16.

Veva hatte im Hause Fugger zu Mittag gegessen und trat nun auf den Hof, um nach dem Schwab zu sehen, konnte ihn aber nirgends entdecken. Auch die Knechte wussten nicht, wo er abgeblieben war. Ihr Ärger wuchs, denn der Schwab hätte sie zu dem Haus begleiten sollen, das Jakob Fugger ihr zur Verfügung gestellt hatte. Doch wie es aussah, trieb der Knecht sich pflichtvergessen in der Stadt herum.

Achselzuckend wandte sie sich um und sah auf einmal einen Mann bei den Ställen stehen, der ihr vage bekannt vorkam. Doch als sie in sein Gesicht blickte, war sie sicher, sich getäuscht zu haben. Verwirrt ging sie auf ihn zu, um ihn genauer zu betrachten. In dem Augenblick bemerkte auch er sie. Er sprach sie jedoch nicht an, sondern deutete nur eine knappe Verbeugung an und ging mit raschen Schritten davon.

»Wer war das?«, fragte Veva einen der Stallknechte.

»Er heißt Franz von Gigging und ist irgendein Tiroler Ritter. Angeblich ist er der Anführer der Leibwächter, die Kardinal Cajetan beschützen sollen. Mir gefällt der Mann jedoch nicht, denn er taucht überall auf, wo er nichts zu suchen hat. Außerdem stellt er den Mägden nach!« Mit einem unwilligen Brummen wandte der Knecht sich wieder dem Ross zu, welches er gerade striegelte.

Veva wanderte gedankenverloren über den Hof, auf dem mehrere Dutzend Knechte und Schreiber beschäftigt waren, Wagen zu be- und entladen und lange Warenlisten zu erstellen oder zu kontrollieren. Einige Augenblicke lang erwog sie, dem Fremden zu folgen, doch die Erklärung des Knechts brachte sie davon ab. Womöglich würde der Ritter glauben, sie habe eine Vorliebe für ihn gefasst, und würde sich Rechte herausnehmen, die ihm nicht gebührten.

Verärgert, weil ihre Gedanken sich mit diesem Fremden beschäftigten, obwohl ihr Zusammentreffen mit Ernst kurz bevorstand, kehrte sie in das Gebäude zurück und verirrte sich prompt in den labyrinthartigen Fluren. Sie blieb stehen und versuchte sich zu erinnern, in welcher Richtung das Zimmer lag, in dem sie zu Mittag gegessen hatte. Dort würde sie gewiss jemanden finden, der ihr weiterhelfen konnte. An eine der vielen Türen zu klopfen wagte sie nicht, da sie nicht wusste, welchem Zweck die Räume dahinter dienten und wer sich darin aufhielt.

Nach einer Weile hörte sie Stimmen und ging unwillkürlich in diese Richtung. Sie sah jedoch nur einen Diener, der gerade eine Tür hinter jemandem schloss. Bevor der Mann wieder verschwinden konnte, begann Veva zu rufen. »Halt! Kannst du mir sagen, wo mein Knecht abgeblieben ist?«

Der Mann drehte sich zu ihr um und wirkte verwirrt. »Ich habe Euren Knecht doch gerade zu Seiner Erlaucht gebracht!«, sagte er und wies auf die geschlossene Tür.

Veva fragte sich, was der Schwab bei einem Mann wie Jakob Fugger zu suchen hatte, und bedeutete dem Diener, er könne gehen. Unsicher, ob sie warten sollte, bis ihr Knecht wieder aus dem Zimmer kam, trat sie auf die Tür zu. Tatsächlich, sie hörte die Stimme des Schwab, und als Fugger antwortete, klang dieser, als spreche er mit dem Abgesandten eines Geschäftspartners und nicht mit einem einfachen Knecht.

Neugierig geworden legte Veva ihr Ohr an die Tür. »… kannst deinem Herrn mitteilen, dass er mit sechzig bis achtzig Prozent Gewinn im Jahr rechnen kann. Wenn er noch mehr Geld bei mir anlegen will, bin ich gerne dazu bereit. Ich will noch weitere Bergregale pachten und muss Kaiser Maximilian dafür eine entsprechende Summe vorstrecken«, erklärte der Handelsherr gerade.

»Ich werde Herrn Leibert sagen, dass Ihr noch enger mit ihm zusammenarbeiten wollt«, hörte Veva den Schwab sagen. »Wisst Ihr, mein Herr will einen Teil seines Handels über Augsburg laufen lassen. Die Steuern und Geldforderungen des Herzogs in München werden ihm zu hoch.«

»Solange er kein Bürger dieser Stadt ist, kann er seine Geschäfte nur als Kompagnon eines einheimischen Handelshauses tätigen. Dazu bin ich bereit. Das Haus Leibert hat auch in Augsburg einen guten Ruf, und von Bartholomäus’ Nachfolger Ernst Rickinger erwarte ich viel. Er hat einen klugen Kopf auf den Schultern und lernt schnell.«

So viel Lob für ihren Ehemann überraschte Veva. Allerdings war es ganz gut, wenn er vom Handel etwas verstand. Immerhin sollte er das Handelshaus ihres Vaters erfolgreich weiterführen, damit es ungeschmälert an ihre gemeinsamen Kinder gehen konnte. Dieser Gedanke erinnerte sie daran, dass sie zwar vor Gott und der Welt als verheiratet galten, es aber noch zu keiner ehelichen Gemeinschaft zwischen ihnen gekommen war. Eigentlich wollte sie auch keine, doch ihr Wort galt in dieser Angelegenheit noch weniger als sonst. Sie hatte sich der Entscheidung zu fügen. Das schmerzte sie vor allem, weil Ernst wahrlich nicht der Vater war, den sie sich für ihre Kinder wünschte. Sie schob diese Überlegung jedoch rasch beiseite, um weiter zu lauschen. Es wäre beschämend, wenn sie das Ende des Gesprächs überhören und mit dem Ohr an der Tür ertappt würde.

Aber es gab keinen interessanten Wortwechsel mehr. Jakob Fugger schien einen Brief zu schreiben, den der Schwab ihrem Vater übergeben sollte. Es kränkte sie erneut, dass der Knecht einen Auftrag ausführte, von dem sie nichts erfahren hatte. Dabei war sie ihrem Vater in den letzten beiden Jahren eine unersetzliche Helferin gewesen und inzwischen so in seine Geschäfte eingeweiht, dass sie selbst in seinem Namen mit Fugger hätte sprechen können.

Beinahe hätte sie den Zeitpunkt verpasst, an dem sie sich zurückziehen musste. Sie hörte gerade noch, wie der Schwab sich ehrfürchtig von Jakob Fugger verabschiedete. Gleich darauf wurde die Tür geöffnet.

Veva hatte noch die Zeit, zwei Schritte zurückzuweichen, und tat nun so, als sei sie eben den Gang entlanggekommen. »Da bist du ja! Ich habe schon die ganze Zeit nach dir Ausschau gehalten. Wir müssen doch das Häuschen aufsuchen, das Herr Fugger uns zur Verfügung gestellt hat«, sagte sie vorwurfsvoll.

Der Knecht sah unsicher zu Boden. »Verzeiht, aber ich musste unserem Gastgeber noch einen Brief Eures Vaters überbringen.«

»Mein Vater hat Herrn Fugger geschrieben? Gewiss will er Geschäfte mit ihm machen.« Vevas scheinbar beiläufige Bemerkung ließ den Schwab noch mehr schrumpfen. Leibert hatte ihm streng verboten, seiner Tochter etwas zu sagen, doch die junge Frau war alles andere als dumm und vermochte sich die Angelegenheit leicht zusammenzureimen. Da er wusste, dass sie weiterfragen würde, beschloss er, wenigstens einen Teil der Wahrheit zu bekennen.

»Euer Vater will mit Herrn Fugger ins Geschäft kommen, und ich soll dessen Antwortbrief nach München tragen. Aber vorher helfe ich Euch natürlich, Euer neues Heim zu beziehen.«

»Mein vorläufiges Heim! Sobald Ernst Rickinger und ich etwas Passendes gefunden haben, werden wir umziehen. Die Wohnung, die Herr Fugger uns zur Verfügung stellt, ist eigentlich für die Armen dieser Stadt bestimmt. Die will ich ihnen nicht lange vorenthalten.«

Der Schwab nickte und war froh, dass es ihm gelungen war, Vevas Gedanken auf ein anderes Thema zu lenken. Während sie in dem riesigen Gebäude nach dem Bediensteten suchten, der sie zur Fuggerei bringen sollte, bot er Veva an, sie am nächsten Tag im Einkauf der wichtigsten Utensilien zu unterstützen. Er schlug etliches vor, was Veva in ihrem neuen Haushalt dringend benötige.

»Sollst du nicht Herrn Fuggers Brief so rasch wie möglich zu meinem Vater bringen?«, fragte Veva hinterlistig.

Der Schwab hob beschwichtigend die Hände. »So wichtig ist das Schreiben nun auch wieder nicht. Immerhin hat mein Herr mir die Sorge für Euch anvertraut, und da kann ich Augsburg nicht verlassen, solange Ihr noch in einer kahlen Wohnung sitzt.«

»Du bist ein treuer Knecht, Schwab. Eigentlich der beste in unserem Haus, seit ich denken kann. Mein Vater hält große Stücke auf dich, und ich tue es auch. Ich danke dir, dass du mir helfen willst. Von meinem … äh, Ehemann werde ich wohl wenig Unterstützung erhalten. Er soll nämlich Seiner Eminenz, Kardinal Cajetanus, als Faktotum, Bote und was weiß ich noch alles dienen. Da wird er kaum Zeit finden, sich um mich zu kümmern.« Veva lächelte, als finde sie daran Gefallen.

Der Schwab musste daran denken, dass ihre Ehe überstürzt und gegen ihren Willen geschlossen worden war. Da der Knecht Ernst Rickinger mochte, versuchte er, seine Herrin während der nächsten Stunde von dessen Vorzügen zu überzeugen.

Veva interessierte sich jedoch mehr für das kleine Häuschen, in das Fuggers Bediensteter sie führte. Es bestand aus zwei abgeschlossenen Wohnungen übereinander, die jeweils eine eigene Haustür hatten. Fuggers Angestellter wies ihr die vier Räume im Erdgeschoss zu. Für ein Armenhaus waren die Zimmer überraschend geräumig und dazu luftig und hell. Es gab auch schon die notwendigsten Möbel, und neben dem Herd in der Küche hatte sogar jemand Feuerholz aufgeschichtet. Aber sonst fehlte es noch an vielem.

Veva beauftragte den Schwab, Hausrat zu besorgen, und ging dann durch die Wohnung. Sie überlegte, was sie über die bereits bestellten Sachen hinaus noch brauchen würde, um sich halbwegs wohnlich einrichten zu können. Am wenigsten gefiel ihr die Kammer, die zum Schlafen dienen sollte und in der bereits ein recht schmales Bett stand. Das hieß, Ernst und sie würden sehr eng nebeneinanderliegen müssen. Da sie das nicht ändern konnte, setzte sie sich zuletzt in der Küche auf einen der beiden einfachen dreibeinigen Hocker und wartete, bis der Schwab vom Markt zurückkam.

Die Ketzerbraut. Roman
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