2. Kapitel
12.35 Uhr
Als Paul Riley vor Terry Burgos’ Haus hielt, war die Polizei von Marion Park bereits seit einer Stunde vor Ort. Burgos hatte auf Detective Lightners Klopfen hin geöffnet und eingewilligt, auf der Veranda zu warten, während ein Staatsanwalt den Durchsuchungsbefehl für sein Haus besorgte.
Über ihnen knatterte ein Nachrichten-Helikopter. Reporter drängten sich hinter dem Absperrband der Polizei. Die Nachbarn waren herausgekommen und gafften. Einige von ihnen in Arbeitskleidung, andere in Morgenmänteln, ihre kleinen Kinder fest an der Hand. Die Nachricht hatte schnell die Runde gemacht. In 526 Rosemary Lane wohnte ein Killer.
Das Haus war unscheinbar. Es gehörte zu einer Reihe von Bungalows westlich des Campus. Die Beamten waren überall, suchten nach Spuren und Fingerabdrücken, durchkämmten die Garage, wo sie Blut und Haare gefunden hatten, sowie Burgos’ Chevy Suburban in der Auffahrt.
Burgos war inzwischen zum Verhör aufs Polizeirevier gebracht worden. Riley wollte unbedingt dabei sein, vorher aber noch einen Blick auf das Haus werfen. Einen ungefähren Eindruck hatte er bereits. Im Bad, in der Garage und im Wagen hatte man Hinweise zutage gefördert, aber die unumstößlichen Beweise warteten im Keller. Sein Magen revoltierte, doch er riss sich zusammen. Das war sein Fall. Alles schaute auf ihn. Er nickte Lightner zu, der gerade die Garage betrat. Er sollte auf keinen Fall ohne Riley zum Revier fahren, und auch die Uniformierten, die Burgos mitgenommen hatten, waren entsprechend instruiert: Kein Wort zu Terry Burgos, bevor Riley grünes Licht gab.
Riley folgte dem Weg aus Steinplatten zum Haus. Der Garten war verwildert, der Rasen vertrocknet und voll brauner Stellen. Die vergammelte Fliegentür war von einem Polizeibeamten entfernt worden. Blieb die Eingangstür, die von einem größeren Stein offen gehalten wurde.
Das Erdgeschoss wirkte unauffällig. Alte Möbel und gesprungene Bodenkacheln ergaben einen bescheidenen, aber einigermaßen gepflegten Gesamteindruck.
Riley vermied es zu atmen, während er die mit Teppichboden ausgelegten Stufen zum Keller hinunterstieg. Der Geruch war durchdringend. Eine ungeübte Nase hätte als Ursache dafür wahrscheinlich die Kanalisation verantwortlich gemacht. Die meisten Menschen verloren im Moment des Todes die Kontrolle über ihren Schließmuskel und beschmutzten sich. Da unten lagen zwar keine Leichen, aber Lightner zufolge waren die Morde mit hoher Wahrscheinlichkeit hier begangen worden.
Tatsächlich sprach alles dafür.
Der Keller war unmöbliert, Betonboden, ein kleiner Fitnessbereich, eine Drückbank, eine Hantelstange mit leichten Gewichten, von Spinnweben überzogen. An einer Wand hing ein Dartboard schief neben einer Luftgewehr-Zielscheibe. Normalerweise war der Raum mit einer Glühbirne nur unzureichend beleuchtet, doch die Polizei hatte eine starke Scheinwerferanlage installiert, die den Technikern der Spurensuche eine merkwürdig schimmernde Aura verlieh.
Riley wandte sich dem hinteren Teil des Kellers zu, wo Burgos eine kleine Werkstatt eingerichtet hatte – eine Kreissäge, ein paar Werkzeuge, Sägeböcke. Der Boden war schmutzig und mit dunklen Flecken übersät. Wahrscheinlich Blutspuren, die Burgos versucht hatte, zu entfernen. Spurentechniker sammelten mit Pinzetten einzelne Haare ein und verstauten Gegenstände, die sie in der Nähe des Heimwerkerbereichs auflasen, in Beweisbeuteln. Vermutlich der Tatort.
Riley trat zur Werkbank und sog scharf den Atem ein. Hier lag ein gewöhnliches Küchenmesser mit einer etwa zehn Zentimeter langen Klinge, beschmiert mit Blut und irgendeiner anderen organischen Masse. Die ersten beiden Opfer, Elisha Danzinger und das noch nicht identifizierte Mädchen, mussten mit dieser Waffe verstümmelt worden sein. Neben dem Messer entdeckte er eine Handsäge. Das Sägeblatt war verklebt mit Blut, weiteren Körperflüssigkeiten und etwas, das nach Knochensplittern aussah. Mit diesem Werkzeug hatte Burgos die Gliedmaßen des vierten Opfers abgetrennt.
In einer Ecke stand eine alte gusseiserne Badewanne mit Füßen, die innen deutliche Korrosionsspuren aufwies. Riley war überzeugt, dass Burgos eines seiner Opfer hier mit Säure übergossen hatte. Auf der Waschmaschine direkt daneben entdeckte er eine Autobatterie und ein Glasröhrchen.
Das waren vier. Fehlten zwei.
Wie Riley bereits wusste, hatte die Polizei oben im Bad, im Ausguss der Wanne, Haare gefunden; vermutlich war dort eines der Opfer ertränkt worden war. Und in der Garage waren sie auf eine einzelne Patronenhülse und eine.32 Kaliber Pistole gestoßen – mit großer Wahrscheinlichkeit die Waffe, mit der man Cassie Bentley durch den Gaumen geschossen hatte, bevor oder nachdem sie von Schlägen bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden war.
Das deckte alle sechs ab. Der Kerl hatte sich wenig Mühe gemacht – besser gesagt, er hatte sich überhaupt keine Mühe gemacht -, das Ganze zu vertuschen. Die Mordwaffen hatte er einfach offen herumliegen lassen. Er hatte sich nicht um die Spuren seiner Opfer im Keller, im Auto und in der Garage gekümmert. Und ihre persönlichen Besitzstücke – Geldbeutel, Ausweise, Kleider – hatte er in einem Müllsack in seinem Schlafzimmer aufbewahrt. Gut, immerhin hatte er die Morde ausschließlich auf seinem Grundstück begangen, zumindest dem ersten Eindruck nach, aber davon abgesehen hatte Terry Burgos weder den Tatort gesäubert noch die Waffen versteckt.
Auf der Werkbank, neben dem Messer und der Handsäge, bemerkte Riley eine King James Bibel, deren Seiten mit blutigen Fingerabdrücken übersät waren. Und auf einem einzelnen Zettel an der Pinnwand hinter der Werkbank war eine Reihe von Bibelstellen aufgelistet, mit Angaben von Kapitel und Vers. Er beugte sich über die Arbeitsfläche, um die mit rotem Kugelschreiber hingekritzelten Zeilen genauer zu studieren. Ganz oben auf dem Blatt stand, etwas von den anderen abgehoben, ein Vers aus Jeremia 48,10:
Verflucht, wer den Auftrag des Herren lässig betreibt, ja, verflucht, wer Sein Schwert abhält vom Blutver gießen.
Darunter folgten durchnummeriert weitere Bibelstellen, allerdings nur mit Angaben zu Kapitel und Vers.
1. Hosea 13,4 8
2. Römer 1,24 32
3. Levitikus 21,9
4. Exodus 21,22 25
5. 2 Könige 2,23 24
6. Deuteronomium 22, 20 21
 
Beim letzten Zitat war ein Vers aus Levitikus durchgestrichen worden zu Gunsten einer Passage aus dem Deuteronomium.
Die Korrektur war mit einem dünnen schwarzen Magic Marker ausgeführt worden. Riley stieß den Atem aus. Sechs Mädchen, sechs Verse aus der Bibel.
Okay. Das reichte. Tatorte waren nicht sein Spezialgebiet, er hatte nur einen Eindruck gewinnen wollen. Riley genoss die frische Luft, als er wieder ins Freie trat. Er traf Lightner in der Nähe der Garage. Lightners Körpersprache war die eines Cops, der mit Hochdruck am größten Fall seiner Karriere arbeitete, aber in seinen Augen brodelte etwas Dunkles und Böses. Gerade hatten sie zwei grauenvolle Tatorte besichtigt. Jetzt war es an der Zeit, eine Verbindung zwischen ihnen herzustellen.
»Holen wir uns das Geständnis«, sagte Riley.
In Gottes Namen
cover.html
Section0001.html
elli_9783641019129_oeb_cover_r1.html
elli_9783641019129_oeb_toc_r1.html
elli_9783641019129_oeb_fm1_r1.html
elli_9783641019129_oeb_fm2_r1.html
elli_9783641019129_oeb_ata_r1.html
elli_9783641019129_oeb_ded_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p01_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c01_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c02_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c03_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c04_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c05_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c06_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c07_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p02_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c08_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p03_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c09_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p04_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c10_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p05_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c11_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c12_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c13_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c14_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c15_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p06_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c16_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c17_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c18_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c19_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c20_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c21_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c22_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c23_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p07_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c24_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c25_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c26_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c27_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c28_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c29_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c30_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c31_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c32_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c33_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c34_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c35_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c36_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c37_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p08_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c38_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c39_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c40_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c41_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c42_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c43_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c44_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c45_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c46_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c47_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p09_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c48_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c49_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c50_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c51_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c52_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p10_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c53_r1.html
elli_9783641019129_oeb_p11_r1.html
elli_9783641019129_oeb_c54_r1.html
elli_9783641019129_oeb_ack_r1.html
elli_9783641019129_oeb_cop_r1.html