4.
An diesem Tag tat sich im Fuggerhaus nicht viel. Der Kaufherr und seine Untergebenen gingen ihren Geschäften nach, die geistlichen Herren diskutierten religiöse Fragen, und Franz von Gigging lümmelte sich auf einem Stuhl und streichelte gelegentlich den Knauf seines Schwertes.
Da Ernst Langeweile nicht gewohnt war, aber von Kardinal Cajetanus nicht gebraucht wurde, bat er den Kaufherrn, ihm eine Arbeit aufzutragen. Fugger sah ihn mit einem zufriedenen Nicken an und befahl ihm, Listen zusammenstellen, die er in Kürze benötigte. »Allerdings wirst du es in diesem Raum tun, um bereitzustehen, wenn Seine Eminenz einen Auftrag für dich hat«, setzte er hinzu.
»Das ist selbstverständlich!« Ernst war dies sehr recht, denn so konnte er den Kardinal und dessen Gefolge unauffällig belauschen.
Die Stunden vergingen, doch der einzige Effekt war, dass Ernsts Latein beim Zuhören geschult wurde. Worüber sich die geistlichen Herren unterhielten, erschloss sich ihm jedoch nicht so ganz, denn sie verwendeten immer wieder Zitate kirchlicher Würdenträger aus früherer Zeit, die Ernst während seiner Schulzeit nicht gelernt hatte. Damals hatte er sich geärgert, außer Lesen, Schreiben und Rechnen auch noch Latein pauken zu müssen, denn er hatte weder Priester noch Mönch werden wollen. Die Mutter hatte es jedoch so bestimmt, und der Vater es mit einem Achselzucken zur Kenntnis genommen.
Während er aus einem dicken Stapel Lieferpapiere die Listen für Fugger erstellte und gleichzeitig die Ohren offenhielt, kam Ernst zu dem Schluss, dass sich sein Vater im Grunde nie viel aus ihm gemacht hatte. Für Eustachius Rickinger gab es nur einen Menschen auf der Welt, dem seine Liebe galt, nämlich sich selbst. Die Mutter war ganz anders gewesen. Zuerst hatte sie versucht, ihrem Mann all die Liebe zu geben, deren sie fähig war, und als sie sich abgewiesen fühlte, hatte sie ihren Sohn mit ihrem Gefühlsüberschwang beinahe erstickt.
Damals hatte Ernst sich gewünscht, die Mutter würde ihn so behandeln wie andere Mütter ihre Söhne. Doch sie hatte ihn stets in das beste Gewand gesteckt, ihm das schönste Spielzeug besorgt und war fast vor Sorge vergangen, wenn er einmal mit einem aufgeschürften Knie oder einer blutigen Nase nach Hause gekommen war. Die Schuld daran hatte er früher ihr zugeschrieben, doch nun wusste er, dass sie sich an ihn geklammert hatte, weil sein Vater ihr kalt und lieblos begegnet war.
Am Nachmittag kam Jakob Fugger auf ihn zu, in der Hand einen Brief. »Hier, Ernst! Dieses Schreiben stammt von deinem Vater. Echle hat es vorhin gebracht.«
»Danke, Herr!« Ernst nahm den Brief entgegen und erbrach das nachlässig angebrachte Siegel. Der Brief selbst war kurz und entbehrte jeder Herzlichkeit. Da Fugger neben ihm stehen geblieben war, sah Ernst mit einem kurzen Lachen zu diesem auf. »Mein Vater schreibt, dass er sich mittlerweile neu vermählt habe. Daher solle ich, wenn ich einmal nach München käme, im Hause meines Schwiegervaters Unterkunft suchen.«
Fugger wirkte nachdenklich. »Das neue Weib deines Vaters soll eine arg gewöhnliche Frau sein, habe ich mir sagen lassen. Wie es aussieht, versucht sie von Anfang an, dich aus dem Haus zu drängen. Das solltest du dir nicht gefallen lassen. Immerhin bist du der Erbe.«
»Ich hoffe, es lässt sich alles mit meinem Vater unter vier Augen regeln!« Die Aussicht auf eine mögliche gerichtliche Auseinandersetzung mit der Witwe seines Vaters und eventuellen Halbgeschwistern behagte Ernst wenig. Andererseits würde man ihn als Geschäftsmann nicht mehr ernst nehmen, wenn er sich von seinen angeheirateten Verwandten über den Tisch ziehen ließ.