21.
Franz von Gigging betrachtete den Sack, in dem sein Gefangener steckte, und zählte in Gedanken die blanken Gulden, die dieser ihm einbringen würde. Dann sah er zu dem anderen Insassen seines Kerkers hinüber, der sich bereits seit einigen Wochen in seiner Gewalt befand. Es handelte sich um einen jungen Burschen aus dem Tirolischen, den er hatte entführen lassen, weil der Kerl Ernst Rickingers Figur und Haarfarbe aufwies. Um Benedikt Haselegner eine Weile in Sicherheit zu wiegen, benötigte er einen Toten, und dafür hatte er den Mann persönlich ausgesucht.
Da der junge Rickinger nicht wissen durfte, in wessen Händen er sich befand, gab Gigging seine nächsten Befehle nur mit Handzeichen. Zwei seiner Leute traten auf den Tiroler zu, der bis an die Kerkermauer zurückwich.
»Lasst mich frei, bitte! Ich habe euch doch nichts getan«, flehte er.
Die beiden Bewaffneten packten ihn und pressten ihn gegen die Wand. Zunächst begriff der Gefangene nicht, was sie von ihm wollten. Doch als einer von ihnen seinen Dolch zog und ihm grinsend vors Gesicht hielt, schrie er gellend auf. »Nein, tut das nicht! Bei eurer Seligkeit!«
»Die geht dich einen Scheißdreck an!« Der Mann mit dem Dolch lachte höhnisch auf und stieß ihm mit einem heftigen Ruck die Klinge in die Brust. Noch während der Tiroler röchelnd zu Boden sank, wischte sein Mörder den Dolch an dessen Kleidung sauber. Er steckte ihn wieder weg und machte sich anschließend mit einem seiner Kumpane daran, die Leiche bis auf die Haut auszuziehen. Hosen, Weste und Hemd warfen sie achtlos auf einen Haufen. Danach blickten sie sich zu ihrem Hauptmann um.
Gigging nickte zufrieden und verließ den Kerker. Zwar hatte er nicht die Absicht, Ernst Rickinger je wieder freizulassen, aber er wollte trotzdem nicht von ihm erkannt werden. Zwei der drei, die Ernst und Sepp überfallen hatten, blieben in der Zelle und schnürten den Sack auf, in dem ihr Gefangener steckte.
Nun konnte Ernst sehen, dass er sich in einem etwa sechs auf sechs Schritte großen, aus wuchtigen Quadersteinen gemauerten Raum mit einer Gewölbedecke befand. Fenster gab es keine, nur ein etwa faustgroßes Luftloch oben in der Decke. Dann fiel sein Blick auf den Toten, und er erstarrte. War er jetzt an der Reihe? Schnell empfahl er seine Seele dem Herrn.
Die beiden Männer lösten die Knoten der Stricke, mit denen sie ihn gefesselt hatten. »Zieh dich aus!«, befahl einer von ihnen. Ohne zu begreifen, was sie von ihm wollten, versuchte Ernst aufzustehen. Durch die straff sitzenden Fesseln waren Arme und Beine wie abgestorben und gehorchten ihm nicht. Daher beugten die Räuber sich über ihn und schälten ihm kurzerhand die Kleidung vom Leib. Kurz darauf lag er nackt und vor Kälte zitternd auf dem harten Steinboden und wünschte sich nur noch zu sterben.
»Du kannst die Klamotten dort anziehen!«, erklärte einer der Banditen, als er und sein Kumpan sich dem ermordeten Tiroler zuwandten und diesem Ernsts Kleider überstreiften. Danach packten sie den Leichnam unter den Armen und schleiften ihn hinaus.
Ernst glaubte, in einem üblen Alptraum zu stecken, und betete unwillkürlich, bald daraus zu erwachen. Die Kälte, die in seine Glieder biss, ließ ihn jedoch rasch begreifen, dass dies die Wirklichkeit war. Da er immer noch nicht auf die Beine kam, kroch er zu der Kleidung des Toten hin und zog sie nach kurzem Zögern an. Beim Anblick des noch frischen Blutes schauderte es ihn, doch wenn er nicht erfrieren wollte, blieb ihm keine andere Wahl, als sich in die Lumpen zu hüllen, die der Tote wohl schon seit Wochen getragen haben musste. Dann rutschte er zu der Strohschütte, auf die man ihn zuerst gelegt hatte, kroch hinein und zog zusätzlich noch den Sack über sich.
Als er mit immer noch klappernden Zähnen dalag, sehnte er sich nach Vevas anschmiegsamem Körper und mehr noch nach ihrer fürsorglichen Art und spürte, dass ihm wieder die Tränen über die Wangen liefen.