1.
Nein, nicht so. Dort musst du anfangen!« Mit einer energischen Bewegung scheuchte Veva den Maurer ein Stück nach rechts. Noch während der Handwerker seine Mörteltruhe verrückte, eilte sie weiter, um zu sehen, wie weit die Schreinergesellen im geplanten Kontor gekommen waren. Die Seitenwände hatten sie bereits vertäfelt, nun begannen sie mit der Decke. In diesem Raum ging alles wie gewünscht, fand Veva und begab sich in die Küche. Hier war der Ofensetzer fast fertig, und der Schreinermeister maß bereits den Platz für die Schränke und Borde aus, die er in Vevas und Ernsts Auftrag anfertigen sollte.
Veva erteilte ihm noch ein paar Anweisungen und rief dann Nis zu sich. »Besorge Bier und eine Brotzeit für die Handwerker. Sie haben gut gearbeitet und eine Pause verdient!«
Der Junge gehorchte freudig, denn er erhielt sowohl vom Wirt wie auch vom Metzger einen Pfennig für diesen Gang – und vom Bäcker wenigstens eine Brezel.
Auch die Handwerker waren zufrieden. Nicht jeder Hausherr zeigte sich so großzügig wie das junge Paar, das in wenigen Wochen hier einziehen wollte.
»Das wird ein schönes Haus und so stattlich, wie es sich für einen Kaufherrn gehört«, sagte der Ofensetzer zu Veva.
»Wollen wir’s hoffen!« Die junge Frau atmete tief durch. Zum ersten Mal, seit sie in Augsburg weilte, hatte sie eine Aufgabe, die sie ausfüllte.
Durch Jakob Fuggers Vermittlung war es Ernst gelungen, das Gebäude billig zu erwerben. Es lag in einer Seitengasse, doch von hier aus konnte er Fuggers Anwesen in wenigen Minuten erreichen. Auch Sankt Anna war nicht weit, ebenso das Rathaus und der Markt. Für Ernsts Pläne war dieses Anwesen ideal. Es bot genug Speicher für Waren, hatte einen eigenen Stall und sogar einen Saal, in dem er Gäste bewirten konnte. Doch die Einrichtung der meisten Zimmer existierte erst in der Phantasie seiner Besitzer.
Veva freute sich auf ihr neues Heim und war mit dem Fortgang der Arbeiten sehr zufrieden, auch wenn sie gelegentlich eingreifen musste, um ihre Vorstellungen durchzusetzen.
»Ich wäre hier bald fertig. Plant Ihr noch den Kachelofen in der guten Stube, wie Ihr letztens gemeint habt?« Der Ofensetzer sah sie hoffnungsvoll an, denn die Errichtung eines Kachelofens versprach guten Verdienst.
Veva nickte lächelnd. »Natürlich! Er soll aber so eingebaut werden, dass er auch die Kammer daneben wärmt.«
»Das wird schon gehen«, sagte der Mann und betrachtete den Küchenherd und den Rauchfang mit dem modernen Abzug, den er gemauert hatte. Die Arbeit gereichte ihm zur Ehre, und er war zu Recht stolz darauf.
Unterdessen schlug die Domuhr die neunte Stunde, und die Handwerker hielten inne, um Pause zu machen. Da kam Nis auch schon schwer beladen zurück und stellte alles auf das Brett, welches im Erdgeschoss auf zwei Böcken lag und den Männern als Tisch diente.
»Lasst es euch schmecken«, sagte Veva und sah sich nach ihrem Korb um, denn sie wollte noch rasch zum Markt laufen. Schon bald würde sie in diesem Haus auf ihrem eigenen Herd kochen oder vielmehr die Köchin überwachen. Da es ihr in der kleinen Wohnung zu eng wurde und die Familie bereits bestimmt war, die nach ihnen dort einziehen sollte, drehten sich ihre Gedanken beinahe rund um die Uhr um ihr neues Domizil. Manchmal bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich allzu selbstsüchtig vorkam. Sie beruhigte sich jedoch damit, dass sie die armen Leute, die sich auf eine trockene, saubere Unterkunft freuten, nicht zu lange warten lassen wollte.
Veva zog ihr warmes Schultertuch zurecht, hob den Korb auf und machte sich alleine auf den Weg zum Markt, weil Nis sich zu den Handwerkern gesetzt hatte. Dort hielt sie sich weitaus länger auf als geplant, denn das Angebot war trotz des winterlichen Wetters recht üppig, und sie wollte nur das Beste kaufen.
Als ihr Korb fast voll war, fiel ihr Blick auf eine junge Frau in einem für die Jahreszeit viel zu dünnen Kleid. Obwohl ihr das ebenmäßige Gesicht bekannt vorkam, dauerte es einige Augenblicke, bis sie die Magd Rosi aus München erkannte.
Veva erinnerte sich sofort, dass ihrem Mann eine Liebschaft mit diesem Weibsstück nachgesagt worden war, und wollte der Frau schon den Rücken kehren. Andererseits war sie neugierig, was Rosi hier in Augsburg zu suchen hatte, und trat näher. Sie beobachtete, wie Rosi verzweifelt um ein paar schrumpelige Rüben feilschte. Sie war mager geworden und so blass, als hätte sie eben eine schwere Krankheit überwunden. Dennoch war sie noch immer eine schöne Frau, und Veva begriff, warum Ernst mit ihr getändelt hatte.
Rosi kam nun doch zu einem Abschluss und barg die Rüben sichtlich erleichtert in einem Tragetuch.
Als sie gehen wollte, fasste Veva sie am Arm. »Einen Augenblick, wenn es genehm ist.«
Rosi drehte sich um, erkannte Veva und stieß einen erstickten Ruf aus. »Jungfer Veva, ich meine, Frau Rickingerin, Ihr?«
»War dir nicht bekannt, dass Ernst und ich in Augsburg leben?«
Rosi schüttelte den Kopf. »Bei meiner Seele, nein! Sonst …« Die junge Frau brach ab, denn sie hatte sagen wollen, sonst wären Hilarius und sie niemals nach Augsburg gekommen. Da sie die Gerüchte kannte, die sich um sie und Ernst drehten, musste dessen Frau sie verachten. Ein bitterer Zug glitt über ihr Gesicht.
Doch gerade diese Regung war es, die Veva ihren Groll vergessen ließ. »Bei Gott, du bist doch viel zu dünn angezogen! Komm mit und wärme dich bei mir auf. Bei einem Schluck Würzwein kannst du mir erzählen, was es Neues aus München gibt. Wie geht es meinem Vater? Er befindet sich doch hoffentlich bei guter Gesundheit.«
»Als wir München verlassen haben, tat er es noch. Aber das ist nun schon einige Wochen her.«
Veva spürte eine gewisse Abwehr in Rosis Stimme, die ihre Neugier weckte. Sie fasste die Magd unter und zog sie mit sich. Zwar machte Rosi eine Bewegung, als wolle sie sich losreißen, doch der Gedanke an ein wärmendes Feuer und einen Becher Würzwein war zu verlockend. Unterwegs hoffte sie jedoch, nicht auch noch Ernst zu begegnen. Zwar war er wahrscheinlich der Vater des Kindes, das sie verloren hatte, und früher hätte sie ihn vielleicht um eine kleine Summe Geldes gebeten. Doch nun hätte ihr diese Bitte das Gefühl gegeben, Hilarius zu hintergehen, und das wollte sie nicht.