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Als sie ihre Tochter am Bug des Schiffes stehen sah, blieb für Jessica Balzano die Zeit stehen.
Sie lief auf dem Pier auf und ab. Während die bei einer Geiselnahme erforderlichen polizeilichen Maßnahmen ergriffen wurden, während Scheinwerfer aufleuchteten, Funkgeräte rauschten und prasselten und die Sirene eines sich nähernden Rettungswagens gellte, verlor die Zeit ihre Bedeutung.
Nie hatte Jessica sich hilfloser gefühlt. Sophie war nur hundert Meter von ihr entfernt, doch sie konnte sie nicht erreichen, nicht beschützen. Ihre Tochter war nur eine winzige Gestalt am Bug des riesigen Dampfschiffes. Rechts und links neben ihr standen eiskalte Killer, und sie konnte nichts tun.
Jessica brach den Schwur, den sie an dem Tag abgelegt hatte, als Sophie geboren worden war. Sie hätte lieber gebetet, aber im Augenblick glaubte sie nicht an Gott. Wo war Gott denn jetzt?
Jessica legte eine Hand auf den Griff ihrer Waffe. Diese Waffe war jetzt ihr Gott, ihr Heiliger, ihr Erzengel.
Sie blickte auf den SWAT-Mann in voller Kampfmontur auf dem Dach des geschlossenen Ticketschalters. Sein Scharfschützengewehr lag auf einem Dreibein, und er spähte durch das Zielfernrohr. Seine Baseballkappe hatte er verkehrt herum aufgesetzt.
Die Zeit stand still, und Jessica hatte nur einen einzigen Gedanken.
Schieß.
Je mehr sie sich auf dieses Wort konzentrierte, desto mehr verlangsamte sich die Zeit. Dennoch kreiste dieses Wort wie in einer Endlosschleife in ihrem Kopf.
Schießschießschieß …