3.

Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als Ernst das kleine Haus betrat, das Jakob Fugger ihm und Veva zur Verfügung gestellt hatte. Trotz der späten Stunde traf er seine Frau in der Küche an. Sie hatte eine Kerze aufgestellt, las in deren Schein und spann Flachs.

Als er hereinkam, hob sie den Kopf. »Ich wusste nicht, wann du nach Hause kommst. Daher habe ich bereits zu Abend gegessen. Aber ich habe dir etwas aufgehoben. Ich werde es gleich aufwärmen.«

»Ich habe vorhin in Fuggers Haus gegessen und daher keinen Hunger mehr.«

»Dann gibt es den Brei zum Frühstück«, sagte sie ohne Bedauern und trug den Topf in die Speisekammer.

»Nicht, dass die Mäuse darüber herfallen«, sagte Ernst, als sie zurückkehrte.

»Ich habe eine Steinplatte auf den Topf gelegt. Die können selbst Ratten nicht wegschieben.«

»Haben wir etwa Ratten im Haus?«

Ernst klang so fassungslos, dass Veva lachen musste. »Natürlich nicht! In anderen Teilen der Stadt gibt es häufig welche. Nis verdient sich öfter ein paar Kreuzer, indem er sie jagt – solange er keine Würste klaut, heißt das.«

Ernst sah Veva verwirrt an. »Wer ist Nis?«

»Der Junge, den du zum Bierholen geschickt hast. Er hat sich quasi selbst als Faktotum bei uns eingestellt.«

»So ein Bengel! Taugt er wenigstens was?«

»Er ist geschickt und fleißig. Außerdem kennt er sich hier in der Stadt aus und konnte mir auf Anhieb einen Buchverleger nennen, bei dem ich dieses Buch erstanden habe!« Veva hielt es in Ernsts Richtung, und dieser sah, dass es sich um fromme Heiligenlegenden handelte.

Das war nicht gerade die Literatur, die er bevorzugte. Daher lächelte er überlegen. »Nun, wenn es dir Freude macht. Aber wie hast du den Tag sonst verbracht?«

»Ich habe deine Sachen, die aus Fuggers Haus hierhergebracht wurden, eingeräumt und weiter an einem Kleid für mich genäht. Dann war ich auf dem Markt, habe das Buch gekauft und Nis einige weitere Besorgungen machen lassen. Ansonsten bin ich hier gesessen, habe Flachs gesponnen, damit meine Hände beschäftigt sind, und darauf gewartet, dass die Zeit vergeht. Bei der Heiligen Jungfrau, es gibt hier kaum etwas zu tun! Die Wohnung ist winzig, und ich muss weder meinem Vater helfen, Briefe zu schreiben, noch Gesinde überwachen. Ich hoffe, das ändert sich bald, sonst …« Veva brach mitten im Satz ab und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Was sonst?«, bohrte Ernst nach.

»Sonst werde ich sehr viel Geld zum Tuchhändler und zum Buchverleger tragen!« Diese Ausrede fiel Veva gerade noch ein, denn ursprünglich hatte ihr eine drastischere Bemerkung auf der Zunge gelegen. Sie seufzte, füllte einen Becher mit Bier und stellte ihn Ernst hin. »Hier, du wirst gewiss Durst haben!«

»Das kannst du laut sagen! Ich habe unterwegs noch einen Bekannten besucht und wurde von ihm zu ein paar Schoppen Wein eingeladen. Trotzdem ist meine Kehle wie ausgedörrt!« Ernst ergriff dankbar den Becher und trank das Bier in einem Zug aus. »Das hat gutgetan.«

Da er Veva nicht ansah, entging ihm der verächtliche Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte. Er hat sich nicht geändert, dachte sie, sondern ist noch der gleiche Luftikus wie in jenen Jahren, in denen er mit meinem Bruder durch die Schenken gezogen ist. Wahrscheinlich hat er auch seine übrigen Untugenden behalten. Bei der Vorstellung, er könnte eben bei einer Hure oder einer willigen Magd gewesen sein, empfand Veva Ekel. Das, was im Bett zwischen Ehemann und Ehefrau geschah, war in ihren Augen etwas ganz Persönliches, das als Geschenk des Herrn angesehen werden musste. Wer ohne Gottes Segen und nur der Lust gehorchend zu den Huren ging, war für sie nicht mehr als ein Tier.

Aus diesem Grund erleichterte es sie, dass Ernst, nachdem sie zu Bett gegangen waren, nicht nach ihr verlangte, und sie schob das leise Bedauern, das in ihr aufzusteigen begann, weit von sich. Er ist es nicht wert, dass ich mir Gedanken oder gar Sorgen um ihn mache, sagte sie sich. Doch als sie sich mit dem Handrücken über die Augen fuhr, fühlte sie die Nässe von Tränen. Gleichzeitig sehnte sie sich nach einem Kind, am besten einem Sohn, dem sie ihre ganze Liebe schenken und den sie zu einem frommen und gerechten Menschen erziehen konnte, der mit seinem liederlichen, verantwortungslosen Vater nichts gemein haben sollte.

Dabei empfand Ernst mehr Verantwortung denn je, denn er machte sich Sorgen um Martin Luther, dem mit Thomas Cajetanus ein Mann gegenüberstand, der die gesamte Macht des Papstes hinter sich wusste. Dazu kam Portikus, der Luther am liebsten auf den Scheiterhaufen schicken würde. Bei dem Gedanken an den Münchner Theologen überlegte Ernst, ob er Veva sagen sollte, dass dieser nach Augsburg gekommen war.

Da sie jedoch regungslos dalag, glaubte er, sie wäre bereits eingeschlafen, und wollte sie nicht wecken. Stattdessen sann er darüber nach, was er tun könnte, wenn Luther tatsächlich verhaftet werden sollte. Zu einem Petrus, der seinen Herrn im Garten Gethsemane mit einem Schwertstreich aus den Händen der Häscher befreien hatte wollen, fühlte er sich nicht berufen.

Über diesem Gedanken schlief er ein und träumte einen wilden Traum, in dem er sich sowohl gegen Portikus wie auch gegen Gigging zur Wehr setzen musste, während Veva daneben saß und in ihrem Legendenbuch blätterte, ohne sich ein einziges Mal nach ihm umzusehen.

Als er am Morgen erwachte, fühlte er sich wie zerschlagen. Es dauerte eine Weile, bis er einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte. Dann aber griff er auf die andere Seite des Bettes und fand sie leer. Wie es aussah, hatte Veva ihr Tagwerk schon begonnen.

Er stand auf, wusch sich in der Schüssel, die in einem wackligen Gestell stand, und zog sich an. Als er kurz darauf in die Küche trat, hatte Veva bereits Feuer auf dem Herd entfacht, um das gestrige Abendessen zum Frühstück aufzuwärmen.

Als sie ihn kommen sah, verzog sie das Gesicht. »Isst du jetzt mit mir oder frühstückst du in Fuggers Haus?«

Sie klingt beleidigt, dachte Ernst. Anscheinend hatte sie es ihm übelgenommen, dass er am Abend nicht zum Essen nach Hause gekommen war. Irgendwie waren die Frauen doch alle gleich. Er schämte sich jedoch sofort für diesen Gedanken, denn er hätte ihr Botschaft schicken können, dass es später wurde. So aber hatte Veva lange auf ihn gewartet und sich Sorgen gemacht.

»Ich frühstücke mit dir«, sagte er daher etwas kleinlaut und nahm am Tisch Platz.

Veva stellte ihm einen Becher Bier hin und füllte zwei Näpfe mit Brei. Nachdem sie einen halben Laib Brot aus der Speisekammer geholt und auch sich etwas zu trinken eingegossen hatte, setzte sie sich zu ihm.

Ernst wollte schon zugreifen, als ihn ihr mahnender Blick traf. Gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, dass er als Hausvorstand die Pflicht hatte, das Tischgebet zu sprechen. Zu Hause hatte dies sein Vater getan. Doch als er jetzt selbst die Worte sprach, die sich ihm seit seiner Kindheit eingeprägt hatten, fühlte er sich auf einmal frei. Mochte sein Vater tun und lassen, was ihm in den Sinn kam. Er würde seinen eigenen Weg gehen – und zwar zusammen mit Veva. Sie sprach zwar kaum ein Wort, aber er fand es angenehm, sie in seiner Nähe zu haben. Als er sah, wie sie nach dem Brotlaib griff, um sich ein Stück abzuschneiden, kam er ihr zuvor.

»Weißt du, dass du eine ebenso schöne wie tüchtige Frau bist?«, sagte er, während er ihr eine dicke Scheibe Brot reichte.

»Obwohl ich gestern den halben Tag in der Küche gesessen bin und gelesen habe?«, fragte sie spöttisch.

»Du hast gesponnen!«, erinnerte er sie. »Außerdem ist es meine Schuld, dass du nicht genug zu tun hast. Ich hätte uns längst ein eigenes Haus besorgen müssen.«

Im Augenblick hatte er ganz vergessen, dass er bis vor kurzem gehofft hatte, Veva würde so lange wie möglich in München bleiben. Nun sagte er sich, dass verheiratet zu sein seine Vorteile hatte. Es war erfreulich, am Morgen in ein freundliches Gesicht zu sehen und in der Nacht einen warmen, willigen Leib neben sich zu spüren. Bei dem Gedanken strömte ihm das Blut in die Lenden, und er fühlte, wie seine Sehnsucht nach ihr wuchs. Zuerst kämpfte er gegen das Gefühl an, sagte sich dann aber, dass er den Tag angenehm beginnen wollte. Portikus und die anderen würde er noch früh genug sehen. Daher aß er auf, wartete, bis auch Veva fertig war, und fasste dann nach ihrer Hand.

»Aufräumen kannst du, wenn ich weg bin. Jetzt steht mir der Sinn nach etwas anderem.«

Veva begriff sogleich, was er meinte, und ihr lag bereits eine harsche Antwort auf der Zunge. Da erinnerte sie sich an ihren Wunsch, möglichst bald schwanger zu werden. Dazu würde es nicht kommen, wenn sie sich ihrem Mann verweigerte. Aus diesem Grund folgte sie ihm in die Schlafkammer, streifte ihr Gewand ab, behielt aber ihr Hemd an. Als sie sich hinlegte, schob sie dessen Saum nur so hoch, wie es nötig war.

Zwar hätte Ernst sie gerne einmal nackt gesehen, doch er sagte sich, dass er sie nicht drängen durfte. So rasch es ging, schlüpfte er aus Wams und Hosen und stieg auf das Bett. Als er nach ihrer Hüfte fasste, zuckte sie zwar ein wenig zusammen, wirkte aber weniger angespannt als beim ersten Mal. Sie ließ es zu, dass er mit seinen Fingern dem Schwung ihrer Schenkel folgte, und keuchte, als er genau dazwischenfasste.

Veva ist also doch nicht ganz ohne Gefühl, dachte Ernst und schob sich auf sie. Obwohl sie sich gut in der Gewalt hatte, merkte er ihr eine gewisse Erregung an und nahm sich vor, ihr keinen Grund zu liefern, unzufrieden mit ihm zu sein.

Die Ketzerbraut. Roman
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