24. Kapitel
Der Besprechungsraum des Reviers im Dritten Bezirk ist bis auf den letzten Platz vollgestopft mit Detectives und uniformierten Beamten. Vorne am Pult stehen die beiden Detectives Ricki Stoletti und Mike McDermott. Es ist neun Uhr morgens. Alle sind hellwach, der Energiepegel im Raum ist hoch.
Die Anwesenden studieren das vor ihnen liegende Blatt, eine am Rand durchnummerierte Version der zweiten Strophe von Tyler Skyes Song »Someone«.
1. An ice pick a nice trick praying that he dies quick
2. A switchblade oughta be great for lobotomy insane a call to me
3. Precision blade incisions made a closer shave a bloody spray
4. Trim-Meter chain saw cheerleader’s brain’s all paint on the stained wall
5. Machete in the head he isn’t ready to be dead I can’t explain why I’m in pain, why I’m unable to refrain from getting somebody’s brain
6. Ditchin’ life kitchen knife no more itch and no more strife no more hate I passed the test
And on seventh day I rest
Ricki Stoletti ergreift das Wort. »Die erste Zeile – ein Eispickel, ein netter Trick, er fleht darum, dass er schnell stirbt. Das ist Ciancio. Ein Schnappmesser, denn nichts ist besser für eine Lobotomie. Das ist Evelyn Pendry.«
»Als Nächstes kommt also das Rasiermesser an die Reihe«, bemerkt jemand hinten im Raum.
Ein weiterer Beamter am Konferenztisch wirft ein: »Da müssen wir ja nur noch ermitteln, wer in den letzten zehn Jahren ein Rasiermesser gekauft hat.« Er erntet ein paar Lacher, trotzdem lässt die Spannung im Raum nicht nach, besonders nicht bei McDermott. Ein weiterer Polizist hebt die Hand und nickt in meine Richtung. »Hier steht: Und ruhe am siebten Tag.«
Ich nicke. »Der sechste Mord ist ein Selbstmord. Er tötet sich selbst. Keine Schmerzen mehr. Keine Sorgen. Kein Hass. Er hat es hinter sich. Am sechsten Tag tötet er sich selbst mit einem Küchenmesser. Am siebten Tag ruht er sich aus. Offensichtlich vergleicht er seine Taten mit denen Gottes bei der Erschaffung der Welt.«
Eine Frau in den hinteren Reihen meldet sich. »Also wird uns der Täter einen Gefallen tun und sich selbst aus dem Verkehr ziehen?«
»Burgos hat das nicht getan.« Ich zucke mit den Achseln.
»Auch in der ersten Strophe wird am Ende ein Selbstmord gefordert, aber er hat sich nicht daran gehalten.«
»Und deshalb haben Sie ihn trotz seines Antrags auf Schuldunfähigkeit drangekriegt«, wirft ein älterer Beamter ein. »Weil er den Text nicht buchstabengetreu umgesetzt hat.«
Zehn Punkte für den Veteranen aus dem Hintergrund.
»Und wenn er mit diesem Song durch ist«, witzelt ein hünenhafter Cop an der Wand, »dann macht er vielleicht mit diesem alten Randy-Newmann-Song weiter und fängt an, ›Short People‹ um die Ecke zu bringen.«
»Ja, vermutlich«, knurrt McDermott. »Wirklich verdammt komisch.«
Der kleine Heiterkeitsausbruch im Raum verebbt augenblicklich. Wenn McDermott das Wort ergreift, lauschen alle aufmerksam.
McDermott blinzelt in den Raum. »Fangen wir mit dem an, was wir wissen. Fakt ist, dass der Täter einen absolut spurenfreien Tatort hinterlässt. Zwei Morde, aber keine Fingerabdrücke oder sonstigen Indizien. Er überwältigt seine Opfer und foltert sie. Er kontrolliert sie. Sein ganzes Vorgehen ist perfekt geplant. Er dringt praktisch unsichtbar ein und verschwindet genauso unbemerkt. Und seine Waffen lässt er am Tatort zurück.«
Er lässt die Waffen zurück. Ein wichtiger Punkt. Alles, was er tut, tut er mit Absicht.
Er will, dass wir im Bilde sind.
»Und dann Punkt vier in dem Paper vor euch«, fährt McDermott fort. »Wir nehmen an, es handelt sich um denselben Kerl, der Riley diese Briefe hier geschickt hat.«
Alle blättern zur letzten Seite um.
»Den ersten – Böses ertsteht neu - hat Riley am Montag erhalten, vor zwei Tagen also.«
Böses ersteht neu. Öffentliche Teilnahme ist gewiss. Er kennt Euer Rätseln Nähe einstiger unvergessener Taten? Ihr Heiden, reuevoll erwartet bald Erhellung. Inzwi schen Herr, ingrimmig lasst Fackelträger erscheinen.
»Der zweite kam dann gestern.«
Werde erleiden rächend das Ende. Zuletzt werden Echos innigster Trauer erschüttert nachhallen. Vernehmlich erschallen. Rührige Sendboten beständig ertragen neue unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Eine innige Teilnahme zeitigt unerschrockene, offenherzige Parteinahme; fordert eine rührige Neugier, auch liebe vollen Betrug an niedergelegten Ideen.
»Im ersten Brief«, schalte ich mich ein, »fragt er, ob wir die neuen Morde mit Burgos in Verbindung bringen werden – also mit einstigen, unvergessenen Taten. Und offensichtlich werden wir bald eine Antwort von ihm erhalten.«
»Okay, und was ist mit dem zweiten?«, fragt Stoletti.
Wir sind diese Zeilen bereits gemeinsam durchgegangen. Ich bin letzte Nacht extra in mein Büro gefahren und habe sie Stoletti und McDermott gezeigt.
»Ich habe keine Ahnung«, gebe ich zu und lese die Nachricht selbst noch einmal durch. »Er wird bei seinen Verbrechen das Leben lassen? Er wird uns eine Menge Ärger bereiten, aber irgendwann wird auch er bezwungen?« Ich blicke zu McDermott hinüber.
»Er redet von Verstehen, von Teilnahme«, sagt er. »Es geht darum, die wahre Botschaft zu begreifen – was immer das in seinen Augen auch sein mag. Richtig?«
»Man muss bereit sein, gegen Konventionen zu verstoßen«, spekuliere ich. »Man muss über den Tellerrand schauen. Echtes Verstehen erfordert neugieriges Infragestellen und einen liebevollen Betrug, also eine freizügige Interpretion von scheinbar festgeschriebenen Dingen.«
Keiner kommentiert meine Ausführungen. Falls irgendjemand eine bessere Idee hat, rückt er zumindest nicht damit heraus.
»Er verwendet mehrmals gleichbedeutende Worte wie nachhallen und erschallen«, sagt Stoletti. »Das wirkt wie eine unnötige Verdopplung. Echos werden nachhallen. Vernehmlich erschallen.«
»Das wird ja eine richtige Grammatiklektion hier«, bemerkt der Cop neben ihr.
Doch Stoletti ist nicht in der Stimmung für Späße. »Ich will damit nur sagen, dass er seine Worte sehr sorgfältig wählt. Seine Handschrift ist wie gestochen. Er hat das nicht eben mal so hingeschmiert. Er hat sich Zeit gelassen. Hat jedes Wort bewusst gesetzt. Rührige Sendboten beständig ertragen neue unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Das erscheint auf den ersten Blick wie gedankenloses Gefasel. Eigentlich braucht er das Wort unaufhörlich nicht, da am Anfang bereits beständig steht. Und auch die Dopplung von neu wirkt stilistisch nicht sehr gekonnt. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber es klingt merkwürdig.«
Sie hat recht. Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen. Die Handschrift ist makellos. Aber die Wortwahl und der Satzbau wirken seltsam künstlich.
»Jeder von uns sollte sich ein paar Gedanken darüber machen«, sagt McDermott. »Die Originale sind im Moment im Labor. Abdrücke, Aminosäuren-Nachweis, das ganze Programm. Lasst uns jetzt noch über Fred Ciancio reden.«
Letzte Nacht hat uns Carolyn mit Folgendem überrascht: Als sie 1989 im Fernsehen über Terry Burgos berichtete, erhielt sie den Anruf eines Mannes, der behauptete, Informationen über Burgos zu besitzen. Der Mann wirkte verängstigt. Er behauptete, es sei wichtig, schien sich aber unsicher, ob er es ihr überhaupt mitteilen sollte. Schließlich legte er auf. Als professionelle Reporterin verfolgte Carolyn den Anruf zurück zu einem Haus. Es gehörte einem Mann namens Fred Ciancio.
Sie besuchte ihn dort, aber er weigerte sich, mit ihr zu reden. Sie versuchte noch mehrfach, ihn zum Sprechen zu bewegen, aber ohne Erfolg. Sie ließ seinen Hintergrund überprüfen, auch das ohne Ergebnis. Und dann begann der Prozess, und die Sache verlief im Sand.
»Wir haben also keine Ahnung, was Ciancio Carolyn Pendry mitteilen wollte«, führt McDermott aus. »Wir wissen bloß, dass er in den Sechzigern und Siebzigern Gefängniswärter war und danach Wachmann, bis er vor zwei Jahren pensioniert wurde.«
»Außerdem wissen wir«, fügt Stoletti hinzu, »dass er zwei Tage vor seinem Tod bei der Daily Watch anrief.«
Vermutlich galt Ciancios Anruf bei der Watch Carolyns Tochter Evelyn. Was immer Fred Ciancio Carolyn 1989 mitteilen wollte, jetzt hat er es womöglich ihrer Tochter Evelyn anvertraut. Das würde auch erklären, warum Evelyn mich zum Burgos-Fall befragen wollte. Außerdem würde es ihr großes Interesse am Tatort des Ciancio-Mordes rechtfertigen, das McDermott aufgefallen war.
Ich werfe einen Blick in die Papiere, die McDermott ausgeteilt hat. Darunter befindet sich ein Blatt mit dem Songtext und mehrere Blätter mit Informationen über die beiden Opfer Fred Ciancio und Evelyn Pendry. Etwas an Ciancios Lebenslauf springt mir ins Auge. »Wachmann bei Bristol Security Services, 1978-2003.«
Ich wusste bereits von McDermott, dass Ciancio Wachmann gewesen war, aber nicht wo.
»Bristol«, sage ich. »Ciancio hat für Bristol Security gearbeitet?«
»Ja.« Stoletti nickt. »Er war als Wachmann in einem Einkaufszentrum in Wilshire tätig. Warum?«
Ich gehe ein weiteres Mal die Daten durch. Ciancio hat bis 1978 im Ensign Correctional gearbeitet, einem Hochsicherheitsgefängnis im Südwesten des Bezirks. Anschließend war er fünfundzwanzig Jahre für Bristol tätig. »Bristol Security hatte damals auch einen Vertrag mit dem Mansbury College«, sage ich.
McDermott mustert mich kurz. »Hat das irgendeine Rolle gespielt?«
Bristol Security half uns damals, den Campus nach weiteren Leichen abzusuchen. Offensichtlich war die Sicherheitsfirma ziemlich betroffen, weil die Morde quasi vor den Augen ihrer Leute geschehen waren. Ich glaube, Mansbury kündigte ihren Vertrag unmittelbar nach dem Leichenfund. Als wäre es ihr Fehler gewesen. Ich sehe keinen echten Zusammenhang und schüttele den Kopf.
»Bristol Security ist eine Riesenfirma«, füge ich hinzu. »Vermutlich haben sie hunderte von Verträgen im ganzen Land. Könnte nur ein Zufall gewesen sein.«
McDermott nickt knapp. »Glauben Sie das wirklich? Bloßer Zufall?«
Ich zucke mit den Achseln. »Wally Monk war damals der zuständige Sicherheitschef in Mansbury«, erkläre ich ihm. »Rufen Sie ihn an. Fragen Sie ihn, ob er Ciancio kennt. Ich nehme an, er ist pensioniert, aber sie werden ihn sicher irgendwo auftreiben.«
Stoletti macht sich eine Notiz und lässt sich den Namen von mir buchstabieren.
»Also«, fragt sie, »haben wir es hier mit einem Nachahmungstäter zu tun?«
Sofort löst sich die allgemeine Spannung im Raum. Sie hat ausgesprochen, was jeder vermutet.
Ich war nie ein großer Fan der Nachahmungstäter-Theorie. Entweder trachten Serienkiller nach Berühmtheit – und warum sollten sie dann als bloßer Nachahmer eines anderen Mörders in die Geschichte eingehen wollen – oder sie sind massiv gestört und haben ihre ganz eigenen Probleme und Vorgehensweisen.
Dennoch haben wir es hier mit zwei Morden zu tun, die sich eindeutig an der zweiten Strophe orientieren. Und dann ist da noch der Schriftzug auf dem Badezimmerspiegel – Ich bin nicht der Einzige.
»Warum ausgerechnet jetzt?«, frage ich. »Warum sechzehn Jahre später?«
Natürlich weiß niemand darauf eine Antwort. Zum Teufel, sie schauen mich an, als müsste ich gleich damit rausrücken.
»Und warum«, fügt Stoletti hinzu, »sterben ausgerechnet jetzt weitere Menschen, die auf irgendeine Weise mit den Morden in Verbindung stehen?«
Auch das kann niemand beantworten.
Eine Beamtin, die auf einem Tisch hockt, die Füße auf ihrem Stuhl, wendet sich an mich. »Waren Burgos’ Opfer zufällig ausgewählt?«
Ich erkläre ihr, dass Burgos immer darauf bestanden hat, sie wären es nicht. Jeder der Ermordeten konnte er eine ganz bestimmte Sünde zuweisen. »Und ich glaube auch nicht, dass die Opfer hier und heute zufällig sind.«
McDermott schüttelt den Kopf, was in dem Fall aber bedeutet, dass er mir recht gibt. Gestern Nacht sind wir beide zu dem gleichen Schluss gekommen – die Verbindungen sind zu offensichtlich, um rein zufällig zu sein. Evelyn Pendry tauchte am Ciancio-Tatort auf, unverkennbar äußerst besorgt. Aus den Unterlagen der Telefongesellschaft wissen wir, dass Ciancio kurz vor seinem Tod bei Evelyn anrief. Dann war da mein Gespräch mit ihr, bei dem sie vorgab, einen Artikel über Senator Almundo schreiben zu wollen, während sie in Wahrheit am Fall Burgos arbeitete.
Wenn ich mich recht erinnere, war sie besonders an der Frage interessiert, warum mich Harland Bentley gleich nach der Verurteilung des Mörders seiner Tochter eingestellt hatte.
»Erinnern Sie die aktuellen Morde nicht ganz konkret an den Burgos-Fall?«, fragt ein Cop. Ein kräftiger Ire. Ich glaube, es sind so ziemlich alles Iren hier. Muss im Gewerkschaftsvertrag stehen.
Ich verziehe das Gesicht. Die Antwort ist: nicht wirklich. »Burgos war sehr unvorsichtig. Er brachte seine Opfer mit in sein Haus. Er hatte ungeschützten Sex mit ihnen, ließ seine Körperflüssigkeiten in ihnen zurück. Überall in seinem Haus waren Spuren der Frauen verstreut. Und im Keller des Auditoriums hinterließ er jede Menge Fingerabdrücke. Unser momentaner Mörder hingegen hat zwei perfekte Verbrechen begangen. Ohne auch nur die geringsten Spuren zu hinterlassen, kam und verschwand er wieder; er hatte jederzeit die absolute Kontrolle über seine Opfer wie auch über die Umstände der Tat. Auf mich macht er den Eindruck eines Profis. Burgos hingegen war ganz sicher kein Profi. So viel dazu. Ansonsten kann ich Ihnen wenig über den neuen Täter sagen.«
»Und das, obwohl Sie unser Experte für Serienkiller sind«, sagt Stoletti.
Ich schüttle den Kopf. »Ich bitte alle hier, eines zu verstehen. Ich bin kein Experte. Ich habe nie einen Serienmord aufgeklärt. Zumindest nicht so, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Wir fanden damals sechs Tote und hatten innerhalb einer Stunde unseren Täter geschnappt. Das meine ich damit, wenn ich sage, er hat schlampig gearbeitet. Wir fanden Ellie Danzingers Leiche und nahmen uns gleich als Erstes den Typen vor, der sie belästigt hatte, bis sie eine Schutzanordnung gegen ihn erwirken konnte. Zufälligerweise war der Typ in den letzten Jahren auch noch Aushilfshausmeister in dem Auditorium, in dem wir die Leichen fanden. Wir fuhren zu ihm nach Hause und – bingo. Wir fanden alles vor, was wir brauchten, um ihn zu verklagen. Also verwechseln Sie mich bitte nicht mit jemandem, der weiß, wie man einen Serienkiller jagt. Burgos hinterließ einen breiten Trampelpfad, der uns direkt zu seiner Haustür führte. Unser jetziger Täter hinterlässt uns rein gar nichts.«
»Außer Nachrichten«, wirft jemand ein.
»Und die Mordwaffen. Aber das macht er mit Absicht«, erwidere ich. »Wir sollen eine Verbindung herstellen. Bloß bedeutet das noch lange nicht, dass er sich auch von uns schnappen lässt.«
McDermott fährt sich durchs Haar und knurrt: »Ich soll Sie fragen, ob Sie mit uns zusammenarbeiten wollen.«
Ich verkneife mir ein Grinsen. Seine Begeisterung hält sich definitiv in Grenzen. Er tut das nicht aus eigenem Antrieb. Dahinter steckt Carolyn Pendry. Der Commander ist nicht dumm, er weiß um die Vorteile einer starken Verbündeten beim Fernsehen. Also kriegt Carolyn, was sie verlangt.
»Wenn ich von Ihnen klare Antworten auf meine Fragen kriege«, sage ich.
Sein Lächeln wirkt gezwungen. »Was immer Sie wünschen, Herr Anwalt.« Er postiert sich in der Mitte des Raums. Das hier sind offensichtlich seine Detectives, obwohl ich nicht mitbekommen habe, dass er einen höheren Rang hat als sie. Er liest von einem Klemmbrett ab. »Kopecky, Collins. Ihr nehmt euch jeden Zeitungsartikel vor, an dem Evelyn Pendry in den letzten Jahren gearbeitet hat. Besonders die Strafsachen, aber auch sonst alles. Und sprecht mit ihren Kollegen bei der Watch. Versucht, rauszufinden, ob sie irgendjemand was von ihren Nachforschungen erzählt hat. Pittacora, Sie machen eine Liste sämtlicher Songs, die Torcher je rausgebracht hat. Besorgen Sie sich auch die Texte. Vielleicht finden Sie sie irgendwo im Internet.
Und da wir gerade beim Internet sind. Sloan und Koessl, ihr beiden schaut euch alle Websites über Terry Burgos an. Besonders die Chatrooms. Wenn euch irgendwas verdächtig vorkommt, holt ihr euch einen Durchsuchungsbefehl von Richter Ahlfors und besorgt euch die URLs. Wenn dieser Typ eine Schwäche für Burgos hat, hat er das hier und da vielleicht schon mal kundgetan.«
Einer der beiden, Koessl oder Sloan, der seinen Haaren offenbar sehr viel Aufmerksamkeit widmet, fragt mich: »Über wie viele Websites reden wir hier in etwa?«
»Schwer zu sagen. Dutzende möglicherweise.« Mir fällt etwas ein, und ich schnippe mit den Fingern. »Und es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn Sie sich auch gleich die Seiten vorknöpfen, die Tyler Skye und Torcher gewidmet sind. Immerhin hat er den Songtext geschrieben.«
»Gut.« McDermott nickt. »Achtet besonders auf sämtliche Querverweise zwischen Torcher und Burgos. Nehmt euch dafür so viele Leute wie nötig. Wir brauchen das schnell. Okay.« Er geht seine Liste durch. »Das betrifft auch euch beide, Ashley und Knape. Ihr geht zur Gefängnisverwaltung. Ich will, dass ihr jeden Brief lest, den Burgos im Knast gekriegt hat. Dazu braucht ihr definitiv ein paar Streifenbeamte. Stimmt euch mit Koessl und Sloan ab. Auch hier sind vor allem Querverbindungen von Interesse.«
»Die Heiratsanträge brauchen Sie nicht zu lesen«, füge ich hinzu und ernte einen Lacher. Nicht weniger als drei Frauen haben Burgos noch in der Todeszelle einen Antrag gemacht. Ich verstehe die Menschen einfach nicht. Oder vielleicht verstehe ich sie im Gegenteil nur zu gut.
»Saltzmann, Bax«, sagt McDermott. »Wir brauchen mehr Informationen über Fred Ciancio. Setzt euch mit diesem Wally Monk in Verbindung, von dem Riley gesprochen hat. Der Kerl von dem Sicherheitsunternehmen. Ich will wissen, wo Fred Ciancio damals gearbeitet hat. Treibt mir außerdem Ciancios Kollegen bei Bristol auf. Alle, die mal mit ihm gearbeitet, ein Bier getrunken oder auch nur einen seiner Fürze gerochen haben. Und knöpft euch besonders die vor, die zu der Zeit am Mansbury College Dienst hatten.
Williams und Covatta, ihr widmet euch ebenfalls Ciancio. Treibt seine Tochter auf. Redet mit den Nachbarn. Findet sein Schließfach. Alles, was einen Hinweis auf sein Geheimnis liefern könnte. Und kriegt raus, wer der Schlägertyp auf diesem Foto hier ist.« McDermott händigt einem der Cops ein Foto aus, das ich von hier aus nicht erkennen kann. »Ich will wissen, warum Ciancio eine Kopie dieses Fotos besaß.«
Ich recke den Hals, kann aber immer noch nichts sehen. »Powers und Peterson, Ciancio hat im Ensign Correctional gearbeitet. Ich will alles darüber wissen. Ob er ein guter Wärter war oder ein schlechter. Und nehmt einen Abzug von dem Foto mit.« Er reicht dem Beamten neben sich einen weiteren Abzug, der ihn weitergibt, ohne dass ich einen Blick darauf werfen kann. »Stellt fest, ob der Schlägertyp dort gesessen hat. Kinzler«, fügt er hinzu und legt das Klemmbrett beiseite. »Sie nehmen sich alle Entlassungen vor, besonders von Gewaltverbrechern.«
Kürzlich aus dem Gefängnis Entlassene zu überprüfen, ist ein guter Gedanke. Das könnte die sechzehnjährige Pause zwischen den Morden erklären.
»Und denken Sie auch an die psychiatrischen Kliniken«, ergänze ich.
McDermott zeigt auf Detectiv Kinzler, der sich daraufhin eine Notiz macht.
»Ja, könnte gut sein, dass er irgend so ein verdammter Psycho ist«, sagt Kinzler.
McDermott zuckt zusammen, als hätte ihm jemand ins Gesicht geschlagen. Im Raum herrscht für einen Moment Totenstille. Ich habe keine Ahnung, warum.
»Jann, Abrams und Beatty.« McDermott, dessen Gesicht eine rötliche Färbung angenommen hat, ist jetzt bei einer zweiten Liste. »Ihr geht noch mal an die Tatorte. Womöglich hat Evelyn Pendry mit Ciancios Nachbarn gesprochen. Wenn ja, will ich wissen, was sie gefragt hat.«
»Und lasst vorläufig nichts von all dem nach außen dringen«, sagt Stoletti. »Unsere Nachrichtenfrau«, sie deutet in die Richtung, wo sie Carolyn vermutet, »ist bereit, eine Zeit lang den Deckel draufzuhalten. Lange wird sie uns nicht geben. Aber so lange wie irgend möglich arbeiten wir unauffällig.«
»An die Arbeit«, sagt McDermott. »Wir treffen uns wieder um 17.00 Uhr. Und bringt mir Antworten.«
Die Gruppe erhebt sich, alle wirken hoch motiviert. Einer der Detectives, Kinzler, nähert sich McDermott, aber der winkt ab und klopft ihm auf die Schulter. Offenbar entschuldigt er sich wegen der »Psycho«-Bemerkung.
Während sich der Raum leert, berührt mich McDermott am Arm. »Wo würden Sie anfangen? Was rät Ihnen Ihr Instinkt?«
Ich denke kurz nach, und die Antwort stellt sich erstaunlich schnell ein.
»Der verrückte Professor«, sage ich. »Frankfort Albany. Cassies und Ellies Lehrer in dem Seminar über Gewalt und Frauen. Burgos’ ehemaliger Arbeitgeber.«
»Den übernehme ich«, sagt Stoletti.
»Ich würde gerne mitkommen«, schlage ich vor.
Stoletti schaut McDermott an, der das letzte Wort hat. An ihrem Blick kann ich ablesen, dass ihr als Beifahrer selbst ein dauerfurzender Kinderschänder lieber wäre.
»Keine schlechte Idee«, sagt McDermott. Obwohl auch er alles andere als begeistert scheint.
»Und was werden Sie tun?«, frage ich.
Er zupft an seinem Ohrläppchen und zieht dabei einen Mundwinkel hoch. »Ich werde mir Ihre Akte über Terry Burgos zu Gemüte führen«, sagt er.
In Gottes Namen
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