SECHSUNDVIERZIGSTES KAPITEL
13. Mai 1764
Regierungshaus, Port Maßvoll
Mäßigungsbucht, Mystria
Ich bin sicher, Sire, Ihr befindet Euch im Irrtum.«
Lhord Rivendell drehte sich, immer noch breit grinsend, zur Türe um. »Nein, das bin ich nicht.«
Owen warf Kerzenzieher einen Blick zu, der ihn zurückweichen ließ, und trat in den Raum. »Die Frau, von der Ihr sprecht, ist meine Gemahlin. Ich bin sicher, Ihr befindet Euch im Irrtum, Sire.«
Langford, der bei Owens Anblick bleich geworden war, schob sich zwischen den Soldaten und Lhord Rivendell. »Wie schön, Euch wiederzusehen, Kapteyn Radband.«
Owen spießte ihn mit einem Blick auf. »Falls Ihr nicht plant, den Platz Lhord Rivendells in einem Ehrenhandel einzunehmen, Koronel, schlage ich vor, Ihr macht Platz.«
Graf von Metternin zog einen seiner Handschuhe aus und reichte ihn Owen. »Falls Ihr einen Sekundanten benötigt, Kapteyn, wäre es mir ein Vergnügen, diese Funktion zu übernehmen. «
Owen streckte die Hand nach dem Handschuh aus.
Rivendells Grinsen verblasste. »Könnte sein, dass ich mich irrte, Sire. Könnte durchaus sein. Die Seereise, ihr versteht, belastet die Sinne. So ist es doch, Langford, nicht wahr? Nicht wahr?«
»Ja, mein Lhord.« Langford nickte enthusiastisch. »War Todeskamms Hure nicht eine Gräfin aus Alandalus? Dunkles Haar, blaue Augen, feuriges Temperament? Eine große Frau.«
»Ich muss sagen, ich glaube wirklich, das war sie, Sire.« Rivendell verbeugte sich in Owens Richtung. »Ich bitte Euch um Vergebung, Sire, tief und aufrichtig.«
Owen ließ die Hand sinken. »Angenommen. Die Entbehrungen der Reise, ich verstehe.«
Als Rivendell sich wieder aufrichtete, hatte sich seine Laune grundlegend geändert, und Owen lief es eiskalt den Rücken hinunter. Er war dem jüngeren Rivendell nie zuvor begegnet, aber er hatte schon von ihm gehört. Rivendell führte gerne aus der Etappe, hasste es, in Reserve gehalten zu werden, befolgte Befehle nur, wenn es ihm gefiel, und ließ sich von seinem Vater schuldlos erklären, wenn er wieder einmal ein Desaster verursacht hatte. Er trieb Samstag Unzucht, besuchte sonntags die Messe und verbrachte den Rest der Woche damit, Intrigen zu schmieden.
Rivendell ging um das Modell herum und zwang Prinz Vladimir und den Grafen, ihm Platz zu machen. Owen stellte sich an die Nordostecke der Festung und rührte sich nicht, als er näher kam. Der neue Militärgouverneur wurde langsamer, dann hob er die Hand und klopfte sich mit einem Finger auf die Zähne.
»Ein formidables kleines Stück Nirgendwo, nicht wahr?« Rivendell deutete mit einer Kopfbewegung auf die kleine Festung am Südwestufer des Flusses. »Erst einmal, erst einmal, sage ich, nehmen wir das dort ein. Die Mauern bieten uns Deckung, unser Hauptquartier können wir in dem Bauernhof dort aufschlagen … Stimmt etwas nicht, Kapteyn?«
»Genau dort will du Malphias, dass Ihr angreift. Das ganze Areal lässt sich überfluten. Er wird der Festung eine Garnison aus Pasmortes geben. Euer Hauptquartier läge in Mörserreichweite der kleinen Festung.«
»Und das wisst Ihr woher, Kapteyn?«
»Ich habe die Situation studiert, während ich du Malphias’ Gefangener war.«
Rivendell nickte. »Koronel Langford hat es erwähnt. Eine heldenhafte Flucht und all das, nachdem er Euch gestattet hatte, die Festung nach Belieben zu erkunden.«
»Ich war nicht als sein Gast dort.« Owen schob das Kinn vor. »Er hat mich gefoltert.«
»Das hat er gewiss, Kapteyn. Das hat er gewiss. Und dann ließ er Euch entkommen, damit Ihr uns eine Lügengeschichte erzählt. Er hat Euch keine Ketten angelegt, er gab Euch einen Begleiter, der Euch beistand und bei der Flucht geholfen hat – obwohl ich Langfords Annahme teile, dass weder der Begleiter noch die Flucht wirklich existiert haben.«
»Ich bin nicht geflohen, Sire.«
»Nein, natürlich nicht. Ihr wurdet von ryngischen Händlern in Port Maßvoll abgeliefert. Betäubt, vermute ich. Ihr glaubt, Ihr wäret geflohen. Da niemand Eure Geschichte bestätigen kann, muss ich annehmen, dass sie nicht stimmt.«
Owens Miene verdüsterte sich. »Ihr stellt meine Ehre in Frage, Sire.«
»Ach, Kapteyn Radband, es besteht kein Anlass für Euch, so empfindlich zu sein. Es ist nicht Eure Schuld, dass ihr dem Feind unter der Folter alles verraten habt. Ich verstehe Euer Entsetzen, und dass es die Scham über diese Schande ist, die Euch dazu bringt, über Eure Erfahrung die Unwahrheit zu sagen, doch solltet Ihr Euch diese Frage stellen: Wäret Ihr an meiner Statt, würdet Ihr eine derart haarsträubende Erzählung ohne Bestätigung glauben?«
Prinz Vladimir trat einen Schritt näher. »Ich habe Euch angeboten, Zeugen beizubringen, Johnny.«
Rivendell wedelte den Vorschlag beiseite. »Einen Kolonisten und seinen treuen Begleiter. Angemessenes Futter für hysterische Romanzen, aber nicht angemessen, um die militärische Wissenschaft darauf zu stützen. Und ich bin bewandert in der militärischen Wissenschaft. Ich habe das Buch geschrieben. Gut, ich bin dabei, das Buch zu schreiben. Langford hat es gelesen. Guter Stoff, nicht wahr?«
»Ja, mein Lhord.« Langford lächelte höflich. »Es deckt alles ab, was Ihr von Villerupt gelernt habt, und noch mehr.«
»Und mehr, seht Ihr.« Rivendell lachte fröhlich. »Dieser Feldzug wird die Vollendung meines Werkes. Die Krönung meiner Laufbahn, zumindest bis zur nächsten. Oh, das ist gut. Notiert das, Langford.«
Vladimir neigte den Kopf. »Vielleicht wäret Ihr so freundlich, Johnny, uns mitzuteilen, was Euch dieses Modell sagt.«
»Aber selbstverständlich. Passt gut auf, Sires, und lernt. Selbst Ihr, von Metternin. Ihr werdet dankbar sein, nicht noch einmal gegen uns antreten zu müssen.« Rivendells Stock hob sich. Die Spitze deutete auf die Nordwand der Festung. »Formidable Befestigungen hier, mit Kanonen nicht einzureißen. Sehr viel offenes Gelände und Hindernisse. Der Fluss deckt natürlich seine südwestliche Flanke, doch hat er sich mit dieser Befestigung zu weit vorgewagt. Dies ist offensichtlich sein schwacher Punkt. Die Klippen am Seeufer sind unangreifbar.«
Der Prinz deutete ins Herz der Festung. »Und die internen Verteidigungsstellungen?«
Rivendell zuckte die Achseln. »Sind ohne jede Bedeutung. Ihr dürft nicht vergessen, dass dies Tharyngen sind. Sobald wir sie bombardieren, werden sie sich ergeben. So ist es jedes Mal.«
Owen machte ein überaus skeptisches Gesicht. Villerupt habe ich ganz anders in Erinnerung.
Vladimir nickte und verschränkte die Hände auf dem Rücken. »Und wie viele Männer habt Ihr für diese Aufgabe mitgebracht? «
»Eine ausgezeichnete Frage. Zwei Regimenter. Zwei Linienregimenter. «
Der Prinz seufzte. »1800 Mann.«
»Nein, ein berittenes Regiment, also sind es eher 1350, vorausgesetzt, sie haben die Überfahrt alle überlebt, ja? Ach ja, und eine Kompanie Kanonen. Das muss sein.« Rivendell lächelte zuversichtlich. »Ich habe die Einheiten persönlich ausgewählt. Kommandeure, die ich selbst als Schulkameraden hatte, alles ganz großartige Gesellen. Dies wird mehr als genug sein, das versichere ich Euch.«
»Eure Zuversicht freut mich.« In Vladimirs Stimme klang Verärgerung mit, doch sein Gesicht verriet nichts davon. »Ich sollte Euch informieren, dass ich ein Regiment hiesiger Miliz ausgehoben habe, Kompanien aus Sommerland, Gottesgaben, Mäßigungsbucht, Schwarzforst, Eichenland und Königinnenland. Darüber hinaus führt Major Forst eine Kompanie Feenlee-Scharfschützen her, und wir werden sie mit Männern aus dem Norden verstärken.«
»Gut, wir werden Pferdeknechte und dergleichen benötigen. Ausgezeichnete Planung von Euch.«
»Wenn Ihr mir gestatten würdet auszureden, Johnny.«
»Aber in jedem Fall, Hoheit.« Rivendell setzte zu einer erbeuten tiefen Verbeugung an, doch hätte er sich dabei das Gesicht am Festungsmodell angeschlagen, daher brach er die Geste ab und winkte stattdessen großzügig.
»Des weiteren verfüge ich über eine Kompanie Holzfäller und Pioniere, die in der Lage sein werden, Eure Truppen zu verstärken. « Der Prinz drehte sich um und ging zu seinem Schreibtisch, auf dem er die Karte des Amboss-Sees ausgebreitet hatte. »Wie ich bereits in meinem Bericht festgehalten habe, besteht die erfolgversprechendste Strategie für uns darin, hier, am Abfluss des Tillie, eine eigene Festung zu bauen.«
Rivendell schmunzelte, ohne sich die Mühe zu machen, sich der Karte zu nähern. »Das mag so erscheinen, Hoheit, doch Verteidigungskriege lassen sich nicht gewinnen. Man muss sie hart und noch härter treffen, so erringt man den Sieg. Wir werden zum ersten Juni dort sein, und zum ersten Juli wieder hier.«
Vladimir starrte ihn an. »Ist das Euer Ernst?«
»Absolut.«
Die Augen des Prinzen wurden schmal. »Lasst mich rekapitulieren, Johnny, um sicherzugehen, dass ich Euch richtig verstanden habe. Ihr habt meinen Bericht nicht gelesen. Langford hat Euch Auszüge vorgelesen, und die Teile, die Euch nicht gefielen, habt Ihr verworfen. Ihr habt zu wenige Männer dabei, und von denen ist ein Drittel Kavallerie, die in der Wildnis wertlos ist. Ihr erwartet, eine Reise von sechs Wochen in zwei Wochen zurückzulegen, ungeachtet des völligen Fehlens irgendwelcher Straßen, eine mit Gott allein weiß wie vielen und welcher Art Verteidigern besetzte Festung zu belagern, und vor August wieder zurück zu sein?«
»Ganz genau.« Rivendell hob die Hände. »Andere dachten bereits, es sei nicht zu schaffen, doch ich habe sie überzeugt. Mit Eurer Hilfe, Hoheit, könnten wir noch schneller fertig sein.«
»Ohne mystrianische Truppen werdet Ihr restlos scheitern.«
»Wir werden uns möglicherweise ein wenig verspäten …«
»Nicht darin scheitern, die Festung zu erreichen, sondern bei der Belagerung!« Der Prinz schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ihr hört mir überhaupt nicht zu.«
Rivendells Fröhlichkeit war auf einen Schlag wie weggeblasen. »Lasst mich zweierlei klarstellen, Prinz Vladimir. Ich bin, nach dem Willen des Parlaments und mit dem Segen Eurer Tante, der Militärgouverneur ganz Mystrias. Soweit es den militärischen Bereich betrifft, bin ich Euch übergeordnet, Sire. Zwingt mich nicht, zu erproben, wie weit meine Macht sich darüber hinaus in andere Bereiche erstreckt.«
Vladimir starrte ihn mit offenem Mund an. Dann schloss er ihn, langsam.
Rivendell stieß den gestreckten Zeigefinger in seine Richtung. »Zweitens, und dies ist noch wichtiger, werde ich auf keinen Fall mystrianische Truppen einsetzen. Ich bin über deren magere Fähigkeiten und völligen Mangel an militärischer Disziplin bestens im Bilde. Ich werde sie nicht ins Feld führen, weil ich ihnen nicht vertrauen kann. Ich werde die Tharyngen nicht dadurch beleidigen, ihnen solche Truppen vorzuführen.«
Graf von Metternin fasste Vladimirs Ellbogen. »Vielleicht, Hoheit, sollten wir Lhord Rivendell weitere Diskussionen ersparen. Sicherlich wird er nach der Überfahrt Erholung benötigen. «
Der Prinz nickte zögernd. »Natürlich. Wann können wir mit dem Herzog Todeskamm rechnen?«
»In zwei Wochen oder drei. Wir hatten eine Wette wegen der Überfahrt, wisst Ihr.« Rivendells Lächeln kehrte zurück. »Ich fühle mich tatsächlich etwas matt und werde mich zurückziehen. Vielleicht können wir später dinieren, Hoheit. Über einem Glas Wein und in einem Gespräch unter Ehrenmännern bin ich sicher, wir können diese Sache zu einem guten Ende bringen.«
»Ihr habt sicherlich Recht, mein Lhord.«
»So höre ich es gerne, nicht wahr?« Der Edelmann verbeugte sich erneut mit großer Geste und zog ab, Langford im Gefolge.
Der Prinz wartete, bis sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, dann vergewisserte er sich, dass sie tatsächlich fort waren. Er öffnete sie, schaute hinaus und schloss sie wieder. »Ich fürchte, Graf von Metternin, es wird sehr viel mehr brauchen als nur Orden, um Johnny zu beeindrucken. Wie Ihr beide es geschafft habt, Euch ausreichend zu beherrschen, um ihn nicht zum Duell zu fordern, weiß ich nicht. Ihr, Graf, nach seiner Bemerkung über den Feind, und Ihr, Kapteyn, nach der Beleidigung Eurer Gemahlin.«
Owen schüttelte den Kopf. »Ich ertrage Esel wie ihn schon mein ganzes Leben. Meine Gattin wäre enttäuscht von mir gewesen, hätte ich ihn aufgrund bloßer Gerüchte getötet.«
Die Augen des Grafen verengten sich. »Es gibt Momente, mein Freund, in denen diese Esel um den Tod betteln.«
Vladimir grinste. »Wie wahr.«
Owen senkte den Blick. »Das mag stimmen, doch ist er nicht der Erste, der aus Gehässigkeit und zu seiner Belustigung obszöne Andeutungen macht.«
Beide Männer schauten ihn an. Auf ihren Gesichtern standen gnädig unausgesprochene Fragen.
Er ließ den Kopf hängen. »Verzeiht mir, Sires, dies ist weder der Ort noch der Zeitpunkt dafür.«
»Ich bitte Euch, Owen, mir ist jede Ablenkung willkommen, bevor ich doch noch losziehe und diesen ignoranten Trottel fordere.« Der Prinz drehte einen der Stühle vor dem Schreibtisch um. »Setzt Euch. Kerzenzieher! Whiskey, sofort, eine Flasche und drei Gläser.«
Owen setzte sich und stützte traurig die Ellbogen auf die Schenkel. Seine Schläfen pochten. Kerzenzieher erschien mit einem Tablett, darauf Whiskey und die Gläser, das er abstellte und sich schnell wieder zurückzog. Der Prinz schenkte ein, und Owen starrte nur in das Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit. Als das Aroma ihm in die Nase stieg, wollte er lächeln, doch ihm fehlte die Kraft.
»Es ist nichts, worauf ich stolz wäre, Sires. Als meine Mutter Francis Ventnor ehelichte, war ich noch sehr jung. Ich verstand nicht, dass ich ein Bastard geworden war. Ich war das hässliche Stiefkind, das nicht verschwinden wollte. So ist es mit den Ventnors. Sie wollten mich nicht, aber sie bewachten mich auf das Heftigste. Ich war ihr Eigentum, ein Auslösling ohne Chance, jemals das Ende meines Vertrages zu erleben, und ahnte nichts davon. Während ich aufwuchs, hatten meine Vettern alles. Ich habe Euch bereits von dem Wurmwart erzählt, Hoheit, der mich aufnahm. Er leistete meiner Familie einen Dienst damit. Sie dankten es ihm, indem sie ihn hinauswarfen, sobald ich zum Militärdienst angetreten war. Das sagt Euch etwas über meine Familie. Sie schenkten mir nichts und versuchten, mir alles zu nehmen. Und sie hatten weitgehend Erfolg damit.«
Owen trank einen Schluck. »Dann fand ich Katherine, die mich um meiner selbst willen wollte. Und ich wollte sie. Wir vermählten uns, und während des Villerupt-Feldzuges folgte Katherine mir in den Krieg. Die Gattin meines Onkels blieb in Norisle. Wenn ich Dienst an der Front hatte und er ein gesellschaftliches Ereignis besuchte, lieh er sie aus. Ich hielt es für ausgesprochen freundlich von ihm. Sie liebte Gesellschaften und weinte vor Angst an meiner Schulter, wenn wir beisammen waren. Ich sagte mir, das fröhliche Treiben würde sie aufmuntern. Ich wollte, dass sie Freude hatte.«
Der Graf stieß ein angewidertes Schnaufen aus. »Und man hat Euch Dinge über sie und Euren Onkel erzählt?«
Owen nahm noch einen Schluck von dem Whiskey und genoss, wie er auf dem Weg seinen Hals hinab brannte. »Nicht über meinen Onkel, aber über alle anderen. Offiziere, die mich verachteten, hatten großes Vergnügen daran, Geschichten darüber zu erzählen, wie sie Katherine mit einem anderen im Bett gesehen hatten. Natürlich niemals sie selbst. Immer irgendein zurzeit nicht greifbarer Major von einem anderen Regiment, oder ein hübscher ausländischer Offizier.«
Der Prinz zog eine Augenbraue hoch. »Lügen, deren einziger Zweck darin bestand, Euch zu verletzen.«
Owen schaute auf. »Das ist mir jetzt auch bewusst. Eines Nachts jedenfalls trank ich zu viel und fand einen Mann, der dem Offizier in der letzten Geschichte ähnelte, die über sie die Runde machte. Ich … ich vergaß mich.«
Er betrachtete seine Hände, drehte die rechte um. Weiße, wurmähnliche Narben zogen sich über seine Knöchel. Die meisten davon hatte er im Kampf gegen die Tharyngen erworben, doch Owen sah in diesem Moment vor allem die, die er sich beigebracht hatte, als er einen anderen Mann besinnungslos geprügelt hatte.
»Ich wollte Katherine beichten, was ich getan, doch noch bevor ich dazu kam, sprach sie davon, wie sehr sie der Gatte einer Freundin anwiderte, der über ähnlichen Tratsch seine Gemahlin betreffend ein Duell ausgetragen hatte. Sie erklärte, er habe seine Frau entehrt, indem er den Gerüchten Glauben schenkte und zur Tat schritt. Sie klammerte sich an mich, so froh, dass ich niemals etwas so Schreckliches von ihr glauben würde.«
Owen musterte die Mienen der beiden anderen Männer. »Wie hätte ich es ihr danach noch erzählen können? Ich liebe sie und weiß, sie ist keine Hure. Also schwieg ich. Und schlussendlich habe ich diesen Auftrag angenommen, um etwas Großes leisten zu können, so groß, dass wir uns beide dadurch aus dem verderblichen Einfluss meiner Familie lösen können.«
Von Metternin lachte sanft. »Ihr solltet stolz auf Eure Zurückhaltung sein, Kapteyn. Ihr habt das Schlimmste in Euch besiegt und entschieden, ein hehres Ziel anzustreben.«
Prinz Vladimir schwenkte den Whiskey in seinem Glas. »Ihr seid noch bemerkenswerter, als mir bisher bewusst war, Kapteyn. Eure Gattin hatte Recht, und Eure Bereitschaft, Johnny eine Chance zur Flucht zu geben, spricht für Euren guten Charakter. Viele andere Männer töten aus falschem Ehrgefühl, und ihre Opfer sind nicht immer der wirkliche Feind. Ich fürchte, unser Johnny ist einer von ihnen.«
Owen kippte den letzten Rest seines Glases hinunter. »Wenn ich Euch so reden höre, Hoheit, frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, ihn zu töten.«
Vladimir seufzte. »Ich kann nur darauf hoffen, Kapteyn Radband, dass sich diese Eingebung nicht im Nachhinein als richtig erweist.«