23.

Am nächsten Tag wurde Ferdinand Antscheller erst am Mittag mit den Briefen fertig, die er seinem Schwiegersohn übergeben wollte. Als er sie ihm reichte, fragte er ihn: »Willst du nicht doch lieber bis morgen warten?«

Haselegner lauschte dem Stundenschlag der Uhr und schüttelte den Kopf. »Ich möchte München so früh wie möglich erreichen.« Er schob die Briefe seines Schwiegervaters in einen Stoffbeutel, den er später in die Satteltasche stecken wollte.

»Du solltest einen oder zwei Knechte mitnehmen. Das ist sicherer«, schlug sein Schwiegervater vor.

»Nicht nötig! Gigging hat versprochen, mir zwei seiner Waffenknechte als Geleit mitzugeben, und die warten schon in einem Gasthof auf mich. Wenn ich nicht bald komme, denken sie noch, ich hätte es mir anders überlegt, und reiten zu ihrem Herrn zurück«, antwortete Haselegner und schwang sich in den Sattel.

»Gott behüte euch bis zu meiner Rückkehr!«, rief er und winkte seiner Frau, die oben am offenen Fenster stand, noch einmal zu. Dann ritt er aus dem Hof hinaus und reihte sich in die Menge der Fußgänger, Reiter und Karren auf der Straße ein.

Am Tor grüßte er die Wachen fröhlich, nannte ihnen sein Ziel und reichte ihnen einen Schilling, damit sie auf seine glückliche Reise trinken sollten. Zwei Dörfer weiter kehrte er in einer Herberge ein, in der Giggings Männer bereits auf ihn warteten. Sie gehörten zu jenen, die mit geschwärzten Gesichtern an dem Überfall auf Vevas Brautzug teilgenommen und auch ihren Herrn nach Augsburg begleitet hatten. Ein Menschenleben zählte für sie nur so viel, wie sie dafür erhielten, es auszulöschen.

Haselegner begrüßte sie lachend und zeigte nach draußen. »Es ist schon recht spät. Wir übernachten besser hier!«

»Uns soll’s recht sein«, antwortete einer der Männer und stieß seinen Kumpan an. »Dann haben wir mehr Zeit für einen oder zwei Humpen, meinst du nicht auch?«

»Es können auch drei sein!« Der Kerl grinste und zwinkerte Haselegner zu. »Einen schönen Gruß von unserem Ritter. Er hat uns etwas für Euch mitgegeben!« Damit zog er einen länglichen Beutel unter seinem Wams hervor und legte ihn auf den Tisch. Haselegner schnappte danach und schob ihn unter seine Kleidung. Er fingerte den Beutel kurz ab. »Ist es auch der richtige?«

»Wir wollen tot umfallen, wenn er’s nicht ist. Ich habe ihn nämlich schon benützt«, antwortete einer der Kerle.

Haselegner nickte zufrieden und bestellte einen Krug Wein und drei Becher. Die nächsten Stunden saßen sie zusammen und boten jedem, der sie beobachtete, das Bild gemütlicher Zecher.

Als es dunkel wurde, zogen sie sich zu dritt in eine Kammer zurück, legten sich aber nicht zum Schlafen hin, sondern lauschten, bis sich die Stille der Nacht über die Herberge gelegt hatte.

Haselegner stand auf. »Ich glaube, jetzt können wir aufbrechen. Einer von euch beiden kommt mit mir. Der andere bleibt in der Herberge zurück, schließt das Tor hinter uns und lässt uns später wieder ein.«

Die beiden Räuber sprachen sich kurz ab, dann erklärte sich einer von ihnen bereit, Haselegner zu begleiten. Aus seinen Satteltaschen nahm er eine Laterne, entzündete diese an der Kerze, die ihnen der Wirt gegeben hatte, und warf einen prüfenden Blick auf Flur und Treppe. Da alles ruhig blieb, verließen die drei leise das Gebäude und schlichen zum Stall. Dort sattelten sie zwei Pferde und führten sie hinaus. Der Räuber, der zurückbleiben sollte, öffnete das Tor, damit sein Kumpan und Haselegner passieren konnten, und kehrte dann in seine Kammer zurück.

Haselegner und sein Begleiter ritten indes wieder Richtung Innsbruck. Im Mondlicht konnten sie den schneebedeckten Weg an den in die Erde gesteckten Zweigen gut erkennen. Ein Stück außerhalb der Stadtmauern hielt der Räuber sein Pferd an. »Von hier aus müsst Ihr zu Fuß weiter. Ich warte mit den Pferden. Ihr kennt die Pforte?«

Haselegner nickte. »Die habe ich mir in den letzten Tagen mehrmals angesehen. Jetzt muss nur noch der Schlüssel passen.«

»Keine Sorge, das tut er. Wir sind öfter nachts in der Stadt und wollen nicht jedes Mal der Wache am Tor Rede und Antwort stehen müssen!« Der Mann lachte leise und nahm die Zügel entgegen.

Haselegner atmete noch einmal tief durch und ging dann mit steifen Schritten auf die Stadtmauer zu. Da zu jeder Tages- und Nachtzeit Kuriere eintreffen konnten, war der Weg zur Nachtpforte geräumt. Dies hatte Haselegner bereits am Vortag in Erfahrung gebracht und war erleichtert, dass er dadurch keine Spuren im Schnee hinterlassen würde.

Der Schlüssel passte ins Schloss, und er konnte die Pforte nahezu geräuschlos öffnen. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zum Wohnhaus seines Schwiegervaters. Ungesehen von Passanten und Nachtwächtern erreichte er das Anwesen und betrat es durch den Hintereingang. Der Hund, der in seiner Hütte im Innenhof lag, kannte ihn und gab keinen Laut von sich.

Haselegner dachte erleichtert, dass es sich jetzt auszahlte, dass er einen abgesonderten Wohnteil für sich und seine Frau verlangt und auch bekommen hatte. Auf dieser Seite schlief niemand außer ihnen. Selbst die Bediensteten, die sein Schwiegervater ihnen zugeteilt hatte, waren im Hauptgebäude einquartiert. Nach kurzem Tasten fand er die Laterne, die in einer Nische bereitstand, schlug einen Funken in die Zunderdose und blies diese an, bis er die Unschlittkerze der Laterne entzünden konnte. Danach stieg er die schmale Treppe hinauf und schlich zur gemeinsamen Schlafkammer. Als er die Tür öffnete, hörte er Johanna leise schnarchen.

Kurz blickte er auf die schlafende Frau herab, stellte die Laterne ab und hob das Kissen auf, welches auf seiner Seite des Bettes lag. Er drückte es Johanna aufs Gesicht und hielt es mit aller Kraft fest. Zwar erwachte sie noch und versuchte, seine Hände wegzureißen, doch ihre Bewegungen wurden rasch matter, und sie erschlaffte. Dennoch drückte Haselegner ihr das Kissen so lange auf Mund und Nase, bis er sicher sein konnte, dass sie erstickt war. Dann legte er das Kissen zurück auf seinen gewohnten Platz, zog die Bettdecke gerade, die durch Johannas verzweifeltes Strampeln in Unordnung geraten war, und verließ die Kammer, ohne die Tote noch einmal anzusehen. Zu seiner Erleichterung konnte er das Haus unbemerkt verlassen. Rasch eilte er zur Pforte und traf wenig später auf seinen Begleiter.

»Das hat aber gedauert! Ich habe schon gedacht, mir friert der Arsch am Sattel fest«, maulte dieser.

»Schneller ging es nicht!« Haselegner schwang sich auf sein Pferd und trabte an. Während die nächtliche Stadt hinter ihm zurückblieb, freute er sich an dem Gedanken, dass er nun als trauernder Witwer vor Veva treten und sie dazu bewegen konnte, ihn zu heiraten.

Die Ketzerbraut. Roman
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