9.

Jakob Fugger zeigte Verständnis für Ernsts Lage und reichte ihm die Hand. »Es tut mir leid um deinen Schwiegervater, doch mag es dir und deinem Weib ein Trost sein, dass er den Tod nicht als Feind, sondern als Erlöser empfangen hat!«

Wie so oft wusste Fugger mehr als andere, und Ernst fragte sich, wer sein Zuträger in München sein konnte. Andererseits war Bartholomäus Leiberts schlechter Gesundheitszustand allgemein bekannt gewesen, und da mochten solche Worte leicht über die Lippen kommen.

»Ich danke Euch, Herr. Wenn es Euch genehm ist, werde ich heute noch aufbrechen. Mein Weib kann es nicht erwarten, am Grabe ihres Vaters zu beten.«

»Reise in Gottes Namen! Ich werde dafür sorgen, dass die Geschäfte, die du hier in Augsburg begonnen hast, weitergeführt werden, und wenn du willst, kann ich mich auch um dein neues Haus kümmern«, bot Fugger an.

»Auch dafür danke ich Euch. Allerdings werde ich vorerst ein mir bekanntes Ehepaar dort einquartieren. Der Mann wird als Schreiber bei mir arbeiten. Greift ruhig auf ihn zurück, wenn Ihr ihn braucht.« Ernst war bei diesen Worten nicht ganz wohl, denn ein davongelaufener Priester wie Pater Hilarius gehörte nicht zu denen, die auf Jakob Fuggers Sympathie zählen konnten. Andererseits wollte er nicht, dass Rosi weiterhin hungern und frieren musste.

»Du machst es schon richtig, Rickinger!« Jakob Fugger klopfte ihm auf die Schulter und entschuldigte sich dann, weil andere Pflichten ihn riefen. An der Tür drehte er sich noch einmal um. »Reise mit Gottes Segen, Rickinger. Und auf ein baldiges Wiedersehen!«

»Darauf hoffe ich auch.« Ernst verneigte sich kurz und verließ das Fuggersche Palais. Obwohl es ihn drängte, aufzubrechen, lenkte er seine Schritte in die Seitengasse neben der Sankt-Jakobs-Kirche, in der Rosi und Hilarius in einer elenden Kammer hausten.

Er trat in das Haus und wurde vom Pförtner zur hintersten Tür gewiesen. Als er dort klopfte und nach einem kaum vernehmlichen »Herein« eintrat, sah er das Paar vor sich. Rosi war magerer als früher, aber immer noch schön. Trotzdem verspürte er die Verlockung nicht mehr, die in München von dieser Frau ausgegangen war. Stattdessen schob sich Vevas Bild vor seine Augen. Das machte es ihm möglich, sich ohne Eifersucht dem ehemaligen Priester zuzuwenden.

Auch Hilarius hatte an Gewicht verloren, wirkte aber jünger und energischer, als Ernst ihn in Erinnerung hatte, auch wenn er ihm jetzt mit einer Mischung aus Hoffnung und heimlicher Furcht entgegensah.

»Gott zum Gruß«, begann Ernst, während er von der Tür aus die ärmliche Einrichtung musterte.

»Der Segen des Herrn sei mit dir!« So ganz konnte Hilarius seine geistliche Vergangenheit nicht abschütteln. Er war froh über Ernsts freundlichen Gruß und bemerkte auch erleichtert, dass dieser ihn ansah und nicht etwa Rosi mit seinen Blicken verschlang.

»Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, fuhr Ernst fort.

Sofort schüttelten beide den Kopf. »Das kommt Ihr gewiss nicht, Herr Rickinger. Eure Ehefrau war bereits so freundlich, uns zu unterstützen!« Es waren die ersten Worte, die Rosi jetzt sagte, und sie klangen sehr dankbar. Wie es aussah, hatte Veva sich durch ihre Hilfe die Sympathie der früheren Magd errungen.

»Trotzdem will ich Euch nicht lange aufhalten. Veva und ich müssen heute noch nach München aufbrechen, und der Augsburger Bote wartet auf uns.«

»Ihr kehrt nach München zurück?« Enttäuschung schwang in Rosis Stimme mit.

»Ja. Da ich nicht weiß, wie lange ich dort bleibe, brauche ich jemanden, der hier in Augsburg meine Interessen vertritt. Um den Handel kümmern sich zwar Herrn Fuggers Leute, doch Veva und ich wollten uns ein Haus einrichten, das nicht leer stehen sollte. Darum mache ich Euch den Vorschlag, sobald es fertiggestellt ist, dort zu wohnen, bis sich entschieden hat, wie es weitergehen wird. Außerdem könnt Ihr als mein Gewährsmann arbeiten, Pat… äh Hilarius. Wie soll ich Euch jetzt eigentlich nennen?«, wollte Ernst wissen.

»Da meine Familie mir das Recht auf den Sippennamen verweigert, mit dem ich geboren wurde, habe ich beschlossen, mich Leopold Hilarius zu nennen!« Rosis Ehemann beantwortete zuerst Ernsts Frage und begriff dann erst, was dieser ihnen angeboten hatte. »Ihr wollt uns in Euer Haus aufnehmen und bietet mir Arbeit an?«

»Nur, wenn es Euch passt!«, wandte Ernst ein.

Hilarius’ Gesicht begann förmlich von ihnen heraus zu leuchten. »Und ob es uns passt! Ich bin ja so froh, wenn mein Weib aus diesem kalten, feuchten Loch herauskommt und wieder genug zu essen hat!«

In dem Augenblick begriff Ernst, dass dieser Mann Rosi mehr liebte als alles andere auf der Welt. Dieser Hilarius war nicht mehr der leichtsinnige Priester, der sein Amt weder besonders ernst genommen noch so ausgefüllt hatte, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Das machte es ihm leicht, ihn in seine Dienste zu nehmen. Er löste seine Börse vom Gürtel und zählte Hilarius zwei Dutzend Gulden ab.

»Hier, für die wichtigsten Dinge! Weiteres Geld weise ich Euch über Jakob Fugger an, und genaue Aufträge, besonders, was das Haus betrifft, bekommt Ihr schriftlich. Doch nun Gott befohlen. Wie ich sagte, wartet Echle bereits auf uns.« Damit reichte er Hilarius die Hand.

Dieser sah ihn mit Tränen in den Augen an und vermochte kaum ein paar Abschiedsworte zu stammeln. Erst als Ernst die Kammer längst verlassen hatte, wandte er sich zu Rosi um und sah sie mit glücklichen Augen an. »Unser Herr Jesus Christus im Himmel hat uns nicht vergessen. Komm, lass uns ein Gebet sprechen, in dem wir um eine gute Reise für Rickinger und sein Weib bitten. Er ist ein anderer geworden, seit ich ihn zuletzt gesehen habe, und das ist gut so.«

»Auch du bist ein anderer, ein besserer Mensch geworden«, antwortete Rosi und küsste ihn auf die Wange.

Hilarius schlang die Arme um sie und zog sie an sich. Doch mehr als einen Kuss gönnte auch er sich nicht, dann ließ er sie wieder los und faltete die Hände, um zu beten.

Die Ketzerbraut. Roman
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