6.
Kapitel
19.45 Uhr
Als Riley sich Ellie Danzingers außerhalb des
Campus gelegenes Apartment vornahm, hatten die Kriminaltechniker
ihre Arbeit bereits erledigt. Er verschaffte sich gerne selbst
einen Eindruck aller relevanten Schauplätze, zumal alles dafür
sprach, dass Terry Burgos in diesem Apartment seine erste Tat
verübt hatte.
Das Apartment war luxuriös ausgestattet, allerdings
hatte Ellie es Rileys Informationen zufolge bereits fertig möbliert
übernommen, was für eine nur semesterweise hier lebende Studentin
sicher sinnvoll war. Der kleine Komplex bestand aus insgesamt vier
zweistöckigen Apartments, die auf einen rechteckigen Innenhof
führten.
Es gab keinerlei Hinweise auf ein gewaltsames
Eindringen. Das Fenster zur Straße hin war verschlossen. Natürlich
war nicht vollständig auszuschließen, dass Burgos im Schutz der
Abenddämmerung durch das Fenster eingestiegen war, doch schien es
eher unwahrscheinlich – auf den Fenstergriffen und Bänken ruhte
eine dichte, unberührte Staubschicht. Das Erdgeschoss bestand aus
Wohnzimmer, Schlafzimmer, einer Toilette und der Küche. Alles
unauffällig. Keine Spuren von Blut.
»Er hat sich oben mit ihr vergnügt«, informierte
ihn Lightner. Sie stiegen die mit Teppich verkleideten
Treppenstufen hinauf zu einem großen Wohnraum und dem
Hauptschlafzimmer. Das Obergeschoss wirkte bewohnter, es gab eine
Stereoanlage und einen Fernseher sowie eine kleine Küchenzeile, die
aber wohl eher als Bar genutzt worden war. Lightner zeigte auf die
Geschirrspülmaschine. »Die war voll. Das Geschirr darin war
sauber.«
Also keine Fingerabdrücke auf den Gläsern. Aber das
hätte wahrscheinlich ohnehin zu nichts geführt. Kaum anzunehmen,
dass Ellie Danzinger Terry Burgos auf einen Drink zu sich
hereingebeten hatte.
Riley ging langsam hinüber ins Schlafzimmer. Das
Bett war zerwühlt. Die Tagesdecke ballte sich als Haufen am
Fußende. An der Wand und auf dem Bettzeug waren Blutspritzer, aber
nicht viele. Links vom Bett jedoch war eine beachtliche Blutlache
tief in die Teppichfasern eingesickert.
»Der Gerichtsmediziner geht davon aus, dass sie auf
dem Bett gestorben ist«, erklärte Lightner. »Er hat sie auf den
Kopf geschlagen, und dann ist sie hier verblutet.«
Er zeigte auf den Blutfleck. Ȇber anderthalb Liter
Blut hat sie verloren.«
Lightner trat vorsichtig näher ans Bett. »Ellie
muss auf dem Bett gelegen haben, das Gesicht nach oben, meint der
Rechtsmediziner. Ihr Kopf ragte dabei seitlich aus dem Bett. Das
ist die einzige Erklärung.«
»Warum ist das die einzige Erklärung?«
»Die Menge von Blut«, erwiderte Lightner. »Außer
dem rausgerissenen Herz – und das hat er, wie wir wissen, erst bei
sich zu Hause gemacht – hat sie nur einen einzigen Schlag auf den
Kopf erhalten. Das war zwar ein heftiger Schlag, aber trotzdem
würde eine Platzwunde normalerweise nie so stark bluten. Die
Schwerkraft hat also eine Rolle gespielt. Ihr Kopf hing tiefer als
der Rest des Körpers.«
Okay. Das leuchtete Riley ein. »Und hat das eine
Bedeutung für den Fall?«
Lightner zuckte mit den Achseln. »Um so viel Blut
zu verlieren, muss Ellie mindestens für eine Stunde dort gelegen
haben. Der Gerichtsmediziner sagt, so lange dauert es mindestens,
bis diese Menge an Blut ausgetreten ist.«
Riley dachte nach. »Also hat er sie nicht gleich
weggeschafft. Er hat wenigstens eine Stunde gewartet.
Worauf?«
»Vielleicht auf die Dunkelheit«, mutmaßte
Lightner.
»Aber sie war schon im Bett.« Riley schüttelte den
Kopf. »Also war es offensichtlich Nacht.«
»Kann sein. Keine Ahnung.« Lightner wirkte müde. Es
war für sie alle ein langer Tag gewesen.
»Vielleicht hatte er in der Zeit Geschlechtsverkehr
mit ihr«, schlug Riley vor. »Immerhin ist es ein Bett.« Das würde
auch passen. Der Geschlechtverkehr wurde dem Obduktionsbericht
zufolge eindeutig post mortem vollzogen.
Durchaus eine Möglichkeit. Doch Lightner konnte das
nicht definitiv bestätigen. Niemand konnte im Moment etwas
Definitives sagen.
»Hat man diesen Professor schon aufgespürt?«,
fragte Riley. »Der Kerl, der Burgos beschäftigt hat?«
»Albany«, sagte Lightner. »Wir suchen noch nach
ihm.« Er klopfte Riley auf die Schulter. Es war Zeit, ins Revier
zurückzukehren. Keiner von ihnen rechnete damit, allzu bald nach
Hause zu kommen.