49. Kapitel
Im Vernehmungsraum eins herrscht Stille. Harland Bentley schüttelt weiter den Kopf, an irgendeinem Punkt lächelt er sogar ironisch, zieht es aber vor, zu schweigen. Edgar Trotter hat offensichtlich beschlossen, den Entwicklungen vorerst freien Lauf zu lassen.
McDermott denkt über Harlands Reaktion auf den Brief nach. Es war völlig anders als bei Albany. Bentley hat jedes Wort genau gelesen. Und wenn sein überraschter Ausbruch gespielt war, dann hat McDermott noch nie jemanden so gut bluffen sehen.
Ganz offensichtlich hat Harland Bentley diesen Brief nicht geschrieben.
»Der Brief stammt nicht von mir.«
Trotter greift sich seine Kopie und liest – oder tut zumindest so. »Geht es in diesem Brief um eine andere Person?«
»Nein«, gibt Bentley zu. »Es geht eindeutig um mich. Ja, das mit Ellie Danzinger und mir trifft zu. Das räume ich ein. Aber diesen Brief habe ich nicht geschrieben. Ich habe ihn noch nie zuvor zu Gesicht gekriegt.«
»Aber Sie haben diesen Lehrstuhl am Mansbury College für den Professor eingerichtet.«
»Ja.«
»Und Sie behaupten, das sei nicht aufgrund eines Tauschhandels mit dem Professor geschehen.«
»Richtig.«
»Dann ist das also ein Zufall. Und wer immer diesen Brief geschrieben hat, kann die Zukunft vorhersagen.«
Nein, das will er damit natürlich nicht behaupten. Wenn Harland die Wahrheit sagt, dann muss der Verfasser des Briefs von seiner Affäre mit Ellie gewusst haben. Ebenso wie er von Cassies Affäre mit Professor Albany wusste.
Und er war in der Lage, zu veranlassen, dass ein Lehrstuhl für einen College-Professor eingerichtet wurde.
Und derjenige musste auch Leo Koslenko gekannt haben, der Professor Albany den Brief überbrachte.
»Natalia«, sagt McDermott laut.
Im Verhörraum schüttelt Harland Bently erneut den Kopf, in Gedanken verloren. »Als Natalia und ich uns scheiden ließen – und ich kann ihr da schlecht einen Vorwurf machen -, wollte sie nicht nur, dass ich gehe, sondern dass ich sofort verschwinde. Sie hätte auf dem Ehevertrag beharren und ihn gerichtlich durchsetzen können, aber sie fand mich mit einer einmaligen Zahlung ab. Deutlicher konnte sie es kaum sagen: Sie wollte mich aus dem Haus haben, und zwar sofort.« Er seufzt. »Sie sagte, ich könnte das Geld habe, aber nur unter einer Bedingung.«
»Der Posten für Albany«, folgert Trotter.
Er nickt ernst. »Sie sagte, er sei ein Mentor für Cassie gewesen. Cassie hätte immer in den höchsten Tönen von ihm gesprochen. Und jetzt stellt sich heraus, dass dieses, dieses Monstrum, kurz davor war, seinen Job zu verlieren, wegen dem, was er getan hat. Er hatte keine unkündbare Stellung. Er hätte nie wieder unterrichten dürfen.« Er räuspert sich und hebt eine Hand. »Ich bin mir meiner Mängel als Ehemann durchaus bewusst. Und da Nat nur diesen einen Wunsch an mich hatte, wollte ich ihn erfüllen. Aber hätte ich das damals gewusst, hätte ich nur den leisesten Verdacht gehabt, dass er meine Tochter angerührt hat …«
McDermott wirft einen Blick auf den Commander, der weiter schweigt und ihm die kalte Schulter zeigt. McDermott hat hier nichts mehr zu melden. Und soweit er weiß, geht es dem Commander nicht viel besser. Ach was, scheiß drauf. Das ist McDermotts Fall, ob es ihnen passt oder nicht. Und er ist jetzt nur noch interessanter geworden.
Es wird allgemein beschlossen, die Sitzung für heute zu beenden. Es ist kurz vor zwei. Ein langer Tag für die Trotters, für die Cops, für alle hier. Heute Nacht bleibt weiter nichts zu tun, als die Ergebnisse der auf Hochtouren laufenden Suche nach Leo Koslenkos Wagen abzuwarten.
Natalia Lake hat also diesen Brief an Albany geschickt. Sie wollte nicht, dass die Affäre ihrer Tochter mit Albany bekannt wurde. Sie hatte sich nur wenige Wochen nach den Morden an Cassie und den anderen Mädchen von Harland scheiden lassen.
Warum?
»Gehen Sie nach Hause, Detective«, sagt der Commander.
McDermott erwidert nichts, nickt nur mit dem Kopf. Für ihn gibt es hier nichts mehr zu tun. Es wird Zeit zu verschwinden.
Aber nicht nach Hause.
 
Die Zeit ist mein Feind geworden. Ich sitze im Flur, vor meinem Schlafzimmer, schwimme verzweifelt gegen den Strom an, bis um halb sechs in der Früh, nicke ein, schrecke wieder hoch, kontrolliere mit geschwollenen Augen das Bedienfeld der Alarmanlage in der obersten Etage. Ich schlucke ein paar Aspirin und nehme eine schnelle Dusche. Lautlos schleiche ich durchs Haus, die Ohren gespitzt, die Nerven zum Zerreißen gespannt. Ich würge eine Scheibe Toast hinunter. Ich verlasse das Haus durch die Hintertür, erwarte, dass es dort geschieht. Aber ich gelange ungehindert zu meinem Wagen. Ich öffne die Garagentür, wappne mich innerlich, aber dort steht nichts außer meinem Cadillac und ein paar Gartengeräten.
Ich steige in den Wagen und atme tief durch. Es ist an der Zeit, Natalia Lake einen Besuch abzustatten. Zeit, zu testen, wie gut ich im Pokern bin.
In Gottes Namen
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