3.

Haselegners Wut wurde nur noch von seiner Angst vor Gigging übertroffen. Ein Mann, der kalt lächelnd einen Unbeteiligten ermordete, um dessen Leiche für die eines anderen auszugeben, würde auch ihn abstechen wie eine schlachtreife Sau. Doch bevor er dem Raubritter einen einzigen Gulden bezahlen konnte, musste er erst einmal Veva heiraten und deren Besitz in seine Hand bekommen. Die vermeintliche Witwe hatte zwar erklärt, sie wolle erst eine neue Ehe eingehen, wenn sie das Wochenbett verlassen hatte. Aber so lange durfte er nicht warten. In weniger als einem Monat wollte Gigging die erste Rate haben, und er hatte diese Summe so groß bemessen, dass nicht einmal der Gewinn aus dem Venedig-Handel dafür ausreichen würde.

Nachdem Haselegner sich von einem Knecht einen vollen Weinkrug auf den Tisch hatte stellen lassen, scheuchte er das Gesinde aus seinen Privaträumen und versuchte in Ruhe nachzudenken. Schließlich konnte er nicht einfach zu Veva gehen und ihr sagen, sie müssten umgehend heiraten. Sie würde ihn des Hauses verweisen. Aber wenn er nicht schon bald Giggings Stahl zwischen den Rippen spüren wollte, musste er ihren Willen brechen.

»Genau das werde ich tun!«, rief er aus und führte seinen Becher zum Mund.

Darin aber war kein Tropfen mehr. Er füllte ihn erneut, und während er trank, wanderten seine Gedanken weiter. Wahrscheinlich würde er Veva eine ordentliche Tracht Prügel verabreichen müssen, um sie zur Ehe zu zwingen, und ihr damit gleich zeigen, wer der Herr war. Doch auch dann bestand die Gefahr, dass sie vor dem Priester nein sagte und ihm ins Gesicht lachte. Demzufolge gab es nur eine einzige Möglichkeit, um ihr eine Weigerung unmöglich zu machen, nämlich, sie zu vergewaltigen. Danach musste sie ihn heiraten, um ihre Ehre wiederherzustellen. Allerdings war Veva eine eigenartige Frau und würde sich möglicherweise selbst dann weigern.

»Es muss ein Pfaffe anwesend sein, der den Trausegen spricht, während ich sie rammle!«, sagte er und versetzte der Tischplatte einen heftigen Schlag. Doch wie sollte er einen Priester finden, der ihm gegen eine Belohnung diesen Dienst erweisen würde? Mit einem Mal glättete sich seine verzerrte Miene. Natürlich gab es einen Priester in München, den er für diesen Streich gewinnen konnte. Lächelnd leerte er den Becher ein weiteres Mal und machte sich zum Ausgehen bereit. Dabei überlegte er, dass er kaum am helllichten Tag zu Vevas Haus gehen und ihr Gewalt antun konnte. Das durfte nur in der Nacht geschehen, und da brauchte er jemanden, der ihm die Türen öffnete.

Nun wird der Schwab etwas für die Gulden tun müssen, die er von mir kassiert hat, sagte er sich. Immerhin hatte er dem Kerl schon einiges an Geld in den Rachen gestopft, und er war auch bereit, noch ein paar goldene Füchse, wie Gigging sie nannte, springen zu lassen. Haselegner griff nach seinem Überwurf, denn er wollte Vevas Haus aufsuchen, um mit ihrem Knecht zu sprechen. Doch wie es das Schicksal wollte, sah er diesen just in diesem Moment die Hütergasse herabkommen. Mit einem zufriedenen Grinsen verließ Haselegner seine Kammer und eilte zur Tür.

Er erreichte die Pforte schneller als sein Hausknecht, der auf den Ton des Türklopfers herbeigeeilt war.

»Du kannst wieder an deine Arbeit gehen«, beschied Haselegner ihm und öffnete selbst.

Der Schwab wunderte sich, den Hausherrn an der Tür zu sehen, der außerdem gänzlich verwandelt schien. Er wirkte hochzufrieden, während er noch am Vormittag mit verzweifelter Miene in die Stadt eingeritten war.

»Grüß Euch Gott, Herr Haselegner!«, sprach der Schwab ihn an.

Der Hausherr nickte lächelnd und forderte ihn auf, hereinzukommen. »Magst du einen Becher Wein?«

»Gern! Wenn’s keine Umstände macht, heißt das!«

»Es macht keine Umstände.« Auf dem Weg nach oben nahm Haselegner einen weiteren Becher mit, füllte diesen in seiner Kammer ebenso wie seinen eigenen und stieß mit dem Schwab an. »Auf uns zwei und auf die Veva, die bald mein Weib sein wird!«

Als der Schwab dies hörte, stellten sich ihm die Nackenhaare auf. Haselegner schien sich ganz sicher zu sein, Veva bald heimführen zu können. Dabei hoffte diese von Herzen, Ernst wäre noch am Leben und es könne ihr gelingen, ihn zu finden und zu befreien.

»Auf Euch, Haselegner, und auf meine Herrin«, beantwortete er den Trinkspruch und führte den Becher zum Mund. Der Wein war mit der beste, den der Schwab bisher zu kosten bekommen hatte. Er schnalzte anerkennend mit der Zunge und hielt Haselegner in einem Anfall von Keckheit den Becher noch einmal hin. Zu seiner Überraschung füllte dieser ihn unbesehen.

»Das ist wohl der berühmte Welschwein, was?« Der Schwab, der als Knecht an dünnes Bier gewöhnt war, nahm noch einen Schluck und sagte sich, dass man es sich als Bürger gehobenen Standes wirklich gutgehen lassen konnte. Für ihn lag ein solches Leben jenseits aller Hoffnungen. Er träumte davon, Veva könne ihn später einmal so weit unterstützen, dass er das Bürgerrecht erwerben und eine Magd heiraten konnte. Einen Augenblick lang musste er an Rosi denken, die ihm früher ins Auge gestochen hatte. Doch die war so hübsch, dass sie immer die Blicke besserer Herren auf sich gelenkt hätte. Da war die Cilli schon besser geeignet. Sie war zwar ein paar Jahre älter als er und recht kräftig gebaut, aber mit ihr würde er jederzeit eine Schenke oder Garküche führen können.

Haselegner bemerkte, dass die Gedanken des Knechts umherwanderten, und fasste ihn um die Schulter. »Woran denkst du denn gerade?«

»Ans Heiraten. Ihr wollt es, und ich täte es halt auch gerne.« Eigentlich war Haselegner keiner, dem der Schwab seine innersten Gefühle so leicht offenbart hätte, doch die beiden Becher Wein waren ihm zu Kopf gestiegen, und so erzählte er, was er sich von seinem Leben so erhoffte.

Mit heimlicher Freude hörte der Kaufmann ihm zu. Wenn er jetzt das richtige Versprechen gab, hatte er den Knecht in der Hand. »Weißt du was«, sagte er lauernd. »Ich richte dir deine Hochzeit aus und sorge auch dafür, dass du von der Stadt die Erlaubnis erhältst, eine Gastwirtschaft zu übernehmen. Keine Angst, auch das zahle ich. Dafür musst du mir nur einen Gefallen tun!«

Während er das sagte, schenkte Haselegner dem Schwab erneut nach und forderte ihn zum Trinken auf. Den schwindelte es. Aus dem Stand eines Knechts in den eines geachteten Bürgers aufzusteigen, das gelang den wenigsten, und ihm wurde diese Gelegenheit geradezu auf dem Silbertablett angeboten. »Ihr meint einen richtigen Gasthof mit allem, was dazugehört?«, fragte er nach.

»Freilich«, antwortete Haselegner und sagte sich, dass der Knecht sich auch mit weniger begnügen würde, wenn erst einmal alles nach Plan gelaufen war.

So betrunken, um sich ohne Bedenken mit Haselegner einzulassen, war der Schwab jedoch nicht. »Ich würde schon gerne wissen, was das für ein Gefallen ist, den ich Euch tun soll.«

»Du musst mir morgen Nacht eure Haustür öffnen und mich zur Veva bringen.« Jetzt war es heraus. Wenn der Knecht sich weigerte, war Haselegner bereit, ihm das Genick zu brechen und die Treppe hinabzustoßen, damit sein Tod wie ein Unfall aussah.

Der Schwab kniff die Augen zusammen. »Ihr wollt heimlich zu meiner Herrin? Warum?«

»Um mit ihr zu reden. Bei dem dicken Bauch, den sie vor sich herschiebt, kann ich doch nicht mehr tun.« Haselegner begleitete diesen Ausspruch mit einem dröhnenden Lachen.

In Schwabs Ohren klang seine Belustigung falsch, dennoch fiel er in das Gelächter ein und versetzte dem Kaufmann einen leichten Rippenstoß. »So wie die Herrin jetzt aussieht, könnt Ihr mit ihr wirklich nicht mehr Adam und Eva spielen. Aber ich verstehe, dass Ihr einmal ungestört mit ihr reden wollt. Wenn Euch das einen ganzen Gasthof wert ist, soll’s mir recht sein.«

»Du wirst deinen Gasthof kriegen!« Haselegner klang verärgert, denn nun schien es ihm so, als würde der Knecht sich zu einem ebenso hartnäckigen Erpresser entwickeln wie Gigging. Doch um Veva zu bekommen, war er bereit, jeden Meineid der Welt zu leisten.

»Ich schicke dir einen Knecht. Der wird dir sagen, wann du mich einlassen sollst«, erklärte er dem Schwab und schenkte ihm noch einmal ein. Als er seinen Becher füllen wollte, war die Kanne leer.

Der Schwab nahm es amüsiert zur Kenntnis. Während ihm der süffige Tropfen durch die Kehle rann, sagte er sich, dass er seiner Herrin einiges zu berichten hatte. Zwar trauerte er ein wenig dem Gasthof nach, den Haselegner ihm versprochen hatte, doch da er den Kaufmann kannte, gab er ohnehin nicht viel darauf.

Die Ketzerbraut. Roman
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