8.

Leiberts Haustür war bereits abgeschlossen. Daher musste Rickinger den Klopfer anschlagen, um sich bemerkbar zu machen. Es dauerte eine Weile, bis jemand an die Tür kam und sie öffnete. Es war der Schwab, an den sein Kollege Sepp all jene Arbeiten abschob, die er selbst nicht so gerne übernahm.

»Grüß Gott, Herr Rickinger. Ihr seid aber noch spät unterwegs«, begrüßte er den Gast.

Rickinger schob den Knecht zurück und trat ein. »So spät ist es auch wieder nicht. Melde mich deinem Herrn! Ich habe mit ihm zu reden.«

Der Schwab fragte sich, was für ein eiliges Geschäft den Kaufmann um diese Stunde zu seinem Herrn führte. Schnell lief er die Treppe hinauf und klopfte an Leiberts Kammer. »Herr, der Rickinger ist da und will mit Euch reden!«

»Der Rickinger?« Leibert klang nicht gerade erfreut. »Bring ihn ins Kontor. Ich komme gleich!«

Während der Schwab die Treppe hinunterrannte, rieb der Hausherr sich die schmerzende Stirn. Er hatte sich eher zum Schlafen zurechtgemacht als sonst und war auch bereits ein wenig eingenickt. Jetzt brauchte er eine Weile, um wieder auf die Beine zu kommen. Mit dem Gefühl, alt und verbraucht zu sein, stand er schließlich auf und sah an seinem Nachthemd hinab. Da er sich zu zittrig fühlte, um sich noch einmal richtig anzukleiden, hüllte er sich in einen Überwurf und schlüpfte in seine Pantoffel.

Kurz darauf betrat er mit schleppenden Schritten sein Kontor, in dem Rickinger es sich bereits auf dem Stuhl bequem gemacht hatte, der wichtigen Besuchern vorbehalten war. Vor ihm auf dem Eichentisch stand ein voller Becher mit Wein, den ihm der Schwab gebracht hatte.

Nun blickte der Knecht seinen Herrn fragend an. »Soll ich Euch einen Krug Bier holen?«

Leibert nickte dankbar, denn seine Kehle war wie ausgedörrt, und er musste sich erst einmal räuspern, bevor er ein Wort hervorbrachte. »Was führt dich noch zu mir, Rickinger?«

Ernsts Vater begriff, dass sein Besuch Leibert ungelegen kam. Offensichtlich war der Mann nicht nur vorzeitig alt geworden, sondern auch krank. Lange würde Leibert es wohl nicht mehr machen. Daher war es umso wichtiger, rasch zu einer Einigung zu kommen.

»Weißt du noch, mein Freund, worüber wir letztens geredet haben?«, begann er.

»Ja! Über die Kredite, die unser gnädigster Herr Herzog von uns fordert und die er doch nicht zurückzahlt.«

Rickinger machte eine unwirsche Handbewegung. »Das meine ich nicht! Mir geht es um deine Veva und meinen Ernst. Mein Sohn ist gerade eben aus Innsbruck zurückgekommen. Mit dem Antscheller ist nichts geworden. Fast tät ich sagen, Gott sei Dank! Darum kann er jetzt die Veva heiraten.«

Obwohl Leibert diese Ehe selbst vorgeschlagen hatte, zögerte er mit der Antwort. »Ich bin ein wenig überrascht«, meinte er, nachdem er sich an dem Bierkrug gestärkt hatte. »Wie ich mit dir darüber geredet habe, hast du nicht gerade ausgesehen, als ob dir die Veva recht wäre.«

»Mein Gott, Leibert, musst du jedes Wort auf die Goldwaage legen?« Rickinger bekam auf einmal Angst, sein Freund könne diese Heirat nicht mehr wollen. Dabei war dessen Tochter das einzige Mädchen mit einer passenden Mitgift, auf das sein Sohn überhaupt noch hoffen konnte. Mit einem wütenden Schnauben sagte er sich, dass Ernst an seinem üblen Ruf selbst schuld war. Den schlechten Charakter musste ihm seine Mutter vererbt haben, von ihm hatte er ihn gewiss nicht. Trotzdem entband ihn das nicht der Verpflichtung, seinen Sohn zu verheiraten. Er hätte ihn zwar auch ledig nach Augsburg schicken können, doch er wollte nicht, dass Ernst bei Besuchen in München seiner Susanne nachstellte.

Da Leibert nicht gleich antwortete, stand er auf und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es gereicht doch uns beiden zum Vorteil. Mein Ernst kommt endlich unter die Haube, und deine Veva kriegt einen Mann, der ihrem Stand angemessen ist. So leicht bringst du sie nach der Sache mit den Räubern nicht mehr los.«

Leibert hätte ihm sagen können, dass es mit Haselegner durchaus einen Interessenten für Veva gab, aber der kam auf keinen Fall als Bräutigam in Frage. Da er Grund hatte zu fürchten, bald vom Herrgott aus dieser Welt abberufen zu werden, musste Veva schnell in feste Hände kommen. Seufzend griff er nach dem Bierkrug, um seine Kehle zu schmieren.

»Wir könnten es uns überlegen«, sagte er, als er den Krug wieder abgesetzt hatte.

»Überlegt haben wir beide lange genug. Eine Ehe zwischen unseren Kindern bringt uns beiden einen Vorteil. Du musst nicht glauben, dass der Ernst nichts vom Handel versteht. Außerdem schicke ich ihn für ein Jahr nach Augsburg zum Fugger Jakob. Mit dessen Hilfe soll er dort einen eigenen Handel aufziehen. Auf die Dauer kommt mich unser Herzog nämlich zu teuer. Deswegen will ich einen Teil meiner Geschäfte über Augsburg abwickeln.«

»Der Ernst soll nach Augsburg? Aber ich hatte gehofft, er könnte mir helfen!«, protestierte Leibert enttäuscht. Schließlich hatte er diese Ehe nicht vorgeschlagen, um Schwiegersohn und Tochter in die Ferne ziehen zu sehen.

Sein Zögern ärgerte Rickinger. Doch er begriff, dass er mit Poltern nichts erreichen konnte, und begann, seinem Freund all die Vorzüge aufzuzählen, die es mit sich brächte, wenn sie einen Teil ihrer Geschäfte nach Augsburg verlegten.

»Das mag schon richtig sein«, antwortete Leibert. »Trotzdem wäre es mir lieber, der Ernst bliebe in München.«

Das aber wollte Rickinger unter allen Umständen vermeiden, denn sonst durfte er kein um zwanzig Jahre jüngeres Weib heiraten. Dabei ging es ihm weniger um den Ruf seiner zukünftigen Frau, sondern darum, dass er sich jünger fühlen würde, wenn er nicht täglich einen erwachsenen Sohn vor sich sah. Aus diesem Grund redete er auf Leibert ein, bis dieser schließlich nachgab.

»Also gut, die zwei sollen heiraten und nach Augsburg gehen. Aber wenn ich den Ernst brauche, hat er zurückzukommen!«

»Das wird er, mein Freund, das wird er!« Rickinger ergriff Leiberts Hände und hielt sie fest. »Es wird alles gut, das verspreche ich dir. Nur zu früh dürfen wir die zwei nicht nach München zurückholen, denn noch sind sie im Gerede der Gassen. Erst muss sowohl Ernsts derber Scherz mit Peter Remigius wie auch Vevas Aufenthalt bei den Räubern vergessen sein!«

»Da hast du wohl recht«, sagte Leibert, dem nicht weniger als Rickinger an einem guten Ruf gelegen war.

»Dann sind wir uns einig. Schlag ein!« Damit hielt Rickinger ihm die Rechte hin.

Nach einem kaum merklichen Zögern schlug Leibert ein. Er wunderte sich, wie kräftig er sich auf einmal fühlte. Seine Kopfschmerzen waren verschwunden, und er litt auch nicht mehr so stark unter Atemnot. Nun klammerte er sich an die Hoffnung, dass der Herrgott ihm noch ein paar gute Jahre schenken würde, damit er sein Haus bestellen konnte.

Auch Rickinger war erleichtert, die Angelegenheit hinter sich gebracht zu haben. Zwar würde er den Heiratsvertrag erst in den nächsten Tagen mit Leibert aushandeln, aber das war nur noch eine Formalität. Sein Sohn durfte nicht zu kurz kommen, das war er ihm schuldig. Dann dachte er an die dralle junge Witwe, die schon bald sein Bett wärmen würde, und rieb sich zufrieden die Hände.

Während die beiden Kaufleute mit dem Gefühl auseinandergingen, ein gutes Geschäft abgeschlossen zu haben, dachte sich der Schwab seinen Teil. Veva sollte also Ernst Rickinger heiraten. Dagegen sprach im Grunde nichts, doch für sein Gefühl ging diese Sache zu rasch. Immerhin war die junge Frau noch in tiefer Trauer um ihren Bruder, aber darauf wollten weder Rickinger noch Leibert Rücksicht nehmen. Auch hatten sie keinen Gedanken daran verschwendet, ob Veva den jungen Rickinger überhaupt heiraten wollte.

»Das Heiraten ist für die Herren Bürger nur ein Geschäft wie jedes andere«, sagte er zu sich selbst. »Da ist es doch gut, dass ich bloß ein Knecht bin. Sonst müsste ich das hässlichste Weib in der Stadt heiraten, nur weil es ein paar Münzen im Sparstrumpf stecken hat.«

Mit einem Auflachen tat er diese Vorstellung ab und kehrte in die Küche zurück. Als er die Gesichter der anderen Bediensteten auf sich gerichtet sah, grinste er. Cilli würde er die Sache vielleicht erzählen, aber Sepp erfuhr von ihm kein Wort. Der hätte selbst zur Haustür gehen und Rickinger einlassen können.

Die Ketzerbraut. Roman
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html