24.
Kapitel
Der Besprechungsraum des Reviers im Dritten Bezirk
ist bis auf den letzten Platz vollgestopft mit Detectives und
uniformierten Beamten. Vorne am Pult stehen die beiden Detectives
Ricki Stoletti und Mike McDermott. Es ist neun Uhr morgens. Alle
sind hellwach, der Energiepegel im Raum ist hoch.
Die Anwesenden studieren das vor ihnen liegende
Blatt, eine am Rand durchnummerierte Version der zweiten Strophe
von Tyler Skyes Song »Someone«.
1. An ice pick a nice trick praying that he
dies quick
2. A switchblade oughta be great for lobotomy
insane a call to me
3. Precision blade incisions made a closer
shave a bloody spray
4. Trim-Meter chain saw cheerleader’s brain’s
all paint on the stained wall
5. Machete in the head he isn’t ready to be
dead I can’t explain why I’m in pain, why I’m unable to refrain
from getting somebody’s brain
6. Ditchin’ life kitchen knife no more itch
and no more strife no more hate I passed the test
And on seventh day I rest
Ricki Stoletti ergreift das Wort. »Die erste Zeile
– ein Eispickel, ein netter Trick, er fleht darum, dass er
schnell stirbt. Das ist Ciancio. Ein Schnappmesser, denn
nichts ist besser für eine Lobotomie. Das ist Evelyn
Pendry.«
»Als Nächstes kommt also das Rasiermesser an die
Reihe«, bemerkt jemand hinten im Raum.
Ein weiterer Beamter am Konferenztisch wirft ein:
»Da müssen wir ja nur noch ermitteln, wer in den letzten zehn
Jahren ein Rasiermesser gekauft hat.« Er erntet ein paar Lacher,
trotzdem lässt die Spannung im Raum nicht nach, besonders nicht bei
McDermott. Ein weiterer Polizist hebt die Hand und nickt in meine
Richtung. »Hier steht: Und ruhe am siebten Tag.«
Ich nicke. »Der sechste Mord ist ein Selbstmord. Er
tötet sich selbst. Keine Schmerzen mehr. Keine Sorgen. Kein Hass.
Er hat es hinter sich. Am sechsten Tag tötet er sich selbst mit
einem Küchenmesser. Am siebten Tag ruht er sich aus. Offensichtlich
vergleicht er seine Taten mit denen Gottes bei der Erschaffung der
Welt.«
Eine Frau in den hinteren Reihen meldet sich. »Also
wird uns der Täter einen Gefallen tun und sich selbst aus dem
Verkehr ziehen?«
»Burgos hat das nicht getan.« Ich zucke mit den
Achseln.
»Auch in der ersten Strophe wird am Ende ein
Selbstmord gefordert, aber er hat sich nicht daran gehalten.«
»Und deshalb haben Sie ihn trotz seines Antrags auf
Schuldunfähigkeit drangekriegt«, wirft ein älterer Beamter ein.
»Weil er den Text nicht buchstabengetreu umgesetzt hat.«
Zehn Punkte für den Veteranen aus dem
Hintergrund.
»Und wenn er mit diesem Song durch ist«, witzelt
ein hünenhafter Cop an der Wand, »dann macht er vielleicht mit
diesem alten Randy-Newmann-Song weiter und fängt an, ›Short People‹
um die Ecke zu bringen.«
»Ja, vermutlich«, knurrt McDermott. »Wirklich
verdammt komisch.«
Der kleine Heiterkeitsausbruch im Raum verebbt
augenblicklich. Wenn McDermott das Wort ergreift, lauschen alle
aufmerksam.
McDermott blinzelt in den Raum. »Fangen wir mit dem
an, was wir wissen. Fakt ist, dass der Täter einen absolut
spurenfreien Tatort hinterlässt. Zwei Morde, aber keine
Fingerabdrücke oder sonstigen Indizien. Er überwältigt seine Opfer
und foltert sie. Er kontrolliert sie. Sein ganzes Vorgehen ist
perfekt geplant. Er dringt praktisch unsichtbar ein und
verschwindet genauso unbemerkt. Und seine Waffen lässt er am Tatort
zurück.«
Er lässt die Waffen zurück. Ein wichtiger Punkt.
Alles, was er tut, tut er mit Absicht.
Er will, dass wir im Bilde sind.
»Und dann Punkt vier in dem Paper vor euch«, fährt
McDermott fort. »Wir nehmen an, es handelt sich um denselben Kerl,
der Riley diese Briefe hier geschickt hat.«
Alle blättern zur letzten Seite um.
»Den ersten – Böses ertsteht neu - hat Riley
am Montag erhalten, vor zwei Tagen also.«
Böses ersteht neu. Öffentliche
Teilnahme ist gewiss. Er kennt Euer Rätseln Nähe einstiger
unvergessener Taten? Ihr Heiden, reuevoll erwartet bald Erhellung.
Inzwi schen Herr, ingrimmig lasst Fackelträger erscheinen.
»Der zweite kam dann gestern.«
Werde erleiden rächend das Ende.
Zuletzt werden Echos innigster Trauer erschüttert nachhallen.
Vernehmlich erschallen. Rührige Sendboten beständig ertragen neue
unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Eine innige Teilnahme
zeitigt unerschrockene, offenherzige Parteinahme; fordert eine
rührige Neugier, auch liebe vollen Betrug an niedergelegten
Ideen.
»Im ersten Brief«, schalte ich mich ein, »fragt
er, ob wir die neuen Morde mit Burgos in Verbindung bringen werden
– also mit einstigen, unvergessenen Taten. Und offensichtlich
werden wir bald eine Antwort von ihm erhalten.«
»Okay, und was ist mit dem zweiten?«, fragt
Stoletti.
Wir sind diese Zeilen bereits gemeinsam
durchgegangen. Ich bin letzte Nacht extra in mein Büro gefahren und
habe sie Stoletti und McDermott gezeigt.
»Ich habe keine Ahnung«, gebe ich zu und lese die
Nachricht selbst noch einmal durch. »Er wird bei seinen Verbrechen
das Leben lassen? Er wird uns eine Menge Ärger bereiten, aber
irgendwann wird auch er bezwungen?« Ich blicke zu McDermott
hinüber.
»Er redet von Verstehen, von Teilnahme«, sagt er.
»Es geht darum, die wahre Botschaft zu begreifen – was immer das in
seinen Augen auch sein mag. Richtig?«
»Man muss bereit sein, gegen Konventionen zu
verstoßen«, spekuliere ich. »Man muss über den Tellerrand schauen.
Echtes Verstehen erfordert neugieriges Infragestellen und einen
liebevollen Betrug, also eine freizügige Interpretion von scheinbar
festgeschriebenen Dingen.«
Keiner kommentiert meine Ausführungen. Falls
irgendjemand eine bessere Idee hat, rückt er zumindest nicht damit
heraus.
»Er verwendet mehrmals gleichbedeutende Worte wie
nachhallen und erschallen«, sagt Stoletti. »Das wirkt wie eine
unnötige Verdopplung. Echos werden nachhallen. Vernehmlich
erschallen.«
»Das wird ja eine richtige Grammatiklektion hier«,
bemerkt der Cop neben ihr.
Doch Stoletti ist nicht in der Stimmung für Späße.
»Ich will damit nur sagen, dass er seine Worte sehr sorgfältig
wählt. Seine Handschrift ist wie gestochen. Er hat das nicht eben
mal so hingeschmiert. Er hat sich Zeit gelassen. Hat jedes Wort
bewusst gesetzt. Rührige Sendboten beständig ertragen neue
unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Das erscheint auf
den ersten Blick wie gedankenloses Gefasel. Eigentlich braucht er
das Wort unaufhörlich nicht, da am Anfang bereits
beständig steht. Und auch die Dopplung von neu wirkt
stilistisch nicht sehr gekonnt. Ich weiß nicht, was es bedeutet,
aber es klingt merkwürdig.«
Sie hat recht. Das ist mir bisher gar nicht
aufgefallen. Die Handschrift ist makellos. Aber die Wortwahl und
der Satzbau wirken seltsam künstlich.
»Jeder von uns sollte sich ein paar Gedanken
darüber machen«, sagt McDermott. »Die Originale sind im Moment im
Labor. Abdrücke, Aminosäuren-Nachweis, das ganze Programm. Lasst
uns jetzt noch über Fred Ciancio reden.«
Letzte Nacht hat uns Carolyn mit Folgendem
überrascht: Als sie 1989 im Fernsehen über Terry Burgos berichtete,
erhielt sie den Anruf eines Mannes, der behauptete, Informationen
über Burgos zu besitzen. Der Mann wirkte verängstigt. Er
behauptete, es sei wichtig, schien sich aber unsicher, ob er es ihr
überhaupt mitteilen sollte. Schließlich legte er auf. Als
professionelle Reporterin verfolgte Carolyn den Anruf zurück zu
einem Haus. Es gehörte einem Mann namens Fred Ciancio.
Sie besuchte ihn dort, aber er weigerte sich, mit
ihr zu reden. Sie versuchte noch mehrfach, ihn zum Sprechen zu
bewegen, aber ohne Erfolg. Sie ließ seinen Hintergrund überprüfen,
auch das ohne Ergebnis. Und dann begann der Prozess, und die Sache
verlief im Sand.
»Wir haben also keine Ahnung, was Ciancio Carolyn
Pendry mitteilen wollte«, führt McDermott aus. »Wir wissen bloß,
dass er in den Sechzigern und Siebzigern Gefängniswärter war und
danach Wachmann, bis er vor zwei Jahren pensioniert wurde.«
»Außerdem wissen wir«, fügt Stoletti hinzu, »dass
er zwei Tage vor seinem Tod bei der Daily Watch
anrief.«
Vermutlich galt Ciancios Anruf bei der Watch
Carolyns Tochter Evelyn. Was immer Fred Ciancio Carolyn 1989
mitteilen wollte, jetzt hat er es womöglich ihrer Tochter Evelyn
anvertraut. Das würde auch erklären, warum Evelyn mich zum
Burgos-Fall befragen wollte. Außerdem würde es ihr großes Interesse
am Tatort des Ciancio-Mordes rechtfertigen, das McDermott
aufgefallen war.
Ich werfe einen Blick in die Papiere, die McDermott
ausgeteilt hat. Darunter befindet sich ein Blatt mit dem Songtext
und mehrere Blätter mit Informationen über die beiden Opfer Fred
Ciancio und Evelyn Pendry. Etwas an Ciancios Lebenslauf springt mir
ins Auge. »Wachmann bei Bristol Security Services,
1978-2003.«
Ich wusste bereits von McDermott, dass Ciancio
Wachmann gewesen war, aber nicht wo.
»Bristol«, sage ich. »Ciancio hat für Bristol
Security gearbeitet?«
»Ja.« Stoletti nickt. »Er war als Wachmann in einem
Einkaufszentrum in Wilshire tätig. Warum?«
Ich gehe ein weiteres Mal die Daten durch. Ciancio
hat bis 1978 im Ensign Correctional gearbeitet, einem
Hochsicherheitsgefängnis im Südwesten des Bezirks. Anschließend war
er fünfundzwanzig Jahre für Bristol tätig. »Bristol Security hatte
damals auch einen Vertrag mit dem Mansbury College«, sage
ich.
McDermott mustert mich kurz. »Hat das irgendeine
Rolle gespielt?«
Bristol Security half uns damals, den Campus nach
weiteren Leichen abzusuchen. Offensichtlich war die
Sicherheitsfirma ziemlich betroffen, weil die Morde quasi vor den
Augen ihrer Leute geschehen waren. Ich glaube, Mansbury kündigte
ihren Vertrag unmittelbar nach dem Leichenfund. Als wäre es
ihr Fehler gewesen. Ich sehe keinen echten Zusammenhang und
schüttele den Kopf.
»Bristol Security ist eine Riesenfirma«, füge ich
hinzu. »Vermutlich haben sie hunderte von Verträgen im ganzen Land.
Könnte nur ein Zufall gewesen sein.«
McDermott nickt knapp. »Glauben Sie das wirklich?
Bloßer Zufall?«
Ich zucke mit den Achseln. »Wally Monk war damals
der zuständige Sicherheitschef in Mansbury«, erkläre ich ihm.
»Rufen Sie ihn an. Fragen Sie ihn, ob er Ciancio kennt. Ich nehme
an, er ist pensioniert, aber sie werden ihn sicher irgendwo
auftreiben.«
Stoletti macht sich eine Notiz und lässt sich den
Namen von mir buchstabieren.
»Also«, fragt sie, »haben wir es hier mit einem
Nachahmungstäter zu tun?«
Sofort löst sich die allgemeine Spannung im Raum.
Sie hat ausgesprochen, was jeder vermutet.
Ich war nie ein großer Fan der
Nachahmungstäter-Theorie. Entweder trachten Serienkiller nach
Berühmtheit – und warum sollten sie dann als bloßer Nachahmer eines
anderen Mörders in die Geschichte eingehen wollen – oder sie sind
massiv gestört und haben ihre ganz eigenen Probleme und
Vorgehensweisen.
Dennoch haben wir es hier mit zwei Morden zu tun,
die sich eindeutig an der zweiten Strophe orientieren. Und dann ist
da noch der Schriftzug auf dem Badezimmerspiegel – Ich bin nicht
der Einzige.
»Warum ausgerechnet jetzt?«, frage ich. »Warum
sechzehn Jahre später?«
Natürlich weiß niemand darauf eine Antwort. Zum
Teufel, sie schauen mich an, als müsste ich gleich damit
rausrücken.
»Und warum«, fügt Stoletti hinzu, »sterben
ausgerechnet jetzt weitere Menschen, die auf irgendeine Weise mit
den Morden in Verbindung stehen?«
Auch das kann niemand beantworten.
Eine Beamtin, die auf einem Tisch hockt, die Füße
auf ihrem Stuhl, wendet sich an mich. »Waren Burgos’ Opfer zufällig
ausgewählt?«
Ich erkläre ihr, dass Burgos immer darauf bestanden
hat, sie wären es nicht. Jeder der Ermordeten konnte er eine ganz
bestimmte Sünde zuweisen. »Und ich glaube auch nicht, dass die
Opfer hier und heute zufällig sind.«
McDermott schüttelt den Kopf, was in dem Fall aber
bedeutet, dass er mir recht gibt. Gestern Nacht sind wir beide zu
dem gleichen Schluss gekommen – die Verbindungen sind zu
offensichtlich, um rein zufällig zu sein. Evelyn Pendry tauchte am
Ciancio-Tatort auf, unverkennbar äußerst besorgt. Aus den
Unterlagen der Telefongesellschaft wissen wir, dass Ciancio kurz
vor seinem Tod bei Evelyn anrief. Dann war da mein Gespräch mit
ihr, bei dem sie vorgab, einen Artikel über Senator Almundo
schreiben zu wollen, während sie in Wahrheit am Fall Burgos
arbeitete.
Wenn ich mich recht erinnere, war sie besonders an
der Frage interessiert, warum mich Harland Bentley gleich nach der
Verurteilung des Mörders seiner Tochter eingestellt hatte.
»Erinnern Sie die aktuellen Morde nicht ganz
konkret an den Burgos-Fall?«, fragt ein Cop. Ein kräftiger Ire. Ich
glaube, es sind so ziemlich alles Iren hier. Muss im
Gewerkschaftsvertrag stehen.
Ich verziehe das Gesicht. Die Antwort ist: nicht
wirklich. »Burgos war sehr unvorsichtig. Er brachte seine Opfer mit
in sein Haus. Er hatte ungeschützten Sex mit ihnen, ließ seine
Körperflüssigkeiten in ihnen zurück. Überall in seinem Haus waren
Spuren der Frauen verstreut. Und im Keller des Auditoriums
hinterließ er jede Menge Fingerabdrücke. Unser momentaner Mörder
hingegen hat zwei perfekte Verbrechen begangen. Ohne auch nur die
geringsten Spuren zu hinterlassen, kam und verschwand er wieder; er
hatte jederzeit die absolute Kontrolle über seine Opfer wie auch
über die Umstände der Tat. Auf mich macht er den Eindruck eines
Profis. Burgos hingegen war ganz sicher kein Profi. So viel dazu.
Ansonsten kann ich Ihnen wenig über den neuen Täter sagen.«
»Und das, obwohl Sie unser Experte für Serienkiller
sind«, sagt Stoletti.
Ich schüttle den Kopf. »Ich bitte alle hier, eines
zu verstehen. Ich bin kein Experte. Ich habe nie einen Serienmord
aufgeklärt. Zumindest nicht so, wie Sie sich das vielleicht
vorstellen. Wir fanden damals sechs Tote und hatten innerhalb einer
Stunde unseren Täter geschnappt. Das meine ich damit, wenn ich
sage, er hat schlampig gearbeitet. Wir fanden Ellie Danzingers
Leiche und nahmen uns gleich als Erstes den Typen vor, der sie
belästigt hatte, bis sie eine Schutzanordnung gegen ihn erwirken
konnte. Zufälligerweise war der Typ in den letzten Jahren auch noch
Aushilfshausmeister in dem Auditorium, in dem wir die Leichen
fanden. Wir fuhren zu ihm nach Hause und – bingo. Wir fanden alles
vor, was wir brauchten, um ihn zu verklagen. Also verwechseln Sie
mich bitte nicht mit jemandem, der weiß, wie man einen Serienkiller
jagt. Burgos hinterließ einen breiten Trampelpfad, der uns direkt
zu seiner Haustür führte. Unser jetziger Täter hinterlässt uns rein
gar nichts.«
»Außer Nachrichten«, wirft jemand ein.
»Und die Mordwaffen. Aber das macht er mit
Absicht«, erwidere ich. »Wir sollen eine Verbindung herstellen.
Bloß bedeutet das noch lange nicht, dass er sich auch von uns
schnappen lässt.«
McDermott fährt sich durchs Haar und knurrt: »Ich
soll Sie fragen, ob Sie mit uns zusammenarbeiten wollen.«
Ich verkneife mir ein Grinsen. Seine Begeisterung
hält sich definitiv in Grenzen. Er tut das nicht aus eigenem
Antrieb. Dahinter steckt Carolyn Pendry. Der Commander ist nicht
dumm, er weiß um die Vorteile einer starken Verbündeten beim
Fernsehen. Also kriegt Carolyn, was sie verlangt.
»Wenn ich von Ihnen klare Antworten auf meine
Fragen kriege«, sage ich.
Sein Lächeln wirkt gezwungen. »Was immer Sie
wünschen, Herr Anwalt.« Er postiert sich in der Mitte des Raums.
Das hier sind offensichtlich seine Detectives, obwohl ich nicht
mitbekommen habe, dass er einen höheren Rang hat als sie. Er liest
von einem Klemmbrett ab. »Kopecky, Collins. Ihr nehmt euch jeden
Zeitungsartikel vor, an dem Evelyn Pendry in den letzten Jahren
gearbeitet hat. Besonders die Strafsachen, aber auch sonst alles.
Und sprecht mit ihren Kollegen bei der Watch. Versucht,
rauszufinden, ob sie irgendjemand was von ihren Nachforschungen
erzählt hat. Pittacora, Sie machen eine Liste sämtlicher Songs, die
Torcher je rausgebracht hat. Besorgen Sie sich auch die Texte.
Vielleicht finden Sie sie irgendwo im Internet.
Und da wir gerade beim Internet sind. Sloan und
Koessl, ihr beiden schaut euch alle Websites über Terry Burgos an.
Besonders die Chatrooms. Wenn euch irgendwas verdächtig vorkommt,
holt ihr euch einen Durchsuchungsbefehl von Richter Ahlfors und
besorgt euch die URLs. Wenn dieser Typ eine Schwäche für Burgos
hat, hat er das hier und da vielleicht schon mal kundgetan.«
Einer der beiden, Koessl oder Sloan, der seinen
Haaren offenbar sehr viel Aufmerksamkeit widmet, fragt mich: Ȇber
wie viele Websites reden wir hier in etwa?«
»Schwer zu sagen. Dutzende möglicherweise.« Mir
fällt etwas ein, und ich schnippe mit den Fingern. »Und es wäre
vielleicht nicht schlecht, wenn Sie sich auch gleich die Seiten
vorknöpfen, die Tyler Skye und Torcher gewidmet sind. Immerhin hat
er den Songtext geschrieben.«
»Gut.« McDermott nickt. »Achtet besonders auf
sämtliche Querverweise zwischen Torcher und Burgos. Nehmt euch
dafür so viele Leute wie nötig. Wir brauchen das schnell. Okay.« Er
geht seine Liste durch. »Das betrifft auch euch beide, Ashley und
Knape. Ihr geht zur Gefängnisverwaltung. Ich will, dass ihr jeden
Brief lest, den Burgos im Knast gekriegt hat. Dazu braucht ihr
definitiv ein paar Streifenbeamte. Stimmt euch mit Koessl und Sloan
ab. Auch hier sind vor allem Querverbindungen von Interesse.«
»Die Heiratsanträge brauchen Sie nicht zu lesen«,
füge ich hinzu und ernte einen Lacher. Nicht weniger als drei
Frauen haben Burgos noch in der Todeszelle einen Antrag gemacht.
Ich verstehe die Menschen einfach nicht. Oder vielleicht verstehe
ich sie im Gegenteil nur zu gut.
»Saltzmann, Bax«, sagt McDermott. »Wir brauchen
mehr Informationen über Fred Ciancio. Setzt euch mit diesem Wally
Monk in Verbindung, von dem Riley gesprochen hat. Der Kerl von dem
Sicherheitsunternehmen. Ich will wissen, wo Fred Ciancio damals
gearbeitet hat. Treibt mir außerdem Ciancios Kollegen bei Bristol
auf. Alle, die mal mit ihm gearbeitet, ein Bier getrunken oder auch
nur einen seiner Fürze gerochen haben. Und knöpft euch besonders
die vor, die zu der Zeit am Mansbury College Dienst hatten.
Williams und Covatta, ihr widmet euch ebenfalls
Ciancio. Treibt seine Tochter auf. Redet mit den Nachbarn. Findet
sein Schließfach. Alles, was einen Hinweis auf sein Geheimnis
liefern könnte. Und kriegt raus, wer der Schlägertyp auf diesem
Foto hier ist.« McDermott händigt einem der Cops ein Foto aus, das
ich von hier aus nicht erkennen kann. »Ich will wissen, warum
Ciancio eine Kopie dieses Fotos besaß.«
Ich recke den Hals, kann aber immer noch nichts
sehen. »Powers und Peterson, Ciancio hat im Ensign Correctional
gearbeitet. Ich will alles darüber wissen. Ob er ein guter Wärter
war oder ein schlechter. Und nehmt einen Abzug von dem Foto mit.«
Er reicht dem Beamten neben sich einen weiteren Abzug, der ihn
weitergibt, ohne dass ich einen Blick darauf werfen kann. »Stellt
fest, ob der Schlägertyp dort gesessen hat. Kinzler«, fügt er hinzu
und legt das Klemmbrett beiseite. »Sie nehmen sich alle
Entlassungen vor, besonders von Gewaltverbrechern.«
Kürzlich aus dem Gefängnis Entlassene zu
überprüfen, ist ein guter Gedanke. Das könnte die sechzehnjährige
Pause zwischen den Morden erklären.
»Und denken Sie auch an die psychiatrischen
Kliniken«, ergänze ich.
McDermott zeigt auf Detectiv Kinzler, der sich
daraufhin eine Notiz macht.
»Ja, könnte gut sein, dass er irgend so ein
verdammter Psycho ist«, sagt Kinzler.
McDermott zuckt zusammen, als hätte ihm jemand ins
Gesicht geschlagen. Im Raum herrscht für einen Moment Totenstille.
Ich habe keine Ahnung, warum.
»Jann, Abrams und Beatty.« McDermott, dessen
Gesicht eine rötliche Färbung angenommen hat, ist jetzt bei einer
zweiten Liste. »Ihr geht noch mal an die Tatorte. Womöglich hat
Evelyn Pendry mit Ciancios Nachbarn gesprochen. Wenn ja, will ich
wissen, was sie gefragt hat.«
»Und lasst vorläufig nichts von all dem nach außen
dringen«, sagt Stoletti. »Unsere Nachrichtenfrau«, sie deutet in
die Richtung, wo sie Carolyn vermutet, »ist bereit, eine Zeit lang
den Deckel draufzuhalten. Lange wird sie uns nicht geben. Aber so
lange wie irgend möglich arbeiten wir unauffällig.«
»An die Arbeit«, sagt McDermott. »Wir treffen uns
wieder um 17.00 Uhr. Und bringt mir Antworten.«
Die Gruppe erhebt sich, alle wirken hoch motiviert.
Einer der Detectives, Kinzler, nähert sich McDermott, aber der
winkt ab und klopft ihm auf die Schulter. Offenbar entschuldigt er
sich wegen der »Psycho«-Bemerkung.
Während sich der Raum leert, berührt mich McDermott
am Arm. »Wo würden Sie anfangen? Was rät Ihnen Ihr Instinkt?«
Ich denke kurz nach, und die Antwort stellt sich
erstaunlich schnell ein.
»Der verrückte Professor«, sage ich. »Frankfort
Albany. Cassies und Ellies Lehrer in dem Seminar über Gewalt und
Frauen. Burgos’ ehemaliger Arbeitgeber.«
»Den übernehme ich«, sagt Stoletti.
»Ich würde gerne mitkommen«, schlage ich vor.
Stoletti schaut McDermott an, der das letzte Wort
hat. An ihrem Blick kann ich ablesen, dass ihr als Beifahrer selbst
ein dauerfurzender Kinderschänder lieber wäre.
»Keine schlechte Idee«, sagt McDermott. Obwohl auch
er alles andere als begeistert scheint.
»Und was werden Sie tun?«, frage ich.
Er zupft an seinem Ohrläppchen und zieht dabei
einen Mundwinkel hoch. »Ich werde mir Ihre Akte über Terry Burgos
zu Gemüte führen«, sagt er.