SECHSTES KAPITEL
27. April 1763
Haus der Frosts, Port Maßvoll
Mäßigungsbucht, Mystria
Dass Caleb ihm Angst einjagen wollte, war offensichtlich, auch wenn seine Worte keineswegs diese Wirkung hatten. Falls es stimmte, was er sagte, war die Wildnis tatsächlich unerforscht. Insbesondere waren die Karten der Reitergarde daheim in Norisle wertlos. Sie enthielten offensichtlich keinerlei in irgendeiner Weise relevante Details. Jede mit ihrer Hilfe vorbereitete Strategie war zum Scheitern verurteilt.
Was meine Mission umso wichtiger macht.
Owen hob den Kopf, um Caleb eine Frage zu stellen, doch sofort fiel ihm zweierlei auf. Zum Ersten hatte sich an seinem Begleiter eine bemerkenswerte Verwandlung vollzogen. Caleb hatte sich aufgerichtet und bewegte sich rigider, nicht annähernd mehr so schlaksig und locker wie zum Zeitpunkt ihrer Begegnung. Auch hatte er sein Hemd in die Hose gestopft und die Jacke zugeknöpft. Er war sich mit den Fingern durchs Haar gefahren. Alles in allem wirkte er plötzlich wie ein Ehrenmann.
Zum Zweiten hatten sie ein Haus auf der Kuppe des Hügels erreicht, auf dem sich die Großzügigkeits- und die Tugendstraße trafen. Das Gebäude war aus Granitstein erbaut und die Ecken mit hellerem Stein abgesetzt. Es war von quadratischem Grundriss und drei Stockwerke hoch, mit einem Laufsteg um das Dach und einem Balkon über der Eingangstür. Das Dach war mit Schieferplatten gedeckt und besaß zwei Schornsteine. Die Hausfront blickte über die Bucht. Das ganze Haus war von einer Granitmauer umschlossen, und mehrere Büsche sowie zwei Bäume spendeten im vorderen Teil des Grundstücks reichlichen Schatten.
Caleb öffnete das große, aus zwei Flügeln bestehende Eisentor und winkte Owen herein. Ein Dienstbote kam um das Haus und die Auffahrt heraufgelaufen, um das Pferd anzunehmen. Er führte es hinter das Haus, wo sich vermutlich ein Stall und ein Schuppen befanden.
Owen zögerte. »Ein prachtvolles Haus.«
»Mein Großvater baute es.« Caleb ging die Eingangsstufen hinauf und öffnete die Tür. »Kommt.«
Erst als er das Ende der Treppe erreichte und die im Foyer vor der breiten Freitreppe in den ersten Stock versammelten Personen erblickte, wurde Owen sich bewusst, dass seine Uniformjacke mitsamt dem Pferd im Stall verschwunden war. Er zögerte auf der Schwelle, doch Caleb packte ihn und zerrte ihn weiter.
»Mutter, Vater, darf ich Euch Kapteyn Owen Radband von Ihrer Majestät Lindwurmreitern vorstellen? Kapteyn Radband, dies ist mein Vater, Doktorus Archibald Frost.«
Owen reichte Dr. Frost die Hand. »Es ist zu gütig von Euch, mich aufzunehmen, Sire. Verzeiht den Zustand meiner Uniform …«
Archibald, ein kleiner Mann von birnenförmiger Gestalt und mit glänzend roten Wangen, die gegen sein breites Lächeln keine Chance hatten, umfasste Owens Rechte mit beiden Händen und schüttelte sie begeistert. »Kein Grund, Euch zu entschuldigen, Sire. Es ist uns eine Ehre. Darf ich Euch meine Gattin Hettie vorstellen.«
Madame Frost erwies sich als das Gegenteil Ihres Gemahls, groß und schlank, ja, geradezu aristokratisch. Sie lächelte warmherzig, wenn auch nicht annähernd so überschwänglich wie ihr Gatte. »Es ist uns eine Freude, Euch begrüßen zu können, Kapteyn Radband.«
»Ihr seid zu gütig, Gnädigste.«
Doktorus Frost drehte sich um und stellte ein halbes Dutzend Kinder im Alter von dreizehn bis drei vor. Ihre Namen vergaß Owen wieder, kaum dass er sie gehört hatte. Caleb würde ihn ohne Zweifel zurechtweisen, wenn er gezwungen war nachzufragen. Er entschuldigte seine Unaufmerksamkeit in Gedanken damit, dass er noch immer unter dem Eindruck der Verwandlung des jungen Burschen stand, denn der Caleb, der ihn seiner Familie vorstellte, war ganz und gar nicht der, der ihn hierher geführt hatte.
Andererseits hätte er die Namen so oder so vergessen, denn am Abschluss der Vorstellungen erschien sie auf der Treppe.
Doktorus Frost wedelte ungeduldig mit dem Arm. »Da bist du ja, Bethany. Komm herunter und begrüße unseren Gast.«
Bethany Frost vereinte in sich das Beste beider Elternteile. Sie war schlank und groß, mit langem, goldbraunem Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte. Sie schwebte die Stufen herab. Sie besaß das Lächeln ihres Vaters und die leuchtend blauen Augen ihrer Mutter, doch ihr Blick war warm. Ihr Lächeln wurde breiter, als sie ihn zu Gesicht bekam, dann färbten sich ihre Wangen, als sie eine Stufe verpasste und fast den Rest der Treppe herabgestürzt wäre. Sie konnte sich am Geländer abfangen und lachte fröhlich.
Owen traute seinen Sinnen nicht. Eine norillische Frau wäre einzig und allein zu spät auf der Treppe erschienen, um einen Auftritt zu inszenieren. Dementsprechend wäre ein Stolpern ihr wie ein Grund zum Selbstmord erschienen und von allen anderen als Zeichen minderer Herkunft gedeutet worden. Bethany jedoch schien dem Fehltritt nicht mehr Bedeutung beizumessen, als er tatsächlich besaß.
Sie erreichte den Fuß der Treppe. »Es freut mich, Kapteyn Radband. Verzeiht meine Verspätung. Ich habe mich vergewissert, dass Euer Zimmer fertig ist.«
»Ich dachte, er schläft im Stall.«
Doktorus Frost kicherte. »Ja, Caleb, dessen bin ich sicher.«
»Vater.«
»Ihr müsst wissen, Kapteyn Radband, Calebs Ansichten über die Regierung Ihrer Majestät und wie sie uns behandelt, sind äh, etwas extrem. Er besucht die Akademia von Port Maßvoll. Dort studiert er für das Priesteramt, doch ich fürchte, er entwickelt sich zu einem Freidenker.«
»Er war freundlich zu mir, Sire. Ein Ehrenmann.«
Owen gestattete seinem Gastgeber, ihn den Korridor hinauf-und nach rechts zu führen.
Ein langer Zeichentisch war für eine Person gedeckt, an einem Platz in der Nähe des Feuers. Dr. Frost nahm rechts von Owen am Kopf der Tafel Platz. Caleb setzte sich ihm gegenüber. Owens Gastgeber öffnete eine Kristallkaraffe und schenkte allen dreien Rotwein ein.
Dann hob er sein Glas. »Auf das Wohl der Königin.«
»Auf ihr Wohl.« Owen trank. »Köstlich. Besser, als ich ihn in Tharyngia gekostet habe.«
»Das will ich hoffen. Mein Vater erstand ihn vor dreißig Jahren, und er ist seitdem in unserem Keller gereift.« Frost stellte das Glas ab. »Und Ihr habt mich nicht getäuscht mit Euren freundlichen Worten. Dazu ist mir mein Sohn zu gut vertraut. Er scheint zu vergessen, dass auch Abneigung keine Entschuldigung ist, sein Benehmen zu vergessen.«
Caleb senkte den Blick. »Verzeiht, falls ich Euch beleidigt habe, Kapteyn.«
»Das ist keineswegs erforderlich. Ich fand unser Gespräch höchst aufschlussreich.« Owen drehte sich zu Dr. Frost um. »Und ich, Sire, möchte mich in aller Form bei Euch für das Verhalten der Offiziere entschuldigen, die Ihr vor mir aufgenommen habt. Sollte nur ein Bruchteil dessen der Wahrheit entsprechen, was Euer Sohn mir berichtete, bitte ich Euch, mir die Namen dieser Schurken mitzuteilen. Es wird mir ein Vergnügen sein, ihnen bei der ersten Gelegenheit eine handfeste Lektion zu erteilen. «
»Ihr seid zu freundlich, Kapteyn. Ich bezweifle, dass das notwendig sein wird.«
Hettie kam mit einer Suppenschale herein, gefolgt von Bethany mit einem kleinen Korb, in dem Brotscheiben lagen. Caleb wollte sich eine nehmen, aber sie gab ihm einen Klaps auf die Hand. Seine Mutter warf ihm einen tadelnden Blick zu, der ihn veranlasste, sich mürrisch wieder zu setzen.
»Verzeiht die karge Kost, Kapteyn. Mein Gatte und ich hatten auf ein förmlicheres Mahl am Tag des Herrn gehofft, nach dem Gottesdienst.«
»Da gibt es nichts zu vergeben, Gnädigste. Ich verbrachte die letzten sieben Wochen auf einem Schiff. Meine Mahlzeiten bestanden viel zu lange aus dünner Brühe und hartem Schiffszwieback. « Owen lächelte und sog den Duft des dicken braunen Eintopfes ein. »Es duftet ganz wunderbar.«
Hettie und Bethany setzten sich zu ihnen an den Tisch, zu beiden Seiten Calebs, Bethany neben ihrem Vater. »Bitte, Kapteyn, greift zu.«
Owen löffelte ein Stück Möhre, eine Erbse und ein kleines Stück Rindfleisch auf und kostete. Wohlig schloss er die Augen und genoss den Duft, der ihm in die Nase stieg. Fleisch und Gemüse waren zart genug, dass er nicht hätte zu kauen brauchen, aber er kaute trotzdem, um den Genuss zu verlängern. Er wusch die Suppe mit einem Schluck Wein hinunter, dann nickte er.
»Das ist das beste Essen, das ich seit über einem Jahr genießen darf.«
Caleb hob eine Augenbraue. »Ich hätte erwartet, die Lindwurmreiter erhalten nur das Beste.«
»So ist es auch, sofern sie einen Lindwurm haben.« Owen brach eine der Brotscheiben und tunkte sie in die Suppe. »Das Regiment besteht aus fünf Bataillonen, einer Lindwurmreiterei, einer Schweren Reiterei, zwei Leichten Reitereien und einer Leichten Infanterie. Wir sind die Schärler. Die ersten auf dem Feld und die letzten, die es verlassen. Die letzten in der Messe und die ersten, die aufstehen. Es heißt, unser Bataillon besteht nur für den Fall, dass die Lindwürmer hungrig werden – und sie bevorzugen mageres Fleisch.«
Hettie Frost nahm Salz und Pfeffer von einem Seitentisch und stellte beides vor Owen ab. »Darf ich fragen, Kapteyn, wart Ihr am Wald von Artennes?«
»Ja, Gnädigste, das war ich. Den Mystrianischen Schärlern gebührt mein voller Respekt.«
Hettie Frosts Lächeln wurde breiter, doch das auf Bethanys Zügen verblasste langsam. »Erinnert Ihr Euch an Major Robert Forst, Kapteyn?«
Owen lehnte sich zurück. »Sehr gut sogar, Gnädigste.«
»Er ist mein Bruder.«
»Wie geht es ihm?«
Caleb knurrte. »Er hat Schwierigkeiten, Leuten die Hand zu geben, seit er den halben Arm verloren hat.«
Owen stützte den Rest des Brotes an der Schale. »Ich erkundige mich deshalb, Meister Frost, weil ich es war, der ihn aus dem Wald zerrte, während er seinen Männern noch Befehle zurief. Ich band ihm den Arm ab, damit er nicht verblutete, und besorgte ihm einen Schnaps, als die Schlächter entschieden, seinen Arm abzuhacken.«
Bethany beugte sich vor. »Kennt Ihr auch Ira Hügel? Er war bei den Schärlern.«
»Ich kann mich nicht an den Namen entsinnen, mein Fräulein. «
»Groß, mit schwarzem Haar und grünen Augen, dunkler als die Euren.«
Owen suchte in seiner Erinnerung. »Ich kann nichts versprechen, Fräulein, doch ich erinnere mich an einen Mann, auf den diese Beschreibung passt. Hatte immer einen Witz auf den Lippen?«
Ihre Miene hellte sich auf. »Ja, ja, das war er.«
»Ich erinnere mich, neben ihm gegraben zu haben, als wir versuchten, eine blockierte Straße frei zu machen. Er sagte, er könnte seine Schaufel gegen einen Eimer tauschen und damit mehr schöpfen, als er graben konnte. Ich wusste jedoch nicht, wie er hieß. Ist er ein Freund von Euch?«
»Er war es.« Ihre Miene verdüsterte sich wieder.
Caleb stierte ihn an. »Er ist dort im Wald geblieben, Kapteyn. «
»Das tut mir sehr leid.«
Bethany nickte. »Es ist schwer, nichts zu wissen, und die Leute, sie sagen …«
Dr. Frost nahm Bethanys Hände. »Es ist das Buch über Rivendell, Kapteyn. Bevor er in den Krieg zog, hat Ira um Bethanys Hand angehalten und, nun, die meisten Leute halten die Schärler für Feiglinge.«
Owen beugte sich zu Bethany hinüber. »Schaut mich an, Fräulein. Die Schärler haben auf jenem Feldzug mehr geleistet als die meisten anderen. Ich war eingeteilt als ihr Verbindungsoffizier, da mancher mich für ebenso entbehrlich hielt wie sie. Die Schärler kämpften gut und hart. Lasst Euch von niemandem etwas anderes einreden. Was Lhord Rivendell geschrieben hat, ist ein Märchen von der ersten bis zur letzten Zeile. Er schrieb es nur, um sich und seinen Sohn tapfer erscheinen zu lassen. Vergesst nicht, dass die Tharyngen die Schärler so sehr fürchteten, um ihre Besten gegen sie zu senden. Es war ihre einzige Möglichkeit durchzubrechen, und selbst so war es ein harter Kampf. Hätten wir zwei Schärler-Bataillone besessen, wäre der Krieg vorbei.«
Bethanys Lippen waren fest verschlossen, und Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie nickte, dann setzte sie einen Kuss auf ihres Vaters Wange. Sie verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Ihre Mutter folgte ihr.
Dr. Frost klopfte Owen auf den Arm. »Esst, Sire, bevor es kalt wird. Ich weiß Eure Worte zu schätzen. Ihr sollt etwas über uns Mystrianer wissen, etwas, das nicht einmal mein Sohn versteht. Norisle hat uns als unerwünscht verstoßen. Manche von uns waren Verbrecher, ja. Anderen erschien die Kirche zu streng, den Tugendlern war sie zu lasch. Und manche von uns erachtete man einfach als dumm oder faul und verschiffte uns gleich mit, damit wir in den Kolonien verenden. Manchen erging es so, doch dieses Land hat uns, die wir es überlebten, neu erstarken lassen. Es gab uns Kraft. Es gab uns Gelegenheiten. Und nun sind wir wie ein großer Hundewelpe, voller Energie, und begierig, unserem Herren zu gefallen. Wir leisten unser Bestes, doch wenn wir Schläge erhalten, behagt uns das gar nicht.«
Owen nickte. »Ich verstehe, Sire, weit besser, als Ihr ahnt.«
Caleb schenkte sich nach. »Es ist mehr als das, Vater. Ebenjene Philosophen und großen Denker, über deren Lehren du an der Akademia dozierst, sagen, dass uns die Menschenrechte nicht von Königen und Königinnen gewährt werden. Sie sind unser von Geburt an. Sie lehren, dass wir dem Adel seine Macht gewähren im Austausch gegen Führung und Beistand. Erhalten wir diese nicht, so haben die Edelleute den Kontrakt gebrochen, auf dem ihre Macht beruht.«
Dr. Frost drehte das Weinglas langsam in der Hand. »Bei dir klingt das so einfach, Caleb.«
»Weil es so einfach ist, Vater.« Er klopfte mit dem Finger auf den Tisch. »Die Menschen versuchen, die Dinge zu beschönigen, doch es bleibt ein simpler Diebstahl. Sie stehlen ihre Macht von uns.«
»Nein, Caleb, so einfach ist es nicht. Wir sind in die Tradition Norisles geboren. Unsere Gesetze, die Gebräuche, nach denen diese Kolonien regiert werden, beruhen auf dem Recht Norisles. Die Kolonien selbst beruhen auf Königlichen Privilegien. Die Königin ernennt unsere Gouverneure. Ihr Neffe ist unser Generalgouverneur. Norisle hat uns sehr viel gegeben, und auch wenn wir glauben, mehr zu benötigen, können wir deshalb nicht alle bisherigen Schulden einfach für null und nichtig erklären, allein weil uns die derzeitige Lage nicht behagt. Das zu tun hieße, unsere Wurzeln zu kappen. Wir würden vergessen, wer wir sind.«
»Vielleicht, Vater, ist es an der Zeit, uns nicht länger mühsam zu erinnern, sondern zu entscheiden, wer wir sind.«
Dr. Frost lachte. »Bravo, Caleb. Die Pamphlete, die in camera zirkulieren, so gekonnt nachzuplappern, ist wahrlich eine Kunst. Kapteyn, was denkt Ihr über die Menschenrechte und den Adel?«
Owen, der soeben mit einem Stück Brot die Suppenschale auswischte, schaute auf. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Sire, die Armee legt keinen Wert auf philosophische Debatten, und sie lässt uns auch wenig Zeit dafür. Die Armee ist ein Ort, an dem wir die Tradition anerkennen und ehren, daher stimme ich Euch in diesem Punkte zu. Jedoch muss ich eines zugeben, um Euer Beispiel von zuvor aufzugreifen: Wäre ich der Welpe, dann käme irgendwann der Punkt, an dem es mir verlockend erscheinen würde, nach der Hand meines Herren zu schnappen. «
»Ha!« Caleb grinste und schenkte Owen nach. »Siehst du, Vater!«
»Nun, nun, Meister Frost, ich habe nicht gesagt, dass ich Eurer Meinung bin. Menschen sind keine Hundewelpen. Wir können vorausdenken und die Konsequenzen unseres Handelns erkennen. Ein Welpe ist sich nicht bewusst, dass auf den Biss gewiss Prügel folgen. Ein Mensch sollte es besser wissen und sich bewusst sein, ob er diese Prügel wirklich provozieren will.«
Calebs Blick wurde schärfer. »Andererseits, Kapteyn, kann er sich noch als Mann bezeichnen, wenn er einfach das Wort eines anderen akzeptiert, er sei minderwertig, ohne es jemals einer Prüfung zu unterziehen? Wie mein Vater sagte, wurden wir Mystrianer an diese Küste verschlagen, weil man uns für entbehrlich erachtete. Ganz Norisle wäre erfreut gewesen, wären wir hier gestorben. Das hätte bestätigt, was man über uns dachte. Doch tatsächlich haben wir überlebt. Mein Großvater traf als Dienstbote eines Müllers hier ein. Durch harte Arbeit erwarb er sich die Freiheit und machte sein Glück als Händler. In dreißig Jahren erwarb er genug zum Bau dieses Hauses, zu einer Stiftung für die Akademia und einer Flotte von Schiffen, die in alle Gegenden des Globus segelten. Und doch gibt es keinen Fischverkäufer in Highgate oder Schreiber in der Hauptstadt, der sich nicht für etwas Besseres hält als wir.«
Owen rieb sich das Kinn. Er hatte auf der Schule und in der Armee dieselbe Behandlung erfahren, doch an beiden Orten führte Widerstand nur zu sofortiger und harter Bestrafung. Machte es ihn zu einem geringeren Mann, dass er seinen Drang, sich zu verteidigen, unterdrückt hatte? Hinderte es seine Schüsse daran, ihr Ziel zu treffen?
Dr. Frost hob das Glas. »Ich behaupte, meine Herren, dass wir am heutigen Abend diese Diskussion, die sich in Wahrheit um den ewigen Kampf der Nachkommen dreht, die Anerkennung der Eltern zu erreichen, nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis bringen können. Wir wollen sie deshalb ad acta legen und uns angenehmeren Themen zuwenden. Immerhin«, und zum ersten Mal wurde Dr. Frosts Lächeln unsicher, »steht, falls der Grund für Eure Anwesenheit hier, Kapteyn Radband, der Wahrheit entspricht, uns das Eintreffen der unangenehmsten aller menschlichen Erfindungen bevor. Und ich vermute, dieser Neuankömmling wird kein Bedürfnis verspüren, uns wieder zu verlassen.«