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Es gab kaum Zweifel, welches Haus in diesem heruntergekommenen Straßenabschnitt in Strawberry Mansion, Nord-Philadelphia, das Tatorthaus war.
In Strawberry Mansion – der Stadtteil verdankte seinen Namen einem Restaurant, in dem Erdbeeren mit Sahne angeboten worden waren – hatte einst die Jazz-Legende John Coltrane gewohnt. Das Viertel wurde im Westen vom Fairmount Park, im Norden von der Lehigh Avenue, im Osten von der Sedgley Avenue sowie von Bahnschienen und im Süden von der Cecil B. Moore begrenzt. Früher hatten hier vorwiegend Juden aus den unterschiedlichsten Schichten gewohnt. In den vergangenen fünfzig Jahren war es mit dem Viertel steil bergab gegangen. Im Süden, wo es an Brewerytown grenzte, hatte man in den vergangenen Jahren mit Sanierungsmaßnahmen begonnen.
Die Straße, in die Jessica und Byrne nun einbogen, ließ vom ehemaligen Glanz dieser Gegend nichts mehr ahnen. An der Monument Street zwischen der Zweiunddreißigsten und Dreiunddreißigsten Straße standen nur ein paar verfallene Häuser. Das einzige Reihenhaus, das bewohnt aussah, erhob sich stolz zwischen vier Brachflächen, die mit Autoreifen, ausrangierten Elektrogeräten und zerbrochenen Sturmfenstern übersät waren. An der Ecke stand ein schmutziges, zweistöckiges Backsteinhaus mit spitzem Giebel. Die palladianischen Fenster waren mit verrottetem Sperrholz vernagelt, die mit Graffiti besprüht waren.
An allen vier Ecken des Häuserblocks stand jeweils ein Streifenwagen mit Blaulicht. Obwohl es heute nur vier Grad kalt war, hatten sich Schaulustige versammelt. Für die Polizisten war es jedes Mal eine schwierige Aufgabe. Sie mussten den Tatort schützen, damit bis zum Eintreffen der Detectives und der Kriminaltechniker nichts verändert wurde.
Jessica und Byrne parkten in der Monument Street, zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo sich bereits mehrere Cops versammelt hatten. Jessica hängte die Dienstmarke an ihren Gürtel und zog Lederhandschuhe an.
Sie betraten das Haus durch einen Seiteneingang, nachdem sie die verrotteten Sperrholzplatten heruntergerissen hatten, mit denen die Tür zugenagelt war. Dann gingen sie den schmalen Flur hinunter, dessen Wände mit Kugellöchern übersät waren, die von Waffen unterschiedlichen Kalibers stammten. Außerdem waren die Logos jeder bekannten Gang in Nord-Philadelphia an die Wände gesprüht oder hineingeritzt worden.
Josh Bontrager stand vor der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt. Er sah nachdenklich aus. Bontrager war in einer amischen Familie aufgewachsen, doch die jüngeren Detectives, die nach ihm zur Mordkommission gekommen waren, hatten keine Ahnung, dass Josh auf einer Farm im ländlichen Pennsylvania aufgewachsen war. Mittlerweile bewegte er sich routiniert und sicher durch den Großstadtdschungel.
Als Jessica und Byrne das Zimmer erreichten, in dem sich die Opfer befanden, blieben sie stehen. Jessica sah die Schatten, die durch die offene Tür fielen, und wusste sofort, was sie erwartete. Es erfüllte sie mit hilfloser Wut. Sie hoffte, sich zu irren, aber ein Blick in Josh Bontragers Gesicht sagte ihr, dass sie richtiglag.
»Dana hat gesagt, es ist ein Doppelmord.«
Bontrager nickte.
Jessica zog die Lederhandschuhe aus, streifte Latexhandschuhe über und atmete tief durch, um sich zu wappnen. Dann spähte sie um die Ecke des Türpfostens ins Zimmer.
In der Mitte saßen zwei Jungen auf selbst gebauten Schaukeln. Die Schaukeln hingen an Nylonschnüren, die durch vier große Stahlösen an der Decke gezogen waren. Die Köpfe der Opfer waren auf die Brust gesunken. Um den Hals beider Jungen war jeweils ein Seidenstrumpf geschlungen und fest verknotet. Ihre Hände waren mit ähnlichen Strümpfen an die Nylonschnüre gebunden, damit die Opfer nicht von den Schaukeln fielen.
Beide Jungen waren ähnlich gekleidet: ausgeblichene Jeans, Laufschuhe, langärmelige Poloshirts. Der eine trug ein rot-blau gestreiftes, der andere ein dunkelgrünes Poloshirt. Auf der linken Brusttasche beider Shirts befand sich dasselbe Logo.
Die Sitze der Schaukeln waren in einem blassen Gelbton gestrichen. Für Jessica bestand nicht der geringste Zweifel, dass mit genau dieser Farbe auch die Bank am Bahnhof in Shawmont gestrichen worden war.
Die Kriminaltechniker mussten die Spuren am Tatort sichern, ehe die Detectives den Raum betreten durften. Daher kniete Jessica sich auf dem Flur hin, um die Gesichter der Jungen besser erkennen zu können.
Ihr blieb fast das Herz stehen. Mit einem Ruck setzte sie sich auf die Fersen.
»Nein!«
»Was ist, Jess?«, fragte Byrne besorgt.
Jessica wollte antworten, doch im ersten Moment war ihre Kehle wie zugeschnürt. Als sie tief einatmete, stieg ihr der Geruch der Farbe in die Nase.
»Ich weiß, wer sie sind …«, sagte sie.
Jetzt war Josh Bontrager ganz Ohr. Er durchquerte den Flur und ging auf Jessica zu.
»Du kennst sie?«
Jessica nickte, hob aber sofort eine Hand und schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kenne sie nicht, aber ich glaube, ich weiß, wer sie sind.«
Bontrager und Byrne wechselten einen Blick, dann schauten beide Jessica an.
Sie griff in ihre Gesäßtasche, zog ihr Notizheft heraus und blätterte kurz darin, bis sie die Seite fand, die sie suchte.
»Die Frau, die ich befragt habe«, begann sie, »die Frau, deren Telefonnummer David Solomon gewählt hat, kurz bevor er Selbstmord beging …«
»Ich dachte, das wäre eine Sackgasse gewesen«, sagte Byrne.
»Dachte ich auch.« Jessica blätterte wieder in ihrem Notizheft. Es ärgerte sie, dass sie sich nicht an den Namen der Frau erinnern konnte. »Mary Gillen.«
»Ich verstehe nicht«, sagte Bontrager. »Wer ist Mary Gillen?«
Byrne informierte ihn mit knappen Worten.
»Und David Solomon, Nicoles Vater, hat diese Frau angerufen? Diese Mary Gillen?«
»Er hat ihre Nummer gewählt«, sagte Jessica. »Die Nummer des Festanschlusses. Laut Auskunft der Telefongesellschaft muss Solomon dort angerufen haben, kurz bevor er auf den Abzug gedrückt hat.«
»Von seinem Apparat aus?«, fragte Bontrager. »Der Anruf kam von Solomons Telefon?«
»Ja«, sagte Byrne. »Ich habe auf seinem schnurlosen Telefon bei ihm zu Hause auf die Wahlwiederholung gedrückt.«
»Nicoles Vater hat unmittelbar vor seinem Selbstmord mit Mary Gillen gesprochen?«
»Nein«, sagte Jessica. »Es sprang nur der Anrufbeantworter an. Wir haben eine Kopie der Aufnahme, aber Mateo hat es noch nicht geschafft, die Qualität so weit zu verbessern, dass man verstehen kann, was der Mann gesagt hat.«
Sergeant Mateo Fuentes war Chef der Audio-Video-Abteilung beim Philadelphia Police Department.
Bontrager dachte kurz nach. »Vielleicht bin ich heute ein bisschen schwer von Begriff, aber ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
»Als ich Mary Gillen gefragt habe, sagte sie mir, sie kenne niemanden mit Namen David Solomon«, erklärte Jessica. »Dann wollte ich von ihr wissen, wer sonst noch bei ihr wohnt. Ich erfuhr, dass sie geschieden ist und mit ihren zwei Söhnen in dem Haus wohnt. Sie sagte, ihre Söhne seien …«
»Zwillinge«, sagte Bontrager. »Zwillingsbrüder.«
Jessica nickte. »Zwölf Jahre alt. Sie waren beim Fußballtraining, als ich mit der Frau sprach.«
Bontrager zog sein Handy aus der Tasche und scrollte durch ein paar Fotos. Eines davon schaute er sich einen Moment an, vergrößerte es und drehte das Handy dann zu Jessica und Byrne um.
Jessica setzte ihre Brille auf und betrachtete das Bild. Es war eine pixelige Nahaufnahme des Poloshirts von einem der beiden Jungen – das grüne Shirt mit dem Logo.
Jessica kannte dieses Logo. Es war das der Fußballmannschaft der St. Jeromes’s Academy.
Obwohl Jessica keine Bestätigung dafür hatte, war sie sicher, dass die beiden toten Jungen Mary Gillens Söhne waren.
Bontrager klappte gerade sein Handy zu, als zwei Kriminaltechniker erschienen. Ihnen folgte der Rechtsmediziner mit seinem Fotografen.
Während alle das Tatortprotokoll unterschrieben, traten Jessica, Byrne und Bontrager zur Seite und schwiegen einen Moment. Sie mussten die neuen Informationen erst einmal verarbeiten. Wenn die beiden toten Jungen in dem Zimmer Mary Gillens Söhne waren, gab es keinen Zweifel, dass die Ermittler bei der Aufklärung der drei Mordfälle einer noch größeren Herausforderung gegenüberstanden. Und im Augenblick hatten sie nicht die geringsten Anhaltspunkte, wer für diese Verbrechen verantwortlich war.
Die Detectives konnten es kaum erwarten, das Zimmer zu betreten, mussten sich aber an die Vorschriften halten. Normalerweise war der Rechtsmediziner der Erste, der das Mordopfer berühren durfte. An diesem Tatort aber war es ein wenig anders, genau wie am Tatort von Nicole Solomon.
Es musste unbedingt dafür gesorgt werden, dass die Spuren erhalten blieben. Die beiden Kriminaltechniker rollten Papier von einer breiten Rolle ab und legten es auf den Boden. Erst jetzt konnten der Rechtsmediziner und sein Fotograf das Zimmer betreten und sich an die Arbeit machen. Sobald der Rechtsmediziner die Opfer für tot erklärt und der Fotograf seine Aufnahmen gemacht hatte, konnten die Kriminaltechniker mit der Spurensicherung am Tatort und die Detectives mit ihren Ermittlungen beginnen.
Jessica trat auf die Straße. Obwohl es in der Dreiunddreißigsten stark nach Auspuffgasen roch, war die Luft besser als in dem Haus. Sie ging zu Josh Bontrager, Maria Caruso und Byrne, die ein paar Meter von dem Streifenwagen entfernt standen, der mit eingeschaltetem Blaulicht auf einer der Brachflächen abgestellt war.
»Wer hat angerufen?«, fragte Jessica.
Bontrager zeigte auf den Streifenwagen. »Mrs. Ruta Mae Carver.«
Jessica blickte auf das Fahrzeug und sah eine korpulente schwarze Frau Ende sechzig, die auf der Rückbank saß. Die Tür war geöffnet, und ihre dicken Beine standen auf dem Asphalt. Ihre Augen waren geschlossen. Die Frau schaukelte vor und zurück, einen weißen Rosenkranz in Händen.
»Mrs. Carver ist die Dreiunddreißigste hinuntergegangen. Als sie einen Blick durchs Fenster warf, hat sie die Opfer gesehen«, sagte Bontrager.
Jessica ging an der Seite des Hauses entlang, bog um die Ecke und betrachtete die Rückseite des Gebäudes. Durch das einzige Fenster, das nicht mit Sperrholz vernagelt war, hatte man tatsächlich einen guten Blick auf die beiden Jungen. Das Fenster lag an der Dreiunddreißigsten Straße, an die der Park grenzte. Genau wie bei Nicole Solomon sah der von den Fenstern eingerahmte Tatort surreal aus – fast wie ein Gemälde.
Jessica beobachtete kurz, wie die Kriminaltechniker große Papierbögen an die Türrahmen klebten, dann ging sie zu Josh Bontrager zurück.
»Mrs. Carver hat die beiden Jungen also durchs Fenster gesehen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Hat sie sonst noch etwas beobachtet?«
Bontrager nickte. »Ja, einen alten Transporter. Sie hat ausgesagt, dass auf der Tür ein verblasstes Logo war, das aussah wie, ich zitiere: ›Wie eines dieser ekeligen Dinger, wie eine Kakerlake.‹«
»Eine Kakerlake? Vielleicht der Transporter eines Kammerjägers?«
»Dachte ich auch schon. Das Logo war ziemlich verblasst, sagt Mrs. Carver, es schien aber rot-schwarz gewesen zu sein. Ein Kollege sucht im Internet danach.«
Bontrager zeigte Jessica und Byrne eine Zeichnung, die er nach den Angaben von Mrs. Carver angefertigt hatte.
»Warum war sie hier?«, fragte Byrne.
Bontrager zeigte auf das einsame Haus zwischen den Brachflächen. »Sie wohnt da und kam gerade aus der Kirche. Als sie die Musik hörte, blieb sie stehen. Und dann sah sie die Opfer.«
»Musik?«, fragte Jessica.
Bontrager nickte.
»Musik in dem Haus?«
»Das hat sie gesagt.«
Wieder warf Jessica der Frau einen Blick zu. Noch immer betete sie mit geschlossenen Augen den Rosenkranz und war beim zweiten der fünf Gesetze. Jessica senkte die Stimme. »Du meinst Musik wie richtige Musik, nicht etwa himmlische Stimmen?«
Bontrager lächelte. »Gute Frage. Ruta Mae scheint eine sehr fromme Frau zu sein.« Er zeigte auf ihr Haus. Trotz der Entfernung sah Jessica die Kruzifixe hinter sämtlichen Fenstern. Sie fragte sich, ob diese Kreuze dafür sorgen sollten, dass keine bösen Geister ins Haus kamen oder dass die guten Geister blieben.
Jessica wollte Bontrager gerade fragen, wo sie mit den Befragungen beginnen sollte, als alle die Stimme im Haus hörten.
»O Gott!«
Es war die Stimme einer Frau. Sie schrie nicht allzu laut, aber irgendetwas hatte ihr unüberhörbar Angst eingejagt.
Die Detectives stürmten ins Haus.
Einen Augenblick später bog eine Kriminaltechnikerin um die Ecke, eine junge Frau Mitte zwanzig, und betrat den Flur.
Sie war leichenblass, und ihre Lippen bebten.
Byrne ging auf sie zu. »Was ist passiert?«
Jessica schaute auf das Namensschild der Frau. L. Betley. Jessica hatte sie schon mal im Roundhouse und auch an einem Tatort gesehen. Bei einer so großen Polizeibehörde wie dem Philadelphia Police Department – der sechstgrößten in den USA – war es möglich, dass man einigen Kollegen öfter begegnete und sie vom Sehen kannte, ohne ihre Namen zu wissen.
Officer Betley sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Byrne legte ihr einen Arm um die Schultern, ging mit ihr ein paar Meter den Flur hinunter und entfernte sich von dem Zimmer.
»Wie heißen Sie mit Vornamen, Officer Betley?«, fragte er freundlich.
Die Frau zögerte kurz, als müsse sie darüber nachdenken. »Lynn.«
»Okay, Lynn. Möchten Sie eine kurze Pause machen?«
Byrnes Berührung schien der jungen Frau gutzutun. Jessica sah, dass sie sich entspannte. Das hatte sie bei Byrne schon oft erlebt.
Officer Betley nickte.
»Möchten Sie einen Schluck Wasser?«
»Gern.«
Einer der Sanitäter, der in der Nähe stand, nahm eine Flasche Wasser aus seiner Notfalltasche, öffnete sie und reichte sie Byrne, der sie an Officer Betley weitergab.
Mit zitternder Hand trank sie einen kleinen Schluck und schraubte die Flasche wieder zu.
Byrne, der Betley noch immer stützte, fragte: »Wollen Sie mir sagen, was passiert ist?«
Sie hob den Blick zu Byrne. »Ich habe an dem Tatort gearbeitet. Letzte Woche. Ich war da.«
»An welchem Tatort, Lynn? Welchen Tatort meinen Sie?«
Lynn Betley erwiderte nichts, kämpfte gegen die Tränen an.
Byrne legte ihr die Hände auf die Schultern und schaute ihr in die Augen. »Egal, was Sie in dem Zimmer gesehen haben, wir kommen damit klar. Mit ›wir‹ meine ich Sie und mich, Detective Balzano, Detective Bontrager und das gesamte Police Department. Alle siebentausend Leute. Glauben Sie mir?«
»Ich … ich weiß nicht«, antwortete sie. »Doch … ja.«
»Gut«, sagte Byrne. »Vergessen Sie das nie. Solange Sie diesen Job machen, werden Sie niemals alleine sein. In dieser und jeder anderen Stadt sind Kollegen zur Stelle, die Sie unterstützen, sobald Sie sich als Polizistin zu erkennen geben.«
Plötzlich wurde die Frau schwer in Byrnes Armen. Er setzte sie vorsichtig auf den Boden und winkte einen Rettungssanitäter der Feuerwehr herbei. Der Mann kniete sich vor die Kriminaltechnikerin, umfasste ihre Schultern und zog sie behutsam ein Stück zu sich heran. Ihre Atmung beruhigte sich.
Byrne beschloss, bei Officer Betley zu bleiben, während Jessica nachschaute, was der jungen Frau einen solchen Schreck eingejagt hatte.
Sie machte sich auf das Schlimmste gefasst, als sie zu dem Raum zurückkehrte. Dort angekommen, streifte sie neue Latexhandschuhe über, atmete tief durch und betrat entschlossen das Zimmer. Auch wenn die beiden toten Jungen einen schrecklichen Anblick boten, glaubte Jessica nicht, dass es dieses furchtbare Bild war, was die Kriminaltechnikerin so sehr aus der Fassung gebracht hatte.
Sie ließ den Strahl der Taschenlampe durch das düstere Zimmer gleiten und entdeckte sofort, was Betley so zugesetzt hatte. In der linken Ecke des Raumes, die Jessica vorhin, als sie hineingespäht hatte, nicht sehen konnte, stand etwas, das hier vollkommen fehl am Platz wirkte. Jessica nahm ihre Brille ab, um es besser erkennen zu können. Sie musste genau hinschauen und sich konzentrieren, um sicher sein zu können, dass es tatsächlich war, was es zu sein schien.
In der Ecke hinter den beiden Jungen stand eine Puppe. Sie war ungefähr dreißig Zentimeter groß und schien aus Porzellan zu sein. Ihr Blick war auf die beiden Mordopfer in der Mitte des Zimmers gerichtet.
Die Puppe war erkennbar mit Absicht in die Ecke gestellt worden. Sie bot ein sonderbares, groteskes Bild.
Aber das war es nicht allein, was Jessica den Atem verschlug.
Sie hatte die Puppe schon einmal gesehen. Ebenso die weiße Bluse, den dunklen Rock, die dunklen Schuhe und das dunkelbraune Haar. Und die schokoladenbraunen Augen mit den goldenen Punkten in der Iris.
Ich habe an dem Tatort gearbeitet, hatte Betley gesagt. Letzte Woche. Ich war da.
Jetzt wusste Jessica, was Lynn Betley meinte.
Die Puppe stellte Nicole Solomon dar.