14.
Ernst legte das Rechnungsbuch aus der Hand und schlug mit der Faust auf den Tisch. Dann blickte er entschuldigend zu Veva hoch. »Es ist nicht zu fassen! Mein Vater hat den deinen bereits zu dessen Lebzeiten nach Strich und Faden betrogen und nach dessen Tod den größten Teil der Gewinne in seine Kasse gewirtschaftet.«
»Aber warum? Alles, was ich besitze, kommt doch dir als meinem Mann zugute!«
»Es muss mit der zweiten Frau meines Vaters zusammenhängen. Anscheinend will er noch reicher werden, um die Kinder mit ihr üppig ausstatten zu können. Aber dass er bis zu offenem Betrug geht, hätte ich niemals von ihm erwartet. Wir werden das unterschlagene Geld wohl ebenso durch das Gericht zurückfordern müssen wie kürzlich die Bücher. Jetzt wundere ich mich nicht mehr, weshalb er sie nicht herausrücken wollte.«
Ernsts Stimme drückte seine ganze Enttäuschung über seinen Vater aus. Dabei sah er weniger sich selbst als Geschädigten als vielmehr Veva, denn schließlich ging es um ihr Erbe.
»Dein Vater hat den meinen immer als seinen besten Freund angesehen«, fuhr er fort. »Doch wie es aussieht, ist wahre Freundschaft ein rares Gut. Eustachius Rickinger hätte sich als treuer Sachwalter einen Platz im Himmel verdienen können. Stattdessen ist er zum Betrüger geworden. Nun schäme ich mich, seinen Namen zu tragen.«
»Wir werden unser Geld schon wiederbekommen«, versuchte Veva, ihn zu trösten. Da sich Ernsts Miene jedoch nicht aufhellte, lehnte sie sich gegen ihn, nahm seine Rechte und legte diese auf ihren Bauch. Ihr Mann strich über die leichte Rundung, die dort in letzter Zeit entstanden war, ohne darüber nachzudenken, was das bedeuten mochte.
»Gräme dich nicht, mein Mann. Unser Herr Jesus Christus wird uns zu unserem Recht verhelfen. Freue dich lieber auf die Sommerzeit, denn dann wird, so die Heilige Jungfrau uns beisteht, die Wiege, die derzeit leer auf dem Dachboden steht, wohl gebraucht werden.«
Auch jetzt dauerte es noch einige Augenblicke, bis Ernst den Sinn ihrer Worte begriff. »Sag bloß, du bist schwanger?«, platzte es aus ihm heraus.
Veva nickte lächelnd. »Ich weiß es schon seit Augsburg. Aber um sicherzugehen, war ich gestern bei der alten Kreszenz. Sie hat es mir bestätigt. Spätestens am Tag der heiligen Maria Magdalena werde ich gebären. Und sage ja nicht, dass es nicht dein Kind ist. Kinder werden selten nach zwölf Monaten geboren.« Außerdem war Blut auf dem Laken, auf dem wir unsere erste Nacht verbracht hatten, aber du hast es nicht einmal bemerkt, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie wollte ihrem Mann jedoch keine Vorhaltungen machen, denn er war vor Freude ganz aus dem Häuschen.
»Natürlich ist es mein Kind! Bei Gott, das ist wie ein Sonnenstrahl an einem trüben Tag. Aber das heißt auch, dass ich noch härter um dein Erbe kämpfen muss, denn es gehört unserem Sohn.«
»Oder unserer Tochter, wenn es denn eine werden sollte«, wandte Veva ein.
»Dann kommt der Sohn eben später. O, Veva, du weißt gar nicht, wie ich mich freue!« Ernst stand auf, fasste sie unter den Achseln und schwang sie im Kreis.
»Vorsicht! Sonst stolperst du noch und lässt mich fallen«, mahnte sie, als er dem wuchtigen Tisch nahe kam.
Ernst hielt inne und stellte sie wieder auf die Füße. »Du machst mich zum glücklichsten Mann auf Erden!«
Für einen Augenblick dachte er daran, dass er diese Worte vor fünf Monaten nicht einmal gedacht, geschweige denn gesagt hätte. Damals war Veva ihm allzu kühl und in sich gekehrt erschienen. Inzwischen aber war ihm klar, dass er mit keiner anderen besser auskommen würde als mit ihr.
Auch Vevas Gedanken glitten zurück in die Vergangenheit. Der Mann, der ihr jetzt gegenüberstand, hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem verantwortungslosen Burschen, für den sie ihn einmal gehalten hatte. »Es ist bereits spät geworden. Lass die dummen Bücher und komm zu Bett«, sagte sie und nahm den Kerzenhalter in die Hand.
»Ein Bett, das mir in den nächsten Monaten ein wenig kalt vorkommen dürfte, da wir gewisse Dinge nicht mehr miteinander tun können«, sagte er mit einem entsagungsvollen Seufzer.
Veva lachte. »Wer hat dir solch dummes Zeug erzählt? Kreszenz hat mir gesagt – und die muss es wissen –, dass wir noch mindestens zwei Monate Adam und Eva spielen können. Du musst nur auf mein wachsendes Bäuchlein achtgeben. Später gehst du dann auf Reisen, und wenn du zurückkommst, habe ich das Kind bereits zur Amme gegeben und kann dir wieder die Gefährtin sein, die du dir für das nächtliche Lager wünschst.«
Mit einem glückseligen Lächeln klappte Ernst das Rechnungsbuch zu und ging mit Veva zusammen in die gemeinsame Schlafkammer. Der Ärger über seinen Vater war fürs Erste vergessen, und er sah die Zukunft hell und strahlend vor sich.