18.

In der Wirtschaft wartete eine Überraschung auf Ernst. Eine andere Reisegruppe aus München war kurz vor ihnen eingetroffen, und zu dieser zählte Benedikt Haselegner. Zwar war Ernst mit diesem nicht so gut Freund, wie er es mit Vevas Bruder gewesen war. Trotzdem freute er sich, ihn zu sehen, und setzte sich an seinen Tisch. »Grüß dich, Benedikt! Du bist wohl wieder einmal nach Italien unterwegs?«

»Nein, bloß nach Innsbruck. Nach Italien fahr ich erst wieder nächstes Jahr. Heuer mache ich meine Geschäfte über Antscheller.«

»So ein Zufall! Zu dem Mann will ich auch.« Ernst winkte der Schankmaid, ihm einen Krug Bier zu bringen, und stieß mit Haselegner an. »Auf den Erfolg deiner Reise!«

»Und auf den deinen«, antwortete Haselegner.

Da zog Ernst ein säuerliches Gesicht. »Ich weiß nicht, ob ich mir wirklich Erfolg wünschen soll. Der Vater hat mir angeschafft, mir die Töchter vom Antscheller anzusehen, ob eine davon für mich als Hochzeiterin taugt.«

»Du bist auf Brautschau?« Haselegner versetzte Ernst einen spielerischen Boxhieb gegen die Schulter. »Zeit wird’s wohl auch bei dir.«

»Jetzt red nicht so daher! Du bist zwei Jahre älter als ich und immer noch einschichtig!«

Haselegner tat so, als bemerke er Ernsts Ärger nicht, und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich meine es ja auch nicht vom Alter her, sondern wegen der Geistlichkeit. Wenn du in den heiligen Stand der Ehe eintrittst und ein gestandenes Mannsbild geworden bist, können die Herren Pfarrer und Prälaten nicht mehr gegen dich wettern.«

»Aus dem Grund will mein Vater ja auch, dass ich heirate. Und daran ist nur dieser Portikus alias Thürl schuld. Der sollte lieber mal in den Münchner Klöstern aufräumen. Erst letztens ist angeblich wieder ein Findelkind vor dem Tor der Klarissinnen gefunden worden. Dabei pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es von einer Klosterschwester stammt, die mit einem der geistlichen Herren christliche Nächstenliebe praktiziert hat.«

Ernst war gerade so richtig in der Stimmung, über die Diener und Mägde der Kirche herzuziehen. Doch da setzte sich Gigging zu ihnen, der schweigend hinter ihnen gestanden hatte. »Was willst du denn, Rickinger? Die Geistlichen und Nonnen sind doch auch bloß Menschen. Wenn es denen so richtig zwischen den Beinen juckt, müssen sie etwas dagegen tun.«

Ernst fuhr auf. »Aber von den Gläubigen verlangen sie, dass sie sogleich beichten, wenn einer bloß einmal einem Mädel hinterhergesehen hat.«

»Ich glaube nicht, dass es bei dir beim Hinterhersehen geblieben ist«, warf Haselegner ein und wandte sich an Gigging. »Wisst Ihr, unser Ernst ist ein wenig das, was man auf dem Land den Dorfstier nennt. Da gibt es keinen Tanz und kein Fest, bei dem er nicht hinterher mit einem hübschen Mädel auf dem Heuboden verschwindet.«

»Ärger als du treibe ich es auch nicht«, biss Ernst zurück. »Erinnere dich, dass du es warst, der seiner eigenen Haushälterin ein Kind gemacht hat.«

»Halt, so kannst du das nicht sagen! Da gibt es genug andere, die dafür in Frage gekommen sind. Ich habe damit nichts zu tun.«

»Trotzdem heißt es, du hättest ihr Geld gegeben und sie nach Freising geschickt, wo sie einen Stadtknecht hat heiraten können!« Ernst war es leid, von Haselegner wie ein dummer Junge behandelt zu werden, und hätte diesen Streit notfalls bis zum Ende ausgetragen.

Doch da griff Franz von Gigging ein. »Jetzt gebt Ruhe! Ihr seid beide Kerle nach meinem Sinn. Darum trinken wir jetzt und lassen die Weiber Weiber sein. Zum Wohl!«

»Zum Wohl!« Ernst stieß mit Gigging und nach kurzem Zögern auch mit Haselegner an und trank den Krug in einem Zug leer.

»Das hat es gebraucht!«, meinte er dann und rief der Wirtsmagd zu, ihm den Krug neu zu füllen und etwas zu essen zu bringen.

»Das ist ein guter Gedanke. Ich habe nämlich ein Loch im Bauch«, erklärte Gigging und lenkte das Gespräch wieder auf sein Lieblingsthema, die Oberländer Räuber. »Ich nehme an, dass die Kerle sich nach ihrem letzten Streich nach Westen abgesetzt haben und jetzt die bischöflich-augsburgischen Landstriche heimsuchen. Hoffentlich kommt das nicht zu schnell auf, sonst glauben die Kaufleute, sie bräuchten keinen Schutz mehr auf dem Weg nach Süden. Das wäre schlecht für mein Geschäft!«

Ernst wartete auf Giggings Lachen, mit dem er beinahe jede Rede abschloss, doch diesmal blieb es aus. Stattdessen sah der Ritter Haselegner an. »Du stehst doch noch zu dem Vertrag, den wir zwei abgeschlossen haben?«

In Ernsts Ohren klang das wie eine Drohung. Doch Haselegner gab dem Ritter gut gelaunt Antwort. »Freilich stehe ich dazu! Jetzt noch mehr als früher.« Erst jetzt schien Haselegner zu bemerken, dass Ernst ihn neugierig anstarrte. »Weißt du, Herr von Gigging beschützt meine Warensendungen, die von Italien heraufkommen, und hilft mir auch mit Knechten und Vorspannpferden aus. Mit diesem Abkommen bin ich bislang bestens gefahren, denn ich habe noch keinen einzigen Tuchballen verloren.«

»Das ist natürlich gut«, antwortete Ernst.

»Dann verstehst du auch, warum ich auch weiterhin nicht auf diesen Schutz verzichten will. Es drohen ja noch ganz andere Gefahren als nur die Räuber! Viele Karren und Saumpferde sind schon samt der Ware in den Abgrund gestürzt oder haben bei Wetterschlägen Schaden genommen. Herr von Gigging ist in diesen Bergen aufgewachsen und kennt hier jeden Weg und Steg. Auch weiß er schon vorher, ob es ein Unwetter gibt. Dazu hat er mir schon ein paarmal geholfen, meine Waren schneller auf den Markt in München zu bringen als meine Konkurrenten.«

»Man tut, was man kann!«, ergänzte der Ritter Haselegners Worte mit einem selbstgefälligen Lächeln.

An einem Übermaß an Bescheidenheit scheint der Mann nicht zu leiden, fuhr es Ernst durch den Kopf. Aber gerade das machte Franz von Gigging so interessant. Gleichermaßen die Herren von Habsburg wie auch den Herzog von Bayern an der Nase herumzuführen, musste dem Mann erst mal jemand nachmachen. Außerdem vermochte er, wenn er nicht gerade über die Oberländer Räuber schwadronierte, amüsant zu erzählen.

Ernst musste immer wieder über seine Bemerkungen lachen, während er zuerst seinem Abendessen aus gekochtem Schweinefleisch und Kraut und dann dem süffigen Bier zusprach, das der Wirt zu brauen verstand. Schließlich spürte er die Wirkung des Alkohols und stand auf. »Ich fühle mich auf einmal so müde! Habt ihr was dagegen, wenn ich mich hinlege, Kameraden?« Er nuschelte so stark, dass Haselegner ihn kaum verstand.

Doch bevor dieser nachfragen konnte, klopfte Gigging Ernst kräftig auf die Schulter. »Schlaf deinen Rausch aus, Bursche. Wer weiß, ob du noch saufen darfst, wenn der Pfaff dich mit einem Hausdrachen zusammengeschmiedet hat.«

»Hausdrache! Das ist das richtige Wort«, lallte Ernst und wankte davon.

Gigging sah ihm spöttisch nach. »Viel verträgt der Kerl ja nicht gerade!«

»Immerhin hat er vier Krüge mehr getrunken als ich, und ich spüre es auch schon ein wenig im Kopf.« Haselegner schüttelte sich, um die Anzeichen der Trunkenheit zu vertreiben, und sah sich dann in der Wirtsstube um. Die meisten Gäste waren bereits gegangen. Nur vorne neben der Schenktheke saßen zwei Einheimische. Der Wirt war in den Keller gestiegen, um ein frisches Bierfass heraufzuholen, während seine Magd die benutzten Krüge in einem Wasserschaff wusch.

»Wir sind so gut wie allein und sollten über unser letztes Geschäft reden«, erklärte Gigging für seine Verhältnisse recht leise.

Haselegner nickte und zog einen Lederbeutel unter seinem Wams hervor. »Hier sind zweihundert Gulden, wie wir es ausgemacht hatten!«

»Was ist mit einem kleinen Draufgeld? Meine Leute wollen auch was haben. Oder glaubst du, ich zahle sie aus meiner eigenen Kasse?« fragte der Ritter, und seine Stimme hatte mit einem Mal jeden verbindlichen Klang verloren.

»Sie werden schon nicht zu kurz kommen. Das hier ist erst einmal das Geld für Euch, und das hier ist für Eure Knechte.« Damit zählte Haselegner Gigging zähneknirschend zwei Dutzend Gulden hin.

»Es könnte schon etwas mehr werden«, forderte Gigging, als sein Gegenüber die Börse wieder zuziehen wollte.

»Ihr seid ein arger Halsabschneider«, brummte Haselegner und brachte sein Gegenüber damit zum Lachen.

»Wir leisten gute Arbeit, und die will auch belohnt sein«, erklärte Gigging und strich das Geld ein.

»Also dann, bis zum nächsten Mal!«, sagte er noch, stand auf und verließ die Wirtschaft.

Die Schankmagd sah ihm verwundert nach. »Wollt Ihr nicht hier übernachten, Herr Ritter?«

»Ich hab’s mir anders überlegt. Meine Zeche zahlt übrigens mein Münchner Freund dort. Und jetzt behüt dich Gott, wenn’s kein anderer tut!«

»Elender Lump!«, stieß Haselegner hervor, allerdings so leise, dass der Ritter es nicht hören konnte.

Die Ketzerbraut. Roman
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