18.

Nicht viel später saßen sich Veva und Ernst, den der Schwab zuvor noch rasiert hatte, in einem Zuber gegenüber. Die Wanne war kaum groß genug für sie beide, doch sie genossen das Bad im warmen Wasser. Der ganze Raum roch nach dem Lavendelöl, das der Schwab zusammen mit anderen Duftwässern und verschiedenen Seifen in der Burg entdeckt hatte. In ihrer Wiedersehensfreude planschten Veva und Ernst fast wie zwei Kinder und schrubbten einander ab, bis sie sich wieder sauber fühlten. Nicht weit von ihnen lag die kleine Elisabeth frisch gewickelt in einem Korb und schlief.

In der Zwischenzeit plünderte der Schwab Giggings Truhen, um frische Kleidung für Ernst zu besorgen. Das, was er herbeischaffte, stellte eigentlich die Tracht eines Edelmanns dar. Doch selbst Prielmayr, der es sonst mit den Standesunterschieden sehr genau nahm, machte keine Einwendungen. Auch hatte der Höfling dafür gesorgt, dass niemand das Ehepaar im Bad störte, denn einige seiner Männer hätten nur zu gerne ein Auge auf die nackte Veva geworfen. Doch dieser Anblick blieb Ernst vorbehalten.

Hatten die beiden einander zunächst schweigend geholfen, den Schmutz loszuwerden, fühlte Veva nun, wie ihr Herz überlief. Sie wollte sich ein wenig bequemer hinsetzen, um mit Ernst reden zu können. Dabei streifte sie mit ihren Zehen seinen Unterleib. Ernst spürte, wie sein Glied sofort steif wurde, und wollte sie an sich ziehen. Doch als Veva merkte, was er vorhatte, wehrte sie ab.

»Bevor wir das tun können, möchte ich mit Kreszenz reden. Sie sagt, eine Frau sollte nach der Geburt einige Zeit enthaltsam leben, damit unten wieder alles in Ordnung kommt.«

Im ersten Augenblick war Ernst enttäuscht, sagte sich aber dann, dass er Veva nicht bedrängen durfte. Da die Spannung in seinen Lenden jedoch zu stark war, um von selbst wieder zu vergehen, fasste er nach Vevas Händen.

»Da ich dich nicht besitzen kann, glaubst du, du könntest mich so erfreuen, wie es dem alten Hilarius nachgesagt wurde?« Er starrte sie ängstlich an, denn für eine treue Tochter der Kirche war dies ein Ansinnen, das sie nur empören konnte.

Veva wusste nicht so recht, was sie sagen sollte. Ihr Körper sehnte sich ebenso nach Ernst wie er sich nach ihr, aber sie hatte Angst, sich ihrem Mann hinzugeben, weil ihre Niederkunft noch nicht lange zurücklag. Da war es vielleicht doch besser, wenn sie sein Verlangen auf diese Weise stillte. Sie griff ihm zwischen die Beine, schloss ihre Finger um seinen Schaft und lächelte. »Ich werde, wenn wir nach München zurückkommen, wohl einiges zu beichten haben!«

»Du musst es nicht tun«, rief Ernst erschrocken.

»Nachdem du so lange gefangen warst, wäre es grausam, dich noch länger darben zu lassen. Ich sage jedoch ehrlich, dass ich froh sein werde, wenn Kreszenz mir sagt, ab wann wir uns wieder auf die gewohnte Weise aneinander erfreuen können.«

Danach herrschte wieder eine Zeitlang Schweigen, das nur von Ernsts unterdrücktem Keuchen unterbrochen wurde. Nach einem letzten scharfen Atemzug senkte er den Kopf und schämte sich. Was mochte Veva nur von ihm halten, dachte er. Doch diese ließ ihm nicht die Zeit, lange darüber nachzudenken, sondern scheuchte ihn aus dem Bottich, stieg ebenfalls heraus und begann, sich und ihn mit einem bereitgelegten Laken abzutrocknen. Danach kleideten sie sich an und setzten sich an eines der Fenster.

Während Veva Welschwein aus einem Krug in die Becher füllte, begann sie, all die Fragen zu stellen, von denen ihr Herz überquoll.

Ernst erzählte ihr, wie er in die Falle seiner Entführer geraten war, und schalt sich deswegen erneut einen Narren. Seine Gewissensbisse wurden noch stärker, als er von Veva erfuhr, wie es dieser ergangen war. Bei der Nachricht, dass sein Vater sie, anstatt ihr eine Stütze zu sein, erneut hatte betrügen wollen, packte ihn der nackte Zorn. »Der Teufel soll ihn holen!«

»Sag das nicht. Er ist immerhin dein Vater. Allerdings lege ich keinen Wert darauf, mit ihm und seiner Bäckerin verwandtschaftlich zu verkehren.«

»Das will ich auch nicht. Ich bin immer noch der Meinung, dass wir uns irgendwann ganz in Augsburg ansiedeln sollten. Im Augenblick mag uns der Herzog vielleicht gewogen sein, doch das wird seinen Hunger nach Gold nicht verringern. Spätestens bei dem nächsten Kriegszug oder einem großen Fest wird er wieder um Geld anfragen. Da er nicht der Herr von Tirol oder Ungarn ist, der für seine Kredite Anteile an Erzminen und dergleichen verpfänden kann, wird er uns auch diese Summen schuldig bleiben. Auf die Dauer kommt mich das zu teuer.«

»Du solltest dir diese Absicht aber nicht anmerken lassen, mein Lieber. Sonst verlangt der Herzog von dir doppelt und dreifach Geld. Lass uns nun von angenehmeren Dingen reden. Wir haben über Jakob Fugger gute Einnahmen erzielt, von denen der Herzog nichts weiß. Im Übrigen ist Hilarius in Augsburg eine große Stütze für uns. Wir sollten ihm Geld geben, damit er sich das Augsburger Bürgerrecht erkaufen kann. Jakob Fugger hat ihm bereits die Summe geliehen, die der Freisinger Bischof für den Dispens verlangt hat.«

»Ich bin froh, dass er und Rosi in Augsburg ihr Glück gefunden haben. Hilarius mag als Priester ein leichtsinniger Kerl gewesen sein, doch mittlerweile scheint er gelernt zu haben, Verantwortung zu tragen.« Ernst trank einen Schluck Wein, sah anschließend Veva an und dann seine Tochter. »Ich würde sie gerne in den Armen halten!«

»Das lässt sich machen, doch vorher will ich sie neu wickeln und dann an die Brust legen. Sie muss oft trinken, damit sie groß und stark wird.«

»Du nährst das Kind selbst?«

»Kreszenz meinte, es wäre in den ersten Wochen besser so. Doch sobald die Steinbäuerin von Pewing entbunden hat, werde ich Elisabeth zu ihr schicken.« Veva lächelte versonnen und dachte sich, dass es ihr schwerfallen würde, ihre Tochter abzugeben. Doch die Tatsache, dass sie Ernst wiedergefunden hatte, würde den Schmerz lindern.

Während Veva die Kleine nährte, klopfte es, und der Schwab steckte den Kopf zur Tür herein. »Kann ich etwas für Euch tun?«

Veva wollte schon den Kopf schütteln, nickte dann aber. »Wir könnten auch etwas zu essen brauchen. Die Reise hat Hunger gemacht.« Lachend wandte sie sich Ernst zu. »Das sagst du doch auch?«

Dieser nickte grinsend. »Es sollte aber kein Getreidebrei sein. Den habe ich hier tagtäglich erhalten, und er hängt mir ehrlich gesagt zum Hals heraus.«

»Ich habe vorhin einen schönen Schinken gesehen. Brot gibt es auch, wenn es auch schon ein wenig altbacken ist. Aber mit einem Schluck Wein bringt man es schon hinunter.« Der Schwab seufzte, denn wie es aussah, würde er weiterhin als Knecht arbeiten müssen. Dabei hatte er gehofft, Veva und Ernst würden ihn in ihrer Wiedersehensfreude für seine treuen Dienste belohnen. Schließlich hatte er verhindern können, dass seine Herrin in Haselegners Gewalt geriet. Wäre es anders gekommen, hätte sie nichts mehr unternehmen können, ihren Mann zu retten. Dann aber sagte er sich, dass er den beiden Zeit lassen musste. Immerhin hatten sie sich nach vielen Wochen, in denen seine Herrin ihren Ehemann tot geglaubt hatte, gerade erst wiedergefunden.

Während der Schwab verschwand, um Brot und Schinken zu besorgen, legte Ernst den Arm um Veva und betrachtete seine Tochter. »Sie ist wunderschön«, flüsterte er andächtig.

»Das ist sie«, bestätigte Veva. »Wenn man bedenkt, unter welchen Umständen sie zur Welt kam, hat sie sich gut gemacht.«

Ernst begriff, dass etwas Schlimmes vorgefallen sein musste, und fragte danach.

Zuerst wusste Veva nicht, ob sie ihm alles jetzt erzählen sollte, sagte sich aber, dass es besser war, wenn er von ihr die Sache erfuhr, und berichtete mit leiser Stimme von dem Anschlag, den Haselegner und Pater Remigius auf sie verübt hatten.

Zuerst hörte Ernst ihr fassungslos zu, sprang dann aber auf und ballte beide Fäuste. »So ein Schurkenstück. Das sollen sie mir bezahlen! Und ich war nicht da, um dich zu beschützen.«

Veva versuchte, ihn zu beruhigen. »Die Kerle werden ihre Strafe erhalten. Außerdem konnte ich sie mit Hilfe unseres treuen Gesindes und guter Freunde an der Ausführung ihres Planes hindern.«

Ernst wollte noch etwas sagen, doch da erschien der Schwab mit einem großen Schinken. Ihm folgte der Herzogliche Rat Prielmayr auf dem Fuß.

Das Gesicht des Höflings wirkte ernst, aber zufrieden. »Habt Ihr einen Becher Wein für mich übrig? Meine Kehle ist wie ausgedörrt«, sagte er und ließ sich von Ernst einen vollen Becher reichen. Er trank aus, setzte sich ächzend auf die Bank und starrte einige Augenblicke vor sich hin. Dann blies er die Luft aus den Lungen und lächelte grimmig.

»Giggings Schuld ist nun endgültig erwiesen, denn er hat die Beute aus seinen Raubzügen fein säuberlich in eine Liste eingetragen. Außerdem habe ich mehrere Briefe gefunden, die ihn, aber auch einige andere schwer belasten. Doktor Portikus hat ihm tatsächlich Geld dafür geboten, damit er Euch umbringt, Rickinger. Den Mord an Eurem Schwager Bartl Leibert jedoch hat Benedikt Haselegner in Auftrag gegeben. Er war auch derjenige, von dem Gigging die Informationen über die Warentransporte erhalten hat, die zu überfallen sich lohnte. Euer Vater wird aufatmen, weil dieser Verdacht jetzt von ihm genommen wird.«

Prielmayr erwartete von Ernst ein Wort der Erleichterung, doch dieser dachte nur daran, wie sein Vater Veva behandelt hatte, und winkte ab. »Es ist mir um meines eigenen guten Namens willen recht, aber nicht meines Vaters wegen.« Dann überlegte er kurz und schüttelte den Kopf. »Aber auch das ist nicht mehr wichtig. Wenn mein Weib einverstanden ist, werde ich den Namen ihres Vaters und ihres Bruders als den meinen annehmen und mich in Zukunft Ernst Leibert nennen. Mein Vater hat mir zu deutlich gezeigt, dass ich nicht mehr sein Sohn bin. Daher mögen die Kinder der Bäckerin seinen Namen weitertragen.«

»Das würdest du tun?« Veva kamen die Tränen. Wie oft hatte sie mit dem Schicksal gehadert, weil es niemanden mehr gab, der den Namen Leibert an die nächste Generation vererben konnte.

»Ich werde es sowohl beim Rat der Stadt München wie auch beim Herzog befürworten«, versprach Prielmayr. »Auf jeden Fall haben wir die Oberländer Bande geschnappt. Unser Herzog und die Kaufherren von München werden zufrieden sein.«

Und mich dafür belohnen, lasen Ernst und Veva ihm vom Gesicht ab. Doch in ihren Augen hatte er dies auch verdient.

Veva lächelte etwas unsicher und streckte ihm die Hand hin. »Ich will mich bei Euch entschuldigen, Herr Prielmayr. Ich habe nämlich lange gedacht, Ihr hättet Euch von meinem Vater Geld geliehen und ihn mit einem Bettel als Pfand abgespeist.«

»Ein Bettel?«, japste Prielmayr. »Ihr habt meinen Verwalter in Pewing gezwungen, Euch Rinder, Pferde, Schweine und anderes Vieh in einer fast unverschämten Menge zu übergeben, und dazu auch noch Viehfutter und Getreide verlangt. Ich habe dadurch beinahe die gesamten Jahreseinkünfte meines Pewinger Gutes verloren.«

Veva starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. »Das ist eine Unterstellung! Ich habe nur das zurückgefordert, was Euer Verwalter hat wegschaffen lassen. Sogar die Knechte hat er zum Gutshof geholt, obwohl der Bauer bei der Fronarbeit für Euch das Bein verloren hatte. Er hat nicht einmal ein Huhn zurückgelassen, das Eier hätte legen können!«

In ihrer Wut wurde sie zuletzt laut, doch bevor Prielmayr in einem ähnlichen Ton antworten konnte, griff Ernst ein. »Halt, streitet Euch nicht! Das lässt sich gewiss alles klären. Veva, war nicht der Schwab bei dir, als du nach Pewing gegangen bist?«

»Doch, natürlich. Er kann meine Worte bezeugen, ebenso wie der Steinbauer, dessen Weib und der Verwalter des herzoglichen Urbarshofs. Sie alle wissen, dass der Steinhof bis auf den letzten Strohhalm ausgeräumt worden ist, bevor er meinem Vater als Pfand übergeben wurde.« Zwar hatte Vevas Unmut sich noch nicht gelegt, aber sie war wenigstens in der Lage, ihre Sache mit der nötigen Ruhe vorzubringen.

Der Herzogliche Rat starrte sie düster an. »Vor einer Woche hätte ich Euch noch auf den Kopf zugesagt, dass Ihr lügt. Inzwischen habe ich Euch kennengelernt und kann das nicht mehr glauben. Ich werde mit meinem Haushofmeister reden und mich auch in Pewing erkundigen. Sollte mein Verwalter Euch und damit auch mich betrogen haben, wird er es büßen.«

Nachdem es ausgesprochen war, war Prielmayr sich sicher, dass es so sein musste, und nahm sich vor, nach Pewing zu reiten und die Angelegenheit persönlich zu klären. Vorerst aber galt es, den Sieg über die Räuber zu sichern.

Auch Veva begriff, dass ein Streit nichts bringen würde. Außerdem musste sie Prielmayr dankbar sein, dass er ihr geholfen hatte, ihren Mann zu retten. Daher schenkte sie allen noch einmal nach und trank dem Herzoglichen Rat zu. »Solltet Ihr durch eine meiner Handlungen einen Verlust erlitten haben, werde ich Euch dafür entschädigen!« Dann erst erinnerte sie sich, dass Ernst wieder da war und sie bei solchen Versprechungen erst ihn fragen musste.

Ihr Ehemann lächelte nur und nickte. »Was mein Weib gesagt hat, gilt. Doch nun zum Wohl! Mag jetzt eine bessere Zeit für uns anbrechen, und mögen die Schmerzen der Vergangenheit bald vergessen sein!«

»Darauf wollen wir trinken«, sagte Prielmayr in dem Bewusstsein, dass er hier Freunde fürs Leben gefunden hatte.

Die Ketzerbraut. Roman
cover.html
haupttitel.html
navigation.html
chapter1.html
chapter2.html
chapter3.html
chapter4.html
chapter5.html
chapter6.html
chapter7.html
chapter8.html
chapter9.html
chapter10.html
chapter11.html
chapter12.html
chapter13.html
chapter14.html
chapter15.html
chapter16.html
chapter17.html
chapter18.html
chapter19.html
chapter20.html
chapter21.html
chapter22.html
chapter23.html
chapter24.html
chapter25.html
chapter26.html
chapter27.html
chapter28.html
chapter29.html
chapter30.html
chapter31.html
chapter32.html
chapter33.html
chapter34.html
chapter35.html
chapter36.html
chapter37.html
chapter38.html
chapter39.html
chapter40.html
chapter41.html
chapter42.html
chapter43.html
chapter44.html
chapter45.html
chapter46.html
chapter47.html
chapter48.html
chapter49.html
chapter50.html
chapter51.html
chapter52.html
chapter53.html
chapter54.html
chapter55.html
chapter56.html
chapter57.html
chapter58.html
chapter59.html
chapter60.html
chapter61.html
chapter62.html
chapter63.html
chapter64.html
chapter65.html
chapter66.html
chapter67.html
chapter68.html
chapter69.html
chapter70.html
chapter71.html
chapter72.html
chapter73.html
chapter74.html
chapter75.html
chapter76.html
chapter77.html
chapter78.html
chapter79.html
chapter80.html
chapter81.html
chapter82.html
chapter83.html
chapter84.html
chapter85.html
chapter86.html
chapter87.html
chapter88.html
chapter89.html
chapter90.html
chapter91.html
chapter92.html
chapter93.html
chapter94.html
chapter95.html
chapter96.html
chapter97.html
chapter98.html
chapter99.html
chapter100.html
chapter101.html
chapter102.html
chapter103.html
chapter104.html
chapter105.html
chapter106.html
chapter107.html
chapter108.html
chapter109.html
chapter110.html
chapter111.html
chapter112.html
chapter113.html
chapter114.html
chapter115.html
chapter116.html
chapter117.html
chapter118.html
chapter119.html
chapter120.html
chapter121.html
chapter122.html
chapter123.html
chapter124.html
chapter125.html
chapter126.html
chapter127.html
chapter128.html
chapter129.html
chapter130.html
chapter131.html
chapter132.html
chapter133.html
chapter134.html
chapter135.html
chapter136.html
chapter137.html
chapter138.html
chapter139.html
chapter140.html
chapter141.html
chapter142.html
chapter143.html
chapter144.html
chapter145.html
chapter146.html
chapter147.html
chapter148.html
chapter149.html
chapter150.html
chapter151.html
chapter152.html
chapter153.html
chapter154.html
chapter155.html
chapter156.html
chapter157.html
chapter158.html
chapter159.html
chapter160.html
chapter161.html
chapter162.html
chapter163.html
chapter164.html
chapter165.html
chapter166.html
chapter167.html
chapter168.html
chapter169.html
chapter170.html
info_autor.html
info_buch.html
impressum.html
hinweise.html