2.

Ferdinand Antscheller galt etwas in Innsbruck. Das konnte Ernst Rickinger bereits an der prachtvoll bemalten Fassade seines Wohnhauses erkennen. Als Haselegner und er um Einlass baten, öffnete ihnen ein Knecht das Tor und führte sie durch einen breiten, von einem kunstvollen Gewölbe überspannten Durchgang in den Hof. Dort waren weitere Knechte damit beschäftigt, Frachtkarren mit Fässern zu beladen, die ihren Aufschriften nach die unterschiedlichsten Waren enthielten. Friedrich Antscheller, ein etwa dreißig Jahre zählender, hoch aufgeschossener Mann mit knochigem Gesicht, beaufsichtigte die Männer, sah aber mit seinem grauen Wams und den braunen, knielangen Hosen beinahe selbst wie ein Knecht aus.

Als die Gäste den Hof betraten, kam er auf sie zu. »Grüß dich, Haselegner! Du bist also doch noch gekommen«, sprach er Ernsts Begleiter an.

Dieser reichte ihm die Rechte und klopfte ihm mit der anderen Hand auf die Schulter. »Ich war schon unterwegs, habe aber gewisser Umstände wegen noch einmal nach München zurückmüssen. Jetzt bin ich hier. Darf ich dir meinen Freund vorstellen? Es ist der Rickinger Ernst, Sohn des ehrengeachteten Kaufmanns Eustachius Rickinger und, wie ich unter sechs Augen sagen darf, auf Brautschau.«

»Soso, auf Brautschau!« Friedrich Antscheller musterte Ernst durchdringend.

Diesem war es unangenehm, dass Haselegner mit der Tür ins Haus gefallen war. Er lächelte verlegen und machte eine entschuldigende Geste. »Der Vater hat gemeint, ich sollte mir einmal deine Schwestern anschauen.«

Im Grunde war es gleichgültig, wen er heiratete, sagte Ernst sich. Wie er seinen Vater kannte, würde er in den sauren Apfel beißen und ein Weib nehmen müssen. Da konnte er genauso gut eine Innsbrucker Bürgertochter statt einer aus München heimführen.

»Anschauen kannst du sie. Das kostet nichts«, versuchte Friedrich Antscheller zu witzeln.

»Das Ausprobieren kostet auch nichts, ist aber erst nach der Hochzeit erlaubt«, fügte Haselegner hinzu.

Ernst war diese anzügliche Bemerkung unangenehm, auch wenn er recht hatte. Ein warmer Frauenleib im Ehebett war nicht zu verachten. Anders als sein Ruf es glauben machte, kam Ernst eher selten dazu, einem Mädchen zwischen die Beine zu steigen, und auf die Huren im Frauenhaus, die es mit jedem treiben mussten, wollte er nicht angewiesen sein.

»Dann kommt herein! Vinz, geh zum Herrn Vater und sag ihm, es wären Gäste gekommen.« Der letzte Satz galt einem Knecht, der sogleich ins Haus lief.

Friedrich Antscheller legte die Arme um die Schultern seiner Gäste und führte sie zur Tür. »Ich hätte nichts dagegen, wenn die Schwestern unter die Haube kämen. Dann wäre wenigstens ein Frieden im Haus, wenn ich selber heirate. Sonst giften sich die Weiber bloß an, und ich muss mir ständig anhören, wie schlecht die Schwestern oder mein Weib wären.« Friedrich Antscheller verzog das Gesicht, als hielte er alle Frauen für zänkische Schwätzerinnen.

Das ist also der Mann, mit dem Leibert die Veva verheiraten will, fuhr es Ernst durch den Kopf. Beim jungen Antscheller würde sie sich ducken müssen, denn dieser sah nicht aus, als dulde er Widerworte.

Als er kurz darauf dem Hausherrn gegenüberstand, wirkte der Mann auf ihn wie eine ältere, noch härtere Ausgabe des Sohnes. Das Lachen schienen die beiden nie gelernt zu haben, denn Ferdinand Antscheller zog ebenfalls ein Gesicht, das einen Eishauch als warm hätte erscheinen lassen.

»Da bist du ja!«, blaffte er Haselegner an. »Was sind das für Sitten, sich anzukündigen und dann nicht zu kommen?«

»Es gibt halt manchmal Wichtigeres als das Geschäft«, antwortete Haselegner gelassen. »Ich habe die Tochter vom Leibert zurück nach München bringen müssen. Die Oberländer Räuber haben ihren Bruder umgebracht und sie schwer misshandelt.«

Während der alte Antscheller die Stirn krauszog, dachte Ernst, dass sein Begleiter diese Nachricht auch anders hätte überbringen können. Obwohl er mit Benedikt Haselegner bisher gut ausgekommen war, ärgerte er sich seit ihrem letzten Zusammentreffen zunehmend über ihn und war erleichtert, dass ihr Gastgeber nicht auf seine Worte einging, sondern sie in die gute Stube bat. Dort forderte er eine seiner Töchter auf, eine Brotzeit auf den Tisch zu stellen.

»Bring auch Wein, Johanna«, rief er dem Mädchen noch nach.

Ernst bedauerte, dass er das Mädchen nur kurz gesehen hatte, denn er wollte sich so bald wie möglich ein Bild von ihr machen. Doch er tröstete sich damit, dass sie bald zurückkehren würde, und nahm an dem schweren Eichentisch Platz, der Antschellers mit Schnitzwerk getäfelte Prachtstube beherrschte.

Wieder ergriff Haselegner das Wort. »Darf ich dir meinen Freund vorstellen, Antscheller? Es ist der Sohn des Eustachius Rickinger aus München, den du kennen dürftest. Ernst ist sein einziger Sohn und auch das einzige Kind. Also braucht er später einmal keine Schwester mit einer Mitgift versehen.«

»Den Rickinger Eustachius kenne ich und mache Geschäfte mit ihm, und von dessen Sohn habe ich auch schon einiges gehört.« Antschellers Miene wirkte so düster, als wäre er alles andere als begeistert.

»Er kommt, um sich deine Töchter anzuschauen, ob ihm eine als Hochzeiterin taugt!«, fuhr Haselegner fort.

Die beiden Mädchen, die gemeinsam ein großes Tablett mit Brot, Wurst und Käse, einem großen Krug Wein und vier Bechern in die Stube trugen, sahen sich kurz an, bevor sie Ernst in Augenschein nahmen.

Auch dieser nahm die Gelegenheit wahr, sie zu begutachten. Antschellers Töchter waren beide großgewachsen und schlank. Dazu hatten sie schmale Gesichter, leichte Adlernasen und braune Augen. Ernst hatte schon hässlichere Mädchen gesehen, aber auch weitaus bezauberndere wie die Bäckersmagd Rosi oder Veva Leibert. Nun, zum Heiraten waren sie hübsch genug.

Noch während Ernst nachsann, scheuchte Antscheller seine Töchter aus dem Raum, nahm den Weinbecher in die Hand und musterte seine Gäste über den Rand hinweg.

»Ich gebe es offen zu, ich will meine Johanna und Josefa bald in Ehren verheiraten. Aber ich habe schon zu viel Schlechtes von dem jungen Rickinger gehört, als dass ich meine Zustimmung geben könnte. Sich gegen die Geistlichkeit aufzulehnen tut niemals gut, und ein ehrlicher Christenmensch bringt auch keine Schande über einen hochwürdigen Herrn Pfarrer oder Mönch, so wie du es getan hast, Rickinger!«

Ernst wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. »Das war klar und deutlich, Antscheller. Ihr werdet erlauben, dass ich Euer Haus verlasse, denn ich will Euch nicht länger belästigen.«

»Du kannst ruhig bleiben. Als Sohn meines Geschäftsfreundes Eustachius Rickinger bist du mir willkommen. Nur zum Schwiegersohn taugst du mir halt nicht!« Antscheller wollte nicht, dass Ernst im Unfrieden von ihm schied, denn dafür verdiente er zu gut am Handel mit dessen Vater.

Auch Haselegner versuchte, Ernst zu halten. »Jetzt bleib doch da!« Leise fügte er hinzu: »Die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Zeig dem Antscheller, wie du wirklich bist, und er wird es sich schon überlegen.«

»Es gibt auch anderswo Jungfrauen zum Heiraten. Da muss ich nicht bis in Tirolerische reisen!« Ernst war beleidigt und wütend, weil sein Vater ihn hierhergeschickt hatte. Dieser hätte den alten Antscheller doch besser kennen müssen. Ohne einen Schluck Wein getrunken zu haben, kehrte er dem Hausherrn den Rücken zu und verließ mit hoch erhobenem Kopf die Stube.

Als er durch die Tür auf die Straße trat, sahen ihm die Antscheller-Töchter durch die Butzenscheiben des Fensters nach.

»Schade, dass der Vater ihn nicht haben will. Er ist ein schmucker Bursch«, seufzte Josefa.

»Ich weiß nicht«, wandte ihre Schwester ein. »Du hast ja gehört, dass er ein ganz ein Wilder sein soll, der nicht einmal vor einem hochwürdigen Herrn Pfarrer haltmacht. Mit so einem kannst du mir vom Leib bleiben. Der ist ja fast noch schlimmer als der Luther, der dem Heiligen Vater in Rom den Gehorsam aufgekündigt hat und jetzt so schlecht über ihn schreibt.«

»Ich hätte mir den Mann schon gezogen«, seufzte Josefa und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Zimmer, in dem Haselegner bei ihrem Vater und Bruder saß. »Vielleicht beißt der andere an. Zeit wär’s für mich zu heiraten.«

»Für mich erst recht. Schließlich bin ich die Ältere von uns beiden.« Johanna seufzte, denn ihren abwertenden Worten zum Trotz hatte Ernst ihr gefallen, und im Ehestand wurden die Männer meist vernünftig. Jetzt hieß es weiterhin warten, bis sich ein neuer Freier einfand, den der Vater als Schwiegersohn akzeptierte.

Die Ketzerbraut. Roman
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