13.

Veva hatte bemerkt, dass der Trupp auf freier Strecke anhielt, konnte aber nicht feststellen, woran das lag. Als es nicht weiterging, verließ sie kurzerhand die Sänfte und stieg mit dem Kind auf dem Arm den Passweg hoch. Erst als sie die Kuppe fast erreicht hatte, entdeckte sie Franz von Gigging und erkannte ihn auch an jener Geste, die sie schon bei dem Räuberhauptmann mit der hölzernen Maske bemerkt hatte. Sein Waffenknecht gehörte zu jenen, die ihn nach Augsburg begleitet hatten. Mit versteinertem Gesicht trat sie auf die Männer zu und funkelte den Ritter voller Hass an.

»Da habt Ihr den Anführer der Räuber, Herr Prielmayr«, sagte sie zu dem Höfling. Bevor dieser etwas sagen konnte, antwortete Gigging mit einem falschen Lachen.

»Ich und ein Räuber? Weib, dir hat wohl deine Niederkunft die Sinne getrübt.«

»Wollt Ihr etwa abstreiten, dass Doktor Portikus Euch Geld dafür geboten hat, meinen Mann zu ermorden? Dafür gibt es Zeugen!«, antwortete Veva zornerfüllt.

Gigging verfluchte in Gedanken den Geistlichen, der ihn in Augsburg gedrängt hatte, Ernst Rickinger zu töten. Noch während er überlegte, wie er sich aus dieser Klemme winden konnte, stieß sein Begleiter einen gotteslästerlichen Fluch aus. »Du verdammter Hund! Du hast von dem Priester Geld für die Sache bekommen und es nicht mit uns geteilt?«

Der Ritter hätte am liebsten das Schwert gezückt und seinen Gefolgsmann auf der Stelle mundtot gemacht. Doch trotz der verräterischen Worte gab er sich noch nicht geschlagen. »Ich habe Rickinger nicht des Geldes wegen getötet. Der Mann hat mich beleidigt, und es war mein Recht, ihn dafür zu bestrafen!«

Prielmayr schüttelte langsam den Kopf. »Wegen Rickingers Tod werdet Ihr Euch vor Gericht verantworten müssen, Gigging!«

»Und auch wegen des Mordes an meinem Bruder! Es hat gedauert, bis meine Erinnerung zurückgekehrt ist, doch mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass Ihr und Männer Eurer Bande auch diese Schandtat begangen habt!« Veva fühlte weniger Triumph als Trauer, denn der Schmerz um Bartl, der nie ganz vergangen war, erfasste sie von neuem, so dass ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Gigging schwirrte der Kopf. Nicht durch Haselegners Verrat, auch nicht durch die Schlauheit eines bayrischen Landrichters war er entdeckt worden, sondern durch eine rachsüchtige Frau. Er hätte damals auf Haselegner pfeifen und Veva seinen Kerlen als Beute vorwerfen sollen. Stattdessen hatte er das Weibsstück für einen lumpigen Kaufmann geschont. Mit noch mehr Wut erfüllte ihn der Gedanke, dass Veva wie zur Belohnung jetzt auch noch ihren Ehemann befreien würde.

Er starrte die Frau an, die mit dem Kind im Arm an eine Madonnenstatue gemahnte, und fühlte das Blut heiß durch seine Adern rinnen. Sie allein war am Scheitern all seiner Pläne schuld, und dafür musste sie bezahlen. Rasch zog er sein Schwert, holte aus und führte einen scharfen Hieb gegen Veva.

Prielmayr nahm die Bewegung früh genug wahr und versetzte der Frau einen Stoß. Während Veva zu Boden fiel und verzweifelt versuchte, ihr Kind zu schützen, traf Giggings Klinge den Brustpanzer des Herzoglichen Rates und durchschlug ihn. Dieser spürte, wie die Klinge in sein Fleisch schnitt und wollte noch die eigene Waffe ziehen. Seine Hand gehorchte ihm jedoch nicht mehr, und so musste er wehrlos mit ansehen, wie Gigging erneut ausholte.

Zu einem zweiten Schlag kam der Raubritter nicht mehr, denn einer von Prielmayrs Kriegsknechten rammte ihm die Pike in den Leib. Gigging brach ächzend zusammen und starrte den Herzoglichen Rat so hasserfüllt an, als hoffe er, dieser würde vor seinen Augen das Leben aushauchen.

Obwohl Prielmayr stark blutete, kam er mit Hilfe eines seiner Knechte wieder auf die Beine und atmete erst einmal tief durch, bevor er zu sprechen begann. »Ihr seid eine heimtückische Ratte, Gigging, und nicht wert, einen adeligen Namen zu tragen!«

Er spie vor dem Raubritter aus und wandte sich dann Veva zu, die sich mit bleichem Gesicht, aber sonst unversehrt wieder aufgerafft hatte. »Ich bitte Euch um Vergebung, Frau Rickingerin, weil Ihr und Euer Kind durch meine Unvorsichtigkeit in Gefahr geraten seid. Doch ich habe nicht erwartet, dass ein Edelmann sein Schwert gegen Euch erheben würde. He, ihr da«, sein auffordernder Blick traf einige der Kriegsknechte, »bindet diesen Schurken und seinen Kumpan!«

Giggings Begleiter hatte dem Ganzen starr vor Schreck zugesehen und wendete nun sein Pferd, um zurückzureiten und die Männer auf der Burg zu warnen. Doch er war nicht schnell genug. Vier Waffenknechte stürzten auf ihn zu und umringten ihn. Während einer nach den Zügeln des Pferdes griff, packten ihn die anderen und rissen ihn aus dem Sattel.

Unterdessen hatte Veva ihr Töchterchen sorgfältig untersucht, um festzustellen, ob es Schaden genommen habe. Doch das Kind, das im ersten Schreck durchdringend geschrien hatte, öffnete die Augen und lächelte.

»Ihr ist nichts geschehen«, sagte sie zu Prielmayr.

Dieser nickte grimmig. »Wäre es anders, hätten wir Gigging und seinen Spießgesellen auf der Stelle erschlagen.« Dann erinnerte der stechende Schmerz ihn an seine Wunde, und er fuhr seinen Leibdiener an. »He, du, was stehst du herum und starrst Luftlöcher? Siehst du nicht, dass ich blute wie ein Schwein? Hol den Feldscher, damit er mich verbindet!«

»Er muss mich ebenfalls versorgen«, stieß Gigging keuchend hervor. »Außerdem brauche ich einen Priester, damit er mich vor den Toren der Hölle zurückreißt. Luzifer wartet bereits auf mich. Ich will nicht in die ewige Verdammnis. Lieber Herr Jesus, hilf!«

Gigging schrie und kreischte so, dass die Männer vor ihm zurückwichen. Unterdessen hatten zwei Bewaffnete den Herzoglichen Rat von seinem Panzer und den Armschienen befreit, und der Feldscher des Trupps begann, ihn zu verarzten.

Veva sah ihm ein paar Augenblicke lang zu und schüttelte dann den Kopf. »Bei Gott, hältst du den Herrn für ein Schwein, das du abstechen willst? So fügst du ihm nur noch mehr Schmerzen zu! Komm, lass mich das machen. Kümmere du dich um den Schuft da. Ich will nicht, dass Gigging sich aus dem Leben davonstiehlt, bevor ich ihn am Galgen baumeln sehen kann.«

Als Veva Prielmayr verbunden hatte, dessen Wunde weniger tief war, als das viele Blut hatte vermuten lassen, atmete dieser auf. »Ich danke Euch, dass Ihr Euch meiner angenommen habt. Eure Hände sind wahrlich sanfter als die unseres Feldschers. Aber jetzt solltet Ihr wieder in Eure Sänfte steigen. Ich will weiterziehen, um Giggings Besitz so bald wie möglich zu erreichen. Sind wir erst einmal dort, wird ihn uns kein Tiroler mehr streitig machen, denn der einzige Weg dorthin führt über bayrisches Land!«

Veva wusste zu wenig über Politik, um zu begreifen, wie stark die Demütigungen, die die bayrischen Herzöge immer wieder vom Haus Habsburg hatten hinnehmen müssen, Wilhelm IV. das Leben verbitterten. Der Gedanke, es den Herren von Österreich und Tirol wenigstens diesmal zeigen zu können, trieb Prielmayr an, und er setzte den Weg trotz seiner Verletzung fort.

Da Veva viel zu aufgewühlt war, um in die Sänfte steigen zu können, reihte sie sich am Ende des Zuges ein und schritt neben dem Schwab her. Dabei betete sie so intensiv wie noch nie in ihrem Leben zur Heiligen Jungfrau und dem Jesuskind, damit diese ihre schützende Hand über Ernst hielten. Ihr Blick streifte mehrmals die primitive Trage, auf der Franz von Gigging mitgeschleppt wurde, und sie wünschte sich, ihn nach Ernst fragen zu können. Der Raubritter war jedoch entweder in eine tiefe Bewusstlosigkeit gefallen oder tat zumindest so.

Die Ketzerbraut. Roman
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