehen sie auch. Nur das Einem-einzigen-Menschen-verfallen-Sein ist für sie verrückt.«
»Aber sie erlauben die Heirat.«
»Garantiert Kinder mit starker Magie.«
Owen warf einen Blick hinüber zu den Müttern von Nathaniels Kindern. »Und sie wollten Eure Magie?«
Wald nickte.
»Das hat sicher etwas damit zu tun, warum man Euch ›Zauberfalke‹ nennt?«
Sein Gegenüber drehte die Enden des Patronenpapiers ein und steckte es in die Tasche. »Solltet nicht zu viel auf die Geschichten geben, die man in Port Maßvoll erzählt.«
»Vor Sankt Fortunas habe ich diesen Namen nicht gehört.«
Überrascht zog Nathaniel eine Augenbraue hoch. »Bethany Frost hat Euch nicht zugeplappert?«
Owen konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. »Es war deutlich, dass sie Euch nicht ausstehen kann, doch sie hat nichts Schlechtes über Euch erzählt. Sie hat mich nur vor Euch gewarnt. Wart Ihr ein schlechter Einfluss auf ihren Verlobten?«
»Ira, nein. War ein guter Mann. Hab ihn nicht näher gekannt. Ein echter Glückspilz. Starke Magie in ihm. Hab erst einen Mann getroffen, der stärker war. Hab Ira immer gemocht. Schade, dass er tot ist.«
Owen nickte, dann schaute er Nathaniel von der Seite an. »Warum nennen sie Euch ›Zauberfalke‹?«
Der Mystrianer klopfte ihm auf die Schulter. »Ihr habt schon ein paar Kämpfe hinter Euch? Habt die Leute tolle Kriegsgeschichten erzählen hören?«
»Allerdings.«
»Ist bloß ein anderes Wort für Lügen.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Da waren ein paar Leute, die es nötig hatten, umgebracht zu werden. Hab ihnen den Gefallen getan. Leute, die nicht dabei waren, haben eine Menge Aufhebens davon gemacht.«
Owen fühlte einen leisen Schauder. »Doch dieser Zwischenfall weckte das Interesse an Eurer Magie?«
Nathaniel nickte zögernd. »Die Zwielichtvölker verstehen, wie die Dinge wirklich laufen. Gibt nichts Besseres als eine Frau, um einen Mann wieder auf die Beine zu bringen. Kinder auch. Habt Ihr welche?«
»Nein.«
»Ein kräftiger Bursche wie Ihr?«
»Meine Gemahlin ist jung. Wir haben noch genügend Zeit dafür.«
»Tatsache.« Nathaniel drehte eine weitere Patrone. »Werdet wohl damit anfangen, wenn Ihr wieder daheim in Norisle seid und wir nur noch eine Abenteuergeschichte in einem Buch sind.«
»Ich bin nicht hierhergekommen, um Abenteuer zu erleben. « Owen runzelte die Stirn. »Ich kam, um meine Pflicht zu erfüllen.«
Nathaniel kicherte. »Und Eure Frau hat nicht erwähnt, wie Ihr dabei reich werden könnt?«
Wut stieg in Owen auf. »Sie liebt mich. Sie will das Beste für mich, so wie ich für sie. Die Altashie mögen Liebe für Wahnsinn halten, aber ich tue es nicht. Habt Ihr jemals jemanden geliebt? «
»Schätze mal, Kapteyn Radband, über diesen Punkt werden wir keine Worte mehr verlieren. Hatte nicht vor, Euch mit der Bemerkung über Eure Frau zu beleidigen. Ein bisschen ärgern vielleicht, aber nicht beleidigen. Ihr habt Eure Wahl getroffen, und ich meine. Sich darüber das Maul zerreißen bringt gar nichts.«
»In Ordnung. Keine Feindschaft.«
»Was Ihr nicht vergessen dürft, Kapteyn Radband: Ist eine ganz neue Welt hier. Was die sich denken auf der anderen Seite des Ozeans, das spielt hier überhaupt keine Rolle. Norillische Traditionen funktionieren, sicher, aber in einem alten Land.«
»Einem alten Land?«
Nathaniel nickte. »Die Norillier sind seit etwa zweihundertfünfzig Jahren in Mystria, richtig?«
»Das kommt hin.«
»Eure Familie nun, die Eures Stiefvaters. Die gibt es schon lange?«
»Sie geht vor die Zeit der Invasion zurück. Acht Jahrhunderte. «
»Und davor gab es das Remische Weltreich, dann die Mohammadianer und die Haxier. Eine ordentlich lange Zeit.«
»Richtig.«
»Und all die Könige und Kaiser haben eine ewig lange Zeit um dasselbe Land gekämpft. Sie haben sich Regeln ausgedacht. Sie sorgen für Frieden, wenn sie Frieden wollen. Sie führen Krieg, wenn sie Krieg führen wollen. Alles, weil sie nur ein kleines Land haben, das jeder für sich will.«
Wald breitete die Arme aus. »Mystria ist ein großes Land. Größer, als Ihr Euch vorstellen könnt. Wir sind gerade zehn Pfade von der Küste entfernt. Mystria reicht noch dreihundert Pfade westwärts. Vielleicht sogar fünfhundert, nur Ost nach West, und genauso viele Nord nach Süd. Niemand weiß es genau. Weil noch niemand den ganzen Weg geschafft hat. So groß ist es. Und all die Regeln, die Leute auf einem kleinen Stück Land zufrieden halten, die bedeuten hier draußen gar nichts. Die Regeln sind so wertlos wie ein Gesetz, das der Sonne das Scheinen verbieten will.«
»Ihr findet also, Mystria sollte unabhängig werden.«
Wald grinste. »Wäre eine Überlegung. Könnte eine gute Idee sein, hier nicht alles zu verderben.«
Owen verzog das Gesicht. »Ihr findet, die Leute sollten tun dürfen, was sie wollen? Keine Regierung? Keine Autorität?«
Wald tippte sich an die Schläfe. »Das hier ist ein Land für starke Menschen. Man hat ein Recht auf das, was man kann, was man schafft. Und ein wunderschönes Land. Gebt mir Kugeln, Pulver, einen Feuerstein und ein paar Fallen, dann kommen ich und die Meinen gut aus. Was ich nicht selbst bauen kann, tausche ich ein. Dafür brauche ich kein Geld, keine Steuern, auch keine Wachen oder sonst wen, die mir sagen, was ich darf und was nicht.«
»Aber was ist, wenn jemand kommt und sich das nehmen will, was Ihr habt? Ihr wollt doch wohl nicht behaupten, er hätte ein Recht darauf, wenn Ihr nicht stark genug seid, es zu behalten. «
»Niemand hat einen Grund, zu kommen und sich zu holen, was mir gehört. Gibt so viel freies Land hier. Er kann sich einfach irgendwo niederlassen und sein Eigen aufbauen.«
»Und wenn er dazu zu faul ist? Was, wenn er nicht weiterziehen will? Wenn er sich entschließt, sich das zu nehmen, was ein anderer schon aufgebaut hat, der schwächer ist als er? Wenn er plündern und marodieren will?«
»Schätze, dann fängt er sich eine Musketenkugel ein.«
»Und falls der Schütze einen Fehler macht und das falsche Ziel trifft?«
Nathaniel zuckte die Achseln. »Will nicht behaupten, es wäre alles perfekt. Nur, dass keine Regierung kommen und dir alles wegnehmen soll, wofür du gearbeitet hast, bloß weil ein paar Wähler irgendwo das so wollen. Jetzt werdet Ihr sagen, dafür gibt es Gerichte. Und ich würde Euch Recht geben, wenn Ihr mir zusagen könnt, dass ein wenig Gold hier und da keinen Richter umstimmen kann.«
Owen lachte. »Ich werde nicht behaupten, das derzeitige System sei vollkommen, doch zumindest ist es ein System. Was Ihr vorschlagt, ist nur eine Mögichkeit für jedermann, allein zu sterben.«
»Mag sein, Ihr habt Recht, Kapteyn Radband.« Nathaniel schüttelte den Kopf. »Aber ich schätze, manchmal wäre das gar nicht so schlecht.«