14.

Zuerst hatte Rosis Herrin nur gebetet und die Heilige Jungfrau angefleht, ihr zu helfen, damit sie ungeschoren aus dieser Sache herauskam. Doch während die Schreie der Magd immer wieder zu ihr herabdrangen, überlegte sie verzweifelt, was sie tun konnte, um einer Strafe zu entgehen. Sie dachte sogar daran, Rosi ein paar Gulden in die Hand zu drücken, damit diese zu ihren Gunsten sprach und leugnete, von ihr geschlagen worden zu sein. Doch dann schüttelte sie heftig den Kopf. Dieser losen Dirne würde sie nicht auch noch gutes Geld in den Rachen stopfen. Rosi war ganz allein daran schuld, dass es so weit gekommen war. Schließlich hätte das Weibsstück sich nicht unter einen Kerl legen und schwängern lassen müssen.

Mit diesem Gedanken stand sie auf und legte ihr Schultertuch um. Als sie das Haus verließ, lag ein Ausdruck wilder Entschlossenheit auf ihrem Gesicht. Sie hatte sich erinnert, bei der Morgenmesse Pater Remigius gesehen zu haben. Dieser war ein Freund der besseren Stände und würde ihr gegen eine lumpige Magd beistehen.

Die Nachbarn wunderten sich, sie so hastig in Richtung Sankt Peter eilen zu sehen. »Jetzt rennt dieses bigotte Weib zu den Pfaffen, um sich mit Weihwasser reinwaschen zu lassen. Hätte sie sich wie ein Christenmensch benommen, müsste sie nicht so hetzen!«, spottete ein Knecht aus der Nachbarschaft.

Die Frau, die bei ihm stand, seufzte tief. »Die arme Rosi! Das hat sie nicht verdient. Aber so ist nun einmal die Welt. Der Obere duckt den Unteren, und das wird auch immer so bleiben.«

»Trotzdem gehört dieses Miststück vor Gericht! Sie soll die Rosi halb totgeschlagen haben«, schnaubte der Mann.

»Wenn es dazu kommt, zünde ich der heiligen Notburga eine Kerze an. Aber so wie ich die Herrschaften kenne, werde ich das nicht tun müssen.« Die Frau wandte sich traurig ab und kehrte ebenso wie ihr Gesprächspartner wieder an die Arbeit zurück.

Unterdessen hatte Frau Anna Sankt Peter erreicht und fragte den Mesner nach Pater Remigius.

Der Kirchendiener musterte sie verwundert. Was wollte die Frau, die von der hohen Geistlichkeit als christliches Vorbild bezeichnet wurde, auf einmal von dem für seine Ausschweifungen bekannten Pater? Sie hatte sich doch bisher stets von ihm ferngehalten.

»Der sitzt in seinem Studierzimmer. Soll ich ihn holen?«

Die Meisterin schüttelte den Kopf. »Nein! Bitte führ mich zu dem hochwürdigen Herrn.«

»Wenn du meinst!« Der Mesner gab sich wenig Mühe, seine Abneigung gegen Remigius zu verbergen. Der aus dem Adel stammende Priester hatte für ihn und die anderen Kirchendiener noch nie ein freundliches Wort übriggehabt, war aber rasch mit dem Stock zur Hand, wenn er seine Rechte angetastet sah. Eine Frau, die freiwillig zu diesem Pater kam, verachtete er zutiefst. Daher führte er Frau Anna mit unbewegter Miene durch das Haus, in dem ein Großteil der geistlichen Herren von Sankt Peter wohnte. Vor Remigius’ Tür blieb er stehen und klopfte.

»Was ist?«, fragte der Pater ungehalten.

»Es ist Besuch für Euch gekommen, hochwürdiger Herr!«, antwortete der Mesner und trat von der Tür zurück, damit ihm nicht irgendein Gegenstand an den Kopf flog, wenn dem Geistlichen die Besucherin nicht passte.

Pater Remigius runzelte die Stirn, als er Frau Anna erkannte, denn ihm war zugetragen worden, dass sie sich schon mehrfach verächtlich über ihn geäußert hatte. Aus diesem Grund wollte er sie im ersten Augenblick abweisen. Doch als er ihre angstverzerrte Miene sah, entschied er sich anders.

»Komm herein, meine Tochter – und du kannst gehen!« Das Letzte galt dem Mesner, der sich aufatmend zurückzog und die Tür von außen schloss.

Frau Anna trat mit zögernden Schritten auf den Pater zu. »Gott zum Gruß, hochwürdiger Herr!«, sagte sie mit zittriger Stimme.

»Was führt dich zu mir, meine Tochter?« Pater Remigius sagte sich, dass er sie anhören und dann hohnlachend wegschicken konnte.

Sie fiel vor ihm auf die Knie, fasste nach seiner Rechten und presste diese gegen ihre Lippen. »Hochwürdiger Herr, Ihr müsst mir beistehen! Ich werde wahrscheinlich vor Gericht kommen. Dabei ist an allem nur diese elende Magd, die Rosi, schuld. Wäre das Weibsstück nicht so dumm und unbeholfen, hätte ich es niemals geschlagen! Ich wusste doch nicht, dass die Metze schwanger war. Jetzt hat sie wegen der Schläge ihr Kind verloren!«

Das Interesse des Paters war geweckt. »Ich verstehe nicht ganz, meine Tochter. Am besten ist es, du erzählst mir alles von Anfang an. Dann kann ich entscheiden, ob ich dir zu helfen vermag!«

Frau Anna befeuchtete die ausgetrockneten Lippen mit der Zunge und sehnte sich nach einem Schluck Wein. Zwar stand ein halbvoller Becher vor dem Pater auf dem Tisch, doch dieser dachte nicht daran, ihr einen Trunk anzubieten. So begann sie, ihm das Geschehene darzulegen, und schönte ihre eigene Rolle, während sie alle Schuld auf Rosi schob.

»Und? Weißt du, wer ihr das Kind in den Bauch geschoben hat?«, fragte Remigius, als sie am Ende ihrer Erzählung angelangt war.

»Gewiss war es der junge Rickinger. Mit dem hat sie, soviel ich weiß, mehrfach gebockt«, rief Frau Anna eilfertig.

»Ernst Rickinger also! Nun, das wird auch meinen Mitbruder Ägidius Thürl interessieren. Diesmal entkommt uns dieser Lump nicht.« Remigius rieb sich die Hände, denn wenn es stimmte, was die Frau erzählte, konnte er dem jungen Rickinger nun endlich die Sache von damals heimzahlen.

»Ja, der Kerl muss streng bestraft werden. Zu was verführt er auch meine Mägde?«, rief Frau Anna und blickte dann so treuherzig, wie sie es vermochte, zu dem Geistlichen auf. »Ihr sagt doch auch, dass mich die geringste Schuld an dem Ganzen trifft!«

Pater Remigius legte die Stirn in Falten. »Meine Tochter, es sieht für dich nicht gut aus. Da die Magd vom Kind gekommen ist, wirst du um einen Richtspruch der Obrigkeit nicht herumkommen. Es mag sogar sein, dass man dich zum Tode verurteilt!«

»Zum Tode gleich? Heilige Jungfrau, hilf!« Die Meisterin kreischte auf und wurde sofort zurechtgewiesen.

»Sei still! Sonst hört dich noch jemand, und dann kann ich gar nichts mehr für dich tun. Höre mir gut zu! Ich könnte mich vor Gericht und vor dem Herzog für dich verwenden. Wie du weißt, habe ich einen gewissen Einfluss in der Stadt!«

Remigius verdrängte die Tatsache, dass der Herzog sich schon mehrfach äußerst verächtlich über ihn geäußert hatte. Doch Wilhelm hatte keine Macht über die Münchner Geistlichkeit, denn diese unterstand Seiner Eminenz, Bischof Philipp von Freising, zu dessen Bistum die Stadt München zählte. Allerdings konnte er beim Rat etwas bewirken, da einige Räte gewisse Dinge über ihre weiblichen Verwandten ungern als Gerede in den Gassen hören wollten. Außerdem war der Richter ein naher Verwandter von ihm.

Nun ging es erst einmal darum, die Frau vor ihm so zu ängstigen, dass sie zu Wachs in seinen Händen wurde. Daher setzte er eine strenge Miene auf und blickte Rosis Herrin scharf an. »Meine Tochter, du hast ein fluchwürdiges Verbrechen begangen!«

»Aber ich wollte es doch nicht, hochwürdigster Herr!« Frau Anna kamen die Tränen, denn sie sah sich bereits zum Neuhauser Tor hinausgeschleppt und auf dem Richtplatz enden.

Pater Remigius musterte sie spöttisch. »Ich kann dir helfen, Weib. Doch dafür verlange ich meinen Lohn!«

»Ich tue, was Ihr von mit verlangt, Hochwürden«, flüsterte sie und wollte sich auf den Rücken legen.

Remigius betrachtete den mageren Leib des Weibes und verzog sein Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse. Er hatte einige der schönsten Frauen und Mädchen der Stadt besessen, und da wollte er sich wirklich nicht mit dieser Kost begnügen. Daher ängstigte er sie mit dem Hinweis auf das Höllenfeuer, bis sie wimmernd vor ihm kroch und um Gnade flehte.

Während er die Macht genoss, die er über dieses Weib errungen hatte, wob er in Gedanken an einem Gespinst, in dem sich Rosi und Ernst Rickinger verfangen sollten. Dabei dachte er auch an Veva, die zu besitzen ihn mehr reizte als alles andere, und sagte sich, dass die Leibert-Tochter sich noch mehr vor ihm würde demütigen lassen müssen als die Frau vor ihm, um ihren Mann zu retten. Dies würde nicht nur seine Rache an Ernst Rickinger sein, sondern auch die an Veva, deren Schönheit ihn reizte, seit sie zur Jungfrau herangewachsen war, und die seine Annäherungsversuche bisher stets zurückgewiesen hatte.

Die Ketzerbraut. Roman
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