9.

Unterdessen waren Rosi und ihr Mann in das Haus gezogen, das Veva für sich und Ernst gekauft hatte. Auch Nis hatte es sich in dem Stübchen eingerichtet, das er Veva abgeschwatzt hatte. Er half Rosi im Haushalt und diente Hilarius als Bote.

Noch vor einem Jahr hätte Hilarius jeden verspottet, der ihm prophezeit hätte, er werde sein täglich Brot einmal mit Handelsgeschäften verdienen. Nun aber merkte er, dass diese Arbeit ihm Freude bereitete. Daher hätten Rosi und er eigentlich ein gutes Leben führen können. Aber ein Problem vergällte ihm immer stärker das Dasein.

Auch an diesem Abend hockte Hilarius wieder mit hängenden Schultern in der Küche und stocherte in seinem Essen herum.

Rosi sah ihm eine Weile zu und seufzte dann. »Was ist mit dir, mein Lieber? Irgendetwas bedrückt dich!«

»Es geht um den Bischof von Freising. Zwar habe ich auf Befehl Herzog Wilhelms meine geistlichen Würden niedergelegt. Aber dies wird erst dann gültig, wenn ich einen Dispens von Bischof Philipp erhalte. Den will er mir jedoch erst geben, wenn ich dafür fünfhundert Gulden bezahle. Solange mir der Dispens fehlt, gelte ich als abtrünniger Priester und laufe Gefahr, gefangen gesetzt und zwangsweise in ein abgelegenes Kloster verschleppt zu werden. Dir aber droht der Pranger und die anschließende Einweisung in ein Hurenhaus.« Mit einem bitteren Lachen legte Hilarius seinen Löffel beiseite und sah Rosi an. »Wo soll ich fünfhundert Gulden hernehmen? In meiner Verzweiflung habe ich schon daran gedacht, das Kapital anzugreifen, das ich für Ernst Rickinger und dessen Frau verwalte. Dann aber würden sie mich zu Recht als unlauteren Menschen ansehen.«

»Du Armer!« Rosi dachte keinen Augenblick an die Gefahr, die ihr selbst drohte, sondern sah mit Schrecken den Tag heraufziehen, an dem die Augsburger Stadtknechte ihren Mann in Auftrag des Freisinger Bischofs verhaften und einsperren würden. »Schreibe an Ernst Rickinger. Vielleicht hilft er uns«, schlug sie vor.

Hilarius schüttelte den Kopf. »Fünfhundert Gulden sind sehr viel Geld, meine Liebe. So weit geht auch Ernst Rickingers Wohltätigkeit nicht. Daher werde ich jeden Pfennig sparen, den ich erübrigen kann. Vielleicht gibt sich der Bischof ja auch mit weniger zufrieden, so dass ich den Dispens irgendwann bezahlen kann. Bis dorthin müssen wir unserem guten Stern vertrauen und auf den Rat der Stadt Augsburg. Hoffen wir, dass die Ratsherren Philipp von Freisings Aufforderung, mich auszuliefern, erst einmal ablehnen werden. Allerdings wird der Rat sich wohl kaum wegen eines davongelaufenen Mönchs auf einen offenen Zwist mit Bischof Philipp einlassen.«

»Versprichst du mir, dass du, wenn es hart auf hart kommt, die fünfhundert Gulden von dem dir anvertrauten Geld nimmst und den Dispens bezahlst? Ich werde mich Ernst Rickinger vor die Füße werfen und ihn anflehen, es zu verstehen und uns zu erlauben, diese Schuld bei ihm bis zum Ende unseres Lebens abzutragen.« Rosi fasste die Hände ihres Mannes und küsste sie. »Ich liebe dich und will dich nicht verlieren!«

»Du liebst mich wirklich?« Hilarius zog sie an sich und hielt sie fest. »Ja, mein Liebes, ich werde es tun. Aber nur, wenn es nicht mehr anders geht. Dann aber werden wir uns beide vor Ernst Rickinger und seinem Weib niederwerfen und schwören, ihnen zu dienen, bis Gott, der Herr, uns von dieser Welt abberuft.«

Hilarius wusste selbst nicht, ob er es nur gesagt hatte, um Rosi zu beruhigen, oder ob er tatsächlich bereit war, Geld zu unterschlagen, um diese Last aus seinem früheren Leben loszuwerden. Denn wenn Ernst Rickinger ihn des Diebstahls anklagte, waren die Folgen nicht weniger schlimm, als wenn er in die Hände des Bischofs geriet.

Trotzdem hatte ihm das Gespräch mit Rosi gutgetan. Sie war der erste Mensch, der wahres Verständnis für ihn zeigte. Seine Eltern hatten ihn der Familientradition folgend im Alter von fünf Jahren in ein Kloster gegeben, und dieses hatte er erst verlassen dürfen, als er alt genug war, Theologie zu studieren. Nach seiner Priesterweihe war er nach Rom gepilgert, um am Grab der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu beten, und dort war er dem Wittenberger Mönch Martin Luther begegnet, der derzeit den Bischöfen und dem Papst so viele Schwierigkeiten bereitet. Er selbst hatte sich wenig Gedanken über den rechten Glauben gemacht, sondern sich mit anderen Priestern und Mönchen einem liederlichen Lebenswandel ergeben. Mittlerweile war ihm jedoch klargeworden, wie verderbt die Kirche an etlichen Gliedern war, und nun strebte er danach, Luthers Thesen und Schriften selbst zu lesen. Er bereute jetzt, damals nicht mit dem Mönch aus Wittenberg gesprochen zu haben. Vielleicht wäre sein Leben dann anders verlaufen. Doch da stieg Rosis Bild in seinen Gedanken auf, und er war froh um die Liebe, die sie einander schenkten.

Die Ketzerbraut. Roman
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