20.
Ernst erwachte mit heftigen Kopfschmerzen und hatte einen so schlechten Geschmack im Mund, dass es ihn würgte. Er wollte sich aufrichten, konnte aber weder Arme noch Beine bewegen. Trotz seines Brummschädels versuchte er herauszufinden, was mit ihm geschehen war. Doch in seinem Kopf drehte sich alles, und so war er schließlich geradezu erleichtert, dass er wieder wegdämmerte.
Als er erneut zu Besinnung kam, erinnerte er sich allmählich daran, dass er nach Innsbruck unterwegs gewesen und auf drei Fremde getroffen war. Im selben Augenblick sah er die Szene vor sich, in der einer der Kerle Sepp die Kehle durchschnitt. Es war so blitzschnell gegangen, als schlachte der Mann jeden Tag einen Menschen ab.
Ernst war es, als griffe eine eisige Hand nach seinem Herzen. Er hatte sich den drei Fremden angeschlossen, ohne das geringste Misstrauen zu hegen, obwohl er genug von den Räubern im Gebirge gehört hatte. Durch diesen Leichtsinn war er genauso am Tod seines Knechts schuld, als hätte er ihn eigenhändig umgebracht.
Nun machte er sich Vorwürfe, weil er einfach drauflos geritten war, anstatt zu warten, bis sich eine größere Gruppe in Richtung Innsbruck zusammengeschlossen hatte. Dann fragte er sich, weshalb er noch lebte. Immerhin hieß es von den Räubern in dieser Gegend, sie töteten jeden, der ihnen in die Hände fiel. Niemals würde er heil aus dieser Sache herauskommen. Er musste an Veva denken, die nun vergebens auf ihn warten würde. Sie hatte ihn gewarnt, allein zu reiten, aber er hatte ihren Rat in den Wind geschlagen. Nun musste sie unter seiner Unvernunft leiden.
Ihm war klar, dass man seine Witwe von allen Seiten bedrängen und versuchen würde, sie auszuplündern. Priester würden ständig Opfer und Spenden von ihr fordern, sein Vater sich zu ihrem Vormund aufschwingen und etliche Kerle in verbesserungsbedürftigen Verhältnissen sie zu einer Heirat zwingen wollen. Im nächsten Moment fiel ihm ein, dass er sein Kind niemals zu sehen bekommen würde, und er brach in Tränen aus.
Eine Weile überschüttete er sich mit Selbstvorwürfen, doch dann begriff er, dass ihm dies nichts brachte. Solange er lebte, durfte er die Hoffnung nicht aufgeben. Er versuchte, seine Fesseln zu lösen oder abzustreifen, merkte aber rasch, dass die Männer, die ihn überfallen hatten, ihr Handwerk verstanden. Zudem steckte er in einem großen Sack, der so fest gewoben war, dass er ein Messer gebraucht hätte, um sich daraus zu befreien.
Schließlich hallten die Hufschläge der Pferde wider, als ritte die Gruppe durch einen Torbau. Kurz darauf blieb das Pferd, das ihn trug, stehen, und grobe Hände zerrten ihn von dem Rücken des Tieres herab. Für kurze Zeit lag er im Schnee, dann schleppte man ihn eine Treppe hinab und ließ ihn auf etwas Nachgiebiges fallen, das aus Stroh, Heu oder Reisig bestehen musste. Damit, dachte er mit einem Anflug von Galgenhumor, war seine Geschäftsreise erst einmal zu Ende, und er fragte sich, was nun folgen würde.