13.
Vevas Tage bestanden nicht nur aus Leid und übler Nachrede. Es gab auch Erfolge, die ihr die Kraft verliehen, sich gegen die Bosheiten ihres Schwiegervaters und dessen angeheirateter Verwandtschaft zu behaupten. Ihre Handelsgeschäfte, die teilweise noch von Ernst eingefädelt worden waren, liefen gut und brachten Gewinn. Auch aus Augsburg kamen erfreuliche Nachrichten. Um die Steuereinnehmer des Herzogs zu täuschen, die immer wieder die Post der Kaufleute öffnen ließen, musste sie ihre Korrespondenz mit Hilarius jedoch in einer Art Geheimschrift führen.
Veva begriff immer mehr, wie hilfreich die Jahre für sie gewesen waren, in denen sie ihren Vater hatte unterstützen müssen. Wahrscheinlich hatte sie dessen Handelsgeschäfte besser kennengelernt als ihr Bruder, der sich zu viele Freiheiten herausgenommen hatte, anstatt ernsthaft im Handelshaus mitzuarbeiten.
Es versetzte ihr jedoch immer wieder einen Stich, wenn sie sich daran erinnerte, dass ihr Vater sie trotzdem für dumm gehalten hatte und davon ausgegangen war, ihr Bruder wisse alles Notwendige, ohne es lernen zu müssen, nur weil er männlichen Geschlechts war. Schon um dem Vater posthum zu beweisen, wie sehr er sich geirrt hatte, bemühte sie sich intensiv, gute Geschäfte abzuschließen.
Inzwischen hatte Hilarius ihr auch schriftlich von seinem Verdacht berichtet, Doktor Portikus könnte für den Mord an Ernst verantwortlich sein, aber Veva wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. In München ging noch immer das Gerücht um, ihr Schwiegervater habe die Tat veranlasst, um sich in den Besitz ihres Vermögens zu setzen. Daher musste Eustachius Rickinger sich auf dem Weg durch die Stadt gar als Sohnesmörder beschimpfen lassen.
Inzwischen war Ernsts Vater mit seiner Beschwerde vor den Herzog getreten. Doch Wilhelm IV. hatte ihm ebenfalls erklärt, dass Veva die rechtmäßige Erbin ihres Vaters und ihres Mannes sei, und den Ratsherrn Arsacius Bart als gesetzmäßigen Vormund bestätigt.
Für Veva hätte daher eine Zeit der Ruhe einkehren können, wäre da nicht Benedikt Haselegner gewesen. Dieser ließ keinen Tag verstreichen, ohne nicht mindestens ein Mal bei ihr vorzusprechen. Auch an diesem Morgen saß er ihr gegenüber, hielt einen Becher Wein in der Hand und berichtete von einem Handel, den er in Venedig abschließen wolle.
»Du solltest dich auf jeden Fall daran beteiligen, meine Liebe. Der Gewinn wird mindestens dreißig Prozent betragen, wenn nicht mehr, vor allem, wenn ich eine größere Partie an- und wieder verkaufen kann.«
Gerade diese geschäftlichen Ratschläge machten es Veva schwer, die nervtötenden Besuche des Mannes zu unterbinden. Erstaunlicherweise hatte er sich als uneigennütziger Helfer erwiesen und sie schon ein paarmal auf Pferdefüße bei anderen Angeboten aufmerksam gemacht. Sie ahnte jedoch, dass er schon bald wieder damit anfangen würde, sie sollten sich doch gegenseitig in ihrem verwitweten Stand trösten und die Ehe miteinander eingehen.
»Ich werde darüber nachdenken, Haselegner, ob ich bei diesem venezianischen Handel mitmachen kann. Allerdings muss ich auf den Gewinn aus ein paar anderen Geschäften warten und habe derzeit nicht genug Geld flüssig«, antwortete sie ausweichend.
Haselegner beugte sich vor und legte ihr die Hand auf den Arm. »Dann leihe ich dir das Geld. Bei einem Zinsfuß von fünfzehn Prozent im Vierteljahr machst du immer noch den halben Gewinn.«
»Und wenn es schiefgeht, einen herben Verlust! Nein, Haselegner, darauf lasse ich mich nicht ein.« Veva schüttelte seine Hand ab und schob ihren Stuhl ein wenig zurück.
»Jeder Handelsmann muss ein Risiko eingehen, wenn er Erfolg haben will. Du kannst deinen Handel nicht verwalten wie eine Hausfrau, Veva. Deshalb schlage ich dir die ganze Zeit vor, dass wir heiraten sollten. Dann gehören wir in fünf – ach was! – in drei Jahren zu den reichsten Bürgern Münchens. Vielleicht werde ich dann sogar in den Inneren Rat gewählt und habe die Chance, einmal Bürgermeister zu sein. Wäre es nichts für dich, wenn du bei der heiligen Messe als Erste der Bürgerfrauen das Kirchenschiff von Sankt Peter betreten dürftest?«, sagte Haselegner in der Hoffnung, an Vevas weibliche Eitelkeit zu appellieren.
Sie schüttelte den Kopf. Noch war der Schmerz um Ernst zu tief, als dass sie eine neue Ehe auch nur in Erwägung ziehen konnte, und sie ärgerte sich über Haselegners stetes Drängen. Da sie ihn jedoch nicht verprellen wollte, überlegte sie, was sie ihm antworten sollte. In dem Augenblick spürte sie, wie ihr Kind sich in ihrem Leib bewegte, und lächelte versonnen. Allein der Kleinen wegen musste sie alles tun, um ihr Erbe zu erhalten und zu mehren. Vor allem aber gab ihr die Schwangerschaft die Gelegenheit, ihren hartnäckigen Bewerber erst einmal zu vertrösten.
»Euer Antrag ehrt mich, Haselegner. Ihr vergesst jedoch, dass ich gesegneten Leibes bin. Ich will mein Kind als ehrengeachtete Witwe zur Welt bringen. Das bin ich meinem ermordeten Ehemann schuldig.«
»Im Grunde bist du ihm überhaupt nichts schuldig. Ihr seid doch schließlich nur ein paar Tage verheiratet gewesen!«
»Es waren schon einige Monate«, rückte Veva lächelnd die Tatsachen zurecht.
»Die meiste Zeit davon hast du in München verbracht! Ich verstehe ja, dass du dem Toten nichts Böses nachsagen willst, aber ich weiß mehr über ihn als du. So viel Treue, wie du ihm entgegenbringst, hat er nicht verdient.«
»Vergesst nicht, Ihr redet über den Vater meines Kindes!«, antwortete Veva scharf. Für ihr Gefühl steuerte Haselegner zu eifrig auf sein Ziel zu, und sie sagte sich, dass sie ihn, wenn er nicht bald damit aufhörte, nicht mehr empfangen würde.
Haselegner ärgerte sich über das sture Weibsstück, das aus ihm unverständlichen Gründen an Ernst Rickinger hing. Wahrscheinlich hatte dieser sich in den gemeinsamen Nächten als stark und ausdauernd erwiesen und sie damit zufriedengestellt. Wenn Veva ihn nur ließe, dachte er bei sich, würde er ihr beweisen, dass er in dieser Hinsicht auch nicht schlechter war als der Tote. Da sie jedoch schwanger war und er nicht wusste, wie Frauen in diesem Zustand empfanden, lenkte er ein.
»Wir müssen ja nicht gleich heute heiraten, Veva. Aber du musst auch an dein Kind denken. Es braucht einen Vater, der sich um den Kleinen kümmert und auch dich beschützt. Die Welt ist böse, das weißt du ebenso gut wie ich. Gerade hat dieser Mönch aus Wittenberg eine neue Streitschrift veröffentlicht, die unseren Klerus in übelster Weise verleumdet. Da sich viele von diesem Kerl aufhetzen lassen, fürchte ich, dass es noch zu Mord und Totschlag kommt.«
Seit ihr Mann Martin Luther bei der Flucht aus Augsburg geholfen hatte, befasste Veva sich mehr mit dessen Thesen und war zu dem Schluss gekommen, dass daran nicht alles so falsch und verderblich war, wie Doktor Portikus und andere Kirchenmänner es den Münchner Bürgern und dem Herzog weismachen wollten. Mit Ernst hätte sie über diese Dinge reden können, doch bei Haselegner bezweifelte sie es. Daher ging sie nicht auf seine Bemerkung ein, sondern sagte nur, dass sie vor der Geburt ihres Kindes keine Entscheidung über ihre weitere Zukunft treffen werde.
Ihre entschlossene Miene hielt Haselegner davon ab, weiter in sie zu dringen. Aber er nahm ihre Weigerung nicht ernst. Da Weiber mal so und mal so handelten, würde sie ihre Meinung gewiss bald ändern. Bis dorthin würde er sich ihr unentbehrlich machen. Nicht zuletzt deshalb lenkte er das Gespräch wieder auf sein geschäftliches Angebot.
»Meine liebe Veva, ich gebe gerne zu, dass ich noch einige hundert Gulden brauche, um die Ware günstig erwerben zu können. Ich zahle dir ein Viertel dessen, was ich dabei spare, als zusätzlichen Gewinn aus. Du weißt, dass ich dir das Geld mehr gönne als jedem anderen.«
Veva überlegte, wie viel Geld sie erübrigen konnte, und nickte zögerlich. »Also gut, ich werde es mir überlegen. Reicht es Euch, wenn ich Euch morgen früh den Schwab mit meiner Antwort schicke?« Sie sagte es nicht zuletzt deswegen, weil dadurch sein Besuch bei ihr überflüssig geworden wäre. Doch in die Falle tappte Haselegner nicht.
»Ich suche dich auf. Wenn du noch Fragen hast, wäre ein Austausch über einen Boten zu mühselig. Jetzt muss ich dich verlassen. Sei aber versichert, dass ich alles für dich tue, was in meiner Macht steht!«
»Das weiß ich, und dafür danke ich Euch auch.« Für den Augenblick hatte Veva fast ein schlechtes Gewissen, weil sie den Mann so abweisend behandelte.
Während Haselegner sich verabschiedete, befassten Vevas Gedanken sich mit dessen verstorbener Frau. Hätte das Schicksal es anders entschieden, wäre Johanna Antscheller wahrscheinlich sogar im doppelten Sinne ihre Schwägerin geworden, nämlich als die Schwester ihres erkorenen Bräutigams und dann auch als Ehefrau ihres Bruders. Zumindest hatte ihr Vater dies nach Bartls Tod einmal angedeutet.