ZWEIUNDVIERZIGSTES KAPITEL
15. Oktober 1763
Amboss-See, Neu-Tharyngia
Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, Nathaniel hätte lachen müssen. Die Schneeschuhe unter die Füße geschnallt, segelte Friedensreich mit riesigen Schritten und Sprüngen den Hang hinab. Seinen Bärenfellmantel hatte er bis zur Hüfte abgestreift, und die Ärmel flogen durch die Luft. Er sah aus wie eine vierarmige Alptraumkreatur.
Kamiskwa und Nathaniel folgten ihm, so schnell es ging. Der Altashie bog ein gutes Stück über der Stelle, an der Friedensreich angehalten hatte, nach links, Nathaniel schwenkte zwei Schritte später westwärts. Auf parallelen Bahnen liefen sie durch den Wald auf das Ufergelände zu.
Vor ihnen ertönten weitere Schüsse, näher diesmal. Die drei rannten los. Aus der Ferne hörten sie Stimmen. Was sie sagten, war nicht zu verstehen, aber die Satzmelodie war tharyngisch. Dann bogen sie um einen Hügel, und eine Salve aus drei Schüssen krachte. Das Mündungsfeuer zeigte einen Infanterietrupp in blauen Uniformröcken durch den Schnee einen Hang emporstürmen, gefolgt von über einem Dutzend zerlumpter Pasmortes.
Nathaniel hob das Gewehr, zielte und trieb die Magie in den Feuerstein. Auf vierzig Schritt bei Nacht war es selbst im Mondlicht ein schwieriger Schuss, aber die tharyngischen Soldaten zeichneten sich vor dem Schnee deutlich als schwarze Silhouetten ab. Seine Waffe spie Feuer und Metall. Ein Mann auf halber Höhe des Abhangs, der gerade gelassen die Muskete nachlud, grunzte und brach zusammen. Schnee wirbelte auf und legte sich über seine Leiche.
Links und rechts von Nathaniel feuerten seine Begleiter. Ein Soldat schrie auf. Offenbar war es kein sofort tödlicher Treffer gewesen, denn er schrie immer weiter. Zwei Mann erwiderten das Feuer, ein Schuss traf den Baum, hinter dem Nathaniel in Deckung gegangen war. Die Kugel schlug zu hoch ein. Die Ryngen schossen ungezielt. Dann brüllte jemand einen Befehl, und die ryngischen Soldaten stellten das Feuer ein.
Nathaniel ignorierte die Blauröcke und ging in die Hocke. Er betätigte den Hebel, der die Feuersteinhalterung ausklappte, lud nach und schloss den Mechanismus wieder. Dann lugte er um den Baum, sah noch immer zwei Silhouetten am Hang, und Pasmortes im Anmarsch.
»Denkt daran, der Prinz will eins von den Viechern.«
Friedensreich lachte. »Ich werd’ versuchen, ihm ein Stück aufzuheben.«
Nathaniel zielte und schoss. Ein Pasmorte hetzte auf allen vieren vorwärts. Die Kugel erwischte ihn in der Brust, als er sich zum Sprung hob. Der Treffer richtete ihn fast wieder senkrecht auf, dann kippte er auf den Rücken, mit wild zum Himmel zuckenden Armen und Beinen.
Ein einzelner Schuss antwortete ihm und sprengte Rinde vom Stamm. »Vorsicht. Einer hat eine Waffe.«
»Bei dem Felsen.« Kamiskwa deutete genau nach Westen, dann hob er die Muskete und feuerte. Der nächste Pasmorte ging in einer Schneewolke zu Boden. Der Altashie duckte sich zurück in Deckung, machte sich aber nicht die Mühe nachzuladen. Stattdessen zog er seine Kriegskeule.
Friedensreich schoss. Nathaniel war damit beschäftigt, das Gewehr neu zu laden, und sah nicht, ob der Hüne einen Treffer erzielte oder nicht. Er stand auf, nahm den Felsen ins Visier, und als er eine Bewegung sah, schoss er. Was auch immer sich bewegt hatte, regte sich nicht mehr, aber das spielte keine sonderliche Rolle.
Die Pasmortes hatten sie erreicht.
Kamiskwa schrie, so laut er konnte, und sprang hinter dem Baum vor, die Kriegskeule hoch erhoben. Sein erster Hieb zertrümmerte einen Schädel, der zweite erwischte einen Pasmorte in der Brust. Rippen krachten, und die Kreatur wurde ins Unterholz geschleudert. Der Altashie stampfte mit wirbelnder Keule vorwärts, statt abzuwarten, bis weitere Gegner in Reichweite kamen.
Friedensreich watete ebenfalls ins Gefecht und benutzte die am Lauf gehaltene Muskete als Keule. Er hieb sie nach unten und schlug einen Schädel ein, dann hebelte er die Leiche beiseite. Zwei weitere Kreaturen stürzten sich auf ihn, weniger gezielt denn aus Zufall. Eine erschlug er mit der Flinte, aber die andere sprang ihn an und verbiss sich in seinem Oberschenkel. Der Riese brüllte auf, ließ die Waffe fallen und riss das Ding von seinem Bein. »Zurück in die Hölle mit dir!« Wie ein Avatar der Rache hob er den Pasmorte in die Höhe, dann rammte er ihn nach unten und brach ihm über seinem Knie das Rückgrat.
Zwei der Geschöpfe griffen Nathaniel an, aber der Schnee behinderte sie. Der Waldläufer trieb einem der beiden sein Beil in den Schädel, dann wich er dem anderen aus. Er schlug ihm den Gewehrschaft ins Gesicht, und er stürzte, wenn auch nur für einen Moment. Die Kreatur kratzte weiter am Schnee. Er schlug noch einmal zu und zertrümmerte ihren Kopf.
Als er sein Beil aus dem Schädel des Ersten befreit hatte, war nur noch ein Pasmorte übrig. Er war einmal ein kleinwüchsiger Mann gewesen, den keiner der drei erkannte. In dem einen Auge, das ihm geblieben war, zeigte sich keine Spur von Bewusstsein. Stattdessen duckte er sich und zischte sie an wie eine Schlange. Er drehte sein Gesicht von einem Gegner zum nächsten, aber Friedensreich gelangte in seinen Rücken und warf ihm den Bärenfellmantel über den Kopf. Dann hob er das ganze Bündel auf und grinste. »Hab ein Geschenk für Euren Prinz.«
Nathaniel lud hastig nach. Kamiskwa holte sich die Muskete und folgte seinem Beispiel. Sie bewachten das Bündel, während Friedensreich seine Waffe ebenfalls aufhob und neu lud. Danach zog der Hüne mehrere Lederriemen aus einem Beutel. Er öffnete den Mantel ein wenig und fesselte die Knöchel des Pasmorte. Dann schlang er eine Schlinge um eine freie Hand. Er zog den Mantel aus, drückte den Pasmorte mit dem Gesicht in den Schnee und fesselte ihm die Hände. Das Geschöpf zischte immer noch, konnte sich aber kaum noch bewegen.
Friedensreich, der seinen Mantel inzwischen wieder angelegt hatte, zog das Ding an den Knöcheln hinter sich her, als sie sich dem Felsen näherten. Bevor sie irgendetwas sahen, hörten sie Atemgeräusche, mehr wütend als schwer. Kamiskwa ging den Hang hinauf und um den Felsen herum, dann winkte er Nathaniel.
Die Kugel hatte den Pasmorte hinter dem Felsen hoch im linken Brustkorb getroffen. Er hatte sichtlich Mühe, seine Glieder zu bewegen. Es machte fast den Eindruck, als sei er betrunken oder ein Schlafwandler, aber seine Augen standen offen, und als er Nathaniel erkannte, verzog er das Gesicht. »Das ist schon das zweite Mal, dass Ihr mich umgebracht ’abt.«
»Tu’s auch noch ein drittes Mal, Etienne Ilsavont.«
»Die Kugel ’ätte mir nicht schaden dürfen.«
Nathaniel grinste. »Sind besondere Kugeln. Prinz Vladimir hat das Blei um einen Eisenkern gegossen. Hat sich gedacht, wenn ihr aufgezaubert seid, zaubert das Eisen euch runter.«
Die Kreatur knurrte. »Die Soldaten werden sie finden, den Norillier und den Verräter, und sie werden sie töten, wisst ihr. Dann werden sie sich Euch holen.«
»Der Norillier? Owen?« Nathaniel hob den Kopf. »Friedensreich, Ihr bleibt hier.«
Kamiskwa hatte sich bereits umgedreht. Nathaniel folgte seinen Spuren und denen der ryngischen Soldaten, die sich den Hang hinaufgemüht hatten. Unterwegs kam er an der Leiche des Mannes vorbei, den er erschossen hatte. Sein Kamerad zitterte und maunzte nur noch leise. Seine Augen konnten nichts mehr fixieren, und der rote Schnee, in dem er lag, zeigte, dass sein Leben nur noch in Minuten zu messen war. Als Nathaniel über die Kuppe kam, fand er einen weiteren toten Ryngen. Kamiskwa war bereits am Fuß des Hügels.
Der am Boden kauernde Altashie schaute zu ihm auf. »Blut. Die Fährte führt dort hin.«
Nathaniel folgte seinem Zeigefinger. »Der sich windende Weg. Owen wusste es besser. Warum wäre er …?«
Kamiskwa stand auf. »Er wusste um die Gefahr und hoffte, seine Verfolger täten es nicht.«
»Wir müssen hinterher.«
»Nein.«
»Aber dein Vater hat ein Geschäft ausgehandelt. Sie könnten uns nichts tun.«
Der Altashie schüttelte den Kopf. »Mein Vater hat ausgehandelt, dass der Weg keine unschuldigen Opfer fordert. Betreten wir den Weg, verletzen wir bewusst den Vertrag.«
»Sie wollten Owen schon mal.« Nathaniel setzte sich in den Schnee. »Diesmal werden sie ihn nicht wieder ziehen lassen.«
»Ich fürchte, damit hast du Recht.« Kamiskwa wandte sich vom sich windenden Weg ab. »Heute haben wir einen Bruder verloren. Dafür wird der Herr der Wendigo einen teuren Preis bezahlen.«
Sie kehrten auf das Schlachtfeld zurück und köpften alle Toten, einschließlich der ryngischen Soldaten. Anschließend legten sie die Soldaten und einen Teil der Pasmortes in ein Batteau und stießen es hinaus auf den See, wo es nach Westen abtrieb, in der Hoffnung, dass die Strömung es in den Tosenden Fluss zog. Ihre beiden Gefangenen und die Munition der toten Soldaten luden sie in das andere Batteau und machten sich auf den Rückweg über den See. Zwei Tage später erreichten sie den Tillie und konnten ihn ein gutes Stück hinabfahren.
Bei den seltenen Gelegenheiten, als sie gezwungen waren, auszusteigen und das Batteau an Hindernissen vorbeizuschieben, machten vereiste Steine den Untergrund trügerisch, aber sie lernten dabei auch etwas. Der kleinere Pasmorte fiel in den Fluss und ertrank nicht, obwohl er fünf Minuten unter Wasser war. Und wenn die Sonne schien, waren beide Pasmortes merklich aktiver, auch wenn Etienne trotz allem sehr schwach und teilweise gelähmt blieb.
Sie kamen mit dem Batteau fast bis Hutmacherburg, versteckten es aber westlich der Stadt und bogen nach Süden ab, um den Ort zu umgehen. Dabei machten sie nur einen Abstecher zu Seth Pflanz und blieben gerade lange genug, um ihm zu sagen, wo sie das Boot verstaut hatten, und dass er es sich holen durfte. Danach zogen sie nach Süden, in der Hoffnung, unterhalb der Großen Fälle den Benjamin zu erreichen. Etiennes Unbeholfenheit bremste sie, also bauten sie eine Schlepptrage für ihn, wobei der Schnee sich sogar als Hilfe dabei erwies, ihn zu ziehen.
Die Gefährten machten einen Abstecher nach Sankt Fortunas, um Kamiskwas Vater von Owens Tod zu unterrichten. Sie schlugen ein eigenes Lager außerhalb des Altashie-Dorfes auf, in dem sie die Pasmortes sicher gefesselt zurückließen. Die Altashie betrauerten Owen in einer ernsten, ehrlichen Zeremonie und vergossen reichlich Tränen. Nur die kleine Agaskan bestand darauf, dass Owen ihre Puppe zurückbringen würde.
Die Zeremonie gestattete den Männern, sich auszuruhen, bevor sie weiterzogen. Wieder unterwegs, wollten sie die restliche Strecke so schnell wie möglich zurücklegen, aber das Wetter spielte nicht mit. Knapp über einen Monat nach dem Aufbruch vom Amboss-See lagerten sie unter den Großen Fällen und entzündeten ein loderndes Lagerfeuer. Sie erlaubten dem kleinen Pasmorte, sich daran zu wärmen. Die Reise hatte ihm schwer zugesetzt, und selbst das Feuer konnte ihn kaum beleben.
Friedensreich Bein sprach schließlich aus, was Nathaniel dachte. »Zischer macht’s nicht mehr lang.«
»Nee.«
Die ledrige Haut des kleinen Pasmorte war aufgeplatzt und rissig. Seine Fingerspitzen waren nur noch weiße Knochen, und eine seiner Wangen hing unter der leeren Augenhöhle lose herab. Und aus der Höhle trat etwas aus, fast wie Tränen, nur dass es schwarz war und widerlich stank.
Bein hockte sich neben ihn. »Irgend’ne Ahnung, was er hat?«
Nathaniel schüttelte den Kopf. »Hat gar nichts, außer dass er tot ist un’ so.«
Kamiskwa verzog das Gesicht. »Der Wendigo verlässt die Schwachen.«
Etienne lachte. Sein Mund klaffte weit auf und entzog sich offenbar seiner Kontrolle, was es recht schwierig machte, ihn zu verstehen. »Ih’ ve’shteht ga’ nichtsh. Du Mal’shiash könnt ihn ’eicht recharier’n. De’ Mann ’irkt ’under.«
»Is’ aber gerade nicht hier.« Nathaniel runzelte die Stirn. »Frag mich, ob die Magie wohl schwächer wird, je weiter er weg ist.«
Friedensreich grunzte. »Das würde Zischers Probleme erklären. Sieht für Euch dann auch nich’ gut aus, Etienne.«
Ilsavont lachte und bekam seinen Unterkiefer wieder etwas besser unter Kontrolle. »Er kommt bald genug. Über den Winter lässt er sich die Toten aus Kebeton schicken. Die wird er bis zum Frühjahr eingefroren lassen wie meinen Père. Dann wird er sie auftauen und die Festung fertig bauen. Und danach ’olt er sich Euch. Ihr werdet alle sterben, und dann werdet Ihr ihm ebenfalls dienen.«
Friedensreich schnaubte. »Der Liebe Gott wird wohl verhindern, dass es dazu kommt.«
»Narren. Du Malphias tut für uns, was Euer Gott für seinen Sohn getan hat. Der Unterschied ist, dass du Malphias nicht auf Erlösung aus ist, sondern auf ’errschaft, und die wird er bekommen. «
Am Morgen regte Zischer sich nicht mehr. Sie bauten einen Scheiterhaufen und legten ihn darauf. Friedensreich sprach ein paar Worte, und sie schauten zu, wie der Scheiterhaufen niederbrannte. Das hielt sie einen halben Tag lang auf, aber Nathaniel fand, dass sie Zischer oder zumindest dem Mann, der er einmal gewesen war, dies schuldig waren. Anschließend streuten sie seine Asche in den Fluss.
In zwei Kanus machten sie sich auf den Weg nach Port Maßvoll. Friedensreich übernahm freiwillig das Kanu mit Ilsavont. Sie fesselten den Pasmorte für den Transport und setzten ihn in den Bug. Nathaniel und Kamiskwa fuhren in der Regel ein Stück voraus, aber gelegentlich waren sie nahe genug, um Friedensreich mit dem Ryngen reden zu hören.
»Klingt, als wäre Friedensreich nich’ begeistert von Etiennes Gottlosigkeit.«
»Ilsavont die Zunge herauszuschneiden, wäre einfacher, als sein Fluchen zu ertragen.«
»Tja, schätze, der Prinz wird ihm ein paar Fragen stellen wollen. «
Seit Friedensreich sich angeboten hatte, ein Totengebet für Zischer zu sprechen, stieß Etienne einen endlosen Strom von Obszönitäten aus. Die Flüche spannten einen Bogen über mehrere Shedashie-Dialekte, norillisch, tharyngisch und ein paar andere Sprachen, die Nathaniel nicht erkannte. Friedensreich konterte mit Zitaten aus der Schrift, angefangen mit der Schöpfungsgeschichte. Ob er dabei alles korrekt zitierte, konnte Nathaniel nicht unbedingt behaupten. Er war sich zum Beispiel ziemlich sicher, dass kein remischer Gouverneur gedroht hatte, den Heiland zu erschießen. Aber die schiere Begeisterung in Friedensreichs Stimme ließ Nathaniel von entsprechenden Fragen absehen.
Nachts setzte Bein seinen Vortrag fort und meldete sich dafür freiwillig zur ersten Wache. Irgendwann hatte er Etienne dann so weit, dass er Nathaniel anbettelte, ihn umzubringen.
»Ach, ich schätze, du wirst schon sterben, mach dir deswegen mal keine Sorgen.« Nathaniel lächelte. »Prinz Vladimir, das is’ ein kluger Mann. Denkt mächtig viel nach. Er wollte, dass wir ihm einen Pasmorte mitbringen, und das tun wir auch.«
»Ihr seid ein Narr, Wald, wenn Ihr glaubt, er wollte wissen, wie man mich umbringen kann.« Etienne wirkte angewidert genug, um zu speien. »Ihr wisst selbst, wie. Den Schädel zertrümmern. Den Kopf abschlagen. Das wisst Ihr von meinem Vater.«
»Wozu will er Euch dann?«
»Um zu erfahren, wie er mehr von mir erschaffen kann.« Der Pasmorte schüttelte den Kopf. »Ihr haltet mich für dumm. Ihr glaubt, ich war schon immer ein Dummkopf, non?«
»Hast nie irgendwas getan, was viel Grips gebraucht hätte.«
»Aber ich ’abe Augen im Kopf, non? Oui. Überall Leute. Leute sterben. ›Was für eine Verschwendung‹, ’eißt es, wenn jemand jung stirbt. Aber du Malphias, er ’at Verwendung für sie. Leute verkaufen ihm ihre Toten. Er kann sie verwenden, um Wälder zu roden und Felder zu pflügen. Wir beschweren uns nicht, wir essen nicht viel, wir schlafen nicht. Und wenn einer von uns ausfällt wie mein kleiner Freund, dann nehmen andere seinen Platz ein.«
»Redet nur weiter, und ich weck’ Friedensreich.«
»Aber Ihr wisst, dass ich Recht ’abe. Ein Mann, er kommt ’ier ’eraus, er rodet Land für einen ’of, er bebaut ihn, er schafft sich ein Leben. Das ist gut, oui?«
»Das ist es.«
»Stellt Euch den reichen Mann vor, der die Toten kauft und für sich arbeiten lässt. Wenn der eine Mann eine schlechte Ernte ’at, leidet seine Familie. Er kann die Schulden nicht bezahlen, also kauft der reiche Mann seinen ’of. Er braucht keine Nahrung für seine Arbeiter. Er kann billig verkaufen und macht immer noch Gewinn. Aber das ist nicht das Schlimmste.«
Nathaniels Augen wurden schmal. »Ist das so?«
»Der reiche Mann, er fürchtet nur eine Sache. Den Tod. Und mon Sieur du Malphias kann dafür sorgen, dass er nicht stirbt. Wie viel würden Menschen dafür bezahlen, Wald, eh? Ihr könntet selbst in Versuchung kommen.«
Nathaniel schüttelte den Kopf. »Nicht mit Euch als Beispiel. Ich nehm’, was Gott mir gibt, und bin zufrieden damit.«
»Aber so viele andere sind das nicht, mon Sieur.« Etienne lächelte. »Bringt mich zu Eurem Prinzen. Lasst ihn meine Geheimnisse ergründen, und Ihr sorgt dafür, dass die Toten auf ewig über die Lebenden ’errschen werden.«
Damit schien Etienne sein Teil aufgesagt zu haben, was ganz gut war. Es ersparte Nathaniel die Mühe, ihm eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Es gefiel ihm gar nicht, was dieser Pasmorte über den Prinzen redete. Nathaniel glaubte kein Wort davon, aber der Rest klang plausibel. Nathaniel fiel es nicht schwer, eine Liste reicher Männer aufzustellen, die bereit wären, sich die Unsterblichkeit zu erkaufen, und Zachariah Wildbau stand auf ihr ganz oben.
Er schmunzelte und klopfte auf seinen Munitionsbeutel. »Schätze, ich werde mir zwei, drei Kugeln für einen guten Zweck zurücklegen.«
Am nächsten Tag setzten sie ihren Weg guter Dinge fort. Obwohl noch immer Schnee am Boden lag, war der Himmel klar, und die Sonne brannte heiß. Der Schnee auf den Bäumen schmolz allmählich, und von Süden her kam eine sanfte, warme Brise. Die Männer zogen die schweren Mäntel aus und benutzten die Paddel nur, um zu steuern. Es genügte ihnen, sich von der Strömung zu Prinz Vladimirs Landgut tragen zu lassen.
Nach zwei Tagen kam die Dampfsäule über dem Wurmstand in Sicht. Als sie um die letzte Biegung glitten, brachte Nathaniel sie auf Kurs direkt zum Landesteg des Gutes.
An Land standen zwei in Mäntel gehüllte Gestalten, und Magwamp schob mit der Schnauze den Schnee vor sich her. Nathaniel hob ein Paddel, und eine der Gestalten zeigte zu den Booten. Kleiner, mit goldenem Haar – das musste die Prinzessin sein.
Neben ihr hob der Prinz die Hände an den Mund. Er rief etwas, aber der Wind nahm seine Worte mit davon. Vladimir ging hinunter zum Steg.
Der Lindwurm hob den Kopf. Seine Nüstern blähten sich, sein Schwanz zuckte. Dann peitschte das Tier herum. Es war mit zwei schnellen Sätzen am Prinzen vorbei und brach durch das Ufereis. Sein Schwanz schlug aus und spritzte den Prinzen nass. Dann war er verschwunden. Nathaniel suchte den Fluss ab, sah aber nichts, bis der Lindwurm wieder auftauchte.
Magwamp stieg schnell und genau unter Friedensreichs Kanu an die Oberfläche. Die Schnauze des Tieres schleuderte das zerbrechliche Boot in die Luft und zerbrach es in zwei Hälften. Friedensreich fiel nach hinten. Der Pasmorte stieg, sich langsam überschlagend, senkrecht nach oben, beinahe träge, während er vergeblich gegen die Fesseln ankämpfte, die ihn banden.
Und Magwamp, der eine unglaublich lange Zeit in der Luft hing, öffnete das Maul und fraß Etienne Ilsavont mit einem einzigen Bissen.