11.

Am nächsten Tag stand Veva auf, ohne ihren schnarchenden Mann zu wecken. Daher wurde Ernst erst wach, als aus der Küche die Geräusche drangen, die Veva bei der Zubereitung des Morgenbreis machte. Er hatte so wild geträumt, dass er zuerst glaubte, Waffenklirren zu hören. Als er sich bewusst wurde, dass er zu Hause war und im eigenen Bett lag, seufzte er erleichtert.

Nachdem er aufgestanden war und sich angekleidet hatte, trat er in die Küche und wünschte Veva einen guten Morgen.

Als Antwort klatschte sie einen Schöpfer Brei in einen Napf und knallte diesen auf den Tisch. Ein Becher Bier folgte so schwungvoll, dass er überschwappte.

Ernst setzte sich und dachte, dass Frauen wirklich launenhafte Geschöpfe waren. Würde die Menschheit sie nicht brauchen, um sich fortzupflanzen, hätte Gott nach seinem Dafürhalten auf ihre Erschaffung gut und gern verzichten können.

Das Frühstück verlief in eisigem Schweigen. Dabei schmeckte der Brei, den Veva gekocht hatte, besser als der zu Hause, und Ernst hätte sie gerne gelobt. Ihre verbissene Miene hielt ihn jedoch davon ab. Bevor er ihr ein paar freundliche Worte zukommen ließ, musste sie erst ihren Trotz aufgeben, sagte er sich und griff zum Bierbecher.

Just in dem Augenblick klopfte es. In dem Glauben, es wäre der kleine Nis, stand Veva auf und öffnete die Tür. Doch draußen standen ein Waffenknecht und ein Mann im Talar eines geistlichen Herrn.

»Ist hier Ernst Rickinger zu Hause?«, fragte der Bewaffnete, sah Veva genauer an und zuckte zusammen.

Veva musterte ihn verwirrt, denn seine Stimme kam ihr bekannt vor. Doch sie hätte nicht zu sagen vermocht, wo sie sie schon einmal gehört hatte. »Ja, Ernst Rickinger wohnt hier«, antwortete sie.

»Befragt Ihr ihn, hochwürdiger Herr!«, bat der Kriegsknecht mit heiser klingender Stimme.

Der Geistliche nickte kurz und musterte Veva mit einem überheblichen Blick. »Bist du Rickingers Weib oder seine Kebse?«

»Bis gestern war ich ihm noch angetraut, und heute habe ich auch noch nichts anderes vernommen!« Veva gefielen die beiden Besucher nicht, und sie fragte sich, was Ernst angestellt haben mochte.

»Ich will deinen Ehemann sprechen. Ist er hier?«, fuhr der Geistliche fort.

»Er sitzt am Tisch und isst seinen Morgenbrei!« Die Frage, ob Ernst hier wäre, verwunderte Veva noch mehr, aber sie gab den Weg frei. Der Kirchenmann trat ein, während der Bewaffnete draußen blieb und sich scheinbar nur für die Baustelle interessierte, an der eine Reihe neuer Häuser errichtet werden sollte. Seltsam war, dass er ihr sorgfältig den Rücken zukehrte. Das verstärkte ihre Überzeugung, dem Mann schon einmal begegnet zu sein.

Als Veva dem Geistlichen in die Küche folgte, sah sie auf Anhieb, dass Ernst stark angespannt war. Hatte er sich hier in Augsburg einen ähnlich üblen Scherz geleistet wie in München mit Pater Remigius? Sie spitzte die Ohren, um ja nichts zu verpassen.

»Du bist gestern im Haus des ehrwürdigen Herrn Fugger gewesen?«, fragte der Geistliche.

Ernst nickte. »Ich bin seit einigen Wochen in Fuggers Haus, denn ich arbeite dort als Kommis.«

»Du hast das Haus gestern bei Einbruch der Dunkelheit verlassen«, setzte der Pater das Verhör fort.

»Das stimmt«, antwortete Ernst mit einem kaum merklichen Zögern.

»Und du bist dann sofort hierhergekommen?«

Ernst warf Veva einen hilfesuchenden Blick zu. »Das bin ich!«

Nun gilt es, dachte er. Wenn Veva jetzt die Wahrheit sagt, sitze ich in des Teufels Kochkessel.

Der Geistliche wandte sich Veva zu, und seine Stimme klang drohend. »Ist dein Mann gestern wirklich kurz nach Einbruch der Nacht nach Hause gekommen und nicht erst nach Mitternacht? Bedenke, es kostet dich dein Seelenheil, wenn du einen Mann der Kirche belügst!«

Ernst sah sich bereits verloren. Nach diesem Hinweis auf die Höllenstrafe würde kein Weib der Welt es wagen, ihren Mann zu schützen.

Veva sah den Pater demütig an, und ihre Stimme klang so wahrhaftig, dass Ernst an sich halten musste. »Mein Mann ist beim Dunkelwerden nach Hause gekommen und hat unser Heim seitdem nicht mehr verlassen.«

Der Geistliche schüttelte den Kopf und musterte Veva durchdringend. Sie erwiderte seinen fragenden Blick und lächelte verwundert, wie es wohl jede Frau getan hätte. Da der Besucher nicht darauf reagierte, nahm sie die leer gegessenen Schüsseln und spülte sie, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.

»Wenn du es sagst, wird es wohl so sein«, sagte der Pater nach einer Weile, schlug das Kreuz und ging.

Ernst ergriff Vevas Rechte und wollte sich bei ihr bedanken, doch sie legte ihm die andere Hand auf den Mund. »Schweig!«, raunte sie ihm zu.

Der Geistliche hatte zwar die Küche verlassen, doch sie hatte nicht gehört, dass die Haustür ins Schloss gefallen wäre. Wenn der Mann draußen horchte, durfte er nichts Verfängliches hören.

»Soll ich dir noch einen Becher Bier einschenken, Mann, oder musst du gleich zu Herrn Fugger gehen?«

»Für einen Becher Bier wäre ich sehr dankbar!« Den brauche ich auch, setzte Ernst in Gedanken hinzu und fragte sich, was Veva bezweckte. Den ganzen Morgen war sie so stumm wie ein Fisch gewesen, doch nun erzählte sie munter, dass sie am Vormittag zum Markt gehen wolle, und fragte ihn, was er sich zum Abendessen wünsche.

»Denk nicht, ich müsse alles allein schleppen. Nis wird gleich kommen, und der soll sich seinen Kreuzer brav verdienen. Allerdings möchte ich doch bald in ein eigenes Haus umziehen. Kannst du nicht Herrn Fugger fragen, ob er dir bei der Suche behilflich sein kann? Dieses Häuschen, in dem ja auch noch andere Leute wohnen, mag für arme Leute geeignet sein, aber nicht für einen Rickinger aus München.«

Auf diese Weise ging es noch eine ganze Weile weiter, bis Veva endlich das Geräusch der ins Schloss fallenden Haustür vernahm. Sie eilte in den kleinen Flur und fand diesen leer vor. Durch das Fenster sah sie die beiden Besucher davongehen.

Sie wollte sich schon wieder abwenden, da bemerkte sie Nis, der im Laufschritt die Gasse heraufkam. Der Junge hatte es so eilig, dass er den Kirchenmann streifte und von diesem mit einem wenig frommen Fluch bedacht wurde. Doch der Kleine scherte sich nicht darum, sondern kam auf Vevas Tür zu und klopfte heftig.

Als sie ihm öffnete, grinste er über das ganze Gesicht. »Habt Ihr schon gehört, Herrin? Der sächsische Mönch, dieser Luther, hat den Schergen des Kardinals Cajetanus ein Schnippchen geschlagen! Die haben ihn nämlich gestern Nacht aus dem Karmeliterkloster holen wollen, doch er ist ihnen kurz vorher durch die Lappen gegangen. Keiner weiß, wie er die Stadt verlassen konnte, aber er ist auf jeden Fall nicht mehr da.«

Während Nis seinen Bericht hervorsprudelte, fügten sich in Vevas Gedanken die einzelnen Teile zu einem Bild zusammen. Martin Luther war in Fuggers Haus durch den römischen Kardinal befragt worden. Wie es aussah, hatte Ernst dort erfahren, dass etwas gegen den Sachsen geplant gewesen war, und diesen gewarnt. Also hatte er ihre Wohnung nicht wegen eines anderen Weibes gemieden, sondern um Luther zu helfen. Nun schämte sie sich für ihren Verdacht und fühlte sich gleichzeitig gekränkt, weil Ernst ihr kein Vertrauen geschenkt hatte.

»Dieser Mönch interessiert mich nicht! Lauf zum Fleischmarkt und besorge mir die Würste, über die wir gestern gesprochen haben!« Veva reichte Nis ein paar Münzen und schickte ihn mit einem Klaps auf den Weg.

Als sie in die Küche zurückkehrte, heftete sie ihre Blicke auf Ernst. »Der Häretiker Luther ist heute Nacht entflohen. Also muss ihn jemand aus Fuggers Haushalt gewarnt haben! Willst du mir nicht sagen, was gestern wirklich geschehen ist?«

Ernst wusste nicht recht, was er tun sollte. Immerhin war Veva nur ein Weib, und solchen haftete der Ruf der Schwatzhaftigkeit an. Andererseits hatte sie ihm eben aus einer verteufelten Klemme geholfen. Hätte sie die Wahrheit gesagt, wäre Portikus endlich zu seiner Rache gekommen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, in welche Gefahr er sich begeben hatte.

Im Stillen dankte er Gott, dass es so gut verlaufen war, und sah dann seine Frau forschend an. »Du musst mir versprechen, alles, was ich dir jetzt berichte, für dich zu behalten.«

Um Vevas Mund erschien ein herber Zug. »Auch wenn es für dich nichts bedeuten mag, so habe ich eben einen Mann der Kirche belogen, um dich zu schützen!«

Ernst senkte beschämt den Kopf. »Verzeih, ich wollte dich nicht kränken. Ich habe nur versucht, diese Sache von dir fernzuhalten. Weißt du, Doktor Luther wurde von Kaiser Maximilian freies Geleit zugesichert. Doch Kardinal Cajetanus hat Franz von Gigging und dessen Totschläger nach Augsburg geholt, damit sie Luther gefangen nehmen sollen, falls er seine Thesen nicht widerruft. Doch das konnte er nicht. Ich war Zeuge, wie er seinen Standpunkt vertrat und die Heilige Schrift zitierte. Cajetanus vermochte seine Worte nicht zu widerlegen. Der Ablass, den Männer wie Tetzel im Namen des Papstes verkaufen, ist nur dazu da, die Truhen der Kirche zu füllen, doch sie ersparen keinem Menschen auch nur eine Stunde Fegefeuer oder reißen ihn gar von den Pforten der Hölle zurück.«

Bei diesen leidenschaftlich hervorgebrachten Worten erbleichte Veva. »Dann wäre der Ablass, den ich – übrigens mit deiner Hilfe! – für meinen Bruder gekauft habe, ebenfalls nichts wert!«

Es tat Ernst weh, seine Frau so entsetzt zu sehen. Am liebsten hätte er erklärt, in diesem Fall sei es anders. Stattdessen aber lächelte er traurig und strich ihr über das Haar. »Die Zettel, die du erhalten hast, haben keinen Wert. Doch unser Herr Jesus Christus hat gesehen, dass du den Ablass in tiefer Liebe zu deinem Bruder erstanden hast, und wird die Gebete, die du für Bartl gesprochen hast, zu seinen Gunsten werten!«

Veva starrte ihn ungläubig an. »Du meinst, mein Gebet hätte eine größere Macht als ein Ablassbrief, der immerhin von Seiner Heiligkeit, dem Papst, gesegnet worden ist?«

»So steht es in der Heiligen Schrift! Gäbe es sie auf Deutsch, könntest auch du sie lesen. Doch genau deshalb besteht die Kirche darauf, dass sie nur in Latein gedruckt oder abgeschrieben wird. Auf diese Weise bleibt das Neue Testament unseres Herrn Jesus Christus dem Volk verborgen, und sie können es mit falschen Bullen und Erlassen betrügen.«

Verblüfft starrte Veva ihn an. Ernst war mit einem Mal ganz anders, als sie ihn in Erinnerung hatte. Früher hatte sie ihn für einen verwegenen Burschen gehalten, dem es Spaß machte, anderen ihre Grenzen aufzuzeigen. Bei dem Gedanken stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Verwegen war er immer noch, und er hatte den Männern um Kardinal Cajetanus einen abenteuerlichen Streich gespielt.

»Ich weiß zu wenig über diesen sächsischen Mönch und seinen Streit mit dem Papst, um mir ein Urteil erlauben zu können. Aber ich billige dein Verhalten. Wenn Kaiser Maximilian diesem Luther freies Geleit zugesichert hat, war es falsch von dem Kardinal, dagegen verstoßen zu wollen. Doch ich sehe, Nis kommt mit den Würsten zurück. Magst du noch ein Stück, oder drängt die Zeit?«

Ernst fand, dass die Versöhnung mit Veva es wert war, seinen Dienst eine halbe Stunde später anzutreten, und zog sein Messer. »Auf eine Wurst habe ich immer Appetit!«

»Und was ist heute Abend?«, fragte Veva. »Wirst du da wieder zu spät kommen?«

Ernst sah sie an und bedauerte, dass es noch nicht Abend war. »Nein, ich komme gewiss nicht zu spät«, versprach er und zwinkerte ihr zu.

Die Ketzerbraut. Roman
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