20.
Kapitel
Shelly steht mir gegenüber im Aufzug. Ich lehne
mit dem Rücken an einer Kabinenwand, sie an der anderen, zwischen
uns ein älteres, gut gekleidetes Paar, typische verwöhnte Gäste des
Dunstworth Hotels. Unsere Blicke begegnen sich, aber wir spielen
ein Spielchen, wir tun so, als würden wir uns nicht kennen. Mein
Körper befindet sich in hellem Aufruhr, Adrenalin befeuert meine
Lebensgeister. Die Kopfschmerzen sind plötzlich wie
weggeblasen.
Sie steigt vor mir aus, geht zur Suite und schiebt
die Karte in den Schlitz. Sie öffnet die Tür, aber ich verharre
draußen, während sie eintritt und sich mir zuwendet.
Ihre gespannten Kiefermuskeln könnten auf Verlangen
hindeuten, auf mühsam gezügelte Begierde, aber ich spüre auch eine
gewisse Unentschlossenheit, ja, eine innere Zerrissenheit, die mich
zögern lässt.
Sie beginnt ihre Bluse aufzuknöpfen. Ich mache
einen Schritt in den Raum hinein, dann scheinen meine Füße
plötzlich am Boden festzufrieren. Mein Blick huscht über die
luxuriöse Einrichtung, ich atme ihren Duft ein, der sich mit dem
aseptischen Geruch des frisch gereinigten Zimmers mischt.
»Was tun wir hier?«, frage ich.
Sie schüttelt den Kopf, entkleidet sich weiter,
ihre Bluse öffnet sich, gibt den Blick auf die bleiche,
sommersprossige Haut und den lavendelfarbenen BH frei. Sie weiß es
auch nicht.
Vielleicht ist es das, was ich sehen wollte, nur
diesen winzigen Riss in ihrem Panzer. Ich bewege mich auf sie zu,
während sie zurückweicht und ihre Pumps wegkickt. Ihre Hose gleitet
zu Boden. Sie überlässt mir den Rest. Ich öffne ihren BH, und mein
Mund berührt ihren Hals, als ich sie aufs Bett lege. Ihre Haut
schmeckt salzig und duftet nach Früchten. Ich lasse meine Zunge
über ihre Rippen wandern und schiebe sie in ihren Nabel. Ich
ignoriere die Qualen in meinem Herzen, das Wissen darum, dass mein
Verlangen heftiger ist als ihres.
Wir sind beide zurückhaltend, tasten uns langsam an
die Grenzen der Intimität heran. Es ist eine Achterbahnfahrt der
Gefühle, bis sie mich schließlich in sich spürt und ein leises
Stöhnen von sich gibt. Ich suche ihren Blick, aber sie wendet sich
ab. Ihr Körper gibt sich mir unterdessen hin, sie überlässt mir die
Führung. Ich fahre mit dem Finger über ihr Gesicht. Sie schließt
die Augen, ich kann ihren Ausdruck nicht deuten. Als ich sie auf
den Mund küsse, schmecke ich ihren Lippenstift, aber ihre Lippen
bleiben geschlossen.
Ich weiß, es ist nicht richtig, ich offeriere
etwas, und sie nimmt es nicht an – trotzdem mache ich weiter. Ich
packe sie fest bei den Haaren und steigere das Tempo, wie sie
schließe ich endlich die Augen und flüchte mich in etwas weit
Entferntes, etwas Wütendes, und halte am Ende den Atem an.
Ich ziehe mich augenblicklich zurück, schlüpfe in
meine Hose und trete an Shelly vorbei zum Fenster, das hinaus auf
die Straße zeigt. Die Gehsteige sind voller Menschen, die ihre
Mittagspause und das Wetter genießen.
»Das war schön«, sagt sie. »Ich …«
Ich knöpfe mein Hemd zu und starre mein unscharfes
Spiegelbild in der Fensterscheibe an. Ich spüre, wie sie sich von
hinten nähert, ihre Hand auf meiner Schulter, ihr Kinn, das sich
sanft zwischen meine Schulterblätter gräbt.
Sie führt den Satz nicht zu Ende, und ich helfe ihr
auch nicht dabei. Dieser unvollständige Satz bringt unsere
Beziehung auf den Punkt.
»Es war nicht schön«, sage ich. »Es hat sich
angefühlt wie eine Gefälligkeit.«
Ihre Finger streichen über meinen Rücken. »Ich
möchte, dass es zwischen uns funktioniert.«
Ich schließe die Augen, lehne die Stirn ans Glas.
Mein Herz hämmert gegen die Rippen, und meine Knie drohen
nachzugeben. »Aber?«, sage ich.
»Aber wir müssen es langsam angehen.«
»Ich habe immer gesagt, langsam ist okay.«
»Nein, Paul.« Sie lacht leise. »Du bist aus deinem
Apartment in ein stattliches Einfamilienhaus gezogen. Und dieser
Spaziergang, der ganz zufällig vor einem Juwelierladen endete?
Erinnerst du dich?«
Auch ich muss lachen, und plötzlich fallen zwei
Monate quälender Spannung von mir ab. Sie schmiegt sich in meine
Arme, als wäre sie nie fort gewesen. Ich nehme den vertrauten
Geruch ihres Haares wahr, die Form ihres Kopfes, und fühle mich ihr
erneut ausgeliefert – wund, verletzlich, fasziniert und
überwältigt.
Paul Riley und Shelly Trotter verabschieden sich
vor dem Dunstworth Hotel, lösen einfach ihre ineinander
verflochtenen Hände, ohne Kuss.
Shelly Trotter steigt in ein Taxi, Riley blickt
ihr nach, mit leuchtenden Augen. Ja, sie sind gut sichtbar, Rileys
Gefühle für diese Frau.
Fein. Das könnte hilfreich sein.
Leo zieht die Baseballkappe tief ins Gesicht und
läuft los. Es wird Zeit, sich auf den Abend vorzubereiten.