37.
Kapitel
Vom Krankenhaus aus fährt McDermott gleich zurück
zum Revier. Grace liegt schon im Bett, als er anruft. Seine Mutter
berichtet, sie sei ohne Probleme eingeschlafen. Es ist erst die
dritte Nacht seit Joyces Tod, in der er sie nicht selbst ins Bett
gebracht und ihr vorgelesen hat. Es fehlt ihm. Es ist Teil des
Paktes zwischen ihnen.
Was würde er bloß ohne seine Mutter anfangen? Ein
Kindermädchen kann er sich bei seinem schmalen Polizistengehalt
kaum leisten. Seine Mutter, die nächsten Monat vierundsiebzig wird,
hält den Laden zusammen. Sie hat eine Rossnatur, aber in letzter
Zeit fällt ihm auf, dass sie zunehmend langsamer wird. Es vergeht
kein Tag, ohne dass er darüber nachdenkt. Was würde aus Grace, wenn
sie nicht mehr wäre?
Er schiebt den Gedanken beiseite. Löscht das Bild
von Joyce aus, die tot auf dem Badezimmerboden liegt, der Teppich
mit ihrem Blut getränkt. Und das von Grace, wie sie in der
Badewanne kauert, mit geschlossenen Augen, die Hände auf die Ohren
gepresst.
Er versucht zu vergessen, was für schreckliche
Dinge er am Abend vor ihrem Tod zu Joyce gesagt hat.
Joyce war krank, und alles war einfach zu viel für
einen Ehemann, der zehn Stunden am Tag arbeitete. Noch mehr Sorgen
hatte ihm Grace bereitet. Wenn ihr irgendetwas zustieß unter Joyces
Aufsicht, hätte er sich das nie verziehen. Joyce liebte Grace mehr
als alles in der Welt, aber darum ging es nicht. Krankheit war
Krankheit. Man konnte seine Tochter von ganzem Herzen lieben, aber
das half nichts, wenn man sich stundenlang oben in seinem Zimmer
einschloss, während unten die dreijährige Tochter verzweifelt nach
ihrer Mami schrie.
Das war der Punkt, an dem er seine Entscheidung
traf. Er war abends nach Ermittlungen in einem Doppelmord
zurückgekehrt, hatte seine hungrige, schmutzige Tochter aufgelesen
und mit ihr im Arm das Haus nach seiner Frau abgesucht, wobei sein
Herz vor Angst und Zorn so heftig pochte, dass er kaum nach ihr
rufen konnte.
Schließlich fand er sie im Gästezimmer,
zusammengerollt in einer Ecke, leise schluchzend. Sie hatte jedes
Zeitgefühl verloren, wusste nicht mehr, ob Grace was zu Abend
gegessen oder ihr Schläfchen gemacht hatte. Sie begann ernsthaft,
die Kontrolle zu verlieren.
Die Zeit war reif – mehr als reif -, sie in einer
Institution unterzubringen. Damit du wieder etwas Ruhe
findest, wie er es später am Abend formulierte.
Eine Woche später traf er sich mit einem Anwalt.
Zwangsweise Einlieferung war die eine Option. Aber es war ihm
wichtig, dass er Joyce in seine Entscheidung mit einbezog. Er
wollte, dass sie sich selbst als Teil der Lösung fühlte, nicht als
Gefangene. Versuch es doch einfach mal, bat er. Es ist ja
nicht für lange. Es ging einfach nur darum, betonte er, sie
rund um die Uhr gut betreut zu wissen, damit sie wieder gesund
wurde.
Wir schaffen das gemeinsam, versprach er
ihr.
Das war an einem Dienstagabend. Sie fassten das
Wochenende ins Auge. Widerstrebend hatte sie zugestimmt. An diesem
Wochenende würden sie es in Angriff nehmen.
Warum hatte er es ihr bloß vorher
angekündigt?
Warum war er Freitag zur Arbeit gegangen?
Natürlich hatte er auch dafür Rechtfertigungen
parat: Zum einen duldete der Doppelmord keinen Aufschub, und zum
anderen sah Joyce an diesem Freitagmorgen wirklich großartig aus –
frisch, munter und positiv. Sie schien einen ihrer guten Tage zu
haben; sie waren nicht alle schlecht. Es war ein ständiges Auf und
Ab. An diesem Morgen, da war er sich ganz sicher, ging die Tendenz
nach oben.
Er war sich so sicher gewesen.
Mir geht’s gut, hatte sie gesagt, eine Hand
sanft auf seiner Brust. Du hast recht – lass uns an die Zukunft
denken. Das ist der richtige Schritt für uns.
Ab aufs Revier, hatte sie gesagt. Du
kannst mir packen helfen, wenn du wieder zurück bist.
In acht bis zehn Stunden würde er wieder zu Hause
sein, Joyce beim Packen ihrer Tasche helfen, für den hoffentlich
nur kurzen Aufenthalt im Pearlwood Center. Abends dann war er doch
schon um sieben zu Hause. Er hatte sich früher von der Arbeit
loseisen können.
Sieben Stunden, in denen eine Welt
zusammenbrach.
»Heute Nacht schaffen wir’s«, teilt ihm Stoletti
mit, während sie an ihrem Computer herumspielt.
»Wie? Oh.« McDermott seufzt. Sie bezieht sich auf
die Fingerabdrücke, die an der Tür von Brandon Mitchums Apartment
gefunden wurden. Bis sie Nachricht aus dem Labor kriegen, haben sie
nichts weiter zu tun, und es ist nicht der Augenblick, in der
eigenen Vergangenheit zu wühlen, also nimmt er sich die
Burgos-Akten vor.
Burgos ist nicht sein Fall und obendrein längst
aufgeklärt. McDermotts Job ist es, den gegenwärtigen Täter zu
fassen. Dennoch ist der Zusammenhang unbestreitbar. Irgendwas wurde
damals übersehen. Er weiß es. Und er muss möglichst schnell
aufdecken, was, denn auch der Täter verschwendet keine Zeit.
Sonntag hat er bei Ciancio zugeschlagen. Montag bei Amalia
Calderone. Am Dienstag bei Evelyn Pendry. Heute hat er es bei
Brandon Mitchum versucht.
McDermott reibt sich die Augen, leert die zweite
Tasse Kaffee und geht sich eine neue holen, mit schweren Lidern,
aber aufgeputscht vom Koffein. Gott, was für eine Energie hat er
als junger Cop gehabt, während der Nachtschichten, die prickelnde
Spannung, als er in den gefährlichsten Vierteln auf Streife ging.
Damals waren für ihn die Grenzen klarer gezogen. Jetzt hechelt er
nur noch hinterher, klärt Verbrechen auf, die bereits begangen
wurden, statt sie zu verhindern. Sicher, er mag es, Rätsel zu
lösen, das schon. Aber in Wahrheit sind die meisten Fälle nicht
sonderlich schwer zu knacken. Für gewöhnlich liegen die Motive auf
der Hand. Man muss lediglich die Nachbarn vernehmen, den
Hintergrund des Opfers recherchieren, die Arbeit der
Spurentechniker abwarten – und neun von zehn Fällen sind
aufgeklärt. Am Ende ist das Opfer nicht wieder lebendig, aber
wenigstens der Täter hinter Gittern.
Vielleicht ist das der Grund, warum er diesen Fall
so genießt, trotz des ganzen Drucks, der auf ihm lastet. Er hat die
Chance, den Täter zu stoppen, bevor er weitere Morde begeht.
Dieser Täter versucht irgendwas zu vertuschen. Und
was immer es ist, es muss irgendwo hier in diesen Akten verborgen
sein.
Er überfliegt seine Notizen zum Fall Burgos. Er hat
sich die genauen Zeiten und Orte notiert und ist auf ein klares
Muster gestoßen. Da waren zum einen die Prostituierten, dann zum
anderen Ellie und natürlich Cassie. Bei den Huren wirkte alles
hübsch eindeutig und überschaubar. Sie besaßen jedoch nur wenig
Informationen über Ellie und so gut wie gar nichts über
Cassie.
Punkt eins: Das Verschwinden der
Prostituierten konnte auf bestimmte Nächte und Zeitabschnitte
eingegrenzt werden und auch auf bestimmte Viertel. Zwei der Huren
waren beobachtet worden, wie sie in einen blauen Chevy Suburban
stiegen, und die anderen beiden hatten Fingerabdrücke in eben
diesem Auto hinterlassen, dessen Besitzer Terry Burgos war. Ellie
Danzingers Wohnung war aufgebrochen worden, und die Tat hatte sich
in ihrem Schlafzimmer ereignet, auf ihrem Bett. Der Tatzeitpunkt
konnte aufgrund der Umstände auf Sonntagnacht eingegrenzt
werden.
Ganz anders lag der Fall bei Cassie. Sie wussten
weder wann noch wo Cassie verschwunden war. Sie wussten lediglich,
dass sie als Letzte starb. Und sie wussten, dass zwei Tage zwischen
dem Tod der letzten Prostituierten und Cassies Ermordung vergangen
waren.
Zweitens: Die Huren wurden vergewaltigt,
bevor Burgos sie ermordete. An Ellie und Cassie hatte man sich erst
nach ihrem Tod vergangen.
Drittens: Professor Frank Albany kannte
beide Mädchen. Zu den Prostituierten hatte er keinen Kontakt.
Der zweite Punkt, der Sex, spielt vermutlich keine
allzu große Rolle. Mit Huren kann man jederzeit problemlos Sex
haben. Nette College-Mädchen dagegen, wie Cassie und Ellie – sie
hätten einen Typ wie Burgos vermutlich nie in ihre Nähe gelassen.
Er hätte sie zuerst ermorden müssen.
McDermott lehnt sich in seinem Stuhl zurück und
lässt sein Gehirn selbsttätig die Verbindungen herstellen. Lässt
einfach alles zu, was kommt. Normalerweise führt das zu den besten
Ergebnissen.
Burgos hinterließ einen breiten Trampelpfad,
hat Riley gesagt. Sie erwischten ihn, bevor sie überhaupt richtig
zu ermitteln begannen. Sicher, das kam häufiger vor. Gleich der
erste Hinweis führt zum Täter. Und wer will sich schon unnötig
Arbeit machen? Sie haben den Kerl. Er gesteht. Sein Keller wirkt,
als würde er ein Seminar über Foltermorde veranstalten. Also machen
wir uns die ganze Sache nicht unnötig schwer.
Ihm fällt ein, was er über Ellie Danzinger gelesen
hat. Sie wurde in ihrem Bett erschlagen, aber dann ließ man sie
dort liegen, der Kopf hing auf einer Seite herunter. Der
Rechtsmediziner folgerte aufgrund des ausgetretenen Blutes, dass
sie mindestens sechzig Minuten dort lag, bevor sie in Burgos’
Garage geschafft wurde, wo er ihr das Herz aus dem Leib
schnitt.
Was geschah eigentlich während dieser sechzig
Minuten?
Er blickt wieder auf seine Notizen. Hilfreich ist
immer die Frage: Wer hat einen Nutzen davon? Wenn man den Gerüchten
Glauben schenkt, waren es sowohl der Vater von Cassies Kind wie
auch Harland Bentley, die vom Tod der beiden Mädchen
profitierten.
Aber Burgos gestand alle sechs Morde. McDermott
hatte das Verhörprotokoll gelesen. Keiner hatte Druck auf ihn
ausgeübt. Burgos wusste verdammt genau, dass Ellie das erste Opfer
gewesen war, bevor irgendjemand ihm gegenüber ihren Namen erwähnte
oder ihm das Foto zeigte. Im Gegenteil, er wurde fuchsteufelswild,
weil Detective Lightner ihr Foto nicht in die Sammlung integriert
hatte. Außerdem gibt es wohl keine andere Möglichkeit, wie die
Spuren der sechs toten Frauen in seinen Keller gelangt sein
können.
Oder doch?
Und was, wenn Professor Albany tatsächlich der
Vater von Cassies Kind war? Wäre das publik geworden, hätte er ohne
Zweifel seinen Job verloren. Außerdem kannte er Burgos – er hatte
ihn angestellt und ihn unter seine Fittiche genommen.
Hatte er als Professor Zugang zum Kellerschlüssel
des Bramhall Auditoriums?
So viele unbewiesene Vermutungen. Aber wenn Harland
Bentley es wirklich mit Ellie Danzinger getrieben hatte, drohte ihm
der Verlust eines Vermögens, wenn es aufflog. Er und Albany hatten
beide eine Menge zu verlieren.
Also wer von beiden war es? Bentley oder
Albany?
»Hey, Mike.«
McDermott späht zu Stoletti hinüber, die auf die
Tastatur ihres Computers einhämmert.
»Wir überlegen doch die ganze Zeit – wer von beiden
kommt eher in Frage? Harland Bentley oder Professor Albany?«
»Richtig.« Als er sich neben sie stellt, zeigt sie
auf ihren Bildschirm und die Ergebnisse einer Google-Recherche.
»Wir haben uns Albany und Harland Bentley bisher immer einzeln
vorgeknöpft«, sagt sie. »Ich dachte, warum sollten wir nicht mal
nach einer Verbindung zwischen den beiden Namen suchen?«
»Sie waren beide Zeugen in einem spektakulären
Mordfall, Ricki. So überraschend wäre es nicht, wenn sie zusammen
in einem Artikel auftauchen.«
»Ach wirklich?« Sie klickt einen Link an. »Das hier
finde ich schon überraschend.«
Der Link führt auf eine biografische Seite des
Mansbury College. Oben rechts ein Foto von Professor Albany in
nachdenklicher Pose.
Dann überfliegt McDermott den kurzen Abriss
darunter.
Professor Frankfort J. Albany hat die
Harland Bent ley Professur für vergleichende Kulturwissenschaften
am Mansbury College inne. Im Jahr 1990 eingerichtet, würdigt dieser
Lehrstuhl die herausragenden Leistungen von Professor Albany
…
»Die Harland-Bentley-Was?«
Harland Bentley hat am Mansbury College eigens
einen Lehrstuhl für Albany eingerichtet?
»Womöglich müssen wir uns gar nicht zwischen
Harland Bentley und Professor Albany entscheiden«, bemerkt er.
»Vielleicht waren es beide.«
»Das würde zumindest erklären, warum er in einer
Stellung auf Lebenszeit sitzt, obwohl er mit seinem Seminar
indirekt für die Ermordung von sechs Frauen gesorgt hat. Ein
Milliardär im Hintergrund kann nie schaden.«
»Unmittelbar nach dem Prozess gegen Burgos stellt
dieser Milliardär Riley ein und macht ihn zum mehrfachen
Millionär«, sagt McDermott. »Zum gleichen Zeitpunkt versorgt er
Brandon mit einem Stipendium, als kleines Dankeschön dafür, dass er
über sein Verhältnis zu Ellie Danzinger schweigt. Und ebenfalls
direkt nach dem Prozess verschafft er Albany einen Lehrstuhl, der
ihm ein lebenslanges Auskommen garantiert.«
»Irgendwas hat sich Harland Bentley da erkauft«,
pflichtet sie ihm bei.
Sein Handy klingelt. Auf dem Display erscheint eine
unbekannte Nummer.
»Mike, hier ist Susan Dobbs.«
»Susan.« Er schielt auf seine Uhr. Was macht eine
junge Pathologin nachts um diese Zeit im Leichenschauhaus?
»Du hast meine Neugier geweckt«, sagt sie. »Und ich
weiß, es ist wichtig.«
»Nett von dir, aber …«
»Ich hab mir gerade noch mal alle drei Opfer
vorgenommen – Ciancio, Evelyn Pendry und Amalia Calderone.«
»Und?«
»Bei allen drei finden sich Einstiche zwischen der
vierten und fünften tarsalen Phalanx.«
Vernehmlich stößt McDermott den Atem aus.
»Dieser Typ ist clever«, sagt sie. »Oder dämlich,
je nachdem, wie man es betrachtet.«
Er markiert sie. Er hinterlässt eine
Signatur.
»Aber warum steht darüber nichts in den anderen
Autopsieberichten? Nur in dem Ciancios?«
Sie seufzt. »Mike, ihr schleppt uns hier Leichen
an, die übersät sind mit Verletzungen – Blutergüsse, Abschürfungen,
Messerstiche. Da schaut man nicht zwangsläufig an solchen Stellen
nach. Es gibt keine Hinweise auf eine Vergiftung, also sucht man
nicht nach irgendwelchen kleinen Einstichen. Wer denkt schon dran,
die vierte und fünfte Zehe zu spreizen?«
»Aber du hast die Stelle bei Ciancio
entdeckt«, sagt er. »Du hast was gut bei mir.«
»Ich hab mehr als eine Sache gut bei
dir.«
Er klappt das Handy zu. »Alle drei Opfer«, teilt er
Stoletti mit.
»War das die Rechtsmedizin?« Stoletti blickt auf.
»Also wissen wir jetzt, dass zwischen allen ein Zusammenhang
exisitiert. Falls das überhaupt noch fraglich war.« Ihre Augen
werden schmal. »Warum unterzieht er sich, nachdem er diese Leute
verstümmelt hat, auch noch der Mühe, den Platz zwischen der vierten
und fünften Zehe zu finden und dort einen kleinen Einschnitt zu
machen?«
McDermott lockert seinen Nacken. »Er will, dass wir
es wissen.«
»Aber warum markiert er dann nicht gleich ihr
Gesicht? Ich weiß nicht, das ist die geheimste Signatur, von der
ich je gehört habe.« Sie nickt ihm zu. »Ist dir so ein Einschnitt
auch in den Autopsieberichten der Mansbury-Morde
aufgefallen?«
»Nein.« McDermott hat sämtliche Autopsieberichte
des Burgos-Falls durchforstet. »Aber sie hätten es ebenso gut
übersehen können, wie wir es bei zwei Opfern übersehen haben, bis
ich Susan gezielt nachschauen ließ.«
Stoletti gefällt das Ganze nicht. McDermott geht es
ähnlich. Dieser Typ hinterlässt als Zeichen einen winzigen Einstich
in der Hautfalte zwischen dem vierten und dem fünften Zeh, der
einem nur allzu leicht entgehen kann, da die Körper alle in
übelstem Zustand sind.
Warum sollte er eine Signatur hinterlassen wollen,
die niemandem auffällt?
»Er tut es für jemand Bestimmten«, murmelt
McDermott. Aber für wen?
In dem 24-Stunden-Diner kaut Shelly mir gegenüber
auf einem Eiswürfel aus ihrer Limonade herum. Ich berge eine
Kaffeetasse zwischen beiden Händen, und meine diversen Wunden
schmerzen wie die Hölle. Ich berichte ihr ausführlich, was sich
seit unserem Besuch bei Gwendolyn heute Morgen ereignet hat.
Ich war so lange alleine, dass es sich ganz
ungewohnt anfühlt, bei einem anderen Menschen Rat und Trost zu
suchen. Das Leben eines Junggesellen ist unkompliziert, besonders
wenn er genügend Geld besitzt, was bei mir eindeutig der Fall ist.
Meine Arbeit erledige ich beim gegenwärtigen Stand meiner Karriere
mit links. Die meisten Rechtstreitigkeiten legt man bei, indem man
einfach ausreichend schwere Geschütze auffährt und die andere Seite
zu Kompromissen zwingt, und wenn es doch mal zu einer Verhandlung
kommt, ist das ohnehin mehr eine Farce. Und mein Privatleben? Die
wichtigste Entscheidung, die ich treffen muss, ist, ob ich abends
den Sportkanal einschalte oder mir alte Spielfilme auf A&E
anschaue. Man wird bequem, und irgendwann ist man damit
zufrieden.
Mein Leben wurde durch die Beziehung zu Shelly
gründlich auf den Kopf gestellt. Ich begegnete ihr, wo ich den
meisten Menschen in meinem Leben begegne – im Gerichtssaal. Ich
gewann den Prozess und hörte nichts mehr von ihr, bis sie mich
Jahre später bat, jemanden zu vertreten, der wegen Mordes angeklagt
war. Neben der hitzigen Erregung des Zweikampfs vor Gericht spürte
ich bei ihr sofort etwas Besonderes, ihren kämpferischen Geist,
ihre tiefe Überzeugung.
Und als sie die Beziehung beendete, konnte ich
nicht mehr zurück in mein altes Leben. Die gewohnte Bequemlichkeit
wollte sich nicht mehr einstellen. Meine Assistentin Betty hat
recht. Ich habe schon immer gerne einen über den Durst getrunken,
aber seit jener Nacht ist das zur olympischen Disziplin bei mir
geworden. Die letzten Monate war ich ein ziemliches Wrack. In der
Arbeit habe ich auf Autopilot geschaltet und mich in Selbstmitleid
gehüllt.
Jetzt ist Shelly zurück, unter dem Vorbehalt, dass
ich keinen Druck auf sie ausübe, und sofort bombardiere ich sie mit
all diesen Problemen. Ich wollte sie eigentlich gar nicht anrufen
und hierher bitten, und ich hatte kein gutes Gefühl, als ich ihre
Nummer in mein Handy tippte. Aber ich brauche sie, ob es mir
gefällt oder nicht.
Bisher hat sie noch kein einziges Wort gesagt. Sie
ist eine großartige Zuhörerin.
Als ich fertig bin, bemerkt sie: »Was bereitet dir
an der ganzen Sache am meisten Sorgen?«
Ich lache. Nach allem, was ich ihr erzählt habe,
weiß ich nicht, wo ich anfangen soll.
»Harland ist es nicht«, sagt sie.
Ich schiebe meine Tasse in Richtung Kellnerin, und
sie schenkt mir nach. »Scheiß auf Harland.«
Shelly unterdrückt ein Grinsen. Vermutlich ist sie
überrascht, das aus meinem Mund zu hören. Sie selbst hält nicht
allzu viel davon, große Konzerne juristisch zu beraten. Ich habe
einmal versucht, sie in meine Firma zu locken, indem ich ihr eine
Partnerschaft anbot, aber ich konnte sie nicht von ihrer
juristischen Arbeit für Kinder abbringen. Für sie geht es vor allem
um den Einsatz, nicht um die Höhe der Entlohnung.
So war ich auch mal.
»Du glaubst, du hast damals was übersehen.«
Bei diesen Worten zucke ich zusammen. »Was ich mir
einfach nicht erklären kann, ist, warum sich das bis in die
Gegenwart auswirkt. Cassies Schwangerschaft, das war vielleicht
damals, vor fünfzehn, sechzehn Jahren, ein Problem für jemand. Aber
jetzt doch nicht mehr. Harland hatte Sex mit Ellie Danzinger? Okay,
vor sechzehn Jahren hätte das sicher einen Skandal ausgelöst. Aber
wen juckt das heute noch? Ich kann in all dem keinen Sinn
erkennen.«
Sie langt über den Tisch und greift nach meiner
Hand. »Aber du kannst auch dich nicht damit abfinden, dass sich
nichts dahinter verbirgt.«
Menschen sterben nicht ohne Grund, will sie damit
sagen. Es handelt sich nicht um die zufälligen Opfer eines
wahnsinnigen Amokläufers. Es gibt eine Verbindung.
Die Kellnerin bringt einen Bagel mit Frischkäse für
mich und für Shelly einen Salat. Ich habe das Abendessen versäumt
und muss irgendwas zu mir nehmen, egal, wie sehr mein Magen
rebelliert. Wir spielen eine Weile schweigend mit unserem
Essen.
»Er hat ein Geständnis abgelegt, Shelly. Ich war
selbst dabei, als Burgos damit rausrückte.«
Sie betrachtet ihren Salat, gruppiert die Gurken
und die Tomaten mit ihrer Gabel um. Sie denkt gründlich nach, bevor
sie mich fragt: »Bist du ganz sicher, dass Burgos diese Mädchen
getötet hat?«
»Hundert Prozent.« Ich reiße ein Stück von meinem
Bagel ab und starre es an.
Eine Gruppe von College-Studenten strömt ins Diner,
nach Zigaretten und Alkohol stinkend und in eine lautstarke
Unterhaltung vertieft. So war das damals. Man scherte sich um
nichts. Wie beneidenswert.
Noch haben sie keine Ruinen in ihrem Leben
hinterlassen. Keine unwiderruflichen Entscheidungen getroffen. Reue
ist ihnen noch kein Begriff. Für sie ist das Leben ein einziges
gigantisches Musikvideo.
Ich verfolge, wie sie auf eine Sitzecke zusteuern,
während ihre angeregte Diskussion langsam leiser wird, dann wende
ich mich wieder Shelly zu, die mich neugierig mustert.
»Zu fünfundneunzig Prozent«, sage ich. »Nein. Zu
einhundert Prozent.« Ich schlage mit der Faust auf den Tisch.
»Gottverdammt – einhundert Prozent. Er kannte alle Opfer mit Namen.
Er wusste, in welcher Reihenfolge sie im Keller angeordnet waren.
Er hat Ellie nachgestellt, um Himmels willen. Er ermordete sie in
seinem eigenen Haus. Leute haben beobachtet, wie die Prostituierten
in seinen Wagen stiegen.«
Sie wartet ab, bis ich mich wieder beruhigt habe.
Ihre Miene drückt Besorgnis aus, was mich aus irgendeinem Grund
sauer macht.
»Schau mich nicht so an«, sage ich. »Das Ganze ist
nicht mein Problem, verstehst du? Wenn es da irgendein Geheimnis
gibt, dann ist das nicht mein Problem. Ich bin schon seit fünfzehn
Jahren kein Staatsanwalt mehr. Ich hab meinen Fall gelöst. Sollen
sich andere darum kümmern.«
Shelly beißt sich auf die Lippen, ihre Augen zucken
nervös.
»Nun sag doch was, Shelly, um Himmels
willen.«
Sie legt ihre Gabel ab und bettet die Hände in den
Schoß. »Wenn es nicht dein Problem ist, dann vergiss die Sache doch
einfach.«
»Es vergessen?« Empört reiße ich einen Arm hoch.
»Das ist dein Rat?«
»Du hast gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe. Vergiss es.« Ich
drehe mich zum Fenster, atme ein paarmal tief durch und starre mein
Spiegelbild an: ein Anwalt, der sich wie ein hochkarätiges
Arschloch aufführt. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Shelly der
Kellnerin winkt. An ihrer Stelle würde ich genauso handeln.
Rechnung bitte, und das war’s.
»Du brauchst meinen Rat nicht«, sagt sie. »Du weißt
selbst, was du tun musst.«
Die Rechnung flattert auf den Tisch. Shelly zückt
ihre Börse.
»Es wird wehtun«, sage ich.
»Natürlich. Wenn du dich gegen Harland wendest,
werden die Anwälte deiner Firma darunter leiden. Vielleicht wird
deine Firma pleitegehen. Und falls du damals wirklich was übersehen
hast, könnte das ziemlich unangenehm für dich werden – als Mensch
und vielleicht auch beruflich. Was die fünfprozentige Möglichkeit
betrifft, dass du den falschen Mann in die Todeszelle geschickt
hast – damit wirst du leben müssen.«
Ich fahre mir übers Gesicht. Sie hat recht. Kein
Zweifel. Ich musste es nur von jemand anderem hören.
»Du kannst die Sache auch einfach vergessen«, fügt
sie hinzu. »Das ist dein gutes Recht. Du bist kein Staatsanwalt
mehr. Jeder hätte Verständnis dafür.«
Ich verberge mein Lächeln. Sie versteht mich
besser, als ich mir eingestehen will. Sie eröffnet mir einen
Ausweg, damit ich mich gut fühlen kann, wenn ich ihn nicht
beschreite.
Als ich sie zu ihrem Wagen begleite, hakt sie sich
bei mir unter. Eine an sich harmlose Geste, die mir jedoch sehr
viel bedeutet. Ich will mehr davon. Ich will sie heute Nacht in
meinen Armen halten, ihr Haar riechen, meine Finger über ihren
weichen Bauch gleiten lassen.
Stattdessen küsst sie mich sanft, und ihre Hand
entzieht sich der meinen. Ich schließe die Wagentür hinter ihr. Sie
winkt mir zum Abschied, und ich weiß die Tatsache zu schätzen, dass
unsere Trennung diesmal nicht für lange sein wird.
Don Regis von der Technischen Abteilung der
Bezirksstaatsanwaltschaft kommt in den Besprechungsraum gestürmt.
Nach seinem Anruf vor etwa zehn Minuten haben McDermott und
Stoletti ihn bereits mit Spannung erwartet.
Ein Fingerabdruck an der Tür von Brandon Mitchums
Apartment hatte einen Treffer in ihrer Datei erzielt.
»Die Abdrücke stammen von einem gewissen Leonid
Koslenko. Ein russischer Immigrant.« Don Regis lässt die Akte auf
McDermotts Schreibtisch fallen. »Verhaftungen wegen
Körperverletzung und Mordverdacht. In beiden Fällen wurde die
Anklage fallen gelassen.«
McDermott schlägt die Festnahmeprotokolle auf und
wirft als Erstes einen Blick auf die Fotos – Schwarzweiß-Aufnahmen
des Mannes mit dem kantigen Gesicht und der halbmondförmigen Narbe
unterm Auge. Seine Hand ballt sich zur Faust. Eine Woge der
Erleichterung durchströmt ihn und ein gehöriger Schuss Adrenalin.
Es ist derselbe Mann wie auf dem Foto aus Ciancios Apartment. Der
Mann, der heute in Brandon Mitchums Wohnung war.
Er überfliegt die Protokolle. Vor fünf Jahren wurde
Leonid Koslenko wegen tätlichen Angriffs auf eine Frau in der West
Side verhaftet. Vor zwei Jahren war er wegen des dringenden
Verdachts eingebuchtet worden, eine Frau ermordet zu haben, keine
drei Blocks vom ersten Tatort entfernt.
Bei beiden Fällen stößt McDermott auf den Ausdruck
nolle prosequi, den juristischen Terminus für die
Einstellung des Verfahrens.
Und in beiden Fällen waren die Opfer
Prostituierte.
Das erste Festnahmeprotokoll war umfangreich. Er
blättert durch die Zusammenfassungen. »Er musste sich einem
Psychotest unterziehen«, sagt er. Auf Anweisung des Gerichts hin
wurde ein psychiatrisches Gutachten von Koslenko erstellt.
»Es kam nie zu einer gerichtlichen Einschätzung
seiner Schuldfähigkeit«, sagt Regis, der die Berichte bereits
gelesen hatte. »Das Opfer hat seine Anzeige vorher
zurückgezogen.«
Mag sein, aber McDermott bereitet weit mehr Sorge,
was der Psychiater in seinem Bericht schreibt:
Der Patient zeigt affektive Störungen,
Denk und Kon zentrationsschwächen. Ein akuter Verfolgungswahn und
akustische Halluzination sind eindeutig nach weisbar.
»Akustische Halluzinationen«, murmelt McDermott.
Der Mann hört also Stimmen?
Der Patient leidet unter einer
paranoiden Schizophre nie.
McDermott blickt auf die Uhr. Es ist kurz vor
Mitternacht. Er greift zum Telefon, um den Sergeant vom Nachtdienst
zu verständigen. »Ich brauche ein Einsatzkommando, Dennis. Jetzt
sofort.«
Er legt auf und deutet auf Stoletti. »Wer auch
immer Rufbereitschaft hat«, sagt er, »ruf sie alle an. Wir nehmen
uns noch heute Nacht seine Wohnung vor.«
Leo sitzt in seinem Mietwagen. Die Gegend ist
ruhig und friedlich, bald ist Mitternacht. Er war schon einmal
hier, hat das Ziegelhaus genau studiert, drei übereinanderliegende
Eigentumswohnungen, unten eine Sicherheitstür, die kein Problem für
ihn darstellt.
Im dritten Stock ist alles dunkel.
Es muss heute noch passieren.
Sie wissen jetzt, wer ich bin, mein Fehler, aber
das macht nichts, ich bin zu clever für sie, auch wenn sie wissen,
wer ich bin, wissen sie noch lange nicht, wo ich bin, und sie
wissen nicht, warum ich es tue, das ist der Unterschied zwischen
mir und Terry, Terry war mutig, aber er war nicht clever.
Von hier aus hat er einen guten Blick auf das
Ziegelgebäude und den kleinen Parkplatz dahinter. Er kann warten.
Für ihn ist das kein Problem.
Jetzt wartet er schon fast eine Stunde. Gleich ist
es Mitternacht. Er wird schon wieder improvisieren
müssen.
Er zuckt zusammen, als ein Paar Scheinwerfer von
der Straße auf den Parkplatz schwenken. Er sieht nicht, wer
aussteigt, es ist zu dunkel.
Aber es ist definitiv eine einzelne Person.
Er späht hinauf zum dritten Stock, seine Finger
trommeln auf das Lenkrad. Ja. Endlich. Die Lichter gehen an. Im
dritten Stock.
Er wartet. Fünf Minuten. Zehn. Fünfzehn.
Zwanzig Minuten später verlöschen die Lichter
wieder.
Shelly Trotter ist ins Bett gegangen.
Das Volk gegen Terrance Demetrius Burgos Fall Nr. 89-CR-31003
Juli 1989
Es war erst Rileys dritter Besuch in einem
Leichenschauhaus. Als Bundesstaatsanwalt hatte er es selten mit
Leichen zu tun gehabt, und wenn, dann war die Todesursache meistens
eindeutig. Gewöhnlich waren die Körper von Maschinengewehrkugeln
konkurrierender Drogenhändler durchsiebt.
Er war sich nicht sicher, warum er hier war. Was
gab es für einen Grund, noch in Cassies Fall herumzustöbern, wo
doch ihre Ermordung gar nicht vor Gericht verhandelt würde?
Er begrüßte Mitra Agarwal, eine junge
Rechtsmedizinerin. Mitra war eine zierliche Frau mit Sinn für Humor
und einem weichen indischen Akzent. Sie war unter den
diensthabenden Ärzten gewesen, als die Leichen eingeliefert wurden.
Sie war diejenige, die Natalia Bentley Lake die Leiche ihrer
Tochter gezeigt hatte.
Dr. Agarwal führte Riley in einen großen
gekachelten Raum. Auf den Bahren ruhten die Leichen von vier der
Frauen, die Terry Burgos ermordet hatte.
Riley schlug den Autopsiebericht von Cassie Bentley
auf.
»Okay«, sagte er und las aus dem Bericht vor.
»Ein post mortem ausgeführter Einschnitt zwischen der vierten
und fünften tarsalen Phalanx. Sind das die Zehen?«
»Könnte man so sagen.«
»Warum schreiben Sie dann nicht einfach
Zehen?«
»Und warum sagen Sie nicht einfach, das
Verfahren wird eingestellt, statt nolle prosequi?«
Riley grinste. »Touché, Doktor.«
»Keine der Prostituierten wurde bisher abgeholt«,
erklärte die Medizinerin und drehte sich zu den drei anderen
Leichen um. »Sie haben Glück, dass sie noch da sind.«
Familien hatten einhundertzwanzig Tage Zeit, um die
Leichen ihrer Angehörigen abzuholen, also bestand theoretisch noch
die Möglichkeit dazu. Aber diese Mädchen waren vermutlich auch
deshalb Prostituierte geworden, weil sie so was wie eine
funktionierende Familie nie gekannt hatten. Ihre letzte Ruhestätte
würden sie in namenlosen Gräbern des Bezirksfriedhofs finden.
»Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter,
Mitra.«
Sie führte ihn zu Angie Mornakowskis kalter weißer
Leiche und spreizte die vierte und die kleine Zehe ihres linken
Fußes. Riley entdeckte einen winzigen unblutigen Einschnitt in der
kleinen Hautfalte.
»Sie haben ihn alle«, sagte sie. »Die vier, die
hier liegen, und Cassie.«
»Wow«, seufzte Riley. »Und kein Wort darüber in den
Autopsieberichten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Außer in dem von Cassie.
Und ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass er bei ihr entdeckt
wurde. So was entgeht einem leicht. Wenn man es mit schweren
Verletzungen an Kopf und Körper zu tun hat, ist es nicht weiter
verwunderlich, dass man einen merkwürdigen kleinen Schnitt zwischen
den äußeren Zehen nicht bemerkt. Das ist nicht wie bei einem
Drogen- oder Vergiftungsfall. Man sucht nicht nach winzigen
Verletzungen wie diesen.«
»Ich weiß schon. Ich wollte auch niemanden
kritisieren.« Er atmete tief durch. »Der Schnitt erfolgte also post
mortem. Als eine Art Nachtrag.«
»Eine Signatur«, ergänzte sie.
Riley stimmte ihrer Vermutung zu. »Er hinterlässt
seine Duftmarke.«
»Betrachten Sie es doch mal von der positiven
Seite«, erwiderte die Ärztin. »Wenn Sie noch Zweifel daran gehabt
hätten, dass alle von der gleichen Person ermordet wurden, dann
wären sie jetzt ausgeräumt.«
Riley lächelte sie an. »Ich hatte aber keine
Zweifel.«
»Okay«, sagte sie. »Was soll ich Ihrer Meinung nach
tun? Die anderen Leichen exhumieren lassen? Die Autopsieberichte
widerrufen?«
Er wusste nicht, was das an den Ermittlungen ändern
sollte. Burgos hatte die Morde gestanden, während der Vernehmung
durch Lightner und seinen Psychiatern gegenüber. Es diente auch
nicht zu seiner Entlastung – in dem Falle hätte es Riley dem
Verteidiger von Terry Burgos nicht vorenthalten dürfen. Wenn
überhaupt, dann schadete es Burgos eher noch. Denn damit war
eindeutig bewiesen, dass alle Frauen von der gleichen Person
getötet worden waren.
Vielmehr konnte die Sache nach hinten losgehen. Die
Verteidigung konnte die Angelegenheit aufbauschen, die
obduzierenden Ärzte als inkompetent brandmarken und einen
unwillkommenen Nebenschauplatz eröffnen. Jeremy Larrabee wäre nur
zu dankbar für alles, was die Aufmerksamkeit von seinem Mandanten
ablenkte.
Hinzu kam, dass Riley die Danzingers um die
Exhumierung ihrer Tochter würde bitten müssen, nur wenige Monate
nach ihrer Beerdigung. Und warum? Nur, um etwas zu beweisen, das
sie bereits wussten?
Cassie Bentleys Obduktionsbericht war nicht
öffentlich zugänglich. Er war nicht mehr Teil des Falls und ging
daher niemanden etwas an.
»Vergessen wir das Ganze«, sagte Riley zu der
wartenden Ärztin. »Aber danke, dass Sie meine Neugier befriedigt
haben.«
»Oh.« Mitra Agarwal stieß ihm den Ellbogen in die
Seite. »Wie aufregend. Ein Geheimnis. Sie und ich sind die einzigen
lebenden Menschen, die von den Einschnitten wissen.«
»Sie, ich und Terry Burgos.« Riley dankte ihr und
marschierte zurück in sein Büro.