20.

Nachdem Martin Luther den Häschern entkommen war und alle Nachforschungen keinen Anhaltspunkt lieferten, an welchem Ort er sich aufhielt, beschloss Kardinal Cajetanus, nach Rom zurückzukehren.

Damit war Doktor Portikus überhaupt nicht einverstanden. »Euer Eminenz, Ihr könnt jetzt nicht tun, als wäre alles in bester Ordnung, und die Stadt verlassen! Wir müssen diesen aufsässigen Mönch verfolgen und einfangen. Stellt Euch vor, was passieren wird, wenn er weiterhin sein Unwesen treibt! Er muss nach Rom gebracht und dort nach den Regeln der heiligen Inquisition verurteilt werden.«

»Hast du die Mittel dazu, mein Sohn?«, fragte der Kardinal. »Um Luther zu fangen, benötigten wir mehrere hundert Soldaten und die Gewähr, dass ihm niemand zu Hilfe kommt. Doch selbst hier in Augsburg hat er bereits Unterstützung gefunden.«

»Das war gewiss dieser Ernst Rickinger!« Portikus hätte den jungen Mann am liebsten gefangen nehmen und unter der Folter verhören lassen. Da Cajetanus jedoch nicht auf den Vorschlag eingegangen war, würde dieser Verächter der heiligen Kirche weiterhin sein Unwesen treiben können.

Der Kardinal beachtete ihn nicht weiter, und so wandte Portikus sich an Franz von Gigging, der dem Gespräch aufmerksam gefolgt war. »Habt Ihr nichts herausgefunden?«

Der Ritter schüttelte den Kopf. »Nicht das Geringste! Als wir zum Kloster gekommen sind, um Luther abzuholen, war dieser verschwunden. Der Bruder Pförtner glaubte, er wäre zum Abtritt gegangen, da seine Kutte noch in der Kammer lag. Doch als ich mit meinen Leuten das Scheißhaus kontrolliert habe, war der Kerl dort nicht zu finden. Von den Nachtwachen an den Stadttoren hat ihn angeblich auch keiner hinausgelassen. Wenn diese Kerle nicht lügen, müssen dem Sachsen Flügel gewachsen sein.«

»Wahrscheinlich hat ihm der Teufel geholfen«, warf einer der Geistlichen aus dem Gefolge des Kardinals ein.

»Ich glaube nicht an den Teufel«, platzte Portikus heraus und fand sich im Zentrum etlicher entsetzter Blicke wieder. »Ich meine, ich glaube nicht daran, dass Luzifer Luther in eigener Gestalt oder durch einen seiner Hilfsteufel beigestanden hat, es sei denn, dieser trägt den Namen Ernst Rickinger!«

»Rickinger ist, wie das Verhör seines Weibes erbracht hat, an dem betreffenden Abend nach Hause gegangen und hat sein Heim bis zum Morgen nicht mehr verlassen!« Kardinal Cajetanus fertigte Portikus in fast beleidigender Weise ab und begab sich selbst zu Jakob Fugger, um diesem seinen baldigen Abschied mitzuteilen. Da auch sein Gefolge den Raum verließ, blieben Portikus und Gigging allein zurück.

»Es war der Rickinger! Darauf verwette ich meine unsterbliche Seele«, schäumte der Theologe.

»Euch scheint dieser Pinscher ja arg am Herzen zu liegen!«, spottete Gigging.

»Ich würde ihn am liebsten tot sehen!« Portikus sah den Ritter auffordernd an. »Könntet Ihr mir nicht diesen Gefallen tun? Es braucht ja nur einer Eurer Leute mit Rickinger in Streit zu geraten und ihm zehn Zoll kalten Stahls zu kosten zu geben!«

Dieser Vorschlag hallte verführerisch in Giggings Ohren, insbesondere, da er bereits von Benedikt Haselegner den Auftrag erhalten hatte, Ernst Rickinger aus dem Weg zu räumen. Nun überlegte er, ob er die Angelegenheit nicht doch auf diese Art und Weise erledigen sollte. Ein Raufhandel war schnell vom Zaun gebrochen, und jeder seiner Männer konnte den Dolch weitaus geschickter handhaben als der Kaufmannssohn. Es blieb jedoch die Unwägbarkeit, wie die Obrigkeit in Augsburg auf eine solche Tat reagieren würde. Wenn sein Mann gefangen genommen und verhört wurde, konnte er in des Teufels Küche geraten. Daher schüttelte er den Kopf.

»Ich will keinen Ärger mit der Stadt Augsburg. Doch anderswo könnte ich Euch vielleicht zu Diensten sein. Warum aber sollte ich ihn umbringen? Rickinger hat mir nichts getan.« Giggings Stimme klang gleichmütig, doch seine Augen verrieten ein gewisses Lauern. Da Ernst Rickinger sowieso sterben musste, wollte er sich neben der von Haselegner versprochenen Summe auch Portikus’ Gold sichern.

Der Theologe knetete die Finger und starrte in die Ferne. Zwar hatte er eine gewisse Summe zusammengespart, aber er war nicht bereit, diese so einfach zu opfern. Der Kirchenschatz von Sankt Peter zu München war jedoch gut gefüllt, und daraus konnte er etwas für diesen Zweck abzweigen. Schließlich hatte Ernst Rickinger die Geistlichkeit in München schwer gedemütigt, ohne dafür bestraft worden zu sein. Zudem war der Mann – davon war der Theologe felsenfest überzeugt – schuld daran, dass Luther hatte fliehen können.

Daher drehte er sich mit einer leidenschaftlichen Geste zu Gigging um. »Wenn Ernst Rickinger aus dem Weg geräumt wird, soll es mir auf ein- oder zweihundert Gulden nicht ankommen!«

»Zweihundert Gulden? Das ist ein Wort!«, rief Gigging und streckte Portikus die Hand hin. Dieser zögerte kurz und schlug dann ein.

Die Ketzerbraut. Roman
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