5.

Der Schwab hatte keine Ahnung vom wahren Ausmaß der Pläne, die Haselegner hegte, doch er kannte den Mann gut genug, um in Sorge zu sein. Immerhin hatte dieser Vevas Vater mit Schlägen dazu bringen wollen, ihm seine Tochter zu überlassen. Daher hielt er es für wahrscheinlich, dass der Kaufmann auch diesmal Gewalt anwenden würde. Als tatsächlich am nächsten Tag ein Knecht Haselegners ihm die Nachricht überbrachte, sein Herr wolle eine Stunde vor Mitternacht erscheinen, beschloss er, Veva zu informieren.

Diesmal klopfte er an, bevor er ihre Kammer betrat, und wurde von Lina mit einem spöttischen Grinsen empfangen.

»Heute fängst du dir keine Watschen ein«, sagte sie und wies auf Veva, die in ein weites Kleid gehüllt auf einem Korbstuhl saß und einen Packen Briefe auf dem Schoß liegen hatte. Sie war in eines der Schreiben vertieft und nahm den Schwab erst wahr, als dieser sich räusperte.

»Was ist denn?« Veva klang unwirsch, denn kurz vorher hatte ihr Korbinian Echle aus Augsburg Hilarius’ Bericht gebracht, und dessen Lektüre wollte sie nicht unterbrechen.

Der Schwab räusperte sich noch einmal, da sein Hals plötzlich wie zugeschnürt war. »Es geht um Haselegner. Ich war doch gestern in seinem Haus, und da hat er mir viel Geld versprochen.«

»Wofür?«, fragte Veva scharf.

»Ich soll ihm heute Nacht die Haustür öffnen. Angeblich will er mit Euch reden, doch ich denke, er will Euch dazu zwingen, ihn zu heiraten. Der Mann ist die personifizierte Niedertracht. Das könnt Ihr schon an der Wunde erkennen, die er mir beigebracht hat. Damals wollte er Euren Vater mit Schlägen dazu bringen, ihn mit Euch zu verheiraten.«

»Ich weiß, dass du meinem Vater damals beigesprungen bist.« Veva hatte die Geschichte inzwischen mehrfach gehört. Da sie jedoch mehr an Ernst dachte und daran, ob er noch leben mochte, maß sie Haselegner nicht die Bedeutung bei, die der Schwab für angebracht hielt.

Daher krauste der Knecht beleidigt die Nase und dachte einen Moment, dass seine Herrin selbst schuld war, wenn sie seine Warnungen missachtete und dadurch Schaden nahm. Doch dann versuchte er sie trotz seiner Verärgerung zu überzeugen. »Herrin, Ihr solltet Euch vorsehen. Ich traue Haselegner nicht über den Weg und bin mir sicher, dass er ein Schurkenstück plant.«

Jetzt blickte Veva doch auf. »Wahrscheinlich hast du recht. Kein ehrlicher Mann schleicht sich spät in der Nacht in das Haus einer Witwe, es sei denn, sie hat ihn dazu eingeladen. Und das habe ich gewiss nicht!«

»Am besten wäre es, ich würde ihn erst gar nicht einlassen«, schlug der Schwab vor.

Veva schüttelte den Kopf. »Dann versucht er es zu einer anderen Zeit wieder, wenn wir nicht darauf vorbereitet sind. Also wirst du ihm die Tür öffnen. Allerdings werde ich nicht allein sein. Du, Cilli und Lina werdet mir helfen.«

»Ob das ausreichen wird?«, gab Lina zu bedenken. »Der Schwab müsste allein mit diesem Mann fertig werden, denn weder Ihr noch Cilli und ich können ihn unterstützen. Da müsstet Ihr schon ein paar der Knechte hinzuholen, die Eure Waren ab- und aufladen.«

Den Vorschlag kommentierte der Schwab mit einem verächtlichen Schnauben. »Wenn Haselegner denen einen Gulden zusteckt, hören, sehen und sagen die Kerle nichts oder helfen ihm gar noch.«

»Was ist mit den übrigen Mägden? Wenn diese Besenstiele und Knüppel in die Hand nehmen, würden wir mit Haselegner fertig!« Lina sah Veva fragend an, doch die schüttelte den Kopf. »Die schwatzen mir zu viel! Ich möchte nur zuverlässige Leute um mich haben, die auch den Mund zu halten wissen.«

»Die Kreszenz würde gewiss schweigen, aber sie ist genau wie ich zu alt für so etwas.« Lina seufzte und wünschte sich, ein paar Jahrzehnte weniger auf dem Buckel zu haben.

Veva nickte Lina zu. »Dein Vorschlag ist gut, denn Kreszenz’ Wort gilt viel unter den Leuten. Daher will ich sie auf jeden Fall hier haben. Doch um mit Haselegner fertig zu werden, brauchen wir mindestens noch einen oder besser zwei kräftige Männer. Ich weiß auch schon, wo wir die herbekommen. Schwab, du wirst gleich zum Ratsherrn Bart gehen. Ich schreibe rasch einen Brief und bitte ihn um Unterstützung.«

Lina atmete auf. »Ihr wollt den Herrn Arsacius Bart dabeihaben? Das ist ein guter Gedanke! Ich hatte schon Angst, Ihr würdet an Euren Schwiegervater denken. Der kann froh sein, dass der Rat der Stadt ihn nicht wegen des Verdachts eingesperrt hat, er könne den Mord an Eurem Mann veranlasst haben.«

»Es war knapp davor. Hätte er nicht Geschäfte mit zwei Ratsherren abgeschlossen, die diese nicht gefährden wollten, hätten sie ihn in den Turm geworfen. So ist er mit einer scharfen Rüge davongekommen.« Das Gesicht des Schwab verriet, dass er dem alten Rickinger etliche Tage im Kerker vergönnt hätte.

Veva beteiligte sich nicht weiter an dem Gespräch, sondern widmete sich wieder Hilarius’ Schreiben und kam zu der Stelle, an der dieser Haselegner des Reliquienschwindels beschuldigte. Eine alte Erinnerung glomm in ihr auf, und sie sah sich und Ernst noch als halbe Kinder mit Hasso auf den Spuren eines Mörders durch die nächtliche Stadt streifen. Auch damals war es um eine Reliquie gegangen, und Benedikt Haselegner hatte eine unrühmliche Rolle dabei gespielt.

Seufzend legte sie das Schreiben beiseite und ließ sich von Lina Feder, Papier und Tinte reichen, um den Brief an Arsacius Bart zu verfassen. Ihre Augen blitzten, und als der Schwab dies bemerkte, musste er grinsen. So leicht, wie Haselegner sich das vorstellte, ließ seine Herrin sich nicht den Schneid abkaufen.

Die Ketzerbraut. Roman
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