21

Der Treppenknauf war locker.

Byrne drehte daran und dachte an die letzten Tage, Stunden und Sekunden der Kinder, die dieses Haus betreten und nicht mehr lebend verlassen hatten.

Er hatte es gewusst, als er vor zehn Jahren die Schwelle dieses Hauses überschritten hatte. Vielleicht hatte er es schon gewusst, als er die Straße hinuntergefahren war, eine kurze Straße im Nordwesten der Stadt. Auf beiden Seiten erstreckten sich von Unkraut überwucherte, unbebaute Grundstücke. Es kam Byrne so vor, als würde das Ende der Straße ihn anziehen wie ein Magnet Eisenspäne.

Er kannte das Gefühl genauso gut wie alle seine Gefühle – Wut, Eifersucht oder Neid, den er mitunter verspürte, wenn er junge Polizisten mit glänzenden Dienstmarken und strahlenden Augen sah, die gerade ihre Prüfung an der Polizeiakademie bestanden hatten.

Dieses Gefühl aber konnte er nicht genau benennen. Es kündigte sich an, als ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief und ihm bis in den Nacken kroch. Manchmal verschaffte ihm dieses Gefühl Einblicke in die Denkweise von Menschen, die Morde begingen. Es war ein zweites Gesicht, über das Byrne seit mehr als zwanzig Jahren verfügte, seitdem er einen höllischen Augenblick lang für klinisch tot erklärt worden war. Eine Minute später war er ins Leben zurückgekehrt.

Byrnes Gabe war in den vergangenen Jahren mal mehr, mal weniger ausgeprägt gewesen. Mittlerweile war sie fast völlig verschwunden, und Byrne hatte sich häufiger geirrt, als dass er richtiggelegen hätte. Doch er hatte oft genug recht gehabt, als dass er dieses Gefühl nun ignorieren durfte.

Über diese unheimliche Fähigkeit – falls es sich überhaupt um eine Fähigkeit handelte – sprach Byrne nie mit jemandem. Nicht mit seiner Familie, nicht mit seinen Kollegen und auch nicht mit den zahlreichen Psychiatern und Sozialarbeitern, zu denen man ihn im Laufe der Jahre geschickt hatte. Selbst mit Jessica, mit der er sich enger verbunden fühlte als mit irgendjemandem sonst, hatte er nie ausführlich darüber gesprochen.

Seit dem Tag seines Nahtoderlebnisses hatte Byrne viele Dinge ausprobiert, um besser damit klarzukommen. Eine Zeit lang litt er unter Migräne, dann wieder glaubte er, Visionen zu haben. Er war bei zahlreichen Therapeuten gewesen, hatte sogar eine Gruppentherapie gemacht. Alles vergebens.

Doch hier, an diesem Ort, in einem Haus, das einst von schierer Bosheit erfüllt gewesen war, empfand er etwas. Es war keine Vorahnung oder Intuition, eher eine … Wesensverwandtschaft.

Was ist hier geschehen, Valerie Beckert? Was hast du mit den Kindern gemacht?

Um Thomas Rule und Thaddeus Woodman und all der anderen willen musste er die Wahrheit herausfinden.

Ehe er es sich anders überlegen konnte, zog Byrne sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer.

Tanz der Toten
cover.xhtml
toc.xhtml
about-the-author.xhtml
titlepage.xhtml
copyright-page.xhtml
dedication.xhtml
quote.xhtml
9783732523429-5.xhtml
9783732523429-6.xhtml
9783732523429-7.xhtml
9783732523429-8.xhtml
9783732523429-9.xhtml
9783732523429-10.xhtml
9783732523429-11.xhtml
9783732523429-12.xhtml
9783732523429-13.xhtml
9783732523429-14.xhtml
9783732523429-15.xhtml
9783732523429-16.xhtml
9783732523429-17.xhtml
9783732523429-18.xhtml
9783732523429-19.xhtml
9783732523429-20.xhtml
9783732523429-21.xhtml
9783732523429-22.xhtml
9783732523429-23.xhtml
9783732523429-24.xhtml
9783732523429-25.xhtml
9783732523429-26.xhtml
9783732523429-27.xhtml
9783732523429-28.xhtml
9783732523429-29.xhtml
9783732523429-30.xhtml
9783732523429-31.xhtml
9783732523429-32.xhtml
9783732523429-33.xhtml
9783732523429-34.xhtml
9783732523429-35.xhtml
9783732523429-36.xhtml
9783732523429-37.xhtml
9783732523429-38.xhtml
9783732523429-39.xhtml
9783732523429-40.xhtml
9783732523429-41.xhtml
9783732523429-42.xhtml
9783732523429-43.xhtml
9783732523429-44.xhtml
9783732523429-45.xhtml
9783732523429-46.xhtml
9783732523429-47.xhtml
9783732523429-48.xhtml
9783732523429-49.xhtml
9783732523429-50.xhtml
9783732523429-51.xhtml
9783732523429-52.xhtml
9783732523429-53.xhtml
9783732523429-54.xhtml
9783732523429-55.xhtml
9783732523429-56.xhtml
9783732523429-57.xhtml
9783732523429-58.xhtml
9783732523429-59.xhtml
9783732523429-60.xhtml
9783732523429-61.xhtml
9783732523429-62.xhtml
9783732523429-63.xhtml
9783732523429-64.xhtml
9783732523429-65.xhtml
9783732523429-66.xhtml
9783732523429-67.xhtml
9783732523429-68.xhtml
9783732523429-69.xhtml
9783732523429-70.xhtml
9783732523429-71.xhtml
9783732523429-72.xhtml
9783732523429-73.xhtml
9783732523429-74.xhtml
9783732523429-75.xhtml
9783732523429-76.xhtml
9783732523429-77.xhtml
9783732523429-78.xhtml
9783732523429-79.xhtml
9783732523429-80.xhtml
9783732523429-81.xhtml
9783732523429-82.xhtml
9783732523429-83.xhtml
9783732523429-84.xhtml
9783732523429-85.xhtml
9783732523429-86.xhtml
9783732523429-87.xhtml
9783732523429-88.xhtml
9783732523429-89.xhtml
9783732523429-90.xhtml
9783732523429-91.xhtml
9783732523429-92.xhtml
9783732523429-93.xhtml
9783732523429-94.xhtml
9783732523429-95.xhtml
9783732523429-96.xhtml
9783732523429-97.xhtml
9783732523429-98.xhtml
9783732523429-99.xhtml
feedback-general.xhtml