18.
Es dämmerte bereits, als es in der Residenz unruhig wurde. Hilarius schreckte aus seinen Gedanken hoch und stand gerade noch rechtzeitig auf, bevor der Herzog den Gang heraufkam. Wilhelm IV. trug Jagdtracht und hatte es eilig.
Mit dem Gefühl, einen aussichtslosen Kampf ausfechten zu müssen, trat Hilarius auf ihn zu. »Erlaubt mir ein Wort, Euer Gnaden!«
Der Herzog blieb stehen und musterte ihn mit kaltem Blick. In seinen Augen war Hilarius ebenfalls einer der verderbten Geistlichen, die ihm vom Freisinger oder einem der anderen, ihm benachbarten Kirchen- und Landesfürsten untergeschoben worden waren.
»Was willst du?«, fragte er.
Das klingt eher wie »Verschwinde!«, dachte der Pater. Doch es war wenigstens ein Anfang. »Ich bitte um Gnade!«
»Um Gnade? Was hast du jetzt schon wieder angestellt?« Wilhelm versagte dem Pater die höfliche Anrede, auf die dieser als Geistlicher ein Anrecht gehabt hätte, und behandelte ihn wie einen Knecht.
Hilarius ließ sich nicht beirren. »Ich bitte nicht um Gnade für mich, Herr, sondern für eine arme Magd, die heute in den Kerker geworfen wurde.«
Da Wilhelm an diesem Tag das Jagdglück versagt geblieben war, hatte er wenig Lust, sich Klagen anzuhören. Einzig die Neugier hielt ihn davon ab, den Pater einfach wegzuschicken.
»Komm mit!«, sagte er und ging weiter.
Hilarius eilte mit wehender Kutte hinter Wilhelm IV. her und versprach der Heiligen Jungfrau eine große Wachskerze, wenn sie ihm bei dem Gespräch mit dem Herzog helfen würde.
In seiner Kammer angekommen, dachte Wilhelm nicht daran, sich sofort dem Geistlichen zu widmen, sondern winkte seinem Leibdiener, ihm beim Umziehen zu helfen. Erst als er in ein anderes Gewand gekleidet war, wandte er sich Hilarius zu. »Jetzt rede! Später habe ich keine Zeit mehr für dich!«
Hilarius schluckte, um den Frosch hinunterzuwürgen, der sich in seiner Kehle breitgemacht hatte, und breitete dann Rosis Geschichte vor dem Herzog aus.
Wilhelm hörte ihm zu und sagte erst etwas, als Hilarius seinen Bericht beendet hatte. »Du behauptest, die Magd war schwanger, und man will, dass sie bekennt, Ernst Rickinger wäre daran schuld?«
»So ist es, Euer Gnaden. Aber …« Hilarius brach ab, als er den spöttischen Blick des Herzogs auf sich gerichtet sah.
»Waren vielleicht deine Hände – oder besser gesagt das, was zwischen deinen Beinen hängt – im Spiel? Zutrauen würde ich es dir, obwohl du aufgrund deiner Vorlieben bislang der Ochse genannt wurdest, der gemolken werden will!« Wilhelm lachte laut über diesen derben Scherz.
Hilarius nickte unglücklich. »Ich habe mit der Magd fleischlich verkehrt, Euer Gnaden.«
»Und jetzt sitzt sie im Kerker, weil du ihr einen dicken Bauch gemacht hast? Pfaffe, man sollte dich an ihrer Stelle ins Loch stecken!« Der Herzog schob den Diener, der ihm eben einen Becher Wein reichen wollte, zur Seite und drohte mit der Faust.
»Wenn es die einzige Möglichkeit ist, um Rosi vor dem Gefängnis und der Folter zu retten, bin ich bereit, ihre Stelle einzunehmen«, erklärte Hilarius gepresst.
»Du wärst dazu bereit?« Das hatte Wilhelm nicht erwartet. Dann aber winkte er verächtlich ab. »Der Freisinger Bischof würde bis zum Papst laufen, um den Kirchenbann für mich zu fordern, wenn ich einen seiner Geistlichen meinem Gericht unterwerfe!«
Da kam ihm ein Gedanke, über den er im ersten Augenblick lachen musste. Er wurde aber rasch wieder ernst und musterte Hilarius mit heimlichem Spott. »Also gut! Ich bin bereit, die Magd Rosi zu begnadigen und aus dem Kerker zu entlassen. Jedoch nur unter dieser Bedingung: Du wirst deinem geistlichen Amt mit all seinen Privilegien entsagen und in den weltlichen Stand zurückkehren. Außerdem wirst du diese Magd zu deinem ehelichen Weib nehmen und drittens Unsere Residenzstadt München und Unser Herzogtum Bayern verlassen. Da das Weib krank ist, gebe ich euch drei Tage Zeit. Danach müsst ihr gehen.«
Wilhelm IV. erwartete nicht, dass Hilarius darauf eingehen würde. Dafür saß der Pater zu dick in der Wolle, und es gab in der Pfarrei von Sankt Peter genug liederliche Weiber, mit denen er sich vergnügen konnte.
Für Hilarius war die Forderung des Herzogs im ersten Moment ein Schock. Bisher hatte er sich als Ordenspriester recht wohl gefühlt und nie einen Gedanken daran verschwendet, seinen geistlichen Stand aufzugeben. Allerdings erinnerte er sich jetzt daran, wie er sich in den Nächten nach Rosi gesehnt hatte, und der Gedanke, sie für immer um sich zu haben, war verführerisch. Doch eine Heirat war für ihn unmöglich. Immerhin war Rosi nur eine einfache Magd und hatte zudem auch unter anderen Männern gelegen. Vergiss sie, sagte ein Teil seines Ichs, das dem angenehmen Leben eines Seelsorgers den Vorzug gab. Doch ihm war klar, dass er, wenn er jetzt ging, die junge Frau dem Richter und der Folter auslieferte.
Hilarius atmete tief durch und verbeugte sich vor dem Herzog. »Wenn dies Euer Wille ist, Euer Gnaden, werde ich ihn erfüllen!«
Damit verblüffte er den Herzog so sehr, dass dieser sich an seinem Wein verschluckte. »Du würdest es wirklich tun?«, rief Wilhelm, nachdem er wieder Luft bekam.
Hilarius sah ihn mit einem wehmütigen Lächeln an. »Ich liebe Rosi, und ich will nicht, dass sie leidet!«
»Du bist wahrlich nicht für den geistlichen Stand geschaffen. Doch da du die Magd haben willst, sollst du sie bekommen. Hole meinen Sekretarius!«
Der letzte Satz galt dem Diener, der seinem Herrn eben noch auf den Rücken geklopft hatte. Dieser verließ den Raum und kehrte kurz darauf mit einem jungen Mann in einem knielangen braunen Wams zurück.
»Euer Gnaden befehlen?« Ohne auf Antwort zu warten, wandte der Schreiber sich einem an der Wand stehenden Pult zu, nahm aus einem Fach, das unter der schräg stehenden Schreibplatte angebracht war, einen Bogen Papier, ein Tintenfass und eine Schreibfeder und legte sich alles zurecht.
Wilhelm IV. wanderte durch den Raum und begann zu diktieren. Zunächst ließ er einen Erlass anfertigen, der die Freilassung der gefangenen Magd befahl. Auf das gleiche Blatt kam die Anweisung, dass das Rosi genannte Weib Hilarius zu heiraten und mit diesem zusammen in drei Tagen die Stadt München zu verlassen habe.
Als er das Blatt unterschrieben und gesiegelt hatte, reichte er es an Hilarius weiter. »Da hast du es! Was du jetzt damit tust, ist deine Sache.«
Für sich dachte er, dass der Pater, nachdem ihm die Tragweite seines Schritts bewusst geworden war, das Schreiben zerreißen und ins Feuer werfen würde.
»Ich danke Euch, Euer Gnaden!« Hilarius küsste die Hand des Herzogs und zog sich rückwärtsgehend zurück.
Wilhelm IV. blickte ihm einen Augenblick lang nach und deutete dann mit dem rechten Zeigefinger auf seinen Sekretär. »Schreibe!«, wies er ihn an und erteilte dann den Befehl, Rosis Herrin gefangen zu setzen und der Schwere ihrer Tat nach zu bestrafen. Immerhin hatte Frau Anna eine andere Frau so geschlagen, dass diese ihr Kind verloren hatte, und so etwas gedachte er in seinem Herzogtum Bayern nicht zu dulden.