42.
Kapitel
McDermott kommt mit riesigen Schritten ins Revier
gehastet. Powers tritt auf ihn zu. »Die Durchsuchungsbefehle liegen
auf deinem Schreibtisch. Albany wird jede Minute eintreffen.«
McDermott wirft einen kurzen Blick auf das Display
seines Handys und hört Rileys Nachricht ab.
»Harland Bentley werden wir auch noch auftreiben.
Übrigens – kann es sein, dass da eine Dame von der Regierung auf
dich wartet?« Er deutet auf McDermotts Schreibtisch. »Diese Frau
hat ein echt loses Mundwerk.«
McDermott erlaubt sich ein kleines Lächeln. Eine
zutreffende Beobachtung.
»Hey, Mickey.« Special Agent Jane McCoy erhebt sich
aus ihrem Stuhl und zwinkert ihm zu.
»Mickey?«
»Ist mein neuer Spitzname für dich.«
»Ist dir Blödmann zu langweilig geworden?
Wie läuft’s denn so bei der Terrorabwehr?«
»Das Geschäft brummt. Können wir irgendwo in Ruhe
sprechen?«
Normalerweise haben Cops und FBI nicht viel
füreinander übrig. Aber vor ein paar Jahren, als McDermott frisch
im Dienst war und McCoy für die Rauschgiftbehörde arbeitete, waren
sie beide an der Verhaftung einer West-Side-Straßengang
beteiligt.
Inzwischen ist McCoy bei der Terrorabwehr gelandet.
Da McDermott sonst niemanden beim FBI kennt, und sie eng mit der
Emigrationsbehörde zusammenarbeitet, hat er sie angerufen.
Sie gehen in den Konferenzraum, den McDermott für
sich mit Beschlag belegt hat und der überquillt von Materialien
über den Fall Burgos. McCoy, der so schnell nichts entgeht,
verkneift sich ausnahmsweise einen Kommentar.
Sie wirft eine Akte auf den Tisch. »Das ist eine
Geheimakte über Leonid Koslenko. Sie ist an sich nicht für deine
Augen bestimmt. Kopier dir, was du brauchst, und gib mir alles
zurück.«
McDermott langt nach dem braunen Umschlag und
nickt. »Danke, Jane.«
»Der für Koslenko zuständige Mann in der
Emigrationsbehörde wurde vor zehn Jahren pensioniert. Danach fiel
der Bursche unter allgemeine Zuständigkeit.«
McDermott schüttelt fragend den Kopf. Er hatte
keine Ahnung, wovon sie spricht.
»Das bedeutet«, erläutert McCoy, »er war über zehn
Jahre im Land, ohne sich was zuschulden kommen zu lassen, und hat
daher keinen speziellen Aufpasser mehr. Besteht irgendein Anlass,
jetzt ein Auge auf ihn zu werfen?«
»Ich denke, ein solcher Anlass ist in der Tat
gegeben.« Er lächelt sie an.
»Jetzt redest du wie einer vom FBI, Mickey. Du
machst mir Angst.« Sie schiebt sich das lockige Haar hinter die
Ohren und lässt ihren Blick einen Moment zu lange auf ihm ruhen.
Dann blinzelt sie und wird wieder ernst. »Leonid Koslenko wurde
1967 geboren und wuchs in einer reichen Leningrader Familie auf.
1982, als er fünfzehn war, schickte man ihn in eine Anstalt in
Lefortovo. So ziemlich genau zwei Jahre später wurde er wieder
entlassen.«
»Eine Anstalt? Du meinst ein Irrenhaus?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Irrenhaus, Zuchthaus –
das war in der Sowjetunion nicht so genau zu unterscheiden. Aber in
den Unterlagen ist von einer Geisteskrankheit die Rede.«
»Verstehe. Und nach zwei Jahren wurde er wieder
entlassen?« Er richtet sich auf. »Etwa weil er geheilt war?«
Sie bemerkt die Ironie in seinen Worten und
erwidert mit einem Grinsen in den Mundwinkeln: »Man hat bei ihm
eine schleichende paranoide Schizophrenie
diagnostiziert.«
»Und was bedeutet das?«
»Gar nichts. Damals haben die Sowjets alle
weggesperrt, die sie von der übrigen Bevölkerung fernhalten wollten
– politische Dissidenten, Christen, was auch immer. Aber sie haben
sie nicht in Zuchthäuser gesteckt. Sondern in die
Klapsmühle.«
Er zuckt zusammen. Früher hat er sich auch so
ausgedrückt.
»Sie haben lächerliche Diagnosen wie
schleichende Schizophrenie benutzt. Die Leute verschwanden
für Jahre von der Bildfläche.«
Das mag durchaus sein. Allerdings haben auch die
amerikanischen Ärzte bei Koslenko eine paranoide Schizophrenie
diagnostiziert. Das teilt er McCoy mit.
Sie zuckt mit den Achseln. »Vielleicht gehörte er
wirklich dorthin. Trotzdem floh er 1986 aus der Sowjetunion und
stellte einen Einwanderungsantrag für die USA. Seine Eltern halfen
ihm dabei. Und er hatte einen guten Vorwand. Er gab an, er sei
wegen seiner politischen und religiösen Überzeugungen verfolgt
worden und habe deshalb in Lefortovo eingesessen. Und seine teueren
Anwälte überzeugten unsere Regierung davon, dass er die Wahrheit
sagt. Aber jetzt kommt der eigentliche Knüller: Du errätst nicht,
wer ihm in den Staaten half.«
Er braucht nicht zu raten. Doch warum sollte er ihr
den Spaß verderben?
»Harland Bentley«, verkündet sie. »Der
Harland Bentley. Und seine Frau Natalia.«
Er nickt.
»Offensichtlich keine große Neuigkeit für dich«,
schlussfolgert sie.
»Der Teil nicht, nein. Also, Jane, er wurde 1982 in
die Anstalt gesteckt. 1984 kam er wieder raus. Er verließ 1986 die
Sowjetunion und reiste nach Amerika.«
Sie schweigt.
»Was ist in diesen beiden Jahren passiert? Zwischen
84 und 86?«
Sie lächelt, aber nur für einen kurzen Moment. »Das
ist der Grund, warum sie dir so ein fettes Gehalt zahlen, Mike.«
Sie beugt sich vor und legt die Hand auf die Akte, die sie ihm
gegeben hat. »Und der Grund, warum diese Akte eigentlich streng
geheim ist.«
Nach dem Gespräch mit Gwendolyn kehre ich ins Büro
zurück. McDermott hat sich immer noch nicht gemeldet. Also wende
ich mich erneut den auf dem Schreibtisch ausgebreiteten Briefen zu.
Über ein Dutzend Mal habe ich sie in den vergangenen Tagen gelesen,
trotzdem bin ich mir sicher, irgendwas übersehen zu haben.
Der erste:
Böses ersteht neu. Öffentliche
Teilnahme ist gewiss. Er kennt Euer Rätseln Nähe einstiger
unvergessener Taten? Ihr Heiden, reuevoll erwartet bald Erhellung.
Inzwi schen Herr, ingrimmig lasst Fackelträger erscheinen.
Der zweite:
Werde erleiden rächend das Ende.
Zuletzt werden Echos innigster Trauer erschüttert nachhallen.
Vernehmlich erschallen. Rührige Sendboten beständig ertragen neue
unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck. Eine innige Teilnahme
zeitigt unerschrockene, offenherzige Parteinahme; fordert eine
rührige Neugier, auch liebe vollen Betrug an niedergelegten
Ideen.
Der dritte:
Aufs Neue den erzürnten Rächer ehrt.
Wehe, Ihr Sün der, sehet Euer nachwirkendes Unrecht. Mit unserem
neuerlichen Strafgericht ersteht Recht. Gerechtes, em pörtes
Handeln entlarvt in moralischen Niederungen irrende
Sittenlose.
Der erste Brief ergibt noch halbwegs einen Sinn.
Es geht um die Verbindung zwischen seinen Verbrechen und den Morden
von Terry Burgos. Auch der dritte wirkt nicht völlig abwegig.
Gerechtes, empörtes Handeln entlarvt in moralischen Niederungen
irrende Sittenlose. In moralischen Niederungen irrende
Sittenlose? Das klingt gestelzt, unnatürlich.
Je länger ich darüber nachdenke, desto
einleuchtender erscheint mir Stolettis Bemerkung zu der zweiten
Nachricht. Die Wortwahl ist merkwürdig. Einiges davon erscheint wie
blanker Unsinn.
Zuletzt werden Echos innigster Trauer
erschüttert nachhallen. Vernehmlich erschallen.
Rührige Sendboten beständig ertragen neue
unaufhörliche Torturen zu einem neuen Zweck.
Warum wiederholt er mehrfach gleichbedeutende
Worte? Und warum fügt er in einen Satz die überflüssigen Worte
neu und unaufhörlich ein?
Vielleicht sind diese Nachrichten gar nicht im
wörtlichen Sinn zu verstehen. Wir sind die ganze Zeit davon
ausgegangen, dass ein Nachahmer von Burgos’ Taten ebenso
geisteskrank sein muss wie er selbst, getrieben von einem
krankhaften religiösen Eifer. Schließlich tragen diese Nachrichten
allesamt Anzeichen davon.
Aber vielleicht steckt doch mehr dahinter.
Womöglich verbirgt sich dahinter eine Art Code.
Ich schnappe mir ein leeres Blatt Papier und
beginne mit den Worten zu spielen, auf der Suche nach irgendeinem
verborgenen Sinn. Zunächst lese ich nur jedes zweite Wort, dann
jedes dritte. Kein Muster zu entdecken. Ich richte meine
Aufmerksamkeit auf eine mögliche Bedeutung der überflüssig
wirkenden Worte. Ebenfalls Fehlanzeige. Trotzdem werde ich das
Gefühl nicht los, als stünden einige dieser Worte am falschen Platz
– und nicht nur einzelne Worte, sondern auch ganze Sätze wie
Gerechtes, empörtes Handeln entlarvt in moralischen Niederungen
irrende Sittenlose.
Warum verwendete er ausgerechnet diese Worte?
Welche Aufgabe haben sie in seinem Code?
Moment. Einen Moment.
Ich beginne hektisch zu kritzeln, um meine Theorie
zu überprüfen. Mein Herz beginnt zu pochen, als es sich immer mehr
herauskristallisiert: Er hat diese Worte nur deshalb benutzt, weil
er einen bestimmten Anfangsbuchstaben benötigte. Neu etwa
hat er ausschließlich verwendet, weil er ein n
brauchte.
Ich notiere den Anfangsbuchstaben jedes Wortes aus
dem ersten Brief:
B-E-N-Ö-T-I-G-E-E-R-N-E-U-T-I-H-R-E-B-E-I-H-I-L-F-E
Jesus im Himmel.
Benötige erneut Ihre Beihilfe.
Der zweite Brief:
W-E-R-D
-E-Z-W-E-I-T-E-N-V-E-R-S-B-E-N-U-T-Z-E-N-Z-E-I-T-Z-U-O-P-F-E-R-N-A-L-B-A-N-I
Werde zweiten Vers benutzen. Zeit zu opfern
Albani.
Der dritte Brief:
A-N-D-E-R-E-W-I-S-S-E-N-U-M-U-N-S-E-R-G-E-H-E-I-M-N-I-S
Andere wissen um unser Geheimnis.
Diese Botschaften waren eindeutig für mich
bestimmt. Er benötigt erneut meine Hilfe. Er hält die Zeit für
gekommen, Albany zu opfern. Andere wissen um unser Geheimnis.
Unser Geheimnis? Er braucht meine
Hilfe? Erneut?
Was, zum Teufel, soll das bedeuten?
Es ist Zeit. Zeit, sich an die Arbeit zu
machen.
Leo tritt zu dem Fenster, von dem aus man die
Straße überblickt. Drüben auf der anderen Straßenseite, ein paar
Häuser weiter, zeigt eine Frau einigen Männern ein Grundstück; ein
Stück die Straße runter parkt ein Fed-Ex-Laster; zwei Latino-Frauen
spazieren mit ihren Kindern den Gehsteig entlang und essen frische,
von Butter triefende Maiskolben.
Leo legt die Plastikschürze um und schließt die
Schnallen in Nacken und Rücken. Dann läuft er rüber ins Wohnzimmer
zur Stereoanlage. Auf dem Verstärker steht ein gerahmtes Foto:
Shelly Trotter und Paul Riley im Park, in die Kamera winkend. Er
winkt zurück.
Hallo, Paul. Ahnst du, was ich gleich tun
werde?
In der Anlage liegt eine CD mit klassischer
Klaviermusik. Er verharrt einen Moment, schließt die Augen, lauscht
auf die zarten, wundervollen Klänge von Horowitz. Katrina hat auch
Klavier gespielt, natürlich nicht so schön, ihre kleinen
unbeholfenen Hände hämmerten plump auf die Tasten ein. Mutter
brachte es ihr bei. Leo wollte sie ebenfalls unterrichten, aber
Vater erlaubte es nicht. Männer von Welt haben keine Zeit für
solchen Firlefanz, sagte er immer, aber Leo war eifersüchtig auf
Kat, und er war sich sicher, dass sie in den folgenden Jahren nur
deshalb weiterspielte, weil es eine weitere Möglichkeit war, ihren
jüngeren Bruder zu ärgern und ihre Dominanz auszuspielen. Oh,
keiner hat Kat durchschaut, auch später nicht, als sie die ganze
Familie um den Finger wickelte und manipulierte, ihre Heimtücke,
das Böse in ihrer Seele, bis eines Tages seine Stunde schlug und
sie auf dem Eis ausrutschte und endlich einmal hilflos dalag,
keinen Halt mehr mit ihren Kufen fand, und er sich auf sie stürzte,
seine Daumen in ihre Kehle drückte, und, ja, er weinte und schrie,
aber sie ließ ihm keine andere Möglichkeit, nur er hatte den Mut,
es zu tun, obwohl es Vater und Mutter auch ahnten, ganz tief
drinnen, dass er tapfer und weise und gerecht gehandelt hatte, auch
wenn sie ihn dann nach Lefortovo schickten -
Er öffnet die Augen, regelt die Lautstärke so, dass
Horowitz’ Klavierspiel laut, aber nicht ohrenbetäubend durch die
Räume hallt. Dann marschiert er rüber ins Bad.
Ihr nackter Körper liegt zusammengerollt in der
Badewanne. Er überlegt noch eine Sekunde, dann packt er ihr
Fußgelenk und zerrt das Bein über den Rand der Wanne. Jetzt liegt
sie auf dem Rücken und starrt mit leeren Augen an die Decke. Ihre
Nase ist gebrochen. Ebenso wie ihr Genick. Ansonsten ist sie immer
noch sehr schön.
Leo wirft die Kettensäge an, und das wütende
Dröhnen löscht die Musik aus.
McCoy schickt ein paar Erläuterungen voraus.
Keiner wisse wirklich etwas Genaues. Die Regierung habe zwar einen
Verdacht, dieser sei aber nie offiziell bestätigt worden.
»Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion«, erklärt
sie, »erfuhren wir eine Menge über das Land. Vieles aus der
Vergangenheit, aber auch manches, das noch nicht so lange her war.
Koslenkos Name fiel einmal während einer Befragung. Das ist
alles.«
McDermott nickt ungeduldig. »Was hat Koslenko
zwischen 1984 und 1986 gemacht, Jane?«
McCoy räuspert sich. »Das ist nicht gerade mein
Spezialgebiet, Mike. Aber du brauchst ja auch nur die groben
Eckdaten.« Sie denkt kurz nach. »Es gibt etwas, das sich die
Dreizehnte Abteilung nennt. Es handelt sich dabei um eine
Unterabteilung des sowjetischen Geheimdienstes – des KGB – und
wurde als dessen ausführendes Organ bezeichnet. 1993
erfuhren wir von einem ehemaligen Spion, dass Leonid Koslenko aus
Levortofo rekrutiert und in die Dreizehnte eingegliedert
wurde.«
McDermott starrt sie lange schweigend an.
»Es ist gut möglich«, fährt sie fort, »dass er
deshalb nur zwei Jahre in Lefortovo absaß. Es war bei den Sowjets
nicht unüblich, Leute aus den Anstalten und Gefängnissen zu
rekrutieren, um gewisse Aufträge zu erledigen.«
McDermott zieht die Augenbrauen hoch. »Und um
welche Art von Aufträgen handelte es sich dabei?«
»Schmutzarbeit. Entführungen, Einschüchterungen,
Folter«, sagt McCoy. »Vielleicht auch Mord. Alles, was mit roher
Gewalt zu tun hat. Hauptsächlich im eigenen Land. Die Sowjets
brachten es durchaus fertig, jemand mit den entsprechenden Talenten
aus einer Anstalt einzusetzen, um ihn gleich danach wieder
wegzusperren. Sollte es so jemandem jemals einfallen, zu plaudern,
musste man nur darauf verweisen, dass diese Leute verrückt
waren. So waren ihre Aussagen im Nu diskreditiert. Wer glaubt schon
jemandem mit einem Sprung in der Schüssel.«
McDermott blickt zur Seite, versucht die letzte
Bemerkung zu ignorieren.
»Oh, Mist.« McCoy schlägt die Hände vor den Mund.
»Mike, bitte entschuldige. Ich wollte nicht …«
»Vergiss es.« Er springt aus seinem Stuhl auf und
wendet McCoy den Rücken zu.
»Ich bin eine Idiotin, Mike. Wie – wie geht es
Grace?«
Er antwortet nicht. Es ist jetzt nicht der
Zeitpunkt, an seine Tochter zu denken. McCoy hat ein schlechtes
Gewissen und versucht es erneut mit Entschuldigungen, während
McDermott die neuen Informationen verarbeitet. Er denkt über die
Funde in Koslenkos Keller nach. Die umfangreiche Dokumentation über
die Bentleys und Paul Riley und Terry Burgos, die Fotos der
Prostituierten.
»Du meinst also«, sagt er langsam, »dass Leo
Koslenko ein sowjetischer Agent war.«
»Ich habe bewusst die Vergangenheitsform benutzt,
Mike. Schließlich gibt es keine Sowjetunion mehr. Und ich habe
gesagt, vielleicht. Schau mal«, sie breitet die Hände aus, »wir
reden hier nicht über jemand, der seine Opfer mit einem
Präzisionsschuss aus hundert Metern Entfernung exekutiert. Wir
reden nicht über jemand, dem man Staatsgeheimnisse anvertraut. Eine
Menge KGB-Aktivitäten waren alles andere als raffiniert. Sie
wollten die Dissidenten in Schach halten. Man schleifte sie aufs
Revier, um ihnen dort ein wenig Folter im Regierungsstil angedeihen
zu lassen. Man rüttelte sie mitten in der Nacht in ihren Betten
wach, um sie daran zu erinnern, dass man ihre Adresse
kannte.«
McDermott lässt den Kopf sinken. »Ich rede hier von
einem Kerl, für den verschlossene Türen kein Problem darstellen.
Der kommt und geht, ohne eine Spur zu hinterlassen. Ein Kerl, der
weiß, wie man durch Folter Leute zum Reden bringt.«
Sie nickt. »Das wäre der perfekte Kandidat. Er
hatte eine mentale Störung, also konnte man jegliche Aussagen
leicht dementieren. Man pflanzt einfach eine Idee in seinen Kopf,
zieht ihn auf wie eine Feder und lässt los.«
Man pflanzt eine Idee in seinen Kopf, zieht
ihn auf und lässt los.
»Dieses Gespräch hat nie stattgefunden«, erinnert
sie ihn. »Und das meine ich ernst.«
Richtig. Die Regierung wollte nicht zugeben, dass
sie einen Psychopathen ins Land gelassen hatte. McDermott wird
diese Informationen nicht offiziell einsetzen können. Deshalb ist
McCoy auch persönlich erschienen und braucht die Akte gleich wieder
zurück. Niemand ist befugt, ihm solche Dinge mitzuteilen. Wenn das
auffliegt, könnte sie es ihren Job kosten.
»Also haben die Sowjets diesem Kerl beigebracht,
wie man foltert und tötet, und ihn dann hierhergeschickt.«
»Angeblich hatte Koslenkos Familie gute
Verbindungen zur Regierung. Sie bekamen Wind von seiner neuen
Aufgabe und holten ihn da raus. Sie stellten ihn als politischen
Dissidenten hin, den man zu Unrecht einer Geisteskrankheit
bezichtigt und mundtot gemacht hatte. Und wie du ja bereits weißt,
hatte er auch hierzulande Hilfe.«
»Großartig. Da bin ich ja beruhigt.«
»Mike, das alles wurde erst Anfang der Neunziger
bekannt, und selbst dann konnte man nichts davon beweisen. Außerdem
– nach unseren Informationen hat sich dieser Typ, seit er hier ist,
immer anständig aufgeführt.«
Anständig aufgeführt. Mag sein – bis jemand eine
Idee in seinen Kopf pflanzte, ihn aufzog und losließ.