5.

Veva wusste nicht, ob Stunden oder gar Tage vergangen waren, als die Tür wieder geöffnet und eine Lampe in die Kammer gehalten wurde. Höllischer Durst peinigte sie, und sie fühlte sich zum Sterben elend. Nun erkannte sie den Mann, der ihre Gruppe in die Irre geführt und ihren Bruder erdolcht hatte, und stieß einen zischenden Laut aus.

Der Kerl grinste sie frech an. »Wenn du könntest, würdest du mir mit den Zähnen die Kehle zerfetzen wie ein tollwütiger Hund, was? Aber da bleibt dir der Schnabel sauberer als du selbst. Du siehst aus wie ein Ferkel, das sich im eigenen Dreck gewälzt hat. Für ein paar gute Worte und einen Kuss bin ich jedoch bereit, dich zu waschen.«

»Verrecken sollst du und deine Kumpane mit dir!«, brach es aus Veva heraus.

»Keine Sorge, wir kriegen dich schon klein! Sobald dir jeder von uns zwischen die Beine gestiegen ist und das mit dir gemacht hat«, der Mann bewegte anzüglich das Becken vor und zurück, »wirst du anders reden. Das letzte Weibsstück hat leider nicht lange durchgehalten. Ein paar von uns sind halt recht rauh, und es macht ihnen Spaß, so eine wie dich schreien zu hören, während sie in ihr herumfuhrwerken.«

Die junge Frau wich mit einem Ausdruck des Entsetzens vor dem Mann zurück. »Ihr seid keine Menschen, sondern Teufel, die der Hölle entstiegen sind!«

»Dann reize uns nicht, sonst fährt deine Seele schneller hinab, als du ›Vater unser‹ sagen kannst!« Der Kerl sah sie drohend an, drehte sich aber um und verließ die Kammer.

Nach kurzer Zeit erschien er wieder mit einem Eimer Wasser, einem Lappen und einem Stoffknäuel unter dem Arm. Ein anderer Räuber brachte eine neue Unschlittkerze für die Laterne und zündete sie an.

»Ich binde dir jetzt die Arme los, damit du dich waschen kannst. Danach ziehst du das andere Gewand an. Mit dem offenen Oberteil bist du eine zu große Verlockung für mich und meine Freunde.« Mit diesen Worten packte Bartls Mörder Veva, zog sie auf die Füße, so dass sie mit dem Rücken zu ihm zu stehen kam, und nestelte den Knoten auf. Dann versetzte er ihr einen Stoß, der sie gegen die hintere Wand trieb, und trat aus der Kammer. Sein Kumpan zog sich ebenfalls zurück, und Veva hörte, wie außen der Riegel vorgelegt wurde.

Erleichtert, dass sie die Hände gebrauchen und sich waschen konnte, packte Veva den Lappen, tauchte ihn in das Wasser und begann sich mit heftigen Bewegungen den Oberkörper abzureiben. Dann versuchte sie, ihr Kleid zu reinigen, doch der Stoff riss noch weiter ein, und sie hatte keine Möglichkeit, das Mieder vorne zu schließen. Zudem stank der Stoff erbärmlich. Dennoch zögerte sie, das Kleid abzulegen und das andere anzuziehen, denn sie fürchtete, die Räuber würden vor der Tür warten, bis sie fast nackt in der Kammer stand, um dann über sie herzufallen.

Sie trat auf Zehenspitzen zur Tür und lauschte, ob sie jemanden atmen hörte oder das Rascheln von Kleidung vernahm. Doch die Räuber schienen sich in entfernteren Teilen der Höhle aufzuhalten. Mutiger geworden schlüpfte sie aus ihrem alten Kleid und zog das andere über. Zuerst achtete sie nicht darauf, was sie trug, sondern war froh, dass ihr Busen wieder verhüllt war. Dann aber fühlte sie kühlen, knisternden Stoff unter den Fingern und sah an sich herab. Das Gewand war aus brauner, gemusterter Seide gefertigt worden, hatte rosafarbene Ärmel und wurde vorne auf der Brust mit einer seidenen Schnur zusammengehalten. So etwas trug gewöhnlich nur eine Dame von Stand.

Verwundert fragte sie sich, warum die Räuber ihr solch ein wertvolles Gewand überlassen hatten, und schauderte. Welches Schicksal musste die Besitzerin dieses Kleids erlitten haben? Der Gedanke, das Gewand einer Ermordeten zu tragen, brannte sich wie Säure in sie hinein, und sie hätte sich das Ding am liebsten vom Leib gerissen. Doch ein Blick auf die stinkenden, zerfetzten Lumpen, die einmal ihr Kleid gewesen waren, hielt sie davon ab.

Da die Unschlittlampe diesmal länger brannte und ihre Augen nicht mehr halb blind vor Tränen waren, entdeckte sie auf der anderen Seite des Raums ein einfaches Lager aus Zweigen und einer Decke. Sie setzte sich darauf, schlang die Arme um die Knie und wartete auf das, was nun kommen würde. Hoffnung, lebend davonzukommen, hatte sie keine mehr, und sie glaubte auch nicht, dass die Räuber davon absehen würden, sie zu missbrauchen. Sie rettete sich wieder ins Gebet und flehte die Heilige Jungfrau an, sich ihrer Seele anzunehmen und sie nach dem Tod ins Himmelreich zu geleiten. Auch betete sie das Totengebet für ihren Bruder und die anderen armen Kerle, die mit ihm umgekommen waren.

Die Ketzerbraut. Roman
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html