31.
Kapitel
Auf dem Schild über der Ladentür steht VARTEN’S
WERKZEUGE UND BAUMATERIALIEN, ein heruntergekommener Schuppen auf
dem Gelände eines großen Holzlagers. Als Leo eintritt, läutet eine
Glocke. Der Laden ist leer bis auf den Verkäufer, ein alter Mann,
der hinter der Theke telefoniert. Leo tritt an den Ladentisch und
wirft dabei einen Blick auf die drüben an der Wand hängenden
Kettensägen.
Leo wendet sich zum Verkäufer, der einen
Zeigefinger in seine Richtung hebt, während er sein Gespräch
beendet. Leo trommelt auf die Theke und schaut sich im Laden um,
ganz beiläufig, wie jemand, der gerade zufällig in der Gegend ist
und sich denkt, hier gibt es vielleicht Kettensägen. Dann lässt er
die Augen wieder über den Alten und die Theke wandern, hinter der
er hockt.
Im selben Moment entdeckt er einen Zettel, mit
Klebeband auf der Theke befestigt, auf dem nur ein Wort steht:
Trim-Meter.
Er schnappt nach Luft. Trim-Meter. Tu so, als
würdest du husten, du musst Zeit gewinnen.
»Kann ich helfen, Sir?«
Leo nickt in Richtung Wand. Erneut spricht er es
aus: Kettensäge. Obwohl er den Verkäufer nicht ansieht,
bemerkt er die Pause, die entsteht, einen Moment zu lang, eine
lange Pause …
»Äh, irgendein bestimmtes Model?«
Mit den Achseln zucken, locker bleiben. Als wäre
dir alles egal.
Schau dir den Mann an, ein ältlicher Typ, mit
fleckiger Stirn und magerem Hals; er scheint erleichtert, ihm
gefällt die Antwort.
Leo nennt die Marke, die der andere Typ erwähnt
hat: Husky.
»Sicher, kein Problem.« Das macht den Alten noch
glücklicher, er klopft auf die Theke, kommt hervorgeschlurft, jetzt
viel aufgeräumter, glücklich, strahlend und glücklich. »Natürlich
ist die Husky nicht gerade die billigste.«
Folg ihm zur Wand, gut, er ist weg von der Theke,
bleib dicht hinter ihm, und weil er gesagt hat, Husky ist nicht
die billigste, frag ihn, welche die billigste ist.
»Die billigste? Das ist, um ehrlich zu sein, auch
die älteste.« Der Mann nickt in Richtung Wand. »Ich hab hier eine
Burly 380, die ist gut für Gebüsch und kleinere Bäume. Hat etwa
zehn Jahre auf dem Buckel.« Er legt die Hand auf eine weitere Säge.
»Das hier ist eine Trim-Meter 220. Hat schon ein paar Schrammen. So
um die fünfzehn Jahre alt. Das sind meine beiden ältesten. Wozu
brauchen Sie die Säge?«
Das Gleiche hat ihn der andere Typ auch
gefragt.
»Ich meine, was wollen Sie damit sägen? Büsche,
Äste, solches Zeug?«
Einfach nicken.
»Die beiden hier kann ich Ihnen jeweils für fünfzig
geben«, sagt der Mann.
Zuck mit den Achseln, frag ihn was, sag irgendwas
-
Welche empfehlen Sie? Welche empfehlen
Sie?
Aber die Worte kommen nicht richtig raus.
Der Mann legt Leo die Hand auf den Arm, als wolle
er einem Behinderten helfen.
Leo zuckt zurück und dreht sich abrupt nach
rechts.
Der Mann zieht die Hand zurück. Seine Lippen öffnen
sich, und sein Blick huscht davon. Langsam beginnt er
zurückzuweichen. »Okay, Sir, also … ich sag Ihnen was, ich … ich
hab hinten was im Lager, das noch billiger ist.«
Leo schüttelt den Kopf.
Der Mann erstarrt, sieht Leo kurz in die Augen,
dann rüber zur Theke.
»Nehmen Sie sich, was immer Sie möchten«, sagt er.
»Bitte.«
Leo läuft es kalt den Rücken runter. Er öffnet und
schließt die Hände. Betrachtet den ältlichen Mann.
»Ich will«, versucht es Leo. »Ich will … es nicht
tun.«
Erledige es schnell, benutz die Hände, kein Blut,
knacksknacks.
Such den Laden nach Kameras ab. Hat jemand
zugeschaut? Keine Zeit. Zerr ihn durch die Tür mit der Aufschrift
NUR FÜR PERSONAL und schieb ein paar Kisten vor den Körper, hinten
in der Ecke. Geh zur Eingangstür, dreh das Schild auf GESCHLOSSEN,
geh zurück zum Personalraum und gib dem Kerl den Rest.
Schnapp dir die Trim-Meter von der Wand, öffne die
Tür, die Glocke bimmelt Auf Wiedersehen. Er schafft es
gerade noch zu seinem Wagen, bevor die Magenschmerzen ihn
überwältigen.
McDermott hebt das Kinn aus der Handfläche, als
Paul Riley mit seiner Geschichte fertig ist. Stoletti, neben ihm,
hat sich gelegentlich was notiert, aber McDermott beobachtet
lieber. Wenn man schreibt, entgehen einem wichtige Dinge.
Stoletti hat die Gesprächsführung übernommen,
obwohl es im Moment eher den Eindruck macht, als hätte Riley sie an
sich gerissen. Stoletti hat darauf gedrängt, die Befragung zu
leiten. Sie hatte mit Riley noch eine Rechnung offen.
So wie sie es McDermott heute Morgen geschildert
hat, hat Riley vor ein paar Jahren einen Mordverdächtigen
verteidigt, der unter die Zuständigkeit der Major Crimes Unit fiel,
für die Stoletti damals arbeitete. Offensichtlich hatte Riley den
ermittelnden Kriminalbeamten, einen Mann namens Cummings, vor
Gericht gründlich demontiert. Er hat ihn in Stücke zerlegt wie
ein billiges Modellflugzeug, waren Stolettis Worte. Cummings
wurde degradiert, als Rileys Mandant freigesprochen und ein
Verantwortlicher dafür gesucht wurde. Offensichtlich war Cummings
eine Art Mentor für Stoletti, und daher hegt sie bis zum heutigen
Tage keine allzu freundschaftlichen Gefühle für den verehrten Mr.
Riley.
McDermott selbst fand ihre Feindseligkeit gegenüber
Riley bisher eher amüsant, doch jetzt könnte sie zu einem echten
Problem werden. Denn inzwischen hat man Paul Rileys Fingerabdrücke
auf der Brechstange gefunden, mit der Amalia Calderons Schädel
zertrümmert wurde.
Riley, mit seiner Story am Ende, blickt die beiden
Cops an. Stoletti notiert etwas auf ihrem Block. McDermott braucht
einen Moment, um die Sache in Ruhe zu durchdenken.
»Ersparen wir uns das Herumreden um den heißen
Brei«, sagt Riley. »Wer auch nur eine Sekunde glaubt, ich hätte das
Mädchen getötet, möge jetzt die Hand heben.«
Eines muss man dem Kerl lassen, er ist nicht leicht
einzuschüchtern.
Aber McDermott hat schon andere lautstark ihre
Verbrechen abstreiten hören. Und erlebt, wie vermeintliche Unschuld
sich binnen eines Lidschlags in eine Maske des Schreckens
verwandelt hat.
»Also, Joel Lightner lässt Sie alleine zurück«,
greift McDermott den Faden wieder auf. »Er nimmt an, Sie sind in
guten Händen, und will Ihnen nicht im Weg stehen. Sie verlassen die
Bar zusammen mit dieser Frau. Sie begleiten sie nach Hause.
Unterwegs biegen Sie in eine Gasse ein und kriegen von irgendwoher
eins über den Schädel. Ein wenig später wachen Sie wieder auf, ohne
Molly, ohne Geld.«
Riley nickt. »Sie erstatten keine Anzeige. Sie
erzählen nicht mal Ihrem Kumpel Lightner davon, weil Ihnen die
ganze Sache so peinlich ist.«
»Ich hab mich wie ein Idiot gefühlt.«
»Und Sie behaupten, der Täter hat Ihre Hand um die
Mordwaffe gewickelt, um Ihnen die Tat in die Schuhe schieben zu
können.«
Die Polizei hatte die Brechstange – ein L-förmiges
Eisenstück mit scharfkantigem Ende – im Müll gefunden, direkt neben
Amalia Calderone.
»Entweder das«, sagt Riley, »oder ich bin ein
Mörder. Was meinen Sie?« Er schmettert den Ball zurück auf ihr
Feld. Der Mann ist gut.
»Sie geben zu, unter Alkoholeinfluss gestanden zu
haben«, wirft Stoletti ein.
Ein guter Punkt. Menschen tun die verrücktesten
Dinge, wenn sie betrunken sind.
»Ich konnte kaum noch grade stehen«, antwortet
Riley. »Und außerdem bin ich kein gewalttätiger Mensch. Wenn man
betrunken ist, zeigt sich die wahre Persönlichkeit. Wie bei Ihnen,
Ricki. Ich nehme an, Sie sind eine noch gehässigere Furie, wenn Sie
ein paar intus haben.«
»Nur weiter so, Riley«, knurrt sie.
McDermott verkneift sich ein Lächeln. Er wird den
Gerichtsmediziner einen Blick auf Rileys Wunde werfen lassen – die
Tiefe, den Winkel -, um ausschließen zu können, dass er sie sich
selbst beigebracht hat. »Was ist mit der Hand?«, fragt er und späht
auf den Verband an Rileys Knöcheln.
Riley seufzt. »Ich musste in mein Haus einbrechen.
Er hat meine Schlüssel mitgenommen. Ich hab mich am Glas
geschnitten.«
»Sie haben die Scheibe mit der Hand
eingeschlagen?«
»Ich hätte natürlich das Brecheisen benutzen
können«, antwortet er. »Aber das hab ich ja am Tatort
zurückgelassen.«
Stoletti gefällt sein Ton nicht, aber McDermott ist
mehr mit dem beschäftigt, was hinter der ganzen Sache stecken
könnte. Das Ganze ergibt einfach keinen Sinn. Sie haben ein
Überwachungsvideo aus dem Sax. Riley war so betrunken, dass er kaum
aufrecht stehen konnte. Er trug einen Smoking. Er hatte keine Waffe
bei sich. Jedenfalls ganz sicher kein Brecheisen. Könnte sein, dass
das Ding zufällig irgendwo in der Gasse lag, trotzdem ist es schwer
vorstellbar, dass er in diesem Zustand zu so was in der Lage war.
Obendrein hatte die Frau ihn angesprochen, nicht umgekehrt. Und das
Video sprach dafür, dass sie sich tatsächlich zum ersten Mal
begegnet waren.
»Die Frau war eine Prostituierte, richtig?«, fragt
Riley.
Stoletti legt den Kopf schief. »Warum fragen
Sie?«
Amalia Calderone war in der Tat eine Prostituierte,
allerdings gehobene Klasse, Begleitservice. Nicht ungewöhnlich für
diese Mädchen, sich in Bars wie dem Sax herumzutreiben.
»Irgendwie hatte ich den Eindruck, rückblickend
betrachtet«, erklärt er.
»Wo ist Ihr Smoking?«, fragt Stoletti.
»Reinigung.« Riley schaut die beiden an. »Ich bin
in einem Müllhaufen aufgewacht, Herrgott noch mal. Fragen Sie in
meiner Reinigung nach, ob Blutflecken drauf waren. Ich meine, außer
meinen eigenen.«
»Werden wir tun.«
»Gut, Ricki. Tun Sie das.« Riley erhebt sich. »Und
wo Sie schon dabei sind, warum nehmen Sie nicht gleich das
Brecheisen und schieben es sich in den Hintern? Ich helfe Ihnen
auch gerne dabei und hinterlasse ein paar taufrische Fingerabdrücke
darauf.«
McDermott hebt die Hand. »Setzen Sie sich, Riley.
Sie reißen Ihre Klappe verdammt weit auf für jemanden, dessen
Fingerabdrücke sich auf einer Mordwaffe befinden und der als
Letzter mit dem Opfer gesehen wurde. Sie wissen verdammt gut, dass
das ausreicht, um Sie auf der Stelle zu verhaften. Setzen«,
wiederholt er und zeigt mit dem Finger nach unten.
Riley lässt sich einen Moment Zeit, dann legt er
die Hände flach auf den Tisch und beugt sich zu den beiden
Detectives vor. »Der gleiche Täter«, sagt er. »Es muss so sein. Das
ist kein Zufall. Das ist die Spur, der Sie folgen müssen. Jede
Sekunde, die Sie darauf verschwenden, mich als Mörder dieser armen
Frau aufzubauen, nützt nur dem wahren Täter, der irgendwo rumläuft
– mit einem Rasiermesser, der Kettensäge, oder was immer in diesem
Song benutzt wird.«
McDermott und Stoletti wechseln rasche Blicke.
»Nehmen wir an, Sie hätten recht«, sagt er zu Riley. »Sie haben es
eben selbst erwähnt. Kein Rasiermesser. Keine Kettensäge. Keine
Machete. Kein Küchenmesser.« Er zuckt mit den Achseln. »Wenn das
tatsächlich unser Täter ist, warum weicht er dann vom Songtext
ab?«
Riley schüttelt den Kopf. »Ich kann mir nur
vorstellen«, sagt er, »dass es sich um eine Art Rache handelt.
Dieser Typ will mir etwas heimzahlen. Ich war das verdammte
Aushängeschild der Anklage im Burgos-Prozess.«
»Ja«, bestätigt McDermott, »aber Sie leben
noch.«
Darauf hat Riley auch keine Antwort. Obwohl das
zweifellos die Schlüsselfrage ist. Wenn es sich tatsächlich um
denselben Mörder handelt, warum verschont er dann den ehemaligen
Ankläger Riley und tötet die Frau? Und warum macht er sich
anschließend die Mühe, Rileys Abdrücke überall auf der Tatwaffe zu
platzieren?
Er muss an Carolyn Pendry denken und ihre Erklärung
für den Mord an ihrer Tochter: Etwas Schlimmeres konnte er mir
nicht antun. Das leuchtet McDermott ein. Verdammt, nichts träfe
ihn tiefer, als wenn sich so ein Schwein seine Tochter Grace
schnappen würde. Vielleicht hielt der Täter Amalia Calderone für
Rileys Freundin und versuchte, ihm eine ähnliche Wunde zu schlagen
wie Carolyn Pendry, indem er einen ihm nahe stehenden Menschen
tötete?
»Er will mich mit reinziehen«, sagt Riley. »Er
schickt mir Briefe. Er tötet jemand, der neben mir geht. Er
platziert meine Fingerabdrücke auf der Waffe. Er will, dass ich ein
Teil des Spiels werde.«
Aber warum? Warum sollte der Täter Riley da mit
reinziehen wollen?
McDermott nickt Riley zu. »Wir lassen den
Rechtsmediziner einen Blick auf Ihren Kopf werfen«, sagt er. »Und
auf Ihre Hand. Wir haben oben ein Labor.«
Riley streckt sich und streicht seinen Anzug glatt.
»Sie wollen ausschließen, dass ich mir selbst eins übergebraten
habe.« Er lacht. »Okay. Warum nicht. Und wenn Sie sich dann genug
mit mir amüsiert haben, sollten Sie vielleicht auch mal daran
denken, das eine oder andere Verbrechen aufzuklären.«
McDermott bringt Riley nach oben ins
gerichtsmedizinische Labor. Als er zurückkommt, sitzt Stoletti noch
im Verhörraum. »Irgendwas stimmt da nicht«, sagt sie.
McDermott lässt sich auf einem Stuhl nieder. »Du
hast gesagt, Riley hätte bei deiner Befragung des Professors gut
kooperiert.«
Sie bestätigt das. »Albany hat uns Informationen
verschwiegen. Ich hab das nicht bemerkt. Riley schon. Warum wohl?«,
fragt sie und spinnt den Gedanken weiter aus. »Glaubst du, die
beiden haben mir was vorgespielt?«
McDermott weiß es nicht, aber das ist immerhin eine
Möglichkeit. »Riley wollte unbedingt mit von der Partie sein.
Außerdem ist er derjenige, der den Namen des Professors ins Spiel
gebracht hat.«
»Indem er uns den Professor liefert, lässt er es so
aussehen, als wäre er ernsthaft an der Aufklärung der Sache
interessiert.« Stoletti scheint sich immer mehr für die Idee zu
erwärmen. »Er ist ziemlich clever, so viel ist sicher. Aber wie
passt Amalia Calderone ins Bild?«
McDermott seufzt. »Vielleicht ein weiteres
Täuschungsmanöver. So ist er das Opfer eines Überfalls.«
»Ich bin keine Medizinerin«, sagt sie. »Aber die
Wunde an seinem Kopf macht nicht den Eindruck, als hätte er sie
sich selbst zugefügt.«
»Das meine ich auch nicht.« McDermott schüttelt den
Kopf. »Ich behaupte nicht, dass Paul Riley diese Leute getötet hat.
Und in einem Punkt hat er recht. Dieser Kerl will ihn mit im Boot
haben. Er weicht von seinem Plan ab, nur um Paul Riley als
Privatperson in die ganze Sache zu verwickeln. Warum?«
Stoletti denkt darüber nach. Keiner von ihnen hat
eine schlüssige Lösung.
»Vielleicht«, rätselt McDermott, »braucht er
irgendwie Rileys Hilfe.«
Der Gedanke scheint Stoletti zu beunruhigen. Sie
springt von ihrem Stuhl auf und fängt an, im Raum auf und ab zu
laufen. McDermotts Augen folgen ihr. Den kräftigen Knochenbau
verdankt sie laut eigener Aussage ihrer deutschen Mutter. Und
vermutlich halten ihre Jungs – beide im Teenageralter – sie tüchtig
auf Trab. Obendrein zwingt ihr Single-Dasein sie wahrscheinlich
dazu, auf ihre Figur zu achten. Sie reden nicht viel über solche
Dinge. Seit Stoletti von McDermotts Geschichte erfahren hatte, kurz
nachdem sie zur Abteilung gestoßen war, hatte sie geschickterweise
jedes Gespräch über Beziehungen vermieden. Eine Schutzmauer, wie
ihm jetzt klar wird, die er bereits seit drei Jahren
aufrechterhält.
»Ich bin alles andere als ein Fan von Riley«, sagt
sie. »Trotzdem, Mike. Lass uns die Sache noch mal genau überdenken.
Wir gehen davon aus, dass jemand anders Cassie Bentley ermordet hat
und dass er davon wusste. Dass er ihren Mord nicht zur Anklage
gebracht hat, um weitere Nachforschungen zu unterbinden. Dafür hat
er eine hübsche Belohnung kassiert – Harland Bentley machte ihn zu
seinem juristischen Alleinvertreter. Und jetzt öffnet jemand eine
Tür, die eigentlich verschlossen bleiben sollte.«
»Der Fall hat ihn reich gemacht.« Auch McDermott
erhebt sich. »Er ist von Burgos’ Ankläger zu Harlands Anwalt
aufgestiegen, der mehrere Millionen Umsatz im Jahr macht. Kein
schlechtes Motiv.«
»Ich will nur so viel sagen«, fügt sie hinzu. »Für
den Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass wir eng mit ihm
zusammenarbeiten.«
»Wir halten ihn außen vor«, beschließt McDermott.
»Wir beobachten ihn und setzen ihn nur ein, wenn wir ihn brauchen.
Und es ist mir völlig egal, was Carolyn Pendry dazu meint.«
In Wahrheit sind es nicht so sehr die Ereignisse
während des Burgos-Falls, die McDermott Kopfzerbrechen bereiten.
Dafür ist später noch genug Zeit. Er will vor allem das
Blutvergießen stoppen. Sollten Professor Albany oder Riley etwas
damit zu tun haben, hat er ihnen hoffentlich einen gehörigen
Schrecken eingejagt. Und momentan bleibt nur eine weitere Person
übrig.
»Statten wir Harland Bentley einen Besuch ab«, sagt
er. »Und schnapp dir Susan Dobbs von der Rechtsmedizin. Ich will
wissen, was zum Teufel eine tarsale Phalanx ist.«
Nachdem man mich im Labor der Staatsanwaltschaft
untersucht hat, trete ich hinaus in die feuchte Abendluft und rufe
Joel Lightner an. Bevor ich irgendwas sagen kann, verkündet er:
»Ich hab Brandon Mitchum gefunden. Er lebt hier in der
Stadt.«
»Ausgezeichnet.«
»Gib das an die Cops weiter«, empfiehlt er.
Ich stoße ein Lachen aus, obwohl ich in keiner
sonderlich heiteren Stimmung bin. »Die verdächtigen gerade wahllos
jeden, der ihnen in die Quere kommt«, sage ich. »Ich bin jetzt auf
mich allein gestellt. Gib mir seine Adresse.«
Ecke McRae und Richmond. Er parkt am Straßenrand,
holt das Fernglas heraus und richtet es auf den dritten Stock. Eine
breite Leinwand steht auf einer Staffelei in der Nähe des großen
Fensters, wilde Wischer von Lila und Rot sind darauf verteilt. Wie
gigantische Blutspritzer.
Er taucht am Fenster auf, fährt mit dem Pinsel über
die Leinwand, die tief stehende Abendsonne ergießt sich in den
Raum, er trägt ein ausgefranstes Hemd und eine alte Jogginghose,
das lange strähnige Haar fällt ihm in sein hübsches Gesicht.
Du hast dich kein bisschen verändert,
Brandon.