16.

Die Stadtknechte besorgten noch frisches Stroh, damit Rosi sich hinlegen konnte, und stellten ihr einen vollen Krug Bier in die Arrestzelle. Danach verabschiedeten sie sich und ließen die Magd allein zurück.

Rosi war viel zu schwach, um sich Gedanken über ihre Lage zu machen. Gott hat es eben so gewollt, sagte sie sich, trank einen Schluck Bier und legte sich hin. Ihre Schmerzen hinderten sie jedoch einzuschlafen, und so drehten sich ihre Gedanken im Kreis. Mehr als die düstere Umgebung des Gewölbekellers, in den man sie gesperrt hatte, bedrückte sie ihre Einsamkeit. Wie gerne hätte sie mit jemandem geredet. Ihr Herz war übervoll vor Leid, und als die Schmerzen und die Verzweiflung zu groß wurden, sehnte sie sich nach der Erlösung durch den Tod.

Statt seiner erschien jedoch der Richter. In einen weiten Talar gehüllt, kam er in der Begleitung des Stadtknechts Hias und eines Schreibers und baute sich vor Rosi auf.

»Erhebe dich, wie es sich gehört«, befahl er ihr.

Als Rosi sich unsicher auf die Beine kämpfte, räusperte sich Hias. »Verzeiht, hoher Herr, das Weib ist sehr krank, und es ist auch nicht recht, sie hier einzusperren.«

Dabei ist das hier der einzige Platz, der mir noch geblieben ist, fuhr es Rosi durch den Kopf. Ihr war schwindlig, und sie musste sich an der Wand festhalten, um nicht zu fallen.

Jetzt merkte auch der Richter, dass seine Gefangene nicht in der Lage war, ein scharfes Verhör durchzustehen. Trotzdem wollte er seine Ziele nicht ganz zurückstecken. »Du bist verhaftet worden, weil dir ein unsittlicher Lebenswandel nachgesagt wird. Du bist schwanger geworden, ohne verheiratet zu sein, und hast dich deiner Herrin gegenüber aufsässig und störrisch verhalten«, herrschte er sie an.

Trotz ihrer Schmerzen begann Rosi zu lachen. »Wenn ich unsittlich gelebt haben soll, dann müsstet Ihr die Hälfte der Weiber in München einsperren, und die meisten Männer mit dazu!«

»Versündige dich nicht! Deine Lage ist schlimm genug. Dennoch kann Gnade vor Recht ergehen. Bekenne, dass du von Ernst Rickinger geschwängert worden bist, dann wird dir die Strafe erlassen. Man wird dich ins Frauenhaus schicken, wo du nach deiner Heilung bei den gefälligen Mägden arbeiten kannst.«

Zwar war Rosi körperlich sehr schwach, aber mit einem Mal bei ganz und gar wachem Verstand. Sie begriff sofort, worauf der Richter hinauswollte. Ihm ging es gar nicht um sie. Sie war nur eine schlichte Magd unter vielen und gewiss nicht die erste, die ledig schwanger geworden war. Bei den meisten überließen die Behörden es dem jeweiligen Pfarrer, das unbesonnene Ding zu schelten und zur Buße anzuhalten. Das Kind wurde in der Regel in dem Haus aufgezogen, in dem die Mutter arbeitete, oder es kam zu den Klarissinnen ins Kloster, und diese kümmerten sich um das Würmchen. Eingesperrt wurde selten eine, denn die meisten Mägde besaßen kein Geld und kosteten die Stadt nur die Verpflegung und die Aufwendungen für ihre Bewachung. Allenfalls kamen sie, wenn sie es zu arg getrieben hatten, einen Tag in die Schandgeige.

Auch bei ihr hätten die Behörden nicht anders gehandelt. Aber dieser Richter wollte sie benutzen, um Ernst Rickinger am Zeug zu flicken. Da es sich bei dem Mann um einen von Remigius’ Verwandten handelte, durchschaute Rosi das üble Spiel.

»Ich bedaure, dass ich Euch den Vater des Kindes nicht nennen kann, doch ich weiß es nicht!« Das war nicht einmal gelogen, dachte Rosi. Zwar hatte sie sich Ernst hingegeben, doch genauso gut konnte Pater Hilarius sie geschwängert haben. Sie überlegte schon, ob sie nicht diesen als Vater angeben sollte, doch eine unerklärliche Scheu hielt sie davon ab.

»Es muss Rickinger sein«, beharrte der Richter. »Du bist bei der letzten Feier auf dem Schrannenplatz mit ihm gesehen worden.«

»Ich habe mit ihm getanzt und gescherzt. Schließlich ist er ein schmucker Bursche«, antwortete Rosi leise.

»Du musst mehr mit ihm getan haben, als nur zu tanzen«, schnaubte der Richter. »Gestehe!«

Hias hatte schon vorher auf Rosis schlechten Zustand hingewiesen und brachte nun einen weiteren Einwand. »Verzeiht, Euer Gestrengen, aber die Magd ist auf den Tod krank. Wenn sie nicht rasch versorgt wird, wird sie uns hier sterben, und das gibt kein gutes Bild! Seine Gnaden, der Herzog, wird dann ganz genau wissen wollen, was hier geschehen ist, und ich will nicht einer Magd wegen in Ungnade fallen.«

Am liebsten hätte der Richter dem Knecht eins mit seinem Amtsstab übergezogen. Doch um Ernst Rickinger zu Fall zu bringen, benötigte er Rosi lebendig und nicht tot.

Verärgert wandte er sich zu Hias um. »Ich werde das Weib zu einem späteren Zeitpunkt verhören. Hol jetzt die Hebamme, damit sie sich um die Gefangene kümmert. Dir aber, Rosi, sage ich eines: Du machst dein Los nicht leichter, wenn du nicht in dich gehst und bekennst, dass Ernst Rickinger der Vater deines Kindes war.« Damit wandte er sich ab und verließ die Zelle.

Der wackere Stadtknecht wartete, bis er fort war, und zwinkerte Rosi zu. »Jetzt hast du ein paar Tage Ruhe vor ihm. Vielleicht entwickelt sich die Sache in der Zeit zu deinen Gunsten.«

»Da müsste schon ein ganz großes Wunder geschehen.«

»Wer weiß?« Damit versuchte Hias, sie zu trösten, und wurde mit einem dankbaren Lächeln belohnt.

Als der Stadtknecht die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb Rosi im Halbdunkel liegen und spann sich in ihre trüben Gedanken ein. Die Schmerzen wurden wieder stärker, und während sie sich weinend auf der Strohschütte zusammenrollte, fragte sie sich, ob sie sich tatsächlich dem Zorn der Obrigkeit und der Verdammnis durch die Kirche aussetzen sollte, nur um Ernst Rickinger zu schützen. Gewiss, er war freundlich zu ihr gewesen und hatte sich als sanfter und ausdauernder Liebhaber erwiesen. Doch jetzt lag sie in diesem Loch und würde, wenn nicht ein Wunder geschah, bald die Daumenschrauben zu spüren bekommen. Wenn sie Ernst jedoch denunzierte und dieser wegen erwiesener Unzucht an den Schandpfahl kam und aus der Stadt verbannt wurde, würde der Spruch des Richters gnädiger ausfallen.

Dann aber dachte sie an die Folgen für sich selbst. Der Richter würde sie ins Frauenhaus bringen lassen, und dort musste sie als Hure jedem Kerl zur Verfügung stehen, der ein paar Groschen auf den Tisch des Frauenmeisters legen konnte. Sie kannte einige Männer, die sich darüber freuen und sehr fleißig zu ihr laufen würden, um ihr zu zeigen, dass sie nun die Macht hatten, sie jederzeit und ohne Rücksicht nehmen zu können. Da war es wahrlich besser, wenn sie starb und von den Stadtknechten draußen auf dem Anger verscharrt wurde.

Die Tür wurde geöffnet, und Kreszenz kam herein. Die Kräuterfrau schleppte einen ganzen Korb mit Verbandmaterial und Arzneien mit sich und stellte diesen ächzend ab. »Du machst ja Sachen!«

»Ich habe doch überhaupt nichts getan«, antwortete die Kranke. »Man hat mich hierhergeschleppt, weil …« Sie kroch auf Kreszenz zu und sprach mit leiser Stimme weiter. »Der Richter will, dass ich Ernst Rickinger als Kindsvater angebe.«

Die Kräuterfrau nickte. »Das soll wohl die Rache für den Streich gegen Remigius sein. Der Teufel soll dieses Gesindel holen! Aber jetzt kümmere ich mich erst einmal um dich. Du da«, sie wandte sich an den Stadtknecht, der sie begleitet hatte, »lässt uns jetzt allein. Das ist eine Sache, die nur uns Frauen etwas angeht.«

Der Mann schluckte und verschwand so rasch, als wäre sie mit dem Knüppel hinter ihm her.

»Den wären wir los«, erklärte Kreszenz zufrieden und forderte Rosi dann auf, den Unterleib zu entblößen. Während sie die Magd mit kundigen Händen untersuchte, murmelte sie unverständliche Worte vor sich hin. Danach wusch sie Rosis Scham mit einer Tinktur aus verschiedenen Kräutern aus, die Entzündungen vorbeugen sollte, und reichte ihr schließlich einen Tontopf. »Das ist Hühnersuppe. Iss erst mal! Danach sehe ich mir deine Striemen an. Sie scheinen gut zu verheilen. Aber du wirst noch einige Tage am ganzen Körper grün und blau sein.«

»Es tut nicht mehr ganz so weh wie gestern. Auch hier«, Rosi deutete an sich nach unten, »wird es langsam besser.«

»Der Jungfrau im Himmel sei Dank! Trotzdem solltest du nicht zu schnell gesund werden. Kommt Zeit, kommt Rat, heißt es. Vielleicht lässt man dich wieder frei, wenn die Gefahr besteht, du könntest hier sterben.«

»Wo soll ich denn hin? Ins Hurenhaus vielleicht, wo der Richter mich hinstecken will? Lieber springe ich von der Isarbrücke.« Rosi klang mutlos, und das konnte Kreszenz ihr nicht verdenken. Doch sie vermochte nicht mehr für die Magd zu tun, als vor den Stadtknechten und dem Richter den elenden Zustand der Kranken zu betonen.

»Iss jetzt, bevor der Wächter zurückkommt«, befahl sie Rosi, und während diese gehorsam den Löffel entgegennahm, suchte die Kräuterfrau alles zusammen, was sie für die weitere Wundversorgung brauchte. In Gedanken schimpfte sie über die Ungerechtigkeit der Welt, die ein armes Mädchen wie Rosi ins Armesünderstübchen gebracht hatte, während deren Herrin weiter draußen herumlaufen und die übelsten Lügen über sie verbreiten konnte.

Die Ketzerbraut. Roman
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